Wissenschaftlicher Paratext zur Edition der Ministerratsprotokolle in der Verantwortung der Herausgeber/in: Stefan Malfèr.
Ausführliche Editionsrichtlinien sind vermerkt in den Einleitungen zur Gesamtedition (Rumpler, MRP-1-0-00-0-00000000-edition.xml) sowie in den Dokumenten bzw. Abschnitten Probleme der Edition
.
Von Stefan Malfèr
Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 21 (1968) 251–330, zu Baden-Baden 264
; ebd., Nr. 173.
Ausgesprochen innenpolitisch motiviert waren die großen Reisen nach Lombardo-Venetien und nach Ungarn 1856/57. Beide dauerten mehrere Monate und sollten dazu dienen, das durch die revolutionären Ereignisse von 1848 und die nachfolgenden Kriege samt Belagerungszustand zutiefst erschütterte Verhältnis der dortigen Bevölkerung zur Dynastie zu verbessern und politisch verlorenes Terrain aufzuholen. Zu beiden Reisen brach nicht nur der Kaiser, sondern das Kaiserpaar auf. Die italienische Reise dauerte vom Chronologie der Regierung Seiner k. u. k. Apostolischen Majestät [1848–1867] (Wien/Brünn/Prag 1907) 102–106
; ÖMR. III/5: Das Ministerium Buol-Schauenstein,
, und (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 146, Mainz 1993) 361–382.
Die Reise nach Ungarn wies viele Parallelen zur italienischen auf. Der Zweck war der gleiche, sie begann als Reise des Kaiser- (bzw. Königs)paares und wurde von flankierenden Maßnahmen begleitet. Die Umstände bewirkten freilich auch Unterschiede. Zuerst wurde in der Hauptstadt Ofen das ah. Hoflager aufgeschlagen ([Die Kaiserreise von 1857 und die Presse]
. In: Magyar Könyvszemle 125 (2009) 47–65
;
Der erwünschte innenpolitische Erfolg der Ungarnreise von 1857 stellte sich nicht ein. Das lag vor allem daran, daß der Kaiser, aber auch seine Berater nicht daran dachten, die Politik Ungarn gegenüber zu ändern. Die neoabsolutistischen Vorstellungen von Reichseinheit ohne jedwede föderalistische Abschwächung waren noch zu stark verankert und durch keine Mißerfolge in Frage gestellt. Erst die Ereignisse von 1859 brachten hierin – sehr langsam – eine Wendeebd. 453
; dem entspricht die Darstellung in der altkonservativen Rechtfertigungsschrift
Auch die Ernennung eines Ungarn zum Minister war nur eine Geste, nicht aber Zeichen einer neuen Politik. Am
Die Ungarnreise gehört, ungeachtet der Tatsache, daß sie letztlich keinen nachhaltigen Erfolg zeitigte, zu den wichtigen Themen der Ministerkonferenzprotokolle dieser Monate. Die eingangs erwähnten begleitenden Maßnahmen wurden nämlich in der Konferenz ausführlich besprochen und vorbereitet, viel ausführlicher als bei der Italienreise, und ihre Durchführung beschäftigte wiederholt die Minister. Die Konferenz vom Ebd., 419
(Eintragung v.
Langfristig dürften die Begnadigungen am ehesten zur Beschwichtigung des angespannten Verhältnisses zwischen Franz Joseph und den Ungarn beigetragen haben. Zur Aussöhnung ist es ja, wenn auch erst später, doch gekommen. Sie allein nahmen Bezug auf die schmerzlichen historischen Ereignisse von 1848/49 und waren als Beitrag gedacht, die Vergangenheit zu überwinden, auch wenn das uralte Gnadenrecht des Herrschers eine solche Interpretation nicht automatisch beinhaltete. Im Handschreiben an den Justizminister wurden die Gnadenakte ausdrücklich so begründet: „Um über die politischen Verirrungen einer traurigen Vergangenheit und insbesondere über die seit dem Jahre 1848 in verschiedenen Teilen Meines Reiches gegen die bestehende Staatsordnung vorgekommenen Umtriebe für immer den Schleier der Vergessenheit zu ziehen …“. Immerhin wurden bei der in Ofen am
Auch ein Geldgeschenk, das der hohe Besuch mitbrachte, hatte mit der Vergangenheit zu tun. Es wurde zwar nicht ausgesprochen, aber alle wußten Bescheid: der Steuerzuschlag, der 1851 eingeführt worden war, um den Wiederaufbau des durch die aufständischen Truppen zerstörten königlichen Schlosses in Buda zu finanzieren, wurde eingestellt. Mehr noch, die bisher eingezahlten 800.000 Gulden sollten nicht für den Bau, sondern für Landeszwecke verwendet werden. Der Löwenanteil von 300.000 Gulden sollte für den dringend notwendigen Bau einer Landesirrenanstalt, weitere 240.000 Gulden zur Förderung der Land- und Forstwirtschaft durch Errichtung von Lehranstalten, Stipendien, Prämien und zur Herstellung des Musterweingartens in Ofen, der Rest der Summe für Stiftplätze im Theresianum, für Versorgungsstipendien für Beamtenkinder, für Künstlerstipendien und für das Nationalmuseum verwendet werden
Am schwierigsten gestalteten sich die Regierungsgespräche über Steuererleichterungen, obwohl Erzherzog Albrecht sie seinem Wunschkatalog vorangestellt hatte. Er forderte Erleichterungen bei der Grundsteuer, bei der Erwerb- und Personalsteuer und beim Steuerzuschlag für die Landeserfordernisse. Der Finanz- und der Innenminister reagierten hinhaltend. Sie verwiesen auf die bestehenden Instrumente für notwendige Steuernachlässe und auf bereits in Gang befindliche Verhandlungen. Natürlich sagten sie zu, alles zu prüfen, und ganz ohne Ergebnis blieben diese Gespräche nicht. Man verzichtete auf die, offenbar kaum einbringlichen, Rückstände beim Kriegszuschlag und senkte den Landesbeitrag
Insgesamt wurden am 20. März in der Ministerkonferenz 29 Punkte angesprochen. Es waren nach der Wortwahl des Kaisers „Erleichterungen und Begünstigungen, die mit den obersten Regierungsgrundsätzen vereinbarlich sind“, also Geschenke und Entgegenkommen, ohne die Politik zu ändern. Das Grundproblem wurde nicht angegangen, und deshalb ist die Reise in ihrem hauptsächlichen politischen Anliegen gescheitert
Eine politische Reise kann die Bestätigung einer gelungenen Problemlösung sein. Sie kann vielleicht die Lösung eines Problems befördern. Sie kann aber keinesfalls an die Stelle einer wirklichen Problemlösung treten.
