Nr. 3 Ministerrat, Wien, 15. Dezember 1848 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Stadion, Krauß, Cordon, Bach, Bruck, Thinnfeld, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 15. 12.), Stadion, Krauß 8. 4., Bach 8. 4., Bruck, Cordon, Thinnfeld, Kulmer.
MRZ. 2885 – KZ. fehlt –
- I. Reduzierung der Armee in Italien
- II. Stellung des Ministeriums zu den Militärautoritäten
- III. Leitung und Überwachung der hiesigen Militäruntersuchungskommission durch Karl Eduard Freiherr Komers v. Lindenbach
- IV. Gesandtschaftsposten für Anton Freiherr Doblhoff-Dier
- V. Polizeiliche Überwachung der im Auslande studierenden österreichischen Untertanen
- VI. Memorandum Erzherzogs Johann über die Stellung Deutschlands und Österreichs
- VII. Zulage für die bei der Zentraluntersuchungskommission verwendeten Beamten des Kriegsministeriums
- VIII. Aushebung von 35 Reservebataillons ohne vorherige Zustimmung des Reichstages
- IX. Keine Rekrutierung in Dalmatien
- X. Auflösung des Wiener Nationalgardezentralkommandos
- XI. Abweisung des Gesuches eines Juden um Zulassung zur Gerichtsdienstleistung
Protokoll der Ministerratssitzung vom 15. Dezember 1848 unter dem Vorsitze Sr. Durchlaucht des Herrn Ministerpräsidenten, Ministers des Auswärtigen und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.
I. Reduzierung der Armee in Italien
Der Finanzminister machte auf die große Last aufmerksam, welche dem Lande und den Finanzen fortwährend dadurch aufgebürdet wird, daß die Armee in Italien noch immer auf dem Kriegsfuße steht. Eine Erleichterung der Gemeinden in dieser Beziehung und eine Verminderung des großen Defizits in dem Staatsvoranschlage sei äußerst wünschenswert und Schritte diesfalls an den Feldmarschall Grafen Radetzky zu machen notwendig1.
Der Ministerrat einigte sich in dem Beschlusse, der Ministerpräsident wolle dem Feldmarschall Grafen Radetzky schreiben, daß er, ohne übrigens der Armee das ihr Gebührende zu schmälern, zur Erleichterung des Landes und der Finanzen die notwendigen Einschränkungen einleiten möge. Der Finanzminister übernahm es, dem Ministerpräsidenten zu diesem Behufe die nötigen Daten zu liefern2.
II. Stellung des Ministeriums zu den Militärautoritäten
Der Minister des Inneren Graf v. Stadion brachte hierauf die jetzige Stellung des Ministeriums zu den Militärautoritäten und die Notwendigkeit zur Sprache, Einleitungen zu treffen, daß das Ministerium bei den dasselbe angehenden Verfügungen des Militärs nicht umgangen werde, was gegenwärtig in den meisten Fällen Fällen zum großen Nachteile des Ansehens des Ministeriums geschehe. Er bemerkte, daß Niederösterreich || S. 20 PDF || ohne Einflußnahme des Ministeriums entwaffnet werde; daß der Feldmarschall Fürst Windischgrätz an den FML. Grafen Khevenhüller geschrieben habe, er habe die Hauptwache der Nationalgarde in Prag, wenn in zehn Tagen für das Militär keine Hauptwache statt der früheren, nun abgetragenen, hergerichtet ist, allenfalls mit Gewalt zu besetzen3; das Militärkommando lasse Aufsätze in die Wiener Zeitung aufnehmen, ohne die betreffenden Ministerien zu fragen, obgleich diese Aufsätze nicht im Sinne und im Interesse des Ministeriums geschrieben sind; über den Zustand der Stadt Wien sei ihm bis jetzt noch kein einziger Bericht zugekommen u.dgl. Graf Stadion habe übrigens dem Gubernialvizepräsidenten Baron Mecséry geschrieben, die Sache wegen der Hauptwache so friedlich und so mild als möglich abzutun, um, da jetzt ohnedies die Meinung Eingang findet, daß das Militär ausschließend regiere, nicht durch einen klamorosen Fall in Prag diese Meinung noch mehr zu bestärken und, was sehr zu bedauern wäre, den böhmischen Abgeordneten im Reichstage Anlaß zur Mißstimmung gegen das Ministerium zu geben.
