Nr. 26 Ministerrat, Wien, 27. Februar 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Stadion, Krauß, Bach, Bruck, Thinnfeld, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 28. 2.), Krauß 28. 6., Bach 27. 6., Bruck, Thinnfeld 24. 7., Kulmer 28. 6.; abw.abwesend Cordon.
MRZ. 585 – KZ. 773 –
- I. Besetzung des südlichen Abhangs der Apenninen im Modenesischen
- II. Widmung der in Ferrara erhobenen 200.000 Scudi für den Papst
- III. Eventuelles Einrücken österreichischer Truppen in den Legationen
- IV. Verschiebung des russischen Anleiheprojekts
- V. Kriminaluntersuchungen gegen Hans Kudlich, Ernst v. Violand und Michael Marcher
- VI. Übereinkommen mit der Nationalbank
- VII. Wahlen zum Frankfurter Parlament in Böhmen
- VIII. Gemeindegesetzberatung
Protokoll der zu Wien am 27. Februar 1849 abgehaltenen Sitzung des Ministerrates unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, zugleich Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix Schwarzenberg.
I. Besetzung des südlichen Abhangs der Apenninen im Modenesischen
Der Minister des Äußern eröffnete die Sitzung mit einem Vortrage über die Notwendigkeit, die südlichen Abhänge der Apenninen im Modenesischen durch kaiserliche Truppen besetzen zu lassen, nachdem sardinische Truppen zur bewaffneten Intervention in Toskana eingerückt sind. Sardinien wird sich unter Kollusion von Seite Frankreichs auch in die römischen Angelegenheiten mischen, auf diesem Wege eine Vereinigung Italiens zu erstreben suchen und, einmal im Besitze der Apenninenpässe, welche aus Toskana nach Oberitalien führen, würde es eine sehr drohende Stellung gegen uns annehmen können. Die Festigkeit unserer militärischen wie auch unserer politischen Position in Italien erheischt es daher, daß Österreich ohne Verzug die Pässe und überhaupt den südlichen Abhang der Apenninen im Modenesischen mit einer imponierenden Streitmacht besetze.
Nachdem der Ministerrat diesen Ansichten vollkommen beistimmte, so wird Fürst Schwarzenberg sofort bei Sr. Majestät darauf antragen, daß dem Feldmarschall Grafen Radetzky der entsprechende Ah. Auftrag erteilt werde.1
II. Widmung der in Ferrara erhobenen 200.000 Scudi für den Papst
Einen weiteren Gegenstand der Beratung bildete der Antrag des Feldmarschall Grafen Radetzky, daß die von dem FML. Baron Haynau in Ferrara eingehobene Kontribution von 200.000 Scudi zur Verfügung des Heiligen Vaters gestellt werde, nachdem ihm einerseits diese Summe in der gegenwärtigen Konjunktur sehr erwünscht kommen dürfte, und andererseits von der österreichischen Armee der Vorwurf abgelehnt werde, daß sie erhaltene Beleidigungen durch Geld sühnen lasse.2
|| S. 143 PDF || Der Ministerpräsident fand diesen Antrag sehr passend, und nachdem auch der Finanzminister dagegen keine Erinnerung erhob, so wurde sich allseitig damit vereinigt.3
III. Eventuelles Einrücken österreichischer Truppen in den Legationen
Wurde die Notwendigkeit besprochen, im Falle sardinische Truppen das römische Gebiet betreten würden, auch österreichischerseits in die Legationen einzurücken und sich schleunigst des wichtigen Hafenplatzes Ancona zu bemächtigen. Sehr wünschenswert wäre es, gleichzeitig auch Venedig zu erobern.4
IV. Verschiebung des russischen Anleiheprojekts
Der Ministerrat fand es unter den dermaligen Konjunkturen Frankreichs rätlich, mit dem Abschlusse des in der Ministerratssitzung vom 26. Februar 1849 unter I besprochenen Anlehens noch zu temporisieren.5
V. Kriminaluntersuchungen gegen Hans Kudlich, Ernst v. Violand und Michael Marcher
Der Justizminister erwähnte, daß nach den gepflogenen Erhebungen gesetzlicher Grund zur Eröffnung von Kriminaluntersuchungen gegen die Reichstagsdeputierten Kudlich, Violand, Fischhof und Marcher vorhanden sei.6 In der Kaim’schen Angelegenheit hat sich der Appellations[gerichts]präsident zu Prag Graf Mitrowsky mit so wenig Takt benommen, daß es notwendig wird, ihm darüber Andeutungen zu geben.7
