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Nr. 46 Ministerrat, Wien, 20. Mai 1848 abends – Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; RdA. Pipitz; VS. Pillersdorf;; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Dabihoff, Baumgartner, Lebzeltern (interimistischer Leiter des Außenministeriums); außerdem anw. Montecuccoli (nur bei III); BdE. Pillersdorf (21. 5.), Franz Karl (26. 5.).

MRZ. 955 – KZ. –

Protokoll [II] der Abendsitzung des Ministerrates vom 20. Mai 1848 abends unter dem Vorsitze des provisorischen Ministerpräsidenten Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Kundmachung Graf Leo Thuns über die Abreise des Kaisers

Der böhmische Gubernialpräsident Leo Graf Thun machte am 19. d. M. mittelst der angeschlossenen gedruckten Kundmachung1 bekannt, es sei ihm gestern (den 18. d. M.) nachmittags nachstehende telegraphische Depesche von Wien zugekommen: Durch die Vermittlung vertrauenswürdiger Personen haben Se. k. k. Majestät mir den mündlichen Auftrag zukommen lassen, seinen getreuen Böhmen zu verkünden: Tief betrübt über die letzten Ereignisse in Wien haben Se. Majestät es am besten gefunden, sich für einige Zeit von dort zu entfernen usw2.

Da das Ministerium am 18. d. M. keine telegraphische Depesche dieses Inhalts nach Prag expedieren ließ, und überhaupt den Grund der Erlassung der gedachten Kundmachung nicht kennt, so fand sich dasselbe veranlaßt, an den vorgerufenen Oberinspektor des Telegraphen die Frage zu stellen, ob außer jener telegraphischen Depesche des Ministers des Inneren am 18. d. M. noch eine andere nach Prag aufgegeben worden sei. Derselbe zeigte die an diesem Tage erlassenen telegraphischen Nachrichten nach Prag vor, von denen keine als Grund der erwähnten Kundmachung angenommen werden kann, bemerkte ferner, daß alle Aufträge für den Telegraphen im telegraphischen Büro genau protokolliert werden, daß ohne sein Wissen nichts expediert werden kann, und nur, wenn er verhindert ist (wie dies am 18. Mai d. J. der Fall war, wo er am Totenbette seiner Gattin stand), besorge der Obertelegraphist den Dienst, für welchen er dann auch verantwortlich sei.

Der Ministerrat findet es notwendig, zur näheren Aufklärung dieses Gegenstandes auch den Telegraphen-Unterinspektor Malzenau zu vernehmen, und der Minister der öffentlichen Arbeiten v. Baumgartner übernahm es, denselben für den 21. d. M. vor den Ministerrat zu bestellen, dann auch die Protokolle und andere zur Aufklärung allenfalls nötigen Daten zu verschaffen.

|| S. 277 PDF || Der Minister des Inneren hat übrigens schon heute die Mitteilung an den Gubernialpräsidenten gemacht, um von ihm Aufklärung über diesen Gegenstand zu erhalten3.

II. Stimmung in der Akademischen Legion

Der Kriegsminister Graf Latour brachte hierauf einen soeben erhaltenen Brief zur Kenntnis des Ministerrates, worin im wesentlichen vorkommt, daß es hier mehreren aufgefallen, wie sich neuerdings in der Akademischen Legion eine Aufregung bemerkbar mache, daß italienische, polnische und französische Emissäre unter ihnen Aufwieglungen veranlassen, und worin zugleich die Andeutung vorkommt, daß die Akademische Legion, bei welcher sich mehrere hundert Individuen befinden, die eigentlich nicht zu ihr gehören, unter die Nationalgarde einzuteilen, und wollte sie nicht folge leisten, ihre Auflösung zu verfügen wäre4.

Der Ministerrat erachtet, solche Materialien künftig dem Sicherheitskomitee zu übergeben, was auch mit diesem Briefe in Abschrift und mit Weglassung des Namens zu geschehen hätte5.

III. Rückkehr des Kaisers nach Wien; Entsendung eines Verbindungsmannes zum Kaiser

Hierauf kamen folgende zwei Fragen zur Erörterung:

a) das Einschreiten des Ministeriums an Ew. Majestät hinsichtlich der Ah. Rückkehr nach Wien und die Richtung dieses Einschreitens, ob nämlich Ew. Majestät die Zurückkunft an gewisse Bedingungen knüpfen sollen und in welcher Art;

b) ob ein vertrauenswürdiges Individuum überhaupt oder nur ein Organ des Ministeriums abzusenden sei, das an der Seite Ew. Majestät zu bleiben und mit den Ministern die Verbindung zu unterhalten hätte6.

