Nr. 37 Ministerrat, Wien, 14. Mai 1848 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner, Lebzeltern interimistischer Leiter des Außenministeriums
- RS.Reinschrift; RdA. Pipitz; VS.Vorsitz Pillersdorf; anw.anwesend Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner, Lebzeltern (interimistischer Leiter des Außenministeriums); BdE.Bestätigung der Einsicht Pillersdorf (17. 5.) Franz Karl (17. 5.).
MRZ. 781 et 782 – KZ. –
Protokoll der Sitzung des Ministerrates am 14. Mai 1848 unter dem Vorsitze des provisorischen Ministerpräsidenten, zugleich Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.
I. Verbot der politischen Tätigkeit der Wiener Akademische Legion
Der mit [der] Führung des Ministeriums des Unterrichts provisorisch beauftragte Freiherr v. Sommaruga eröffnete die Sitzung mit der Vorlesung eines Erlasses1, welchen er an das Kommando der Wiener Akademischen Legion zu richten beabsichtigt, worin sie nicht bloß (gleich den Nationalgarden2) bestimmt angewiesen wird, sich aller politischen Debatten, Beschlüsse und Demonstrationen zu enthalten, sondern womit sie zugleich eine ernste Warnung vor Exzessen, aufregenden Vorgängen, Eingriffen in Privatverhältnisse, Entsendung von agitierenden Agenten in die Provinzen etc. erhält.
Wenn dieser Erlaß an das Kommando der Akademischen Legion und nicht, wie es allerdings dem Geschäftsgange entsprechender wäre, an die Universität gerichtet wird, so geschieht dies deswegen, weil der Universitätsvorstand auf die Studierenden beinahe gar keinen Einfluß übt, die Leitung der Legion ganz in der Hand des Kommandos liegt, und daher nichts erübrigt, als sich an dieses zu wenden, wenn man seines Erfolges sicher sein will.
Sämtliche Minister waren mit dem Inhalte dieses Erlasses einverstanden, und es wurde nur beschlossen, daß mit dessen Ausfertigung noch durch 24 Stunden innezuhalten wäre, um ihn eventuell nach Maßgabe des Vorganges der Nationalgarde bezüglich der Unterlassung politischer Deliberationen noch modifizieren zu können3.
II. Sicherheitskomitee für Wien
Der Kriegsminister berichtete, der kommandierende General in Niederösterreich habe an ihn die Anfrage über das einzuhaltende Benehmen des Militärs bei größeren Straßenexzessen und Demonstrationen in Wien gestellt4, und Graf Latour hob die Notwendigkeit heraus, für solche Fälle die bestimmtesten Instruktionen zu erteilen, da die sogenannten Katzenmusiken unter Zusammenfluß mehrerer tausend Menschen sich häufig || S. 225 PDF || wiederholen5 und die zur Erhaltung und Wiederherstellung der Ordnung berufene Nationalgarde sich bei dem Exzesse in der Nacht vom 13. auf den 14. d. M. vor dem Hause des Schauspieldirektors Carl mehr passiv verhalten habe6, ungeachtet sie in der bedeutenden Stärke von zehn Kompanien auf dem Platze versammelt war. Vor allem sei es notwendig, genau zu bestimmen, wann der Zeitpunkt eintrete, wo die Militärmacht aufgeboten werden muß, und wer das Recht habe, das Einschreiten des Militärs in Anspruch zu nehmen. Es dürfte dabei nicht übersehen werden, daß, wenn die Aufforderung hiezu von Seite der Zivilbehörde im ordentlichen Instanzenzuge durch die Regierung und Generalkommando an das bezügliche Truppenkommando geleitet werden soll, die Militärhilfe in den meisten Fällen, besonders bei nächtlichen Exzessen, zu spät kommen dürfte, zumal bei Volksaufläufen oft auf die Differenz einer Viertelstunde sehr viel ankommt.
Der Minister des Inneren erwiderte, dieser allerdings sehr wichtige und folgenreiche Gegenstand habe bereits den Gegenstand reifer Beratung bei dem mit der Bildung des Sicherheitskomitees beschäftigten provisorischen Wiener Bürgerausschusse gebildet7, und die vom Kriegsminister gestellten Anfragen würden durch die instruktionsmäßigen Attribute des Sicherheitskomitees und das demselben vorzuzeichnende Verfahren ihre einfache Lösung finden. Leider aber sei die wirkliche Organisierung dieses Komitees wegen entstandener bedeutender Meinungsverschiedenheiten im bürgerlichen Ausschusse ungeachtet der häufigen Erinnerungen und nachdrücklichen schriftlichen Betreibungen von Seite des Ministers des Inneren8 noch nicht zustande gekommen.
Baron Pillersdorf, von der Notwendigkeit überzeugt, für die Handhabung der öffentlichen Sicherheitsaufsicht baldmöglichst in einer oder anderer Weise fürzusorgen, werde sofort an den Magistrat die bestimmte Weisung erlassen, entweder binnen 48 Stunden die Munizipalsicherheitsbehörde einzusetzen, oder aber eine negative Erklärung abzugeben, damit die Staatsverwaltung selbst für die kräftige Handhabung der Sicherheitspolizei in der Residenz durch geeignete Organe ohne weiteren Verzug Vorkehrungen treffen könne.
