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Nr. 609 Ministerrat, Wien, 25. Oktober 1871 - (PDF)

RS. und bA.; P. Weber; VS. Hohenwart; BdE. und anw. (Hohenwart 25. 10.), Holzgethan (28. 10.), Scholl (29. 10.), Jireček (29. 10.), Schäffle (30. 10.), Habietinek (31. 10.), Grocholski (5. 11.).

KZ. 3779 – MRZ. 116

|| || Protokoll des zu Wien am 25. Oktober 1871 um 6 Uhr abends abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Präsidenten des Ministerrates und Ministers des Innern Grafen Hohenwart.

I. Au. Demissionsgesuch des Ministeriums - (PDF)

[I.] ℹ️ Der Präsident des Ministerrates macht mit Rücksicht darauf, dass der Finanzminister einer heute vormittags stattgefundenen Besprechung der übrigen Minister nicht beigewohnt hat, folgende Eröffnung1:

Den in Wien anwesenden böh|| || mischen Führern Graf Clam, Dr. Rieger und Dr. Pražák wurde der Inhalt des Ah. Reskripts mitgeteilt, wie er von Sr. apost. Majestät als Antwort auf die Adresse des böhmischen Landtages festgesetzt worden ist. Die genannten Herren haben nach Kenntnisnahme des Inhalts auf das entschiedenste erklärt, dass sie dieses Ah. Reskript nicht anders als mit der Ablehnung der Reichsratswahlen beantworten könnten2. Dadurch sei eine Situation geschaffen, welche es dem Ministerium zur Notwendigkeit macht, sein weiteres Verhalten gegenüber dieser Sachlage reiflich zu erörtern. Er bekenne offen, dass er die Möglichkeit nicht absehe, wie das Ministerium in seiner Tätigkeit nunmehr weiter fortschreiten soll. Das Ministerium habe einen Reichsrat in Aussicht gehabt, in welchem es auf mehr als zwei Dritteile der Stimmen rechnen konnte3. Durch das Wegbleiben der Böhmen, abgesehen davon, was die Mährer und vielleicht noch andere tun werden, || || [] nicht nur [], sondern man sehe einen Reichsrat vor sich, der nicht einmal beschlussfähig sein wird. Denn die 139 Stimmen, welche der Regierung zu Gebote standen, reduzieren sich durch den Abfall von 40 Stimmen der Böhmen auf 99, eine Anzahl, die zur Beschlussfähigkeit nicht reicht. Dazu komme, dass das Ministerium nicht in der Lage ist, von den Deutschen, die sich fernhalten wollen, irgendjemanden zum Eintritte zu bewegen. Es müsste also gefasst sein, im günstigsten Falle einen Reichsrat von 99 Mitgliedern zustande zu bringen. Er sage, im günstigsten Falle, weil er nicht zweifle, dass auch die Tiroler und vielleicht auch die Krainer nicht erscheinen werden. Somit stehe das Ministerium vor der sichern Aussicht eines nicht beschlussfähigen Reichsrates. Die Auflösung dieses Reichsrates aber sei für das gegenwärtige Ministerium nicht möglich; es könne nicht seine Freunde nach Hause schicken und Neu|| || wahlen einleiten, die ein liberales Abgeordnetenhaus ergeben, in welchem die Regierung, beiläufig wie in dem bei ihrem Amtsantritte angetroffenen, in entschiedener Minorität wäre. Er sehe somit nicht ab, wie dieses Ministerium seine Tätigkeit noch weiter fortsetzen könnte, und erlaube sich mitzuteilen, dass er fest entschlossen sei, Sr. Majestät seine Demission au. einzureichen und um die möglichst beschleunigte Ag. Annahme derselben zu bitten. Er ersuche die übrigen Herren Konferenzmitglieder, auch ihre Ansicht über die Situation auszusprechen und zu erörtern, ob etwa ein anderer Ausweg noch möglich sei oder nicht.