Der vorliegende Band enthält die Protokolle zu vier am 30. und
Es ging um die seit langem anstehende Regelung der kirchlichen Verhältnisse der Evangelischen in Ungarn, ein überaus komplexer Gegenstand, der einerseits im Zusammenhang mit der allgemeinen Religionspolitik, andererseits im ungarischen Kontext zu sehen ist. Die Revolution von 1848 hatte in den österreichischen Ländern den gesetzlich anerkannten
Kultusminister Thun war in diesen Jahren auch nicht untätig geblieben. Nachdem sich das Projekt einer evangelischen Reichskirche, also der gemeinsamen Regelung für alle evangelischen Konfessionen und für alle Reichteile, wegen des Widerstandes aus Ungarn als undurchführbar erwiesen hatte, konzentrierte sich das Ministerium auf die Vorbereitung der Regelung der beiden evangelischen Konfessionen, der Lutheraner und der Reformierten, in UngarnÖsterreichische Osthefte 27 (1985) 439–454
; weiterführend
Die Reise des Kaisers nach Ungarn hatte wohl auch Hoffnungen in diese Richtung geweckt. Der Stand der Dinge war in formaler Hinsicht folgender. Kultusminister Thun hatte einige Monate nach der Aufhebung des Belagerungszustandes in Ungarn am
Am
Thun beantragte also die Einberufung von Synoden. Als formal notwendiger Schritt hatte, so Thun, die Befragung der Konvente über Zusammensetzung, Ort und Beratungsgegenstände der Synoden vorauszugehen. Die Konferenzen vom 30. und
Diese Eröffnungen ermöglichten es Erzherzog Albrecht, in einer heftigen Entgegnung den Antrag Thuns auf Einberufung der Synoden ganz zu Fall zu bringen. Die Vorschläge würden einen völlig neuen Weg weisen, argumentierte er. Man könne nicht die wesentlichen Punkte imperativ anordnen und die Synoden nur über unwesentliche Fragen beraten lassen. Es sei gegen die gemachten Zusicherungen und würde das Vertrauen der Evangelischen in die Regierung vernichten. Man sieht, daß Erzherzog Albrecht, der sonst wohl nichts gegen imperative Anordnungen hatte und der auch wußte, wie gering das Vertrauen der Protestanten und des in den Kirchen prominent vertretenen ungarischen Adels in die Regierung bereits war, hier auch taktisch argumentierte. Seine Stellungnahme war so massiv, daß die Sache eigentlich entschieden war. Angesichts dessen stellte sich Bach, taktisch geschickt, auf die Seite Albrechts. Thun, ein harter Diskutierer, verteidigte natürlich seinen Standpunkt. Dem Kaiser blieb nichts anderes übrig, als die Sitzung zu unterbrechen: „Nach einer noch länger fortgesetzten Diskussion […], wobei jeder Stimmführer seine frühere Ansicht festhielt, geruhten Se. Majestät der Kaiser die Beratung zu schließen.“ Am 6. Jänner eröffnete der Kaiser die Fortsetzung mit der getroffenen Entscheidung, es sei nicht ratsam, vor Abhaltung der Synoden mit den umfassenden „Dekretierungen“ hervorzutreten. Thun hatte also verloren, der Kaiser gegen ihn entschieden. Den Ausweg aus der Pattsituation wies Minister Bach durch einen Verfahrenstrick. Der Kultusminister möge doch zuerst „eine umständliche Darstellung der den Synoden von Seite der Regierung zur Beratung zuzuweisenden Gegenstände und Fragepunkte“ ausarbeiten. Genau mit diesem Auftrag an Thun schloß der Kaiser die Konferenz.
