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Nr. 61 Ministerrat, Wien, 4. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; RdA. Pipitz; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner; abw. Doblhoff; BdE. Pillersdorf (5. 6.), Franz Karl (10. 6.).

MRZ. 970 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates am 4. Junius 1848 mittags unter dem Vorsitze des interimistischen Ministerpräsidenten, zugleich Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Sieg bei Curtatone

Der Kriegsminister teilte dem Ministerrate die heute eingelangte, so sehr erfreuliche Nachricht von dem Siege mit, welchen der Feldmarschall Graf Radetzky bei Curtatone über einen Teil der feindlichen Armee erfochten hat1, eine mit außerordentlicher Kühnheit ausgeführte Waffentat, welche für die österreichischen Truppen äußerst ehrenvoll ist und durch die günstige Stellung, in welche Graf Radetzky dadurch im Rücken und der Flanke der sardinischen Armee gebracht wurde, auf den ganzen Feldzug einen entscheidenden Einfluß zu nehmen verspricht.

Diese Nachricht wurde von dem Ministerrat mit der lebhaftesten Freude und der wärmsten patriotischen Teilnahme aufgenommen2.

II. Enthebung Joseph Freiherrn v. Sardagnas vom Posten des Wiener Stadtkommandanten

Graf Latour überreicht einen Vortrag, mit welchem er zur Ah. Kenntnis bringt, daß er den Generalmajor Baron Sardagna über sein Ansuchen von dem ihm übertragen gewesenen Stadtkommando in Wien enthoben hat3. Die Wiederbesetzung dieser Stelle erscheint unter den dermaligen Verhältnissen nicht notwendig, und da dem Baron Sardagna über seine Dienstleistung bereits von den Ministerien des Krieges und des Inneren die Zufriedenheit zu erkennen gegeben wurde4, so dürfte die vorliegende Anzeige lediglich zur Ah. Wissenschaft genommen werden5.

III. Ausbesserung des Olmützer Forts

Der Kriegsminister brachte ferner mit Berufung auf seinen gleichzeitig überreichten Vortrag vom 2. l. M. 6 die Notwendigkeit der Rekonstruktion mehrerer Werke des Olmützer Forts auf dem Galgenberge zur Sprache. Die Unterlage des Forts am Galgenberge ist nämlich teilweise eine seifenartige Talkerde, welche, durch Nässe || S. 374 PDF || aufgeweicht, eine Verschiebung der darauf ruhenden Bauten zur Folge hat, ein früher nicht vorausgesehener Umstand, der die Baufälligkeit mehrerer Mauern zur Folge hatte. Es wird gegenwärtig unumgänglich notwendig, einen Teil der Escarpe-Futtermauer, der Contre-escarpe und der Gallerie majeure7 neu, und zwar in solcher Weise herzustellen, daß sich keine neue Verschiebung ergeben könne. Bei dieser Gelegenheit könnte mittelst Anwendung eines Hohlbaues ein bombenfreier Belagsraum für 500 Mann gewonnen werden. Die Gesamtauslage per 230.689 fl. würde sich auf zwei bis drei Jahre verteilen und aus der disponiblen extraordinären Dotation für Geniebauten bestritten werden. Damit die in Olmütz befindlichen unbeschäftigten Maurer nicht etwa diesen Platz verlassen und sich nach einem anderen Orte (etwa nach Wien) wenden, hat der Kriegsminister die neue Fundierung bereits sub spe Altissimi rati angeordnet, und der tg. Ministerrat vereinigte sich mit dem au. Antrage auf Ag. Genehmigung dieser zur Verteidigung der wichtigen Festung Olmütz notwendigen Bauführung8.

IV. Zurechtweisung Thuns wegen Bildung einer provisorischen Regierung in Prag

Der Minister des Inneren las dem Ministerrate den Bericht des Gubernialpräsidenten zu Prag Grafen Thun9 vor, worin derselbe infolge des den 1. Junius an ihn ergangenen telegraphischen Auftrags10 die Aufklärungen über die von ihm gebildete provisorische Regierung erstattet. Diese Aufklärungen beschränken sich im wesentlichen auf die Berufung auf die hierüber in der Prager konstitutionellen Zeitung erschienenen Artikel11 und auf die Angabe, daß, nachdem die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Ministerrates durch die am 26. Mai in Wien eingetretenen Ereignisse12 aufgehoben und somit dessen Einfluß in Regierungsangelegenheiten auf die Provinzen erloschen sei, Graf Thun es nach gepflogener Rücksprache mit dem Kommandierenden Generalen, mit dem Appellations [gerichts] präsidenten und dem Vizepräsidenten des Guberniums für unumgänglich nötig befunden habe, eine provisorische Regierung für Böhmen aus Männern des öffentlichen Vertrauens zusammenzusetzen, welche die den Wirkungskreis der Landesstellen überschreitenden Geschäfte insolange provisorisch besorgen würden, bis über diesen Gegenstand die gleichzeitig direkt eingeholte Entscheidung Sr. Majestät erfolgt ist.

Freiherr v. Pillersdorf trug hierauf den Entwurf seines in Beantwortung dieses Berichts an Graf Thun zu richtenden Erlasses vor, worin die entschiedene Mißbilligung dieses in seiner Art unerhörten Vorganges ausgesprochen und der Gubernialpräsident für alle daraus entstehenden Folgen strenge verantwortlich erklärt wird. Es wird ihm bedeutet, daß durch die erwähnten Ereignisse die Freiheit der Entschlüsse des Ministeriums nicht beeinträchtigt, der Einfluß desselben auf alle übrigen Provinzen unverändert geblieben, der Gang der Administration – mit einziger Ausnahme der in Wien eingetretenen || S. 375 PDF || veränderten Einrichtungen – in der bisherigen Weise geregelt geblieben und der Verkehr des Ministeriums mit Ah. Sr. Majestät niemals unterbrochen worden sei, zumal es nie aufgehört habe, Se. Majestät durch Erstattung von au. Vorträgen und Vorlegung der Ratsprotokolle von dem Gange der Regierungsgeschäfte in Kenntnis zu erhalten sowie andererseits an das Ministerium fortwährend Ah. Resolutionen in Staatsangelegenheiten herabgelangen13 Unter diesen Umständen müsse das Ministerium den Grafen Thun auffordern, die von demselben usurpierte Gewalt abzulegen und in die ihm als Landeschef gebührende Stellung zurückzutreten, widrigens man sich genötigt sehen müßte, die Kreisämter in Böhmen des Gehorsams gegen die Landesstelle förmlich zu entbinden.

Die ganze Fassung dieses Erlasses wurde von dem Ministerrate einstimmig gebilligt und dabei noch von dem Finanzminister herausgehoben, es falle sehr auf, daß, während Graf Thun sich mit dem Kommandierenden Generalen und dem Appellations[gerichts]präsidenten über die Notwendigkeit, eine provisorische Regierung zu bilden, beraten habe, er den Landeschef für die Kameralangelegenheiten nicht zu befragen für nötig befunden habe14.

V. Nachrichten Doblhoffs

Über ein dem interimistischen Ministerpräsidenten mitgeteiltes Schreiben des Ministers Baron Doblhoff aus Innsbruck de dato 31. v. M.15 über verschiedene Staatsangelegenheiten wurde beschlossen, an denselben ein Rückschreiben zu richten16.

Die den au. Anträgen des Ministerrates zu II und III entsprechenden Resolutionsentwürfe werden auf der Nebenspalte ehrerbietigst der Ah. Sanktion unterzogen.

Ges. 10. Juni. Franz Karl. Vidi. Ferdinand. Innsbruck, am 11. Juni 1848.