Der Finanzminister spricht sich nachstehend aus: Das, was gekommen ist, habe || || er vorausgesehen und sich aus diesem und aus anderen Gründen, die er wiederholt darzulegen die Ehre hatte, mit der Aktion des Ministeriums niemals einverstanden erklärt. Dass mit dieser Aktion nicht weiter vorgeschritten werden kann, sei jetzt anerkannt. Was weiter zu geschehen habe, lasse sich bei dem so verworrenen und kaleidoskopartig von Tag zu Tag sich ändernden Zustande der Dinge in diesem Momente nicht feststellen. Dass das Ministerium unhaltbar geworden, sei klar. Er für seine Person habe sich seit langem innerlich nicht mehr als Mitglied desselben betrachtet, auch äußerlich kein Hehl daraus gemacht, dass er mit diesem System nicht gehen kann, und wie bekannt, schon durch geraume Zeit um seine Enthebung au. gebeten. || || Er achte und ehre jede Überzeugung, wolle niemandem auch nicht im entferntesten irgendetwas zur Last legen, habe aber auch für sich selbst das Recht seiner Überzeugung in Anspruch genommen, und diese habe es ihm zur Unmöglichkeit gemacht, dem Systeme des Ministeriums beizutreten. Bei dieser Sachlage könne er sich einem Kollektivschritte des Ministeriums, wenn ein solcher von den übrigen Herren Konferenzmitgliedern beliebt werden sollte, nicht anschließen. Er habe um seine Enthebung gebeten, weil er mit dem Systeme nicht gehen könne, der Kollektivdemission der Minister würde aber das ganz entgegengesetzte Motiv zugrunde liegen, dass das System nicht durchgeführt werden kann, welches von ihm stets perhorresziert worden ist.

|| || Der Landesverteidigungsminister [] sich auf die Frage des Präsidenten, was gegenüber der gegenwärtigen Situation zu tun und ob etwa ein anderer Weg einzuschlagen wäre, um doch zu einer Majorität zu gelangen. Auf diese Frage könne er allerdings keine bestimmte Antwort geben. Die Zukunft sei in einen Schleier gehüllt, den zu lüften nicht möglich ist. Es könnte vielleicht eine Majorität geschaffen werden, wenn das Ministerium auf einmal vollständig umsatteln und sich in die Arme der sogenannten Verfassungspartei werfen wollte. Aber selbst in diesem Falle wäre die Majorität fraglich. Er habe über die Zukunft, abgesehen von dem Standpunkte des Ministeriums, vom allgemeinen Gesichtspunkte aus vielseitig nachgedacht und habe gefunden, dass, was immer dieses oder ein künftiges Ministerium tun mag, ein Teil der Bevölkerung gewiss [unbefr]iedigt bleiben wird. || || Wenn man sich die Vergangenheit vergegenwärtige, sehe man, wie keine einzige der verschiedenen seit 1848 gegebenen Verfassungen alle zufriedenstellte und auch die gegenwärtig bestehende Dezemberverfassung einen großen Teil der Völker gegen sich habe4. Unter solchen, auf die Dauer nicht haltbaren Umständen werde Se. Majestät Allerhöchstselbst einen Entschluss fassen müssen, der einen Ausweg aus dem Dilemma zu eröffnen geeignet ist. Er wolle sich erlauben, die Situation von rein militärischem Standpunkt zu beleuchten. Angenommen, es träte jetzt ein sogenanntes liberales Ministerium ins Amt − wobei er übrigens behaupte, dass das gegenwärtige Ministerium liberaler ist als jene, die sich liberal nenne −, so werde dasselbe selbstverständlich die sogenannten Verfassungstreuen gänzlich auf seine Seite bekommen, dafür aber die Tiroler, einen Teil der Oberösterreicher, die Tschechen in Böhmen und Mähren, die Slowenen und Wenden, die illyrischen Dalmatiner, die slowenischen Bewohner von Görz und Gradiska und, so viel er || || []ier in der [].