Diese kurze Zusammenfassung der Inhalte und der Sitzungsdynamik der Konferenzen von Ende 1857 und Anfang 1858 kann und will nicht die Lektüre dieser spannenden Dokumente ersetzen. Bemerkenswert ist, daß sich Thun übers Jahr schließlich doch durchsetzte. Den kaiserlichen Auftrag vom
Ob es die richtige Politik gegeben hätte, ist eine nicht zu beantwortende Frage. Zahlreich waren jedenfalls die Konfliktfelder innerhalb des zu lösenden Problems. Die Konfessionen selbst – Lutheraner und Reformierte – waren untereinander nicht immer einer Meinung. Die nationale Frage spielte herein und barg Sprengstoff: die Ungarn fürchteten die Zentrifugalkraft der Nationalitäten, die Slowaken fürchteten die Magyarisierung, die Deutschen waren in dieser Frage gespalten. Es ging auch um politische und soziale Macht. Die Frage lautete, ob der in den evangelischen Kirchen so einflußreiche ungarische Adel weiterhin seine Stellung behalten würde. Ideologie und Theologie spielten eine Rolle: ob die Kirchen nach dem konsistorialen oder nach dem presbyterial-synodalen Prinzip einzurichten waren, berührte religionsinterne und theologische Fragen, spielte aber auch ins ideologisch-politische Feld. Die an eine alte Verfassung gewohnten Ungarn setzten konsistorial mit hierarchisch-absolutistisch gleich und lehnten es folgerichtig ab. Dagegen sahen die konservativen Vertreter des Regimes im presbyterial-synodalen Prinzip parlamentarisch-konstitutionelles Denken, bei dem die Revolution nicht mehr weit schien
Die Regelung des Verhältnisses zu den evangelischen Kirchen war nicht das einzige religionspolitische Thema in den Ministerkonferenzen dieser Monate. Immer wieder gab es konfessionsbezogenen Gesprächsstoff. Harmlos war die eine oder andere Durchführungsbestimmung des 1855 mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossenen Konkordats
Als ein von den Bischöfen vorgelegter Entwurf über die Regelung der theologischen Studien zur Erledigung anstand, wollte Thun die kaiserliche Kenntnisnahme erwirken, die Ministerkonferenz plädierte für die kaiserliche Genehmigung, und man einigte sich auf „genehmigende Kenntnisnahme“
Auch bei der von Kardinal Joseph Othmar Ritter v. Rauscher für die Erzdiözese Wien vorgelegten Taxordnung für Verhandlungen vor dem kirchlichen Ehegericht beharrte die Ministerkonferenz auf dem Aufsichts- und Überwachungsrecht der Regierung und fand auch sonst mehrere Bestimmungen ungenügendÖsterreich in Geschichte und Literatur 14 (1970) 57–71, hier 61–65.
Einen kleinen Erfolg konnte Thun in der Fortgeltung einer alten Regel verzeichnen, nach der der weltliche Arm beim Vollzug geistlicher Anordnungen mitzuwirken hatte. Ein Seelsorger konnte nämlich von der Ortsobrigkeit verlangen, daß ihm ein Pfarrkind zwecks Ermahnung vorgeführt werde. Innenminister Bach, die Mehrheit der Ministerkonferenz, ja sogar der Chef der Obersten Polizeibehörde sahen, daß diese Verfügung durch das Konkordat nicht gedeckt, also obsolet war. Thun meinte aber, sie entspreche durchaus dem Geist des Konkordats und diene nur der Aufrechterhaltung der Disziplin. Der Kaiser folgte in diesem Punkt der Ansicht Thuns
Ohne Ergebnis blieb auch der folgende Interventionsversuch der Ministerkonferenz. Das Kultusministerium war mit einer Beschwerde über einen kalvinischen Pastor konfrontiert, der einen Mann aus der Gemeinde, der eine Katholikin heiraten wollte, von der Kanzel herab gerügt hatte, weil er den Revers betreffend die katholische Erziehung der Kinder unterschrieben hatte. Thun fand keinen Handlungsbedarf gegenüber diesem etwas fundamentalistischen Pastor und wollte den Ball an das Konsistorium zurückspielen. Würde ein katholischer Pfarrer etwas Derartiges tun, müsse auch der Bischof entscheiden und nicht die Staatsverwaltung, meinte Thun. Die Mehrheit der Konferenz war hingegen der Ansicht, die landesfürstlichen Behörden wären sehr wohl berufen, darüber zu entscheiden, und Bruck, der Protestant, forderte sogar, die Regierung solle das Verhalten des Pastors mißbilligen. Zu einer Entscheidung kam es nicht, die Sache wurde mit Hinweis auf die Verhandlungen über die evangelische Kirchenverfassung vertagt
Das Konkordat brachte der katholischen Kirche großen Einfluß auf die Schule. Dies führte am
Auch anläßlich einer durch das Konkordat bzw. das Ehegesetz für Katholiken von 1856 notwendig gewordenen Rechtsanpassung für Nichtkatholiken wurde ein Antrag Thuns von allen anderen mit dem Argument der Parität abgelehnt. Man könne nicht Kinder verschiedener Religionsbekenntnisse verschieden behandeln
Eine ganz außerordentlich heftige Kontroverse zum Thema Gleichbehandlung der Religionsbekenntnisse löste der Antrag Thuns im März 1858 aus, die formalen Bestimmungen beim Religionswechsel abzuändern
Dieses Protokoll und auch die anderen Beispiele zeigen, daß die Spitzen der Zentralverwaltung entschieden die Gleichberechtigung der Religionsbekenntnisse als ein wichtiges, staatstragendes Prinzip gegen die einseitige Bevorzugung der katholischen Kirche anerkannten.
Es gab kaum ein Gebiet des öffentlichen Lebens, in dem die Regierungen seit 1849 nicht Reformen in die Wege geleitet hatten. Sie betrafen einerseits den Verwaltungsapparat, die Behörden. Diese Reformen waren durch die Abschaffung der vormärzlichen Patrimonialverwaltung ausgelöst worden, deren Agenda aus der Hand der Grundherrschaften und ihrer sogenannten Wirtschaftsämter in die Hand oft neu zu schaffender staatlicher – man verwendete den Ausdruck „landesfürstlicher“ – Behörden oder an die autonomen Gebietskörperschaften übergehen sollten, angefangen von der Ortsgemeinde. Der Wandel erforderte eine umfangreiche legistische Tätigkeit – Gesetze, Patente, Verordnungen, Statute usw. – und anschließend die durchführende Organisationstätigkeit
Für die österreichischen Länder war der Prozeß der Vereinheitlichung schon seit langem im Gange, die vereinigte Hofkanzlei hatte hierin Vorarbeit geleistet. Dennoch gab es auch zwischen diesen Ländern noch beträchtliche Unterschiede. Schwieriger war die Rechtsvereinheitlichung bei jenen Ländern, die entweder abweichende starke historische Traditionen hatten, wie die Länder der Stephanskrone mit ihrer alten ständischen Verfassung und die italienischen Teile des Reiches, oder die noch nicht so lange zu Österreich gehörten, wie Galizien oder Krakau. So wurden viele Reformen und Vorschriften zuerst nur für die österreichischen Länder in Kraft gesetzt und später in den genannten Ländern durch eigene „Einführungspatente“ übernommen. Ein besonderes Kapitel war die Vereinheitlichung der Heeresergänzung, auf die unten im Abschnitt über die Armee eingegangen wird.