Diesem Antrage wurde einstimmig beigepflichtet9.
III. Weitere Amnestien für Galizien
Der Justizminister Baron Sommaruga trug den Inhalt eines vom galizischen Appellationsgerichte erstatteten Berichtes10 vor, worin auf die Erwirkung von || S. 226 PDF || zwei Amnestien angetragen wird, nämlich: a) für jene bereits amnestierten politischen Verbrecher aus Galizien11, welche wegen gleichzeitig begangener gemeiner Verbrechen noch im Kerker zurückgehalten werden, und b) für die galizischen Bauern, welche wegen der während der Ereignisse des Jahres 184612 begangenen gemeinen Verbrechen angeklagt sind und zum Teil auch bereits in Untersuchung stehen. Beide Arten von Amnestie werden vom galizischen Landesgouverneur und vom Appellationsgerichte aus politischen Gründen für dringend notwendig erklärt, und jene zugunsten der Bauern (b) insbesondere deswegen, um sie vor den Verfolgungen von Seite der aus dem Auslande oder aus den Straforten heimkehrenden polnischen Adeligen zu schützen.
Der Ministerrat vereinigte sich über Antrag des Justizministers dahin, daß die Amnestie ad a) durch die Verhältnisse angezeigt erscheine. Dagegen wurde es bedenklich gefunden, in dem gegenwärtigen Augenblicke die von dem galizischen Landvolke während der politischen Unruhen im Jahre 1846 begangenen Verbrechen im allgemeinen für straflos zu erklären. Es würde eine solche Maßregel, sie mag nun in Form einer Amnestie oder der Niederschlagung der Untersuchungen aus dem Titel von derlei Verbrechen geschehen, bei den galizischen Edelleuten und der ganzen polnischen Partei einen schlimmen Eindruck hervorbringen und als eine Aufforderung der Regierung an die Bauern, bei den jetzigen Konjunkturen die Greuel des Jahres 1846 zu wiederholen, ausgelegt werden.
Der Ministerrat war daher des Erachtens, daß das galizische Appellationsgericht anzuweisen wäre, die Untersuchungen gegen Bauern wegen Verbrechen der erwähnten Art von den Kriminalgerichten durchführen zu lassen, jedoch mit möglichster Beschleunigung und ohne die Inquisiten zu verhaften. Die Begnadigungsanträge wären seinerzeit einzeln vorzulegen.
Übrigens behielt sich der Justizminister vor, bezüglich der in Rede stehenden Amnestieanträge der galizischen Landsbehörden die Ah. Schlußfassung mittelst eines eigenen au. Vortrages einzuholen13.
IV. Pensionierung Joseph Freiherrn v. Odelgas
Der Kriegsminister machte im Nachhang zu der Ministerratsdeliberation vom 13. l. M. 14 über die Pensionierung des FML. v. Odelga den Umstand geltend, daß dieser greise Kriegsmann bereits vor mehreren Monaten Sr. Majestät zur Ernennung als Feldzeugmeister in Vorschlag gebracht wurde, und es daher mit Rücksicht auf so viele ähnliche Vorgänge wohl nur billig sein dürfte, dessen 58jährige gute Dienste durch die Verleihung des Feldzeugmeistercharakters und Pension (4000 fl.) abzuschließen. (Da diesem Antrage allseitig beigestimmt wurde, so ist der entsprechende Resolutionsentwurf || S. 227 PDF || Sr. Majestät mit dem Protokoll über die Ministerratssitzung vom 13. Mai 1848 au. unterbreitet worden.)15
V. Untersuchung der Krawalle in Buda und Pest
Der Kriegsminister teilte schließlich eine Eröffnung des ungarischen Ministeriums mit, wonach es zur Untersuchung über die Veranlassung und Teilnehmer an den Krawallen vor dem Hause des kommandierenden Generals Baron Lederer und über das Benehmen der Militärautoritäten bei diesem Anlasse eine gemischte Kommission zusammengesetzt hat16. Da nun diese Untersuchung bei der bekannten Tendenz des ungarischen Ministeriums zu Übergriffen ohne Zweifel zu der noch unerhörten Unzukömmlichkeiten führen würde, daß die gemischte Kommission den kommandierenden General zur Verantwortung zöge über die zur Abwehr des Angriffes von ihm getroffenen militärischen Maßregeln, so würde Graf Latour dem ungarischen Ministerium erwidern, daß er dem General der Kavallerie Baron Lederer über sein bereits früher gestelltes Ansuchen einen Urlaub zur Reise nach Wien erteilt habe17. Wofern aber das ungarische Ministerium vom General der Kavallerie Baron Lederer bezüglich des gedachten Krawalls Auskünfte einzuziehen nötig findet, habe es sich dieselben im Wege des in Wien befindlichen Ministers Fürsten Esterházy zu verschaffen.
Sämtliche Minister waren mit dieser Erledigungsmodalität einverstanden18.