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Nr. 64 Ministerrat, Wien, 7. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner; abw. Doblhoff, Wessenberg; BdE. Pillersdorf (8. 6.), Franz Karl (14. 6.).

MRZ. 973 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates am 7. Junius 1848 unter dem Vorsitze des interimistischen Ministerpräsidenten, zugleich Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Publizierung des kaiserlichen Manifestes vom 3. 6. 1848

Der Ministerpräsident legte ein an ihn vom Minister Baron Doblhoff aus Innsbruck am 6. l. M. eingelangtes Schreiben1 vor, mit welchem das Manifest Sr. Majestät des Kaisers, de dato Innsbruck 3. Junius 18482, zur Verlautbarung hierher befördert wurde – jedoch mit der Ah. Ermächtigung, die Publikation nach Umständen auch zu unterlassen oder zu verschieben.

Da übrigens die Verhältnisse in Wien von der Art sind, daß die Erlassung eines Ah. Manifests, wie das vorliegende, als vollkommen zeitgemäß und entsprechend anerkannt werden muß, und da namentlich die am Schlusse enthaltene Zusicherung über die Rückkehr Sr. Majestät nach Wien allgemein den beruhigendsten und freudigsten Eindruck hervorbringen muß, so habe Baron Pillersdorf ohne Verzug die Verlautbarung durch Zeitungen und Plakate veranlaßt und sich begnügt, das Manifest in einer hinzugefügten Aufschrift „An die getreuen Einwohner Meiner Residenz“ zu adressieren3.

II. Übernahme des Außenministeriums durch Wessenberg

Die von Baron Doblhoff erhaltene Mitteilung4, daß Freiherr v. Wessenberg das ihm Ah. übertragene Ministerium des Äußern und des Hauses übernommen habe5, wurde vom Ministerrate zur Nachricht genommen, und ist die diesfällige Verlautbarung durch die Wiener Zeitung bereits eingeleitet6.

III. Verbleiben Doblhoffs in Innsbruck

Nachdem ferner Baron Doblhoff angefragt hatte, ob er selbst dermal, wo der verantwortliche Minister Baron Wessenberg sich am Ah. Hoflager befindet und daselbst auch verweilen wird, nicht nach Wien zurückkehren könne, um die unmittelbare Leitung der Geschäfte des Agrikulturs- und Handelsministers wieder zu übernehmen7, || S. 387 PDF || beschloß der Ministerrat, demselben hierauf sofort zu erwidern, daß sein verlängerter Aufenthalt am Ah. Hoflager umso wünschenswerter erscheine, als einerseits die Kränklichkeit des Baron Wessenberg denselben zuweilen dem Ah. Dienste entziehen dürfte, und als andererseits Graf Stadion – welcher, dem Ah. Rufe folgend, am 7. Junius nach Innsbruck abzureisen gedenkt – einen großen Wert darauf legen würde, den Baron Doblhoff noch am Ah. Hoflager zu finden8.

IV. Frankreichs Italienpolitik; Leitung der Pazifikationsmission in Lombardo-Venetien

Der Ministerpräsident teilte einen Abriß der Unterredung mit, welche er am 6. l. M. mit dem französischen Geschäftsträger Monsieur de la Cour gehabt hat, der [um] dieselbe angesucht hatte9. In dieser Konferenz, welche jedoch bloß den Charakter einer rein konfidentiellen Besprechung hatte, da Baron Pillersdorf sich zu keinen offiziellen Erklärungen berufen erklärte, äußerte Monsieur de la Cour im wesentlichen, daß Frankreich die baldige Beendigung der italienischen Wirren auf friedlichem Wege wünsche, daß es in Italien nicht die Vergrößerung seines eigenen Gebietes oder der Macht Karl Alberts, wohl aber die Selbständigkeit der italienischen Nationalität beabsichtige und insbesondere die völlige Trennung der Lombardie von der österreichischen Monarchie als eine unvermeidliche Notwendigkeit betrachte. Damit aber der Krieg in Italien nicht zu einem europäischen werde, sei es notwendig, daß der Friede daselbst baldmöglichst wieder hergestellt werde.