Nicht alle Reformvorhaben gelangten zur Gesetzesreife. Von jenen, die tatsächlich im ersten Jahrzehnt der Regierung Kaiser Franz Josephs I. in Kraft traten, wurden viele in der konstitutionellen Zeit ab 1861 bzw. ab 1867 von den Parlamenten oder den Landtagen revidiert. So manche Neuordnung aus den 1850er Jahren blieb jedoch lange oder sehr lange in Kraft
Am
Das Notariat war eine ins italienische Hochmittelalter zurückreichende Einrichtung, die in Österreich nur bedingt rezipiert worden war. 1850 war es im Zug der Neuordnung der freiwilligen Gerichtsbarkeit wiederbelebt worden. Die Notariatsordnung vom ÖMR. II/3: Das Ministerium Schwarzenberg,
, und MR. v. ebd., Nr. 404.
ÖMR. III/1: Das Ministerium Buol-Schauenstein,
ÖMR. III/3: Das Ministerium Buol-Schauenstein,
Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 14 (1992) 32–44.
Nur wenige Zeilen des Ministerkonferenzprotokolls vom ÖMR. II/4: Das Ministerium Schwarzenberg,
Tiroler Waldwirtschaft. Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Reichsforstgesetzes in Tirol (= Schlern-Schriften 125, Innsbruck 1954) 54–66
;
Im April 1857 beantragte Innenminister Bach die Einführung des Gesetzes auch in den ungarischen Ländern. Die Ministerkonferenz und der Reichsrat befürworteten den Antrag. Am Über die Waldkultur in Ungarn
in der
Ebenfalls von lakonischer Kürze ist das Ministerkonferenzprotokoll betreffend die Einführung einiger Bestimmungen des Stempel- und Taxgesetzes in den ungarischen Ländern2 Bde. (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 15, Göttingen 1978), hier 1, 439–590.
Ebd. 1, 84 f.
Ebd. 1, 478–439
;
Während bei den bisher genannten Beispielen gerade einmal die Tatsache der Übernahme eines Gesetzes in den ungarischen Ländern protokolliert wird, bietet das vierte Beispiel eine ausführliche inhaltliche Ergänzung zur Thematik, sodaß die Ministerkonferenzprotokolle zur substantiellen Primärquelle werden. Es ging um einen Paragraphen des ABGB. und um das Wuchergesetz von 1803, inhaltlich gesehen um ein wirtschaftspolitisches Thema. Der Paragraph 994 des ABGB. legte entsprechend dem Wuchergesetz von 1803 die gesetzliche Obergrenze für Hypothekarkreditzinsen mit 5% fest. Das ABGB. war in den ungarischen Ländern im Jahre 1853 in Kraft gesetzt worden – ein wesentlicher Schritt hin zu einem einheitlichen RechtsraumÖMR. III/1, Index, Stichwort Ungarn.
Ein solches Zugeständnis fand keine Befürworter in der Ministerkonferenz, im Gegenteil, der Justizminister regte an, überhaupt das ganze österreichische Wucherpatent von 1803 auch in den ungarischen Ländern einzuführen. Nur Finanzminister Bruck vertrat eine andere Meinung, er wollte die gänzliche Freigabe des Geldverkehrs, also überhaupt die Aufhebung des Wuchergesetzes und der entsprechenden Paragraphen des ABGB. Aus dieser Fragestellung ergab sich eine zweitätige intensive Diskussion über die Verhältnisse in Ungarn und über die wirtschafts-, sozial- und rechtspolitischen Aspekte der gesetzlichen Regelung d. h. Beschränkung des Zinsfußes oder aber seiner Freigabe
Vorerst, Anfang 1858, blieb alles beim Alten, jedoch trug der Kaiser dem Justizminister auf, das Wuchergesetz von 1803 „mit tunlichster Beschleunigung einer Revision zu unterziehen,
Andere Reformen konnten gleich von Anfang an im gesamten Umfang des Reiches eingeführt werden. Dazu gehörte z. B. die einschneidende Reform des Paßwesens und damit die Verwirklichung der Reisefreiheit im Februar 1857ebd. Nr. 32/1857
; MK. v. ebd., Nr. 377
, und MK. I v. ebd., Nr. 380
; Ebd. 20
; Ebd. 23
; Ah. E. v.
Ebenfalls sofort für den ganzen Umfang des Reiches galten die Gesetze zum Schutz der gewerblichen Marken und zum Schutz der Muster und Modelle für Industrieerzeugnisse
Für eine weitere Reform wurden 1857 entscheidende Schritte gesetzt, nämlich für die Einführung einer neuen Währung, die die seit 1750 bestehende Konventionswährung ablösen sollte
Die neue Währung entsprang dem Wunsch, das Münzwesen unter den deutschen Staaten und Österreich, das mit ihnen durch den Handelsvertrag von 1853 verbundenen war, zu vereinheitlichen. Die Staaten des Deutschen Zollvereins und Österreich vereinbarten im Münzvertrag vom
Bruck verfolgte mit dem Münzvertrag noch ein weiteres Ziel, die Währungssanierung, also die Rückkehr zu der seit 1848 sistierten freien Umtauschbarkeit zwischen den Banknoten und dem Silbergeld. Der Vertrag enthielt nämlich die Bestimmung, daß kein Staat Papiergeld mit Zwangskurs ausgeben dürfe, und daß bereits umlaufendes bis zum
Die Verhandlungen über den Münzvertrag waren schon im Sommer 1856 abgeschlossen. In der Ministerkonferenz gab es zwar einige Bedenken, erbittert aber war der Widerstand im Reichsrat, vor allem seitens des früheren Finanzministers Philipp Freiherrn v. Kraußebd., Nr. 65/1858.
