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Nr. 30 Ministerrat, Wien, 22. Jänner 1872

RS. und bA.; P. Artus; VS. Auersperg; BdE. und anw. (Auersperg 22.1.); Lasser 25. 1., Banhans 26. 1., Stremayr, Glaser, Unger 29. 1., Chlumecký; abw. Pretis.

KZ. 96 – MRZ. 15

|| || Protokoll des zu Wien am 22. Jänner 1872 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Durchlaucht des Herrn Ministerpräsidenten Fürsten Auersperg.

I. Unbefugte Löschung, beziehungsweise Eintragung in Trauungsmatrik in Proßnitz

[I.] ℹ️ Der Justizminister bringt einen ihm vorliegenden Fall eines Eingriffes des Erzbischofs von Olmütz in die Matrikenführung zur Sprache.1

Er finde sich hiezu nicht sowohl wegen eines Zweifels || || über seine Kompetenz, in der Sache selbstständig vorzugehen, als deswegen bestimmt, weil der Minister des Innern kürzlich einen derartigen, wiewohl in einiger Beziehung verschiedenen Fall vor den Ministerrat gebracht habe2, und weil im Zusammenhange mit beiden Fällen sich eventuell weitere nicht in seinem Ressort gelegene Maßnahmen als notwendig ergeben dürften. Die Fälle in Mähren, in welchen der Erzbischof von Olmütz selbst Eintragungen in die Matriken vorgenommen und zu löschen angeordnet hat, welche infolge von Zivilehen vorgenommen wurden, fordern dazu auf, den diesfälligen Vorgängen erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. Jene Anordnung vom Jahre 1868 gegen welche dieser Widerstand sich richtet, erscheint als vollkommen berechtigt, da, wenn die Pfarrbücher nicht vollständig geführt werden, sich namentlich in Bezug auf Ehelosig|| || [keit] [] die folgenschwer[sten] Umstände ergeben würden, [] darüber, dass diese Ma[triken] nicht kirchliche Bücher [], welche abgesondert zu [führ]en der Geistlichkeit jeder[zeit] freistehen würde, sondern staatliche Matriken kein Zweifel bestehen könne.3

Der Fall um welchen es sich handle, sei folgender: Der Bezirkshauptmann von Proßnitz habe durch den in den öffentlichen Blättern besprochenen Fall einer von dem Erzbischofe von Olmütz vorgenommenen Löschung aufmerksam gemacht, in die Matrikenbücher Einsicht genommen und sich die Überzeugung verschafft, dass auch in der dortigen Matrik eine eigenmächtige nachträgliche Änderung vorgenommen wurde. Es war nämlich eine vom Bezirkshauptmanne im Jahre 1868 vorgenommene Eintragung einer Zivilehe in der Trauungsmatrik gestrichen, und unterhalb derselben in lateinischer Sprache die Bemerkung bei|| || gefügt worden, dass die obige Eintragung von dem Bezirkshauptmanne unter Weigerung des Pfarrers vorgenommen worden sei, und dass der Fürsterzbischof am 3. März 1871 diesen Gewaltakt zu löschen befohlen habe. (hanc violentiam delere jussit). Der Justizminister legt auf das Datum der fürsterzbischöflichen Anordnung Gewicht, weil, nachdem die Eintragung im Jahre 1868 geschehen und bei einer Nachschau noch im Jahre 1869 intakt befunden worden sei, es den Anschein habe, dass es sich um eine planmäßige vom März 1871 datierende neue Aktion des Fürsterzbischofes handle.4

Ein derartiges Vorgehen seitens der Geistlichkeit sei nun in hohem Grade gefährlich, da die Regierung bemüht sei, den Status quo nach allen Seiten hin aufrecht zu erhalten, durch solche Akte aber das auf anderer Seite vorhandene Streben nach weiteren bis zur Einführung der obligatorischen Zivilehe gehen|| || [den Maß]regeln an Kraft und [Intensi]tät nur gewinnen könne. Eben weil die Regierung [gewillt] sei, an dem Bestehenden festzuhalten, müsse sie Vor[gän]ge bedauern und denselben entgegentreten, welche, [in]dem sie die Schwäche der Gesetze und eine gewisse Hilflosigkeit der Regierung zur An[sch]auung bringe, die Haltbarkeit des gegenwärtigen Zustandes in berechtigter Weise in Frage zu stellen geeignet wären. Was nun den vorliegenden Fall betreffe, so unterscheide sich derselbe von dem, vom Minister des Innern zur Sprache gebrachten dadurch, dass es der Pfarrer, das zur Führung der Matriken berufene Organ war, welcher die Löschung der gesetzlich erfolgten Eintragung des Zivileheaktes, beziehungsweise die Beisetzung der obigen Klausel vorgenommen hat, so dass hier an eine Anklage wegen Missbrauches der Amtsgewalt und Mitschuld daran ge[dacht] werden kann, und dann || || dass der Bezirkshauptmann von dem Vorgang des Pfarrers offiziell dem Staatsanwalte behufs der strafgerichtlichen Amtshandlung die Mitteilung gemacht hat. Dadurch sei formell eine andere Situation geschaffen. Nach § 71 der Strafprozessordnung5 sei jede Behörde verpflichtet, von einer strafbaren Handlung die Anzeige zu erstatten, und müsse nach § 72 der Strafprozessordnung der Staatsanwalt, insoferne es sich nicht um Pressdelikte handelt, jede an ihn gelangende Anzeige an den Untersuchungsrichter leiten. Gleichwohl habe der Staatsanwalt dies nicht getan, sondern die Sache an den Oberstaatsanwalt geleitet und die Ansicht ausgesprochen, dass Missbrauch der Amtsgewalt seitens des Pfarrers und Mitschuld daran seitens des Erzbischofes vorliege und in dieser Richtung die strafgerichtliche Untersuchung zu inkaminieren wäre. Der Oberstaatsanwalt habe Bedenken gegen diese Auffassung || || [] insoferne er Zweifel [] dass der böse Vorsatz der []ung eines Schadens auf [] des Pfarrers vorliegt. Der Oberstaatsanwalt habe deshalb die Angelegenheit dem Justizminister vorgelegt und [um] eine Weisung gebeten. Der Justizminister bezweifelt für seine Person ebenfalls, [dass] das Gericht den Tatbestand des Missbrauches der Amtsgewalt finden werde, er könne aber nicht sagen, dass dies geradezu ausgeschlossen wäre. Überhaupt aber findet es der Justizminister nicht für gut, dass von Seite des Justizministeriums über Anträge, welche die Staatsanwaltschaft in einem konkreten Falle stellen soll, Aufträge an die staatsanwaltschaftlichen Organe erteilt werden, was im Justizministerium bisher auch nicht geschehen sei. Er beabsichtigt daher, dem Oberstaatsanwalt zu eröffnen, der Staatsanwalt habe nach Maßgabe der erwähnten Paragrafe der Strafprozessordnung die || || Sache jedenfalls an den Untersuchungsrichter zu leiten. Darüber aber sich auszusprechen, welche Ansichten er über den Fall zu äußern oder welche Anträge der Staatsanwalt zu stellen habe, fände sich das Justizministerium, da es sich um einen konkreten Fall handle, nicht für berufen.