Die Monarchie sei von drei Großmächten umgeben, Italien, Preußen und Russland. Von Italien habe sie allerdings nichts zu fürchten, dieses habe mit sich selbst zu tun, sei in sich ziemlich gesättigt, und wenn auch von den Italianissimi, eigentlich Garibaldinern, Blicke nach Trient und selbst auf das Litorale von Görz geworfen werden, so werde dieser Wunsch bei der gemäßigten Partei Italiens keinen Anklang finden. Ein anderes aber sei es mit Preußen und Russland. Diesen gegenüber liege österreichischerseits Böhmen und Galizien. Betrachte man die gegenseitigen Machtverhältnisse, auf der einen Seite jene Preußens und Süddeutschlands, auf der anderen jene Österreichs, so stellen sie sich entschieden ungünstig für uns heraus. Im Falle eines Krieges würden wir immer mit 2 bis 300.000 Mann weniger auf dem Kampfplatze erscheinen, so dass uns der Sieg von vornherein entrissen wäre. Denn, wenn es auch möglich ist, dass das Missverhältnis in der Zahl durch eine [] Kriegsführung ausge|| || glichen wird, so sei doch das Kriegsglück wandelbar, es könne auch das Entgegengesetzte eintreten; man dürfe daher nur mit den gegebenen Zahlen rechnen. Es liege somit auf der Hand, dass man sich andere Umstände zu Nutzen machen und diejenigen Völker für sich gewinnen muss, die den bedrohten Grenzen zunächst wohnen. Und da finde er leider, dass, soweit es sich um Böhmen handelt, die Gesinnung der Tschechen nicht gewonnen ist. Sie wäre gewonnen worden, wenn die getroffene Vereinbarung zu einem Ziele geführt hätte; wie aber die Sachen jetzt stehen, sei, da der Ausgleich für verloren gehalten werden muss, auf die gute Gesinnung der Tschechen nicht zu rechnen. Sie werden sich im besten Falle wie 1866 passiv verhalten, und wir haben den Nachteil der geringeren Zahl. || || [] glaubt, es sei [] Österreichs, die Tschechen [] gute, ausdauernde und gelehrige Soldaten haben, die ihre Tapferkeit auf unzähligen Schlachtfeldern dargetan, als eine Vormauer gegen Preußen zu gewinnen. Es werde aber nicht bloß Passivität an Seite der Tschechen eintreten, sondern, was weit gefährlicher ist, eine Gravitation sich kundgeben, die in Moskau und Petersburg ihren Schwerpunkt finden wird. Dies dürfte für Österreich das Allerschlimmste werden. In Bezug auf Russland hätten wir an Galizien eine gleiche Vormauer wie an den Tschechen gegenüber Preußen. Man war auf dem besten Wege, die Sympathien der Galizier zu gewinnen, und zwar, wie er glaube, größtenteils durch das Verdienst des gegenwärtigen Ministeriums5; dieses günstige Verhältnis hätte sich mit der Zeit verstärkt, und so wäre die größte Gefahr, die uns von Russland droht, abgewendet gewesen. Nunmehr möchte || || er aber auf keine große Unterstützung seitens der Galizier rechnen, denn der Enthusiasmus würde fehlen.

Er bedauere, da dem Ministerium bei seinem guten und aufrichtigen Willen, auf ganz verfassungsmäßigem Wege die Befriedigung der verschiedenen Völker herbeizuführen, dieses Werk nicht gelungen ist. Er glaube, es sei jetzt Sache der Krone, einen Entschluss zu fassen. Provisorisch könnte vielleicht ein Kabinett in der Weise gebildet werden, dass Männer an die Spitze gestellt werden, welchen bloß die Leitung der verschiedenen Ressorts übertragen wird und welche die Geschäfte ohne eine große Verantwortung einstweilen weiterführen. Dies sei aber nicht konstitutionell und über lang oder kurz müsste die Krone doch || || [] eine Verfügung treffen, die der Verfassung entspricht. Eine Idee, mit der er sich beschäftigen konnte und die er nur andeuten wolle, wäre vielleicht, dass die Krone bei dem Umstande, als alle möglichen Versuche zu keinem Resultate geführt haben, mittelst eines Manifestes an die Völker der verschiedenen Königreiche und Länder appelliert und dass irgend ein Rat, sei es mittelst Wahl oder auf andere Weise, zusammengerufen wird, welcher zu deliberieren hätte, was unter den gegebenen, höchst betrübenden Verhältnissen zu geschehen habe. Wohl würde auch dieses Auskunftsmittel mit Schwierigkeiten verbunden sein, es wäre nicht leicht, die || || richtigen Männer und deren richtige Zahl nach den Ländern zu finden; dies seien aber Detailfragen, die sich noch lösen ließen. Trete aber das Ministerium ab, so erübrige nach seinem Erachten nichts, als dass die Geschäfte durch unverantwortliche Minister oder Leiter der verschiedenen Ressorts einstweilen fortgeführt werden. Was seine Person speziell anbelangt, so hänge sein Ressort eigentlich mit der Politik wenig zusammen, und nachdem Se. Majestät erst kürzlich den Ah. Wunsch auszusprechen geruhten, dass er in seinem Amte ausharren soll, so sehe er – so wünschenswert es ihm wäre, diesen qualvollen Posten zu verlassen – als Militär es als seine Pflicht an, Anstand zu nehmen, Se. Majestät um die Enthebung von diesem Posten zu bitten.

|| || Der Unterrichtsminister [] Erklärung: Das Ministerium habe sich die Aufgabe gestellt, den inneren Frieden herzustellen. Vor allem galt es, die Versöhnung Böhmens zu erzielen. Es sei daran mit Ernst gearbeitet worden. Die Resultate, die man nahezu gesichert dachte, entschlüpften im letzten Augenblicke den Händen der Regierung. Es erübrige bei der Solidarität, zu der sich die Minister bei ihrem Antritte verbunden, nichts anderes, als Se. Majestät um die Enthebung zu bitten. Er schließe sich daher dem Präsidenten des Ministerrates vollkommen an.