Im gleichen Sinne wird auch der Kriegsminister an den FML. Grafen Khevenhüller schreiben, daß er jeden Konflikt vermeide, wodurch ein Zwiespalt zwischen den Autoritäten entstehen könnte, und daß auf keinen Fall in der Angelegenheit der Prager Hauptwache Gewalt angewendet werde4.
III. Leitung und Überwachung der hiesigen Militäruntersuchungskommission durch Karl Eduard Freiherr Komers v. Lindenbach
Der Justizminister teilte dem Ministerrate mit, daß die ihm zugekommenen Untersuchungen gegen einzelne Deputierte so unvollständig und mangelhaft sind, daß es notwendig sein wird, jene Punkte zu bezeichnen, welche besser erhoben werden müssen. Diese Erhebungen sollen so vollständig sein, daß sie, wenn sie auch vor einen Zivilrichter kommen sollten, als erschöpfend erkannt werden. An den Mängeln der bisherigen Untersuchungen sei der Mangel an Einheit schuld; die Auditore, die sie leiten, wissen nichts voneinander. In dieser Beziehung scheine eine Abhilfe notwendig. Nun stehe aber die Militärkommission nicht unter dem Ministerium, diesem daher kein Einfluß auf dieselbe zu5.
Hierüber fand sich der Ministerrat zu dem Beschlusse veranlaßt, daß die Minister des Inneren, der Justiz und des Kriegswesens sich diesfalls (so wie auch über das zu II. erwähnte) mit dem FML. Freiherrn v. Welden besprechen und hinsichtlich der Leitung und Überwachung der Militäruntersuchungskommission, um diesfalls eine Einheit und bessere Resultate zu erzielen, auf eine geeignete Person (etwa den Hofrat Komers) hinweisen und sodann das Ergebnis der Besprechung dem Ministerrate mitteilen6.
|| S. 21 PDF || Da übrigens, wie der Ministerpräsident bemerkte, nach den ihm zugekommenen Nachrichten in Oberösterreich sich viele Kalabreser herumtreiben und Wiener Flüchtlinge dort das Land aufwiegeln sollen, da ihm auch Notizen von geheimen Gesellschaften zugekommen sind, welche durch ganz kleine Federn (rot und schwarz) sich kenntlich machen sollen, und hier in Wien viele Verdächtige wieder hervortreten, welche sich bisher versteckt hielten, so hätten die gedachten Minister auch über diese Gegenstände sowie über das wegen Ausweisung der Fremden bisher Geschehene mit dem FML. Freiherrn v. Welden zu sprechen7.
IV. Gesandtschaftsposten für Anton Freiherr Doblhoff-Dier
Derselbe Minister eröffnete das Resultat der in einer früheren Ministerratssitzung ihm übertragenen Besprechung mit dem Abgeordneten Baron Doblhoff hinsichtlich der Übernahme eines Gesandtschaftspostens.
Baron Doblhoff fand sich durch die ihm gemachte Andeutung sehr geschmeichelt und wünscht allerdings auf einen Posten zu kommen, wo er fern von seiner gegenwärtigen politischen Wirksamkeit wäre. Hinsichtlich der ihm angedeuteten Posten „Haag“ oder „Lissabon“ bemerkte er, daß Lissabon für seine Verhältnisse zu weit entfernt wäre, daß er sich aber durch die Bestimmung nach Haag beglückt schätzen würde8. Der Minister fügte zugleich die Wahrnehmung bei, daß der Abgeordnete Mayer dadurch ganz konsterniert war. Dieser wolle, seiner Äußerung zufolge, das Ministerium unterstützen und wünsche sich nur einen seinen Kenntnissen angemessenen Posten bei der Justizorganisierung9. Hinsichtlich der Verhaftung der Deputierten stellte er die Majorität in Aussicht, jedoch nur, wenn sie vor das Zivilgericht gestellt würden.