Der Justizminister kann nicht umhin, darauf aufmerksam zu machen, dass der Stand der Dinge ein sehr prekärer sei. Mutmaßlich werde das Gericht die Sache zurückweisen, weil dasselbe den Tatbestand des Missbrauches der Amtsgewalt nicht finden dürfte. Wenn dies doch der Fall wäre, so wurde die Verurteilung des Pfarrers mit Rücksicht auf den im Mittel liegenden Befehl des Fürsterzbischofes immerhin auch ihre missliche Seite haben, zumal als in dem moralisch ganz gleichen Falle, wo die Löschung vom Fürsterzbischofe selbst vorgenommen wurde, ein strafgerichtliches Einschreiten || || [] nicht erfolgen konnte. [] aber der Schritt bei [dem] Gerichte resultatlos, so schie[ne es] um so notwendiger, [dass] von Seite der Regierung etwas geschieht, um diesen un[statt]haften Zustand zu beseitigen. In dieser Richtung dürfte [sich] ein Vorgehen nach der [kai]serlichen Verordnung vom Jahre 18546 als unbedingt notwendig herausstellen, zu welchem Zwecke von Seite des Ministers des Innern und des Ministers für Kultus und Unterricht das Erforderliche geschehen müsste. Es scheine sich dies um so mehr zu empfehlen, als mit Rücksicht auf das Datum der fürsterzbischöflichen Anordnung vom 5. März 1871 man sich in der Tat nicht vereinzelten Fällen, sondern der auf Seite des Fürsterzbischofes bestehenden Absicht, der Durchführung der diesfälligen gesetzlichen Bestimmungen neue Schwierigkeiten entgegenzusetzen gegenüber befinde.

|| || Der Minister des Innern teilt in Bezug auf die weiteren Schritte wegen des ihm vorgelegenen Falles mit, dass er einen Erlass an den Statthalter hinausgegeben, welch’ letzterer im eigenen Namen den Bezirkshauptmann beauftragt habe, sich an Ort und Stelle zu begeben, die Eintragung des Erzbischofes mit dem Beifügen zu löschen, dass dies über Weisung des Statthalters geschehen sei. Hievon wurde der Fürsterzbischof in Kenntnis gesetzt. Der Statthalter habe dem Fürsterzbischofe (auf höheren Auftrag – ohne Auftrag) hiezu gleichzeitig ein ähnliches Vorgehen für die Folge untersagt bei Vermeidung der sonst eintretenden gesetzlichen Folgen.7 Es war dies notwendig, weil sonst die kaiserliche Verordnung vom Jahre 1854 nicht in Anwendung kommen könnte. Der Erzbischof habe also bereits das behördliche Verbot. In dieser Beziehung erscheine also nichts weiter notwendig. || || [] eine Kurrende des [Erzbi]schofes vorliegen sollte, [] kein Anstand, aus die[sem] Anlasse den Bezirkshauptmännern die Weisung geben lassen, dass sie gelegentlich [in] den Matriken Nachschau halten und bei dem Vorkommen gesetzwidriger Eintragungen [ge]rade so vorgehen, wie in dem Falle, wo die erzbischöfliche Eintragung gelöscht wurde. Dem Minister für Kultus und Unterricht schiene es zweckmäßig, die Gelegenheit der Anhängigmachung des vorliegenden Falles bei dem Strafgerichte zu benützen, um zu konstatieren, dass ein Auf[trag] des Fürsterzbischofes vor[liege]. Der Staatsanwalt müsste aber dann angewiesen werden, die Erhebung des Tatbestandes zu beantragen, wobei es allerdings fraglich wäre, ob das Gericht darauf eingehen würde. Der Justizminister wäre || || dagegen, weil durch eine solche Instruktion an den Staatsanwalt bereits die Ansicht des Justizministeriums, dass Missbrauch der Amtsgewalt vorliege ausgesprochen würde, wogegen er aus den oben erwähnten Gründen Bedenken hätte.

Der Justizminister hält sonach daran fest, dass die Anfrage des Oberstaatsanwaltes in dem von ihm oben angedeuteten Sinne zu erledigen wäre, womit sich die Konferenz einhellig einverstanden erklärt.8

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Innsbruck, 7. Februar 1872. Franz Joseph.