Der provisorische Regierungspräsident Graf Montecuccoli , behufs der Erörterung dieser Fragen dem Ministerrate beigezogen, bemerkte ad a) es wäre von Seite des Ministeriums, damit das Publikum es wisse, bestimmt zu erklären, daß das Benehmen der Studenten und der Abfall des uniformierten Bürgerkorps Ew. Majestät zur Abreise bestimmt habe. Erfolgt ein solcher Ausspruch, so wird die Sympathie der Nationalgarde für die Studenten in Abneigung verwandelt. Graf Montecuccoli bemerkte weiter, daß die Bürger eine Petition vorbereiten, worin sie Ew. Majestät um die Zurückkunft nach Wien und um die Auflösung der Akademischen Legion bitten wollen. Am wirksamsten wäre es nach seinem Dafürhalten, wenn Ew. Majestät das Oberwähnte selbst aussprächen, weil dann umso ernstlicher gegen die Studenten eingeschritten werden könnte. Alle Bürger teilen die Ansicht, daß das Bestehen der Akademischen Legion für sie nur gefahrbringend sei.

|| S. 278 PDF || ad b) meinte Graf Montecuccoli, daß ein vertrauenswürdiges Individuum an Ew. Majestät abzusenden wäre, das Ew. Majestät in dem oberwähnten Sinne zu stimmen hätte. Der Justizminister Freiherr v. Sommaruga war der Meinung, daß vor allem die Akademische Legion noch einmal von dem Ministerium auf die Gefahr aufmerksam zu machen wäre, welcher sie sich durch ihr Verharren bei ihrem bisherigen Benehmen aussetzt. Der Kriegsminister Graf Latour stimmte den Ansichten des Grafen Montecuccoli bei. Der Finanzminister Freiherr v. Krauß war derselben Meinung, nur bemerkte er in Ansehung der Form, daß in dem Vortrage des Ministeriums an Ew. Majestät darzustellen wäre, dem Ministerrate seien die Gründe der Entfernung Ew. Majestät nicht bekannt, er vermute aber, daß es jene seien, die Graf Montecuccoli geltend gemacht hat usw. Der Minister des Handels Freiherr v. Doblhoff (mit welchem sich der Minister der öffentlichen Arbeiten v. Baumgartner vereinigte) fand den Antrag des Grafen Montecuccoli bedenklich. Nach seiner Meinung wäre ein Mitglied des Ministeriums Ew. Majestät nachzusenden, das Allerhöchstdenselben die Gefahr der längeren Abwesenheit und den Umstand vorzustellen hätte, daß dadurch die Sympathien für den Kaiser geschwächt werden. In Beziehung auf die Provinzen sei es von Wichtigkeit, daß die Geschäfte der Monarchie mit der provisorischen Regierung nicht verzögert, sondern vielmehr beschleunigt und keiner Unterbrechung ausgesetzt werden.

Rücksichtlich des Antrages, daß der an Ew. Majestät Abgesandte Allerhöchstdenselben die Auflösung der Akademischen Legion als Bedingung der Zurückkunft vortragen soll, kann sich Baron Doblhoff nicht einverstehen. Das gegenwärtige Ministerium ist dazu nicht mehr autorisiert, die bekannten Konzessionen7 liegen bereits hinter ihm und es würde durch den erwähnten Antrag als sehr reaktionär erscheinen. Wenn Ew. Majestät hinsichtlich der Zukunft beunruhiget wären, so läge es Allerhöchstdenselben am nächsten, die Bedingungen der Zurückkunft selbst zu stellen. Ein neues Ministerium könnte einen solchen Antrag tun. Der Stimmführer möchte dem guten Geiste der Bürgerschaft nicht vorgreifen, welche, wie bemerkt wurde, selbst die Bitte um das stellen will, was oben im Antrage ist. Nach seiner Meinung wäre Ew. Majestät in einem Vortrage nichts anderes zu eröffnen, als wie die Gesinnung hier beschaffen ist, die Bürgerschaft sei für Ew. Majestät, für die Ruhe und Ordnung und gegen die Akademische Legion, welche noch immer keine Beweise gibt, daß sie sich bescheiden will. Dies würde dann Ew. Majestät bestimmen, einen weiteren Entschluß zu fassen. Von dem Ministerium wäre die Akademische Legion auf ihre gegebenen Zusicherungen ernstlich zu erinnern. Gingen sie mit ihren Wühlereien dessenungeachtet weiter, dann wäre als äußerste politische Maßregel die Legion jedoch nur provisorisch aufzulösen, weil eine Ah. Gestattung zur Bildung dieses Korps besteht8. Die Einverleibung dieses Korps in die Nationalgarde fände der Stimmführer selbst politisch nicht gut, weil zu || S. 279 PDF || besorgen wäre, daß die Studenten eher den Geist der Nationalgarde verderben als sich ändern werden.