VI. Übereinkommen mit der Nationalbank
Der Finanzminister brachte das von ihm mit der Nationalbank abgeschlossene Übereinkommen de dato 9. Dezember 1848 wegen des unverzinslichen Anlehens von 20 Millionen und der Beischaffung von Silber auf gemeinschaftliche Kosten der Bank und des Staates in Vortrag.8
Gegen das au. Einschreiten des Baron Krauß um nachträgliche Ah. Genehmigung dieses Übereinkommens wurde von keiner Seite eine Erinnerung erhoben.9
VII. Wahlen zum Frankfurter Parlament in Böhmen
Nachdem der böhmische Gubernialpräsident Baron Mecséry um eine ostensible Weisung über den bezüglich der Wahlen in das deutsche Parlament einzuhaltenden Ganges gebeten hat, wird der Minister des Inneren ihn anweisen, diese Wahlen in allen deutschen Bezirken Böhmens, wo die Wähler sich dafür aussprechen, vornehmen zu lassen.10
VIII. Gemeindegesetzberatung
Der Minister Graf Stadion brachte hierauf den neu redigierten Entwurf des Gemeindegesetzes – im Nachhange zu der bereits in Olmütz am .. Februar 1849 unter dem Vorsitze Sr. Majestät stattgefundenen Beratung – in Vortrag.11
Vor allem wurde der noch in suspenso gelassene § 1 besprochen. Nach dem Entwurfe des Grafen Stadion hatte er zu lauten: „Unter Ortsgemeinde versteht man in der Regel die als selbständiges Ganzes vermessene Katastralgemeinde, insofern nicht mehrere derselben bereits faktisch eine einzige selbständige Ortsgemeinde bilden.“ Baron Krauß würde die Ortsgemeinden nach ihrem bisherigen Umfange festhalten, um die ehemaligen Herrschaftsbesitzer von der zwangsweisen Einteilung in die Gemeinde zu verwahren – was aus Rücksichten der Billigkeit der Politik und der Nationalökonomie wünschenswert erscheint, wie bereits bei früheren Beratungen des Gegenstandes nachgewiesen wurde. Nach längerer Diskussion einigte man sich über Antrag des Justizministers dahin, den § 1 in der Fassung des Entwurfes beizubehalten, da der Ausdruck „in der Regel“ die nötigen Ausnahmen zugunsten der Gutsbesitzer involviert, und andererseits durch einen eigenen Paragraphen den Landtagen das Recht vorbehalten wird, die Modalitäten des Eintritts der ehemaligen Dominien in den Gemeindeverband zu normieren.
Ferner wurde beschlossen, den § 7 „Um Gemeindeglied zu sein, ist vor allem die österreichische Staatsbürgerschaft notwendig“, zu streichen, nachdem in den Seehäfen, dann in den Grenzdistrikten Ausländer häufig als Gemeindeglieder aufgenommen sind und deren Ausschluß durch das neue Gesetz weder nötig noch rätlich erscheint.
Im § 12.6 wurde statt des Wortes „Fremde“, damit man darunter nicht Ausländer verstehe, gesetzt „Auswärtige“.
Nachdem die Verteilung der s.g. Kapazitäten unter die verschiedenen Wahlkörper die Wahloperationen kompliziert, so vereinigte sich der Ministerrat über Vorschlag des Grafen Stadion im Widerspruch mit dem jüngst gefaßten Beschlusse dahin, daß die Ehrenbürger und die s.g. Kapazitäten § 28, ad 2., in den Wahlkörpern der Höchstbesteuerten einzureihen seien.|| S. 145 PDF ||
§ 9. Die Bestimmung „Wer anders als durch Erbrecht den Besitz von Realitäten in einer Gemeinde erwirbt“, wurde durch Einschaltung des Zwischensatzes „in auf- oder absteigender Linie“ näher bezeichnet.
Es wurde folgende Textierung des § 8 beschlossen: „Gemeindebürger sind jene, welche a) dermalen von einem in der Gemeinde gelegenen Haus- oder Grundbesitz oder von einem den ständigen Aufenthalt in der Gemeinde gesetzlich bedingenden Gewerb oder Erwerbe einen bestimmten Jahresbetrag an direkten Steuern bezahlen, oder b) von der Gemeinde förmlich als solche anerkannt worden sind.“
Was den Wahlmodus der Kreisvertretung betrifft, so war der Justizminister für direkte Volkswahl, allein die übrigen Minister vereinigten sich zu dem Beschlusse, daß die Wahl von den Gemeindeausschüssen vorzunehmen sei.12
Wien, 28. Februar 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft. Franz Joseph. Olmütz, den 27. März 1849.