Nr. 74 Ministerrat, Wien, 16. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Pillersdorf; anw.anwesend Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner; abw.abwesend Doblhoff, Wessenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht Pillersdorf (17. 6.).
MRZ. 1135 et 1136 – KZ. –
- I. Kabinettschreiben wegen Bildung einer neuen Regierung; Veröffentlichung dieses Kabinettschreibens
- II. Absage Wessenbergs wegen Übernahme des Außenministeriums
- III. Reise des Kaisers nach Ischl; Wiederkehr Erzherzog Franz Karls nach Wien
- IV. Zeitungspublikation über den Stand der Dinge in Italien
- V. Ministerielle Dokumentation über die Ereignisse vom 25./26. 5. 1848
- VI. Kommandowechsel in Prag
- VII. Personalvermehrung bei Eisenbahnbauprojekten; Personalreduktion in der Montanhofbuchhaltung
Protokoll der Sitzung des Ministerrates am 16. Juni 1848 unter dem Vorsitze des interimistischen Ministerpräsidenten, zugleich Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.
I. Kabinettschreiben wegen Bildung einer neuen Regierung; Veröffentlichung dieses Kabinettschreibens
Der interimistische Ministerpräsident teilte dem Ministerrate das unterm 12. Junius 1848 an ihn erflossene Ah. Kabinettschreiben mit1, worin Se. Majestät den Freiherrn v. Pillersdorf aufzufordern geruhten, unter den gegenwärtigen Konjunkturen das Präsidium des Ministerrates fortzuführen und sofort ein neues Ministerium zu bilden.
Hierauf verlas der interimistische Ministerpräsident den Entwurf seiner hierüber an Se. Majestät au. zu erstattenden Äußerung, welche im wesentlichen dahin geht, daß Baron Pillersdorf sich dem Ah. Befehle wegen weiterer interimistischer Fortführung des Präsidiums im Ministerrate in Ehrfurcht unterwerfe, daß er sich aber die Bitte erlauben müsse, die definitive Erklärung, ob er Sr. Majestät ein Ministerium vorzuschlagen imstande sei, bis zu Allerhöchstihrer Zurückkunft verschieben und an die Bedingungen knüpfen zu dürfen: 1. daß er die Beruhigung erhalte, ob das Vertrauen der Völker, bei welchen er das Organ der hochherzigen Bestrebungen Sr. Majestät für ihr Wohl sein soll, ihm in dieser Stellung entgegenkommt; daß er sich 2. der Mitwirkung der aufgeklärten Männer versichern könne, welche ihn bei diesem schwierigen Unternehmen zu unterstützen berufen werden, daß er endlich mit Zuversicht und Vertrauen seine Kräfte der Befestigung und Entwicklung der konstitutionellen Freiheiten widmen könne, deren Gewährung eine so glorreiche Epoche der Regierung Sr. Majestät bezeichnet.
Der interimistische Ministerpräsident äußerte hierauf, daß so wie es überhaupt zu den Gewohnheiten der konstitutionellen Regierungen gehöre, das Publikum von beabsichtigten Änderungen des Ministerrates in Kenntnis zu setzen, es ihm auch angemessen erscheine, durch einen ämtlichen Zeitungsartikel sowohl den vollen Inhalt des Ah. Handschreibens als auch die wesentlichsten Punkte seiner au. Erwiderung zur öffentlichen Kenntnis zu bringen, und dies zwar umso mehr, als ohne Zweifel vielerlei dunkle und zum Teil irrige Gerüchte über diesen Gegenstand sehr bald im Publikum umlaufen und mancherlei Deutungen erhalten würden, welchen durch eine offene || S. 436 PDF || offizielle Erklärung auf eine das öffentliche Vertrauen kräftigende Weise begegnet werden würde.
Sämtliche Minister erklärten sich mit dem Vorhaben zur diesfälligen Verlautbarung einverstanden2.
II. Absage Wessenbergs wegen Übernahme des Außenministeriums
Der Ministerpräsident setzte den Ministerrat in Kenntnis, daß Baron Wessenberg dem ersteren eröffnet habe, er sei durch die Erfahrung der letzten Wochen zur Überzeugung gelangt, daß sein Alter von 75 Jahren und seine schwächliche Gesundheit es ihm nicht möglich machen, den vielfachen Anforderungen für den Dienst des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten in die Länge zu entsprechen und – sofern es sich um seinen Nachfolger in dem neuzubildenden Ministerium handle – könne Baron Wessenberg nur auf Grafen Colloredo als auf einen Staatsmann hindeuten, der alle dazu erforderlichen Eigenschaften im ausgezeichneten Grade besitzt3. Baron Pillersdorf wird dieses Schreiben im Einklang mit seiner oberwähnten au. Äußerung über den Ah. Auftrag zur Bildung eines Kabinetts beantworten4.
III. Reise des Kaisers nach Ischl; Wiederkehr Erzherzog Franz Karls nach Wien
Die in einem Schreiben des Ministers Baron Doblhoff an den Ministerpräsidenten enthaltene Eröffnung, daß Se. Majestät der Kaiser am 17. 1. M. sich nach Ischl zu begeben Ah. beabsichtigen5, wurde von dem Ministerrate mit großer Freude entgegengenommen und beschlossen, diese Nachricht, welche eine baldige noch weitere Annäherung an Wien in Aussicht stellt, sofort in den Zeitungsblättern zur Freude und Beruhigung des Publikums zu verkündigen6.