Der Handelsminister bemerkt, für ihn sei die Frage teils eine Frage der objektiven politischen Notwendigkeit, teils eine Frage der Erwägung || || vom Sandpunkte der persönlichen Ehre und Moral. Vom objektiv politischen Standpunkte sehe er absolut keine Möglichkeit eines gedeihlichen Wirkens für das Ministerium mehr ab. Der bisherige Standpunkt, auf dem man, wie er glaube, mit Festigkeit zu einem guten Ziel gekommen wäre, sei zu halten nicht mehr möglich, nachdem − nicht auf den Rat der Mehrheit dieses Ministeriums − ein anderer Weg eingeschlagen worden ist dadurch, dass das Ah. Reskript an den böhmischen Landtag nicht in der von diesem Ministerium vorgeschlagenen Fassung, sondern in jener, auf welche von Seite des Reichsministeriums und beziehungsweise des ungarischen Ministerpräsidenten eingeraten wurde, angenommen worden ist. Wenn er heute von Sr. Majestät gefragt würde, || || [] Weg, nach[]te ohne Zu[] dieses Ministeriums verlassen wurde, vorzuschlagen sei, er wüsste keinen, der nur über wenige Monate hinaus mit Sicherheit betreten werden könnte. Der Absolutismus sei aus vielen Gründen nicht möglich, und mit Rücksicht auf das persönlich Unangenehme für Se. Majestät könnte er auch ein Zurückgreifen auf das Bürgerministerium nicht anraten6, obwohl er glaube, dass es nach einem kurzen Experiment mit einer Beamtenregierung zu einem Bürgerministerium, etwas mit Gewinnung eines galizischen Elementes kommen wird. Er könnte aber weder das eine noch das andere empfehlen, sondern derjenige, der den Rat ge|| || geben, die Ausgleichsaktion zu inhibieren, habe die Pflicht, der Krone den Weg zu zeigen, von welchem aus jetzt das österreichische Staatsschiff geführt werden soll.

Was die persönliche Frage betrifft, so wäre es ihm, da er entschieden an der Ausgleichaktion teilgenommen, rein unmöglich, plötzlich eine diametral entgegengesetzte oder auch nur eine im rechten Winkel abweichende Richtung zu betreten. Derjenige, der den Rat zur Einstellung der bisherigen Aktion gegeben, müsse auch die Männer bezeichnen, die nachzufolgen hätten. Er, von seinem Standpunkte, vermöchte auf der ihm ganz unklaren neuen Bahn keinen Schritt tun und stimme daher vollkommen || || [] des Präsidenten des Ministerrates bei, Se. Majestät um die Enthebung au. zu bitten. Ebenso trete er dem weiteren Wunsch bei, Se. Majestät geruhe die Enthebung möglichst zu beschleunigen; denn schlimmer noch als nach seinem Dafürhalten das Verlassen der Ausgleichsaktion sei es, gar kein System für die nächste Aktion zu haben, und da immerhin Eventualitäten eintreten könnten, welche augenblickliche Maßregeln erheischen, so müsste er dringend wünschen, dass Sr. Majestät die au. Bitte gestellt werde, die Neubesetzung sobald als möglich vorzunehmen.

Der Justizminister stimmt gleichfalls vollkommen und aus vollster Überzeugung der Anschauung des Präsidenten || || bei. Einmal deshalb, weil, sobald die böhmischen Führer die Reichsratsbeschickung nicht zusagen können, dem Ministerium nur die Alternative bleibt, sich den Verfassungsfreunden in die Arme zu werfen, und dazu würde er sich aus Rücksichten seiner politischen Ehre, die er bei seinem Rücktritt intakt mitzunehmen wünsche, um keinen Preis entschließen. Weiter aber trete er dem Präsidenten deshalb bei, weil er durch das bei Bildung des Ministeriums gegebene Wort, mit dem Ministerium zu stehen und zu fallen, sich gebunden erachte und daher ebenso, wie bisher zum Ausharren, nun zum Scheiden sich verpflichtet sehe. Über die Richtung, welche weiter einzuschlagen wäre, wage er nicht abzusprechen. Dies || || [] Sr. apost. Majestät sein. [] nur den Wunsch ausdrücken, dass ein Ausweg aus diesem Labyrinth gefunden werden möge.

