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Nr. 60 Ministerrat, Wien, 21. März 1872

RS. und bA.; P. Stransky; VS. Auersperg; BdE. und anw. (Auersperg 21. 3.) Lasser 25. 3., Banhans 25. 3., Stremayr, Glaser, Unger, Chlumecký 24. 3., Pretis.

KZ. 953 – MRZ. 45

|| || Protokoll des zu Wien am 21. März 1872 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Durchlaucht des Herrn Ministerpräsidenten Fürsten Auersperg.

I. Mitteilungen des Ministerpräsidenten aus Anlass der an das Ah. Hoflager in Ofen unternommenen Reise

I. ℹ️ Der Ministerpräsident teilt der Konferenz mit, dass [er] sich Dienstag an das Ah. Hoflager Sr. Majestät [in Ofen] begeben hat, und bei [der] ihm Ag. bewilligten Audienz, Se. Majestät [] Sich über die Haltung || || des Ministeriums sehr befriedigend auszusprechen geruht haben. Insbesondere geruhten Se. Majestät über den Erlass des Ministers für Kultus und Unterricht ℹ️ in der Angelegenheit der Altkatholiken, sowie über dessen weitere Äußerungen im Ausschusse des Abgeordnetenhauses rücksichtlich dieser Frage Ah. Ihre Zustimmung auszudrücken. Der Ministerpräsident bringt diesen Ausdruck der Ah. Befriedigung Sr. Majestät zur Kenntnis der Konferenz.1

ℹ️ Weiters hat der Ministerpräsident Sr. Majestät auch rücksichtlich der Eisenbahnen, welche Gegenstand der am 18. l. M. stattgefundenen Ministerkonferenz bildeten, einen mündlichen Vortrag erstattet und dabei gebeten, Ah. dieselben wollen geruhen, in dem Falle, als Se. Majestät gegen die Einbringung der bezüglichen Regierungsvorlagen im Reichs|| || rate keinen Anstand zu erheben finden würden, die Ah. Genehmigung dem Ministerium im telegrafischen Wege zukommen zu lassen.2

ℹ️ Der Ministerpräsident bemerkt hiebei weiter, dass [er] Sr. Majestät auch über [die] letzten Vorgänge in der patriotisch-ökonomischen Gesellschaft in Prag,3 insoweit [solche] ihm aus den Zeitungen bekannt wurden, au. mündlich zu unterrichten sich erlaubt hat, [wo]bei er erwähnt, dass er bei seiner Rückkunft aus [Ofen] den FML. Freiherrn von Koller in Wien anzutreffen [hoffte]. Zu dieser Voraussetzung sah er sich veranlasst, teils durch die Zeitungstelegramme, laut welchen Freiherr von Koller nach [Wien] gereist sein sollte, teils [aber] dadurch, dass die um [diese] Zeit dem Ministerpräsidenten zugekommen [Tele]gramme aus Prag vom [Statthalterei]vizepräsidenten || || ausgefertigt wurden. Nun aber hat er in Erfahrung gebracht, dass Freiherr von Koller nicht nach Wien gereist, sondern eine militärische Inspektionsreise nach Pardubitz unternommen habe, von welcher Reise er auch schon nach Prag zurückgekehrt ist.4 Hiebei bemerkt der Ministerpräsident, dass solange ihm über die letzten Vorgängen in der patriotisch-ökonomischen Gesellschaft nähere Details nicht vorliegen, er sich jedes definitiven Ausspruches in dieser Angelegenheit enthalten müsse, so viel scheine ihm aber schon heute gewiss, dass der Regierungskommissär, Statthaltereirat Adda taktlos gehandelt hat, dass er ohne die Versammlung zu schließen, dieselbe verlassen hat.5 Er ersucht den Minister des Innern, über das was dem Letzteren über diese Vorgänge bekannt geworden ist, der Konferenz die Mitteilung [zu] machen.

|| || Der Minister des Innern bringt darauf vor: An dem Tage, als in den Zeitungen das zweite Telegramm über die Vorgänge in der patriotisch-ökonomischen Gesellschaft erschienen war, [war auch] darin ein Telegramm [ent]halten gewesen, dahin lautend, dass ein Postbeutel in [] abhandengekommen war. In diesem Postbeutel war [außer] ämtlichen Sachen bloß ein []tiger Bericht und zwar [an] den Ackerbauminister, welcher später beschmutzt [im] Belvedere gefunden wurde. [Am] andern Tag nachmittags [hat] ihm (Minister des Innern) [der] Ackerbauminister diesen Bericht mitgeteilt. Derselbe enthielt eine sehr oberflächliche Darstellung der Vorgänge in der patriotisch-ökonomischen Gesellschaft in Prag. [Er] habe daher gleich nach [Durchsicht] dieses Berichtes dem [Prager] Statthaltereipräsidenten telegrafisch die Weisung erteilt, in dieser Ange|| || legenheit einen umständlichen Bericht samt der Relation des Regierungskommissärs über die fraglichen Vorgänge zu erstatten, und das Statthaltereipräsidium auch aufgefordert, einen bestimmten Antrag über das weitere Vorgehen gegenüber der patriotisch-ökonomischen Gesellschaft zu stellen. Diesem Berichte sehe er nun entgegen.