Die vom Freiherrn v. Doblhoff gestellte Anfrage, ob es nicht von guter Wirkung wäre, wenn Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Franz Karl noch vor der Ankunft Sr. Majestät in Wien auf einige Tage hierher käme, wurde beschlossen zu erwidern, daß, so erfreulich auch zu jeder Zeit das Erscheinen des durchlauchtigsten Herrn Erzherzoges inmitten der Residenz wirken müsse, es in diesem ganz besonderen Falle den tiefergreifenden, allbeglückenden Eindrucke, den die Wiederkehr Sr. Majestät auf die Wiener Bevölkerung hervorbringen wird, eher schwächen dürfte, wenn dieser Wiederkehr das Erscheinen eines Prinzen aus dem Ah. Erzhause vorausginge7.
IV. Zeitungspublikation über den Stand der Dinge in Italien
Nachdem laut einer Eröffnung des Ministers Baron Wessenberg Graf Radetzky zum Abschlusse eines Waffenstillstandes bereits angewiesen8 und die Friedensunterhandlung mit der provisorischen Regierung zu Mailand direkt eröffnet worden ist9, so wurde beschlossen, diese Nachricht, welche auf die öffentliche Stimmung und den Staatskredit nur einen günstigen Einfluß üben kann, sofort mittelst der Zeitungsblätter zu verlautbaren10.
V. Ministerielle Dokumentation über die Ereignisse vom 25./26. 5. 1848
Der Minister der Justiz übernahm es infolge einer vom Ministerpräsidenten erhaltenen Aufforderung, eine pragmatische und dokumentierte Darstellung der Ministerialbeschlüsse und Ereignisse vom 25. und 26. Mai zu verfassen, welche als Substrat der Verteidigung gebraucht werden könnte, im Falle das Ministerium über jene Vorgänge zur Verantwortung gezogen würde11.
VI. Kommandowechsel in Prag
Der Ministerpräsident legte eine telegraphische Depesche der Hofkommissäre aus Prag vom 16. Juni, 8 [Uhr] morgens, vor, folgenden Inhaltes12: „Fürst Windischgrätz hat seinen Dienstposten niederzulegen sich entschlossen. Graf Mensdorff übernimmt provisorisch das Kommando. Es läßt sich Ruhe erwarten. Die Kanonade ist eingestellt. Die Truppen werden in dem Maße, als Barrikaden abgeräumt werden, einrückend gemacht.“
Obgleich diese Nachricht beruhigend lautet, so läßt sich daraus doch nur wenig folgern, zumal man über den eigentlichen Verlauf der Ereignisse, deren nächste und entferntere Veranlassungen nur wenig Verläßliches weiß. Über die Vorfälle zu Prag am 12. Mai gibt der dem gegenwärtigen Protokolle in Abschrift angeschlossene Bericht des Fürsten Windischgrätz vom 13. d. M. an den Kriegsminister13 einigen Aufschluß und es erhellt daraus, daß die Svornost-Partei14, dann Studenten und Arbeiter die Feindseligkeiten am 12. Mai damit begannen, daß sie auf eine Bürgerdeputation von etwa 200 Mann, welche eben dem kommandierenden Generalen ihren Dank für die kräftige Aufrechthaltung der Ordnung ausgedrückt hatte, Flintenschüsse abfeuerten.
Da nun besorgt, daß die Szene in Prag das Signal zu Blutvergießen auf dem flachen Land werden könnte, so hat der Minister des Inneren bereits auf telegraphischem Wege || S. 438 PDF || dem Gubernium den Auftrag zugehen lassen, diesem Übel mit möglichster Tätigkeit und Energie zu steuern15.
Der Kriegsminister betrachtet es als einen günstigen Umstand, daß Fürst Windischgrätz das Generalkommando freiwillig niedergelegt hat, da es eine mißliche Sache gewesen wäre, ihn davon gegen seinen Wunsch zu entheben. Die Persönlichkeit des Generals der Kavallerie Grafen Mensdorff, welcher aus seiner früheren Dienstleistung in Prag noch beliebt ist16, wird auf dem Posten eines Kommandierenden, den er dermal provisorisch wieder übernommen hat, das Versöhnungswerk wesentlich erleichtern, und Ew. Majestät dürften diese Verfügung genehmigend zur Nachricht zu nehmen geruhen17.
VII. Personalvermehrung bei Eisenbahnbauprojekten; Personalreduktion in der Montanhofbuchhaltung
Nachdem der Minister der öffentlichen Arbeiten die Notwendigkeit zur Sprache gebracht hatte, zur Revision der Eisenbahnbaurechnungen ein vermehrtes Personal zu bestellen, während andererseits im Personal der Montanhofbuchhaltung eine Reduktion eintreten könnte, äußerte der Finanzminister , er habe sich bereits mit dem Präsidenten des Generalrechnungsdirektoriums wegen einer neuen Regulierung der Kontrollbehörden ins Einvernehmen gestellt18 und er behalte sich vor, sofort auf den baldigen Beginn der kommissionellen Verhandlungen über diesen Gegenstand einzuwirken19.
Wien, am 17. Junius 1848. Pillersdorf.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Nachricht genommen und die zur Leitung des böhmischen Generalkommandos getroffene provisorische Verfügung genehmigt. Nach Ah. Befehle Erzherzog Johann. Wien, am 26. Juni 1848.