Der Minister des Inneren und provisorische Ministerpräsident Freiherr v. Pillersdorf wäre in der Sache selbst gleichfalls für die Auflösung der Akademischen Legion, jedoch immer mit Rücksicht auf den obersten Grundsatz, daß die Mittel der Energie auch den beabsichtigten Erfolg sichern. Da indessen über den Gegenstand der Frage geteilte Meinungen waren, so wurde darüber heute kein entscheidender Beschluß gefaßt, sondern die Angelegenheit einstweilen ajourniert.

Nachdem Graf Montecuccoli hierauf die Sitzung verlassen hatte, erklärte sich der Ministerrat einstimmig dafür, daß eine ernste Mahnung von Seite des Ministeriums an die Akademische Legion durch ihren Kommandanten zu erlassen wäre, etwa des Inhalts: Sie hätten die bestimmtesten Erklärungen gegeben, Ruhe zu halten, nun seien aber dem Ministerium abermals Versicherungen zugekommen, daß in der Aula wieder Aufregung herrsche. Das Ministerium fühle sich verpflichtet, die Studierenden auf ihre Zusicherungen aufmerksam zu machen, um nicht ernstere Maßregeln zur Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung ergreifen zu müssen.

Der Minister des Handels etc. Baron Doblhoff übernahm es, den Entwurf zu dieser Mahnung zu verfassen und morgen dem Ministerrate vorzutragen9.

Auch über die weitere Frage, ob der an die Seite Ew. Majestät zur Unterhaltung des Verkehrs mit den Ministern abzusendende Geschäftsmann aus der Mitte des Ministeriums zu nehmen sei, oder ob es auch ein anderes vertrauenswürdiges Individuum sein könne, waren die Meinungen der Minister geteilt. Einige hielten die Absendung eines vertrauenswürdigen Individuums überhaupt (Baron Sommaruga den Grafen Wilczek, Baron Pillersdorf den Grafen Montecuccoli) für hinreichend, während andere hierzu ein Mitglied des Ministeriums wünschten, weil dieses die Gesinnungen des Ministeriums bereits kennt, und weil das deutsche Ministeriums nicht weniger tun kann, als das ungarische durch die Absendung des Ministers Fürsten Esterházy zu Ew. Majestät bereits getan hat.

Die Erledigung dieser Frage wurde daher gleichfalls vertagt10.

IV. Verstärkung der Wiener Garnison

Der Kriegsminister Graf Latour bemerkte, daß der Regierungspräsident Graf Montecuccoli den Wunsch ausgesprochen habe, es möchte die hiesige Garnison verstärkt werden.

Graf Latour wird morgen (den 21. Mai) mit Grafen Montecuccoli darüber näher sprechen, und wenn er noch die Verstärkung der Garnison notwendig findet, darüber dem Ministerrate referieren. Er seinerseits würde sogleich zwei Bataillons hierher beordern können11.

V. Wechselzahlungsmoratorium

Der Minister des Handels, der Industrie und des Ackerbaues Baron Doblhoff brachte mit Beziehung auf das in dem Ministerratsprotokolle vom || S. 280 PDF || 19. Mai d. J12. besprochene Gesuch dreier Handelsleute um die Bewilligung eines Moratoriums für die Wechselzahlungen auf die Dauer eines Monates das diesfalls erhaltene Gutachten des Wechselgerichtes zur Kenntnis des Ministerrates. Es ging dahin, daß man unmöglich auf die Gewährung des Gesuches antragen könne, infolge welches Antrages er auch das Gesuch bereits zurückgewiesen habe13.

VI. Schwierigkeiten beim Wechsel von Silber

Der Finanzminister Freiherr v. Krauß leitete schließlich die Aufmerksamkeit des Ministerrates auf die gegenwärtigen Verlegenheiten der Bank, bei welcher heute nur 600.000 fr. in Silber erhoben worden sind14. Von den verschiedenen Abhilfsmitteln dagegen: Erhöhung des Zinsfußes, Erhöhung des Bankfonds, Verminderung der Darleihen bei der Bank, Erhöhung des Escomptes etc. wurde von der Bankdirektion keines entsprechend gefunden. Sie habe die Verfügung getroffen, daß in den Provinzen die Verwechslung bis 25 fr., in Wien bis 50 fr. stattfinde15. Es wurde bemerkt, daß das Großhandlungsgremium und andere Handelsleute die Erklärung abgegeben haben, die Banknoten al pari anzunehmen. Eine Hauptmaßregel bleibe jedoch, den Zwang zur Annahme von Banknoten eintreten zu lassen.

Der Finanzminister wird hierüber einige Notabilitäten des Handelsstandes (Rothschild, Stametz-Mayer, Stifft und andere) vernehmen und das Resultat zur Kenntnis des Ministerrates bringen16.

Den 21. Mai 1848. Pillersdorf. Ges. 26. Mai. Franz Karl. Vidi. Ah. E. Der Inhalt dieses Protokolles dient zur Wissenschaft. Ferdinand. Innsbruck, am 27. Mai 1848.