Die Einführung der österreichischen Währung bewirkte eine Vereinfachung im Münz- und Geldwesen, indem mehrere ältere Zahlungsmittel außer Kraft gesetzt wurden, die Umrechnung zu den anderen Währungen der deutschen Staaten erleichtert wurde und das Dezimalsystem Einzug hielt. Die großen wirtschaftspolitischen Ziele Brucks erreichte sie nicht. Zur großdeutschen Einigung ist es bekanntlich nicht gekommen, und die Wiederaufnahme der Barzahlungen durch die Oesterreichische Nationalbank ab 116
;
Reformen haben meistens eine lange Vorbereitungszeit. Manchmal aber sind Regierungen zu raschem Handeln aufgefordert. Kaiser Franz Joseph legte Wert darauf, daß alles nach dem „ordentlichen Geschäftsgange“ abgehandelt werde, eine durchaus löbliche Einstellung im Sinn einer korrekten und verantwortlichen Verwaltung und des Rechtsstaates
Solche bewies die Regierung 1857 in der sogenannten „ersten Weltwirtschaftskrise“
Der Finanzminister hatte sich schon zu Jahresbeginn 1857 zu Stützungskäufen veranlaßt gesehen. Dies geschah im eigenen Verantwortungsbereich, allerdings mit Zustimmung des Kaisers, und ohne Befassung der Ministerkonferenz, die übrigens von Anfang Februar bis Anfang März 1857 gar nicht zusammentrat. Der Kaiser befand sich in Mailand, und Bruck begleitete ihn
In bezug auf den Weiterbau der Strecke Linz-Passau trat die Konferenz sofort der Meinung Toggenburgs bei. Die internationalen Verpflichtungen hatten Vorrang. In bezug auf den Aktienrückkauf folgte die Konferenz aber Finanzminister Bruck, der den Fall ins Allgemeine hob. Er erläuterte den Kollegen, welche Schritte er bereits unternommen habe und daß es unbedingt nötig sei, den Finanzmarkt von der Überfüllung mit Aktien zu befreien und gleichzeitig mit weiteren Baukonzessionen vorerst innezuhalten. Bruck gelang es, die Mehrheit der Konferenzteilnehmer von diesem „anderen Weg“ zu überzeugen, nicht zuletzt durch den Hinweis auf die Gefahr, daß auch die Staatsanleihepapiere mitgerissen werden könnten. Die 15 Millionen der Westbahngesellschaft waren nur ein kleiner Teil der Aktien, um die Bruck den Finanzmarkt entlasten wollte. Insgesamt waren seit 1854 Aktien in der Höhe von einer halben Milliarde Gulden ausgegeben worden. Im Lauf des Jahres 1857 sollten laut den verschiedenen Konzessionsurkunden weitere 160 Millionen begeben werden. Damit wäre tatsächlich eine enorme Finanzblase entstanden. Daß den Eisenbahngesellschaften erlaubt wurde bzw. sie veranlaßt wurden, vorerst keine weiteren Aktien zu emittieren bzw. das Aktienkapital zu reduzieren, daß diese 160 Millionen also zurückgehalten wurden, verhinderte tatsächlich das allzu heftige Übergreifen der Krise
Die Sitzung vom 8. Mai hatte ein interessantes Nachspiel. Die Anfrage der Westbahngesellschaft und der Credit-Anstalt haben uns ein überaus interessantes Protokoll beschert, das die Meinung der Minister zur Finanz- und Wirtschaftskrise in großer Klarheit vermittelt. In formaler Hinsicht ging es aber nur um eine informelle Auskunft, der Rückkauf selbst mußte erst in der Generalversammlung beantragt werden. Der von der Mehrheit der Ministerkonferenz getragene Beschluß ermächtigte den Handelsminister bloß, der Westbahngesellschaft mitzuteilen, daß die Regierung nichts dagegen habe, daß der Rückkauf auf die Tagesordnung der Generalversammlung gesetzt werde, und den Finanzminister, der Credit-Anstalt mitzuteilen, er werde den Vorschlag seinerzeit beim Kaiser befürworten. Franz Joseph, der übrigens gerade die Ungarnreise angetreten hatte und sich in Budapest befand, erhielt das Protokoll elf Tage später, am 19. Mai, und fühlte sich übergangen. Er beauftragte – ein wohl einmaliger Fall – den Reichsratspräsidenten, das Ministerkonferenzprotokoll im Reichsratspräsidium zu begutachten. Erzherzog Rainer antwortete am 6. Juni, der Beschluß der Ministerkonferenz wäre nicht zu genehmigen, die Minister hätten „jede vorläufige Meinungsäußerung zu unterlassen“ und nur „die ordnungsmäßige Amtshandlung vorzubehalten“. In diesem Sinn resolvierte der Kaiser das
Die Krisenberatungen der Regierung wurden am
Eine dritte Möglichkeit war die direkte Unterstützung einiger Gesellschaften, die bereits Strecken bauten. So wurde der durch die Krise bedrängten Nordbahngesellschaft erlaubt, den Bau der westgalizischen Strecke von Krakau bis Przemyśl an die von polnischen Adeligen getragene Carl-Ludwigs-Bahngesellschaft abtreten zu dürfen
Schließlich wurde für drei Eisenbahngesellschaften und für den Österreichischen Lloyd eine direkte Finanzspritze im Wege der Credit-Anstalt ermöglicht, indem die Bank zur Auflage einer (beim Publikum beliebten) Lotterieanleihe ermächtigt wurde, deren Erlös den Gesellschaften als Kredit gegeben werden sollte
Nicht alle diese Maßnahmen gingen direkt von der Regierung aus. Die Eisenbahngesellschaften und Banken waren selbst initiativ, um die Mittel zur Fortführung der mit dem Staat vereinbarten Bauten zu sichern und natürlich auch um die Aktionäre zu halten und die erhofften Gewinne nicht zu verlieren. Sie brauchten aber für viele Maßnahmen die behördliche Genehmigung. Es kam alles in allem zu einem gelungenen Zusammenspiel aller Kräfte, der Wirtschaft und der Regierung, um die Auswirkungen der Krise auf die Habsburgermonarchie abzufedern. Es ist im wesentlichen zu keinen Zusammenbrüchen gekommen, und an den wichtigsten Strecken wurde kräftig weiter gebaut. Gleichzeitig behielt Finanzminister Bruck auch stets das Ziel der Währungssanierung im Auge. Der Kampf gegen die Finanzkrise war auch ein Kampf gegen ein Sinken des Kurses der Staatsobligationen und gegen einen Wirtschaftseinbruch
Eines ist sicher: die Ministerkonferenzprotokolle des vorliegenden Bandes dokumentieren die Rückwirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1857 auf die Monarchie sowie die Denkungsweise und die Argumente der Minister sehr ausführlich und offen.