Der Handelsminister bemerkt rücksichtlich des Diebstahls des Postbeutels Nachstehendes: In dem Postwagen, der von einem Kondukteur begleitet wurde, befand sich die letzte Sammlung für die Wiener Route von der Kleinseite. Einige Postbeutel waren, weil rückwärts im Kasten kein Platz mehr war, vorne im Coupé des Kondukteurs untergebracht. Derselbe Ambulanzwagen hat auch die Sendungen für die Wiener Route von der Filiale der Altstadt || || in der Dominikanergasse aufgenommen. Der Abgang des Briefbeutels wurde bei der Übernahme bemerkt. Es stellte sich heraus, dass der Wagen bei der Übernahme in der Filiale der Altstadt einige Augenblicke unbewacht stand, in[dem] der Postillon, während der [Kon]dukteur im Postamte die [Pakete] übernahm, sich in die gegenüber befindliche Tabaktrafik begeben hatte, um [Zig]arren zu kaufen. Der gesamte Postbeutel wurde montags Früh auf einem Felde aufgefunden.6 In demselben befanden sich unter anderen der bereits oben besprochene Bericht an den Ackerbauminister, ein Brief [an] das Ministerium des Äußern, ein Brief des Freiherrn von Koller an den Grafen Clam-Gallas, ein Privatbrief an den Ministerpräsidenten, welche Briefe gleichfalls auf dem Felde uneröffnet aufgefunden wurden. Unter den in dem Postbeutel befindlichen unberührten || || Sendungen befanden sich auch ein Orden der Eisernen Krone und ein Verdienstkreuz, die nach dem Absterben ihrer Besitzer an die Ordenskanzlei in Wien zu leiten waren. Der Handelsminister bemerkt hiebei, dass der Postillon entlassen und gegen den Kondukteur die Disziplinaruntersuchung eingeleitet sei. Wenngleich er bereits die gemessensten Instruktionen, um ähnlichen Übelständen zu begegnen erlassen hat, behält er sich noch vor, weitere strenge Weisungen hinauszugeben.

Der Ministerpräsident teilt ferner der Konferenz mit: Se. Majestät haben geruht, nachdem Ah. Demselben er über die Vorgänge in der patriotisch-ökonomisch Gesellschaft mündlichen Vortrag erstattete und dabei vorbrachte, dass den Zeitungen zufolge Freiherr von Koller anlässlich dieser Vorgänge sich nach Wien begeben haben soll, Ah. zu bedeuten, || || dass es Sache des Statthalters sei, [in] solchen Fällen gleich einzuschreiten und im vorgeschriebenen Instanzenzuge das Amt zu handeln, nicht aber erst bei den Ministern rücksichtlich der Maßnahmen anzufragen. Der Ministerpräsident erklärte, dass er auch von der [Ansicht] ausgehe, dass es Sache des Statthalters sei, selbstständig zu handeln, welcher Ansicht auch die [Kon]ferenz sich anschließt. Auf die Bemerkung des Handelsministers, dass Freiherr von Koller in den ihm zunächst stehenden Beamten der Statthalterei nicht die genug kräftige Unterstützung finde, glaubte der Ministerpräsident entgegnen zu sollen, dass [es] schwer fallen würde, andere, mit der gehörigen Energie und entsprechender Geschäftsgewandtheit ausgerüstete Beamte, welche auch gleichzeitig der beiden Landessprachen mächtig wären, in diesem Momente zu [finden] und dass daher vor|| || derhand nichts anderes erübrige, als sobald der bezügliche Bericht aus Prag dem Minister des Innern zugekommen sein wird, über den gegenüber der patriotisch-ökonomischen Gesellschaft einzuhaltenden entschiedenen Vorgang schließig zu werden.

