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Nr. 78 Ministerrat, Wien, 20. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Marherr; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner; abw. Doblhoff, Wessenberg; BdE. Pillersdorf (20. 6.).

MRZ. 1185 et 1186 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates am 20. Juni 1848 unter dem Vorsitze des mit dem Präsidium des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Ankunft Erzherzog Johanns in Wien

Schreiben des Ministers Baron Doblhoff vom 17. Juni1 über das Ah. Befinden Ew. Majestät und über die für den 22. angekündigte Ankunft des Ah. ernannten Stellvertreters Ew. Majestät, Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Johann2, Höchstwelchen in Nußdorf zu empfangen der Ministerrat einstimmig beschlossen und hierwegen die weiters nötige Verabredung auf morgen vorbehalten, zugleich hiervon den Minister Baron Doblhoff in die Kenntnis gesetzt hat3.

II. Protest des steiermärkischen Landtages gegen direkte Wahlen

Telegraphische Depesche aus Gratz vom 20.4: „Heute geht vom steiermärkischen Landtag eine Deputation an das Ministerium gegen die direkten Wahlen“.

Das Ministerium hat keine direkten Wahlen angeordnet; dies würde daher auch der Deputation zu antworten sein5.

III. Rücktritt Wessenbergs von der Stelle des Außenministers

Schreiben des Ministers des Äußern Freiherrn v. Wessenberg, womit er wegen vorgerückten Alters und geschwächter Gesundheit seine Stelle niederlegt6.

Wird Ew. Majestät beziehungsweise Allerhöchstdero Stellvertreter dem Herrn Erzherzog Johann7 (sowie überhaupt alle Akte des Ministeriums während der Dauer dieser Stellvertretung) zur Ah. Schlußfassung mit der Bitte überreicht, in Ansehung der Leitung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten einstweilen das frühere Provisorium durch den Konferenzrat Baron Lebzeltern eintreten zu lassen8.

IV. Berichte über den Prager Pfingstaufstand

Zwei telegraphische Depeschen aus Prag, eine vom 19. Juni, 12 Uhr nachts9, die zweite vom 20., mittags 1 Uhr10, dann der erste Bericht des Gubernialpräsidenten Grafen Thun vom 17. Juni mit einer Nachschrift vom 1811.

Die telegraphischen Depeschen melden im wesentlichen übereinstimmend, daß die Stadt ruhig ist, daß die vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt, namentlich die Waffen reichlich und gutwillig abgeliefert werden; daß die Gutgesinnten für die gezeigte Strenge danken und darauf zu beharren bitten, die Aufwiegler dagegen die Stadt verlassen haben und das Landvolk aufreizen, daß man demungeachtet die Ruhe zu erhalten hoffe, wenn nicht die Verfügungen der Landesautoritäten durch widersprechende Maßregeln von Wien aus durchkreuzt werden.

Der Bericht des Grafen Thun gibt eine übersichtliche, aber keineswegs erschöpfende Darstellung der Ereignisse vom 12. bis 17. Sie spricht sich über die Veranlassung derselben nicht klar aus, bezeichnet einen zufälligen Konflikt als die Ursache des Ausbruchs des Aufstands und weicht in einigen Punkten, namentlich bezüglich der Niederlegung und Wiederannahme des Generalkommandos durch den Fürsten Windischgrätz12 etc. von der Relation der am 19. in Wien angekommenen Hofkommissäre, des Grafen Mensdorff und Hofrats Klezansky13 ab. Übrigens gibt der Bericht keinen Anlaß zu einer entscheidenden Verfügung, und der Minister des Inneren glaubt, dieselbe unter Auseinandersetzung der Gründe, welche die Absendung der Hofkommissäre nach Prag nötig machten, und unter Anhoffung weiterer Details mit dem Beisatze zur Nachricht nehmen [zu] sollen, daß der von Prag hieher gesandten Deputation14 durchaus keine andern Zugeständnisse gemacht worden seien, als welche ihr bereits in Prag bewilligt worden waren.

Bezüglich der Aufwiegelung auf dem Lande kann der Minister des Inneren die beruhigende Versicherung geben, daß solche, nach den Berichten der Kreisämter, nicht viel Eingang unter dem Landvolke finden15.

V. Eröffnungsvorbereitungen für den Reichstag

Der Minister des Inneren machte auf die dringende Notwendigkeit aufmerksam, die nötigen Vorbereitungen zur Eröffnung des Reichstags zu treffen16. Nur durch die möglichst genaue Zuhaltung des hierzu festgesetzten Tages kann den steten Umtrieben, welche besonders auf die Vornahme direkter Wahlen gerichtet sind17, ein Ziel gesetzt werden. Selbst der Gemeindeausschuß, obwohl für die direkten Wahlen, || S. 454 PDF || geht für diesmal davon ab18, um keinen Anlaß zur Verschiebung des Reichstags zu geben. Wenngleich die Wahlen erst im Gange, ja in Böhmen wegen der am 12. eingetretenen Ereignisse19 noch nicht eingeleitet und erst mit Ministerialerlaß unmittelbar an die Kreisämter vom 19. angeordnet worden sind20, so daß das Eintreffen aller Deputierten am 26. nicht zu erwarten steht, so wird doch jedenfalls ein Teil derselben bis dahin hier eintreffen und sich behufs der parlamentarischen Vorarbeiten versammeln, sohin aber vielleicht um einige Tage später zur feierlichen Eröffnung des Reichstags geschritten werden können. Das Zeremoniell für diesen Akt, nach dem Muster des ungrischen entworfen, welches der Minister des Inneren ablesen ließ, wurde auf dessen Antrag mit der Modifikation angenommen, daß dabei auf die Vertretung der Ah. Person Ew. Majestät durch einen Erzherzog Rücksicht genommen und die Eröffnungsrede nicht vom Minister, sondern, wie in andern konstitutionellen Staaten, vom Stellvertreter des Monarchen gehalten werde21.

Bei diesem Anlasse stellte der Justizminister die Anfrage, ob für den Fall, daß Häfner und Tuvora, welche wegen Störung der öffentlichen Ruhe des Staats in Kriminaluntersuchung stehen22, als Deputierte gewählt werden sollten, nicht gegen deren Zulässigkeit dieser Umstand geltend zu machen sei.

Der Ministerrat glaubte jedoch hierauf nicht eingehen zu sollen, indem es die Sache der Reichsversammlung sein wird, hierüber zu entscheiden23.

VI. Besetzung mehrerer Generalsposten

Übergab der Kriegsminister seinen Vortrag vom 16. Juni 1848 wegen Besetzung dreier Generalsposten, wogegen nichts zu erinnern war24.

VII. Keine weitere Gewehrausgabe an die Nationalgarde

Erklärte derselbe dem Minister des Inneren (behufs dessen weitrer Verfügung), daß dermal keine Gewehre für die Nationalgarde mehr vorhanden seien, nachdem bereits in Wien über 37.000, im ganzen über 100.000 Stück ausgeteilt worden25.

VIII. Zeitungsartikel über die unmögliche Vermehrung des Heeres in Italien

Endlich las derselbe einen für die Zeitung bestimmten Aufsatz, worin zur Entgegnung auf die unaufhörlichen Vorwürfe über Vernachlässigung der Verstärkung || S. 455 PDF || des k. k. Heeres in Italien die Gründe auseinandergesetzt werden, aus welchen derzeit eine solche Verstärkung unmöglich ist26.

Ah. E. Der Inhalt dieses Protokolls dient Mir zur Kenntnis. Erzherzog Johann. Wien, 26. Juni 1848.