Militär und Polizei nahmen innerhalb der neoabsolutistischen Verwaltung eine Sonderstellung ein. Die Polizeibehörden ressortierten ursprünglich zum Ministerium des Inneren. Das galt auch für den auf Vorschlag Bachs im Jänner 1850 errichteten besonderen Exekutivkörper Gendarmerie – eine militärisch organisierte, im gesamten Umfang des Reiches tätige Landessicherheitswache – in bezug auf ihre Verwendung. In bezug auf ihre innere Organisation als militärischer Wachkörper war die Gendarmerie dem Kriegsministerium unterstelltebd., Nr. 86.
ÖMR. III/1: Das Ministerium Buol-Schauenstein, 14 April 1852 –
, und MK. v. ebd., Nr. 11.
Aktenstücke (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 55, Wien 1971) Nr. 19
. Kempen machte den Grafen Grünne auf das Schädliche meines geregelten Verkehrs mit dem Ministerium aufmerksam […]; ich darf meine Selbständigkeit durch keine Diskussionen gefährden
, (= Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie 5, Graz/Wien/Köln 1966) 79–84
;
Anfang 1857 wurden innerhalb kurzer Frist die Vertreter von Militär und Polizei wieder zur ständigen Teilnahme an den Ministerkonferenzen angewiesen. Der Armeebefehl vom ÖMR. Einleitungsband (Wien 1979) 49 f.
; ebd., Einleitung 43 f.
Der Wunsch nach ständiger Vertretung der Armee in der Ministerkonferenz war vom Militär selbst ausgegangen, wobei sowohl das Armeeoberkommando als auch die Militärzentralkanzlei diese Rolle übernehmen wollten. Erzherzog Wilhelm schrieb, wenn das Armeeoberkommando Einfluß auf seine vielfältigen Verhandlungen mit den Ministern nehmen solle, müsse es selbst im Ministerrat (sic!) vertreten seinEbd. 135.
Von wem die verpflichtende Teilnahme des Chefs der Obersten Polizeibehörde ausging, ist nicht sicher. Kempen selbst war es nicht, und er hielt im Tagebuch diesbezüglich auch keine Vermutung fest. Der verstorbene Präsident des Reichsrates Karl Friedrich Freiherr Kübeck v. Kübau war der Meinung gewesen, Kempen solle an der Ministerkonferenz teilnehmen; Kempen hatte es verhindert
Das innere Motiv der Beiziehung der Vertreter von Militär und Polizei muß die Notwendigkeit oder der Vorteil gewesen sein, die Spitzen der zentralen Behörden zu regelmäßigen Konsultationen zu versammeln. Diese Notwendigkeit wurde ab 1852 eine Zeitlang geleugnet, und zwei zentrale Bereiche konnten eine Sonderstellung erlangen. 1857 scheint der Nutzen der gemeinsamen Beratung wieder in den Vordergrund getreten zu sein. Es war auch ein Machtkampf, denn die Ministerkonferenz hat den Kampf gegen ihre Entmachtung nie aufgegeben
Gleich bei der ersten Besprechung eines die Armee betreffenden Themas in der Ministerkonferenz seit der neuen ständigen Teilnahme eines Vertreters der Militärzentralkanzlei zog dieser den Kürzeren. Der Kaiser wollte die Bitte der päpstlichen Regierung erfüllen, einen Teil der Kosten der österreichischen Okkupationstruppen im Kirchenstaat zu übernehmen. Dadurch sollte aber das Budget des Kaiserstaates nicht zusätzlich belastet werden. Der Finanzminister schlug vor, einfach die Okkupationstruppen zu reduzieren. Der Erste Generaladjutant Graf Grünne sprach sich dagegen aus. Der Kaiser behielt sich die Entscheidung vor, entschied dann aber für die von Bruck angetragene Truppenreduktion
Überhaupt war zu dieser Zeit der Einfluß Brucks auf den Kaiser in finanzieller Hinsicht gewichtiger als der Einfluß Grünnes in bezug auf die Dotation für die Armee. Bei aller Nähe zur Armee hat Franz Joseph eingesehen, daß die Staatsfinanzen in Ordnung kommen daß der Finanzminister ohne jemanden zu fragen, dem Kaiser ein Budget für das Jahr 1859 vorgelegt habe, in welchem die Ausgaben für die Armee abermalen, und zwar um 16 Millionen, jene der Obersten Polizeibehörde um fast 1 Million herabgesetzt sind
; Grünne fühlte sich bemüßigt, schweres Geschütz aufzufahren, indem er dem Kaiser hierüber bemerkt: „Ich sehe eine Serie von Verfügungen, die offenbar eine Revolution fördern“
,
Die wichtigste und umfangreichste Besprechung betreffend die Armee im vorliegenden Band galt dem Heeresergänzungsgesetz, das schließlich am