Baron Pillersdorf und mit ihm der Ministerrat erkannten, daß diese Gesinnungen Frankreichs mit dem eigenen Interesse der österreichischen Monarchie wegen der Pazifikation Italiens10 zusammentreffen, und da General Vacani, welchen man laut des Sitzungsbeschlusses vom 6. Junius mit Führung der diesfälligen Unterhandlungen zu betrauen gedachte11, über vorläufige Anfrage geäußert hat, er glaube nicht, daß seine Dazwischenkunft im vorliegenden Falle von Nutzen sein könne, so erachtete der Ministerrat, daß der gewesene Botschafter Graf Colloredo12 seiner erprobten Gesinnung und Gewandtheit nach am meisten geeignet sein dürfte, um diese hochwichtige Unterhandlung zu einem für Österreich vorteilhaften Abschlusse zu bringen. Um jedoch keine Zeit zu verlieren, wurde beschlossen, den eben in der Nähe von Wien auf dem Lande lebenden Grafen Colloredo sofort einzuladen, sich direkt nach Innsbruck zu begeben, damit er dort – im Falle Baron Wessenberg sich seiner zur angedeuteten Negoziation zu bedienen gedächte – mit den nötigen Instruktionen versehen werde und seine Unterhandlungen in der kürzesten Zeitfrist eröffnen könne13.

Der Minister Baron Wessenberg wird durch Baron Doblhoff von dieser Einleitung in Kenntnis gesetzt werden14.

V. Modifikation des Staatshandbuches für 1848

Der Minister des Inneren brachte zur Sprache, daß es an der Zeit sein dürfte, das Staatshandbuch15 für 1848, dessen Druck bereits vollendet ist, mit den durch die neuesten Veränderungen bedingten Modifikationen erscheinen zu lassen.

Der Finanzminister , obgleich in thesi einverstanden, glaubte doch, daß diese Herausgabe in dem gegenwärtigen Augenblicke, wo der Organismus aller Ministerien noch nicht völlig gegliedert ist und wo der Bestand mehrerer Dienstesstellen in den höheren und höchsten Sphären in Frage gestellt ist, noch nicht ganz an der Zeit sein dürfte16.

VI. Entwurf der provisorischen Geschäftsordnung für den Reichstag

Der Minister des Inneren brachte den Entwurf einer „provisorischen Geschäftsordnung für den demnächst zusammentretenden konstituierenden Reichstag“ in Vortrag.

Sämtliche Minister erklärten sich mit diesem Entwurfe im wesentlichen einverstanden, und es wurden nur einige wenige Modifikationen an demselben beschlossen. Dahin gehört namentlich der Schwur der Treue für den konstitutionellen Kaiser, welcher in die Eidesformel für den Präsidenten des Reichstages und für die Deputierten (§§ 37 und 38) eingeschaltet wurde – und die Bestimmung, daß der Präsident einem nicht eingeschriebenen Redner auch dann das Wort gestatten könne (§ 68), wenn er über persönliche Beziehungen Aufklärungen zu erteilen wünscht.

Der Ministerrat unterzieht demnach den dergestalt rektifizierten Entwurf, wovon eine Abschrift dem Protokolle beiliegt, der Ah. Sanktion, nach deren Herablangen diese Geschäftsordnung in Druck gelegt werden wird17.

VII. Pensionierung Ignaz Freiherrn v. Lederers

Der Kriegsminister brachte mit Beziehung auf seinen gleichzeitig überreichten au. Vortrag vom 6. Junius 184818 in Vorschlag, daß dem kommandierenden General Baron Lederer, welcher die Versetzung in den Ruhestand angesucht hat19, mit Rücksicht auf seine 65jährige ruhmvolle Kriegsdienstleistung seine volle Gage als Ruhegehalt und nebstdem das Großkreuz des Leopoldordens als Merkmal der Ah. Anerkennung verliehen werde20.

Sämtliche Minister traten diesem au. Antrage bei.

Für den Fall, Ew. Majestät den au. Anträgen unter Zahl 6 und 7 des gegenwärtigen Protokolles die Ah. Genehmigung zu erteilen geruhen, werden die entsprechenden || S. 389 PDF || Resolutionsentwürfe hier beigefügt und an dieselben weiters ein Entwurf des Ah. Kabinettschreibens angereiht, mittelst welchem das Obersthofmeisteramt von der erfolgten Ah. Ernennung des Baron Wessenberg zum Minister des Äußern und des kaiserlichen Hauses verständigt wird21.

Ges. 14. Juni. Franz Karl. Vidi. Ferdinand, Innsbruck, am 15. Juni 1848.