Der Minister des Innern ersucht hierauf den Ackerbauminister, die Daten zu sammeln, aus welchen hervorgehen würde, dass die patriotisch-ökonomische Gesellschaft systematisch andere als die ihr statutenmäßig obliegenden Zwecke verfolgt.7

II. Ernennung des Leiters des Landesverteidigungsministeriums Obersten Julius Horst zum Minister für Landesverteidigung

II. ℹ️ Der Ministerpräsident weist auf die Tätigkeit des Leiters des Landesverteidigungsministeriums Obersten Julius Horst hin, welche er während der interimistischen Führung der Geschäfte entwickelt hat und welche ihm Anlass gibt, an die Konferenz die Frage || || zu richten, ob nicht mit Rücksicht darauf, bei Sr. k. u. k. apostolischen Majestät der au. Antrag zu stellen wäre, dass Se. Majestät geruhen, den Obersten Horst zum Minister für Landesverteidigung Ag. zu ernennen.8

Er müsse hiebei bemerken, dass er anlässlich seiner Anwesenheit in Ofen mit Sr. Majestät bereits darüber gesprochen und hiebei von Ah. Demselben die Zustimmung für den Fall als der Ministerrat für den Antrag stimmen sollte, erhalten habe. Er glaubt, nicht unerwähnt lassen zu sollen, dass mit Hinblick auf die bisherigen Er[folge], welche Oberst Horst anlässlich der verschiedenen Regierungsvorlagen erzielt hat, [die] Mitglieder des Ministerrates jedenfalls durch diese Ernennung einen sehr achtbaren Kollegen gewinnen würden. Er erbittet sich daher die Zustimmung der Konferenz zur Ernennung des Obersten || || Horst zum Minister für Landesverteidigung bei Se. Majestät au. in Antrag bringen zu dürfen.

Die Konferenz spricht sich im gleichen Sinne aus und stimmt dem Ministerpräsidenten bezüglich der Erstattung des bezüglichen au. Vortrages einhellig bei.9

III. Ernennung von Herrenhausmitgliedern

III. ℹ️ Der Ministerpräsident teilt der Konferenz mit, dass er Se. Majestät au. befragt habe, ob Ah. Dieselben geneigt wären, den Emil Fürsten Fürstenberg und den Friedrich Grafen Westphalen zu Herrenhausmitgliedern Ag. zu ernennen.10

Er müsse hiebei vorausschicken, dass diese beiden Herren allerdings früher der feudalen Partei angehört, sich aber gegenwärtig von derselben zurückgezogen haben. || || Mit Rücksicht hierauf haben Se. Majestät den Ah. Willen kundzugeben geruht, auf einen diesbezüglichen au. Antrag einzugehen, wenn auf das Erscheinen dieser beiden Herren im Herrenhause gerechnet werden kann. Was den Fürsten Fürstenberg anbelangt, so habe sich derselbe dankend dahin geäußert, dass er sich durch die Ah. Ernennung beglückt fühlen und im Herrenhause erscheinen würde. Bezüglich des Grafen Westphalen behält sich der Ministerpräsident vor, diesfalls noch nähere Erkundigungen einzuholen. Für den Fall, als auch Graf Westphalen sein Erscheinen im Herrenhause zusagen würde, erbittet er sich die Zustimmung der Konferenz, [diese] zwei Persönlichkeiten [zur] Ernennung als Herrenhausmitglieder bei Sr. Majestät au. || || in Antrag zu bringen.

Die Konferenz stimmt dem Ministerpräsidenten zu.11

IV. Vertagung des Reichsrates

IV. ℹ️ Der Minister des Innern teilt der Konferenz mit, dass die Ah. Resolution behufs der Vertagung des Reichsrates herabgelangt sei, und nachdem Samstag das Herrenhaus noch eine Sitzung abhalten wird, so wird er dieses Haus von der Ah. angeordneten Vertagung des Reichsrates mündlich, das Abgeordnetenhaus aber schriftlich im Wege des Abgeordnetenhauspräsidiums in die Kenntnis setzen.12