Die härtesten Diskussionen verursachten die Befreiungstitel für Studierende, die die Armee vor allem zurückdrängen wollte. Eine Bemerkung des Generaladjutanten Kellner führte dabei sogar zu einer geharnischten Entgegnung und Rücktrittsdrohung Thuns. Kellner hatte „den aus der Revolution hervorgehenden Grundsatz der Lehr- und Lernfreiheit“ als Parole, als „Hauptschiboleth der Revolutionsmänner“ bezeichnet. Thun entgegnete: „Es ist unmöglich, ein Departement der Staatsverwaltung zu führen, wenn die von der Regierung selbst angenommenen leitenden Grundsätze preisgegeben und jeden Augenblick in Frage gestellt werden können. Die Einrichtung der Studien in der österreichischen Monarchie ist das Ergebnis einer vieljährigen eindringlichen Beratung und als solches von Sr. Majestät Ah. genehmigt worden. Sie muß daher von allen Organen der vollziehenden Gewalt als mit Ah. Genehmigung bestehend angenommen und, wo es vorkommt, beobachtet werden. Alle Ausfälle auf die aus der Revolution hervorgegangene Lehr- und Lernfreiheit müssen entfallen, denn nicht der Revolution, sondern der Ah. Sanktion Sr. Majestät verdankt die gegenwärtige Studieneinrichtung ihren Bestand.“ In der Sache verteidigten die zivilen Minister die Befreiungen mit dem Bedarf des Staates an tüchtigen Beamten. Kempen hielt dagegen, daß „der Bedarf an Intelligenzen überall sich zeigt, mithin auch die Armee einen Teil […] davon beanspruchen darf.“ Der Vertreter der Armee Kellner zeigte sich nicht minder wortgewaltig als Thun: „Die Befreiung der Studenten vom Militärdienste bloß aus dem Grunde, weil sie bei Universitäten oder andern Unterrichtsanstalten immatrikuliert sind und dort studieren, ist mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit gegen die übrigen Untertanen Sr. Majestät aller, selbst der höchsten Stände nicht zu vereinbaren, und es ist überhaupt nicht einzusehen, wie gerade das k. k. Heer auf den, ihm überdies nur durch’s Los zufallenden intelligenteren Teil der Bevölkerung allein verzichten soll, dasjenige Heer, in dem das von Sr. Majestät aufgestellte Prinzip der Monarchieeinheit sich bereits als verkörpert darstellt und das den eisernen Ring bildet, der die heterogenen Kronländer der Monarchie umschließt und zusammenhält, wie dies die ältere Geschichte und jene der Jahre 1848 und 1849 genugsam nachweiset.“ Ein Kompromiß wurde schließlich darin gefunden, daß nur Schüler bzw. Hörer mit ausgezeichnetem Erfolg befreit waren und daß der Besuch einer technischen oder landwirtschaftlichen Akademie kein Befreiungstitel war. Im wesentlichen hatten sich aber die zivilen Minister durchgesetzt.
Eine längere, in ein eigenes Protokoll ausgelagerte Frage
Mit größter Entschiedenheit trat Bruck für das Projekt der Marineinskription ein. Ihm ging es um die Förderung der Handelsmarine und indirekt um die Großmachtstellung Österreichs: „Die ganze seefahrende Welt leidet Mangel an tüchtigen Seeleuten, weil sich der Verkehr und deshalb die Zahl der Schiffe weit schneller vermehrt, als die seetüchtige Bevölkerung, die nur aus den Küstenbewohnern genommen werden kann. Österreich ist noch so glücklich, an seiner langgestreckten Seeküste eine hinreichende Zahl von Seeleuten für die Bemannung seiner Schiffe zu besitzen. Die Folge ist, daß die fremden Seestaaten ordentlich Jagd machen auf die österreichischen Matrosen. […]. Nur durch die Marineinskription, durch die Befreiung vom Dienst im Landheere, durch die kurze dreijährige Dienstzeit auf den k. k. Kriegsschiffen – mit der Verpflichtung jedoch, im Kriege bis zum 40. Jahre einberufen zu werden -, durch die Kreierung des Pensionsfonds nach dem vorgeschlagenen Patente, nur durch diese Mittel allein kann man der österreichischen Seeschiffahrt die nötige Mannschaft bewahren und dadurch dem Staate für den Kriegsfall die erforderliche eingeübte, mit dem wahren Seedienste vertraute Mannschaft sichern, die er im Frieden nicht zu bezahlen braucht. Bei einem dreijährigen Dienste werden fast dreimal mehr Seeleute auf den Handelsschiffen zum Kriegsdienst gebildet, dadurch wird schnell die ganze Handelsmarine dazu abgerichtet sein. Dies muß der Staat durch die bezügliche Gesetzgebung anstreben, nicht aber durch Landdienst, achtjährige Kapitulation etc. die jungen kräftigen Matrosen aus dem Lande treiben, die Handelsschiffahrt dadurch verkümmern, um im Fall des Kriegs nur den älteren, gebrechlich gewordenen Teil der Seebevölkerung zur Verfügung zu haben. Halbe Maßregeln sind dabei nachteiliger als gar keine.“ Die übrigen Minister hielten sich bedeckt. Man hat den Eindruck, sie wollten sich nicht in eine Angelegenheit mischen, die letztlich die kaiserlichen Brüder unter sich ausmachen mußten. So besprach man die Sache genau, beschloß aber nur zu bitten, „Se. Majestät geruhen über die darin vertretenen Grundsätze nach Einvernehmung Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Marineoberkommandanten zu entscheiden“.
Das Heeresergänzungsgesetz von 1858 war nur zehn Jahre lang in Kraft und wurde 1868 durch das parlamentarisch zustande gekommene cisleithanische Wehrgesetz bzw. den entsprechenden ungarischen Gesetzartikel abgelöst. Die beiden Sammelprotokolle im vorliegenden Band sind dennoch interessant, unabhängig von der relativ kurzen Geltungsdauer des Gesetzes, weil sie zu mehreren sozialpolitischen Fragen ausführliche und pointierte Aussagen der beteiligten Minister enthalten.
Auch über die Gendarmerie wurde in der Ministerkonferenz gesprochen, und jedesmal begann es mit einer von Bach vorgetragenen Kritik
Als der Kaiser in der Ministerkonferenz am
Auch bei einem ganz anderen Thema zeigte sich die Konfliktlinie zwischen den für Sicherheit zuständigen Vertretern von Armee und Polizei und den Ministern der zivilen Verwaltung, die für Innovationen offener waren, nämlich bei der Stadterweiterung.
1857 wurden die entscheidenden Schritte zum Jahrhundertprojekt der Wiener Stadterweiterung getan. Die Idee, die innere Stadt zu erweitern, weil sie für die zunehmende Bevölkerung und für den Wirtschaftsaufschwung zu klein geworden war, reichte weit zurück. Lange Zeit hielt man daran fest, die Umwallung beizubehalten und nur Teile des freien Raumes davor, des Glacis, zu verbauen. Immer öfter wurde aber auch der Gedanke ventiliert, auf die Mauern und Befestigungsanlagen zu verzichten und den gesamten Raum zwischen den Häusern der inneren Stadt und jenen der Vorstädte einzubeziehen. Die Militärs glaubten, auf die Mauern, Bastionen und sonstigen militärischen Nutzbauten sowie auf den freien Exerzierplatz nicht verzichten zu können. Die Ablehnung konnte auch grundsätzlicher Art sein, gespeist aus einem konservativen Kulturpessimismus. Polizeiminister Kempen kommentierte die Auflassung der Stadtbefestigung mit den Worten: „Abermalen will man eine Schranke fallen lassen zwischen einst und jetzt. Das Sichere will man entblößen und alles nivellieren.“äußerst vorläufige Zusammenstellung
in Entfestigung
der Städte, es folgten Mannheim 1870, Mainz 1871, Köln 1875, Straßburg 1876 und andere, Österreichische Osthefte 31 (1989) 347–677, hier 654.
In Wien schien die Lage um die Mitte der 1850er Jahre verworren und ausweglos. Keine der unterschiedlichen Interessengruppen konnte sich durchsetzen. Dies änderte sich, als Innenminister Bach die Sache in die Hand nahm. Allerdings ging er vorsichtig und geheim vor, um nicht die Militärpartei auf den Plan zu rufen. Er sammelte einen kleinen Stab von Beamten um sich, die konkrete Überlegungen anstellten. Er lancierte Zeitungsartikel zur Vorbereitung der öffentlichen Meinung. Vor allem aber gelang es ihm, den Kaiser für die Idee einer vom Monarchen ausgehenden Vergrößerung und Verschönerung der Residenzstadt zu gewinnen. Sie sollte die Einheit des Reiches und die zentralistische Staatsidee symbolisieren
In der Ministerkonferenz am
Die Italienreise, die Reise nach Ungarn, die Verschönerung der Residenz- und Hauptstadt … diese Aktivitäten galten unter anderem auch der Imagepflege. Das Regime des immer
Es war nicht der einzige derartige in den Ministerratsprotokollen dokumentierte Ausbruch des Kaisers. Ein ziemlich langer Lernprozeß war nötig, um die Pressefreiheit und die damit verbundene Möglichkeit der Kritik an der Regierung zu akzeptierenebd., Nr. 107
; MK. II v. ebd., Nr. 176
; ÖMR. V/8: Die Ministerien Erzherzog Rainer und Mensdorff,
; MR. v. ebd., Nr. 506.
Die Mitglieder der Ministerkonferenz waren also weder inhaltlich noch formal einer Meinung über die Pressepolitik. Gerade deshalb bietet dieses Protokoll interessante Einblicke in die Standpunkte der Teilnehmer zu Fragen der öffentlichen Meinung und der Journalistik. Das Sammelprotokoll zeigt auch deutlich die Unsicherheit und Hilflosigkeit des Regimes gegenüber der öffentlichen Meinung auf, ebenso die inneren Spannungen unter den rivalisierenden Kräften.
Buol legte seinen Vorschlag mit den in der Ministerkonferenz vorgenommenen Änderungen dem Kaiser vor, der den Vortrag an den Reichsrat weiterleitete. Dort ließ man kein gutes Haar an den Vorschlägen. Sie würden nicht auf die Wünsche des Kaisers eingehen. Das Zentralkomitee sollte, wenn schon, der Obersten Polizeibehörde unterstellt werden, und nicht dem Ministerium des Inneren. Der Kaiser reagierte auf die Entwicklung der Debatte und auf die heftigen Meinungsunterschiede seiner Berater damit, daß er nichts tat. Der Akt blieb liegen, das Zentralkomitee wurde nicht errichtet. Im Ergebnis konnte die Presse „ihren Weg gehen“, nicht frei, aber auch nicht durch ein weiteres Organ zusätzlich überwacht und geleitet. Das einzige konkrete Ergebnis des Vorstoßes des Kaisers war die vom Finanzminister propagierte Wiedereinführung des Zeitungsstempels, eine Abgabe, die vor allem die kleinen Blätter drückte, aber dem Fiskus für jede verkaufte Zeitung 1 Kreuzer bescherteebd., GA. 46/1859.