Minister Ritter v. Grocholski entwickelt seine Ansicht in nachstehendem Votum: Bei verfassungsmäßigen Einrichtungen in einem Staate sei eine Regierung, welche ein Programm offen aufgestellt hat und dieses nicht durchzuführen vermag, unzweifelhaft verpflichtet, abzutreten. In dieser Lage befinde sich die jetzige Regierung. Sie habe das Programm aufgestellt, den inneren Frieden und die Versöhnung zu erzielen. Dieses scheiterte leider in jeder Hinsicht. Von einem innern Frieden || || sei keine Spur vorhanden, der Ausgleich sei unmöglich gemacht; folglich trete an die Regierung als solche, nicht an die einzelnen Mitglieder, die Notwendigkeit heran abzutreten. Er könnte wohl noch einen anderen Grund anführen, der ebenso stichhältig ist wie der vorige und ebenso notwendig das Abtreten der Regierung verlangt. Durch die Annahme des vom gemeinsamen Ministerium verfassten Reskriptentwurfes habe Se. Majestät dem gegenwärtigen Ministerium tatsächlich das ah. Vertrauen zurückgezogen; infolgedessen habe die raison d’étre für dasselbe aufgehört zu existieren; denn nicht ein Mal, sondern oft haben die Mitglieder des Ministeriums unter sich besprochen, dass das Vertrauen Sr. Majestät die Stütze ist, welche ihnen die Durchführung ihrer Politik ermöglichen wird; sobald diese Stütze fehlt, könne das Ministerium nicht länger wirken. || || []ung, die sich [] der gegen[] befinde, müsse [] die Frage stellen, ob [] imstande sein wird, die Zügel der Regierung weiter fortzuführen. Diese Frage habe er sich gewissenhaft gestellt und sei zu dem nämlichen Resultat gekommen wie der Vorsitzende, dass für das Ministerium die Möglichkeit nicht vorhanden ist, die Regierung in einer für das Wohl des Reiches ersprießlichen Weise fortzusetzen. Denn es handle sich um eine verfassungsmäßige Regierung, und dass Se. Majestät keine andere beabsichtige, sei durch die Ah. Annahme des vom gemeinsamen Ministerium vorgelegten Entwurfes hinlänglich bewiesen.

Der Einwurf, der dem Ministerium gemacht wurde, war der, dass es || || nicht genug verfassungstreu sei. Ihm scheine daher, dass eine andere als eine verfassungsmäßige Regierung gar nicht in Betracht kommen kann; eine verfassungsmäßige Regierung könne aber ohne verfassungsmäßige Körper nicht existieren. Seit von den böhmischen Parteiführern die Erklärung gegeben wurde, dass sie in den Reichsrat nicht kommen, weil der böhmische Landtag nicht wählen wird, stehe das Ministerium vor der Eventualität, gar keinen Reichsrat zustande zu bringen. Er zweifle, ob die andern nationalen Parteien eintreten werden, wenn die Böhmen ausbleiben − wobei er von den Galizianern abstrahiere, die, wie er glaube, erscheinen werden, da sie ihren || || [] nicht zu verleugnen [], indem Galizien [] die Verfassung anerkannt und nichts angestrebt hat, als Änderungen auf verfassungsmäßigem Wege. Wenn aber auch die anderen kämen, so hätte der Reichsrat noch immer nicht die beschlussfähige Anzahl von 100 Mitgliedern, weil die Deutschen, um das Ministerium zu stürzen, worauf ja alles abgesehen sei, sich gewiss fernhalten werden. Die Regierung befinde sich also vor der Unmöglichkeit, einen verfassungsmäßigen Vertretungskörper zu bilden. Daher gebiete dem Ministerium das Wohl des Reiches und die Achtung vor Sr. Majestät, die Krone nicht in diese Lage zu versetzen, sondern durch seine Demission den Platz für ein anderes System und für eine andere Regierung offen mache. Er glaube in der Tat, dass es sich nicht bloß um ein anderes System, || || sondern auch um andere