V. Beantwortung der Interpellation in Betreff der Schuld des Staates an die Nationalbank per 80 Millionen Gulden

V. ℹ️ Der Finanzminister trägt vor: In der am 23. Februar 1872 stattgefundenen Sitzung des Abgeordnetenhauses haben || || die Abgeordneten Dumba und Genossen an ihn nachstehende Interpellation gerichtet: „Der königlich-ungarische Finanzminister hat gelegentlich eines in der Konferenz der Deákpartei [des] ungarischen Abgeordnetenhauses gegebenen Exposés [über] die Bankfrage unter ausdrücklicher Zustimmung [des] Herrn Ministerpräsidenten des ungarischen Ministeriums die Erklärung abgegeben: ‚die Schuld des Staates an die Nationalbank von 80 Millionen Gulden sei seinerzeit in eine [] der Staatsschulden unter der Rubrik der unverzinslichen Staatsschuld aufgenommen worden und somit in dem von Ungarn für die ‚Verzinsung’ zugestandenen Pauschalbetrage inbegriffen, es sei daher Ungarn, da es nur für eine Gattung unverzinslicher [nämlich] für die durch die Staatsnoten repräsentierte [Schuld] eine spätere durch || || ein besonderes Gesetz geregelte Ausnahme zugestanden habe – von jeder Verpflichtung rücksichtlich jener 80 Millionenschuld an die Nationalbank befreit.’ Da nun im Gegenteile die diesseitigen Vertretungskörper jederzeit an der Auffassung festgehalten und ihr auch wiederholt Ausdruck gegeben haben, dass die Schuld des Staates an die Nationalbank eine gemeinsame Schuld sei, rücksichtlich welcher seinerzeit bei Abschluss des Ausgleiches mit der jenseitigen Reichshälfte ein Abkommen nicht vereinbart wurde, so erlauben sich die Gefertigten an den Herrn Finanzminister die Anfrage zu stellen: ‚In welcher Weise gedenkt die Regierung die Rechte und Interessen der diesseitigen Länder in dieser Angelegenheit Ungarn gegenüber zu wahren?‘“13

Der Finanzminister hält eine längere Auseinandersetzung || || über die Beantwortung dieser Interpellation und [legt] einen Entwurf derselben, die sich auf Urkunden stützt, vor, der sub 1) dem Protokolle angeschlossen wird.a Nachdem in dem im Deak[] niedergelegten Exposé [des] ungarischen Finanzministers [Un]richtigkeiten enthalten sind, so trete die Notwendigkeit ein, die diesfälligen Angaben zu berichtigen, und [es] entsteht nur die Frage, ob diese Berichtigung, beziehungsweise Interpellationsbeantwortung gleich jetzt [zu] erfolgen hätte, oder erst [bei] Wiederzusammentritt des Reichsrates im Monate Mai. Der Finanzminister ver[kennt] zwar nicht die Schwierigkeiten, welche der ungarischen Regierung aus der Berichtigung ihrer Angaben in Anbetracht der im Kurzen [in] Ungarn bevorstehenden [Wahlen] bereitet werden [könnten], ist aber dennoch [der] Ansicht, dass diese Berichtigungen im Wege der || || Interpellationsbeantwortung sogleich vorzunehmen wäre, weil das diesseitige Ministerium dies dem Publikum sowie dem Abgeordnetenhause gegenüber schuldig ist, und weil auch mit Rücksicht auf das gemeinsame Zettelbankwesen ein weiterer Aufschub dieser Interpellationsbeantwortung bedenkliche Folgen nach sich ziehen könnte. Der Minister des Innern erklärt, mit der Interpellationsbeantwortung einverstanden zu sein, bemerkt jedoch, dass nachdem durch die sogleiche Berichtigung dieser Angaben der ungarischen Regierung mit Rücksicht auf die im kurzen vorzunehmenden Wahlen große Verlegenheiten bereitet werden würden, die Vermeidung derselben es erheische, mit dieser Interpellationsbeantwortung bis Mai innezuhalten. Der Minister für Kultus und Unterricht stimmt dem || || Minister des Innern zu. Der Justizminister stimmt der Ansicht des Ministers des Innern bei, erachtet zugleich [] die Art und Weise in [welcher] die fragliche Interpellation seitens des diesseitigen Ministeriums beantwortet werden soll, der ungarischen Regierung bekannt zu geben wäre, weil diese sich vielleicht bewogen finden würde, ihr früheres Exposé selbst zu modifizieren, wogegen der Finanzminister meint, dass diese Korrespondenz mit der ungarischen Regierung zu keinem Resultate führen würde. Minister Dr. Unger stimmt dem Justizminister bei.

Die Konferenz beschließt, [mit] der Interpellationsbeantwortung bis Mai innezuhalten.14

VI. Interpellationsbeantwortung in Betreff der Regulierung des Narentaflusses

|| || VI. ℹ️ Der Handelsminister beabsichtigt, die an ihn von den Reichsratsabgeordneten Danilo und Genossen gerichtete Interpellation in Betreff der Regulierung des Narentaflusses in der aus der Beilage 2)b ersichtlichen Weise im Abgeordnetenhause zu beantworten.

Die Konferenz stimmt dieser Interpellationsbeantwortung bei.15

[Ah. E.]c Ich habe den Inhalt zur Kenntnis genommen und erwarte, dass vor der Beantwortung der Interpellation in Betreff der Schuld des Staates an die Nationalbank [der] diesfällige diesem Protokolle angeschlossene Entwurf der ungarischen Regierung mitgeteilt werde.16 Ofen, 24. März 1872. Franz Joseph.