V. Polizeiliche Überwachung der im Auslande studierenden österreichischen Untertanen
Der Ministerpräsident teilte mit, daß sich in München 60 Wiener Studenten immatrikulieren ließen, und daß ein gleiches auch in Dresden vorgekommen sei. Obwohl noch kein neues Gesetz besteht, welches das frühere Verbot, im Auslande zu studieren10, aufhebt, so wäre nach der Ansicht des Ministerrates den Österreichern unter den gegenwärtigen Verhältnissen doch nicht zu verbieten, anderwärts zu studieren. Man möge also von dem erwähnten Verbote ganz wegsehen. Dieser Umstand führte jedoch zu der weiteren Bemerkung, daß es notwendig sein werde, diese Studenten zu überwachen, und daß daher Polizeiagenten nicht bloß für das In-, sondern auch für das Ausland notwendig sein werden.
Graf Stadion erinnerte hiebei, daß er mit dem im höheren Polizeifache wohlbewanderten Regierungsrate Noe v. Nordberg in Absicht auf die Errichtung der höheren Polizei bereits gesprochen und ihn aufgefordert habe, sich die Hauptprinzipien diesfalls klarzustellen || S. 22 PDF || und dann mit ihm zu konferieren. Nachdem dies geschehen sein wird, werde Graf Stadion das Ergebnis dem Ministerrate vortragen11.
VI. Memorandum Erzherzogs Johann über die Stellung Deutschlands und Österreichs
Der Ministerpräsident teilte dem Ministerrate zur Kenntnis zwei von dem Reichsverweser aus Frankfurt erhaltene Depeschen mit, in deren einer der Herr Erzherzog Reichsverweser seine politischen Gedanken über Deutschland und Österreich auseinandersetzt12.
VII. Zulage für die bei der Zentraluntersuchungskommission verwendeten Beamten des Kriegsministeriums
Derselbe brachte einen Vorschlag des FML. Baron Welden zum Vortrage, worin er anträgt, sieben Individuen des Kriegsministeriums, welche zur Besorgung der Kanzlei-, Expedits- und dergleichen Geschäfte der Zentraluntersuchungskommission beigegeben sind und von denen zwei noch gar keine Besoldung haben, alle aber so angestrengt sind, daß sie keine Zeit erübrigen, sich außerdem etwas zu verdienen, Zulagen von 20 f. monatlich für jeden, vom November angefangen, zu bewilligen13.
Beschlossen, dem Antrage zu willfahren, und der Kriegsminister hat es übernommen, hiernach das Weitere zu verfügen14.
VIII. Aushebung von 35 Reservebataillons ohne vorherige Zustimmung des Reichstages
Der Kriegsminister stellte die Anfrage, ob die Verfügung in Absicht auf die neu auszuhebenden 35 Reservebataillons vom Reichstage abhängig zu machen sei oder nicht, welche Frage der Ministerrat zu verneinen fand, weil der Reichstag nur konstituierend ist, wohl aber sei ihm das Verfügte zur Kenntnis zu bringen15.
IX. Keine Rekrutierung in Dalmatien
Ferner bemerkte derselbe Minister, daß in Dalmatien noch immer keine Rekrutierung stattfinde. Hierüber fand man zu erinnern, daß der FML. Freiherr v. Jellačić Dalmatien grenzartig einrichten wolle, weshalb dieser Gegenstand fallenzulassen sei16.
X. Auflösung des Wiener Nationalgardezentralkommandos
Derselbe bemerkte weiter, daß sich durch die Auflösung der Nationalgarde das hiesige Zentralkommando derselben wohl für Wien, nicht aber auch für die Provinz als aufgelöst ansehe.
|| S. 23 PDF || Nach der Ansicht des Ministerrates gilt die ausgesprochene Auflösung für das ganze Land17.
XI. Abweisung des Gesuches eines Juden um Zulassung zur Gerichtsdienstleistung
Endlich zeigte der Justizminister an, daß ihm ein Gesuch von einem Juden um Zulassung zur Gerichtsdienstleistung zugekommen sei, und daß die Landesbehörden dieses Gesuch unterstützen. Er sei gegen die Gewährung des Gesuches, weil man hiedurch der Emanzipation der Juden vorgreifen und solche als schon vorhanden ansehen würde; auch sei ein besonnener Fortschritt für die Juden weit besser als ein zu präzipitierter.
Der Ministerrat stimmte dieser Ansicht bei .
Wien, den 15. Dezember 1848. Schwarzenberg.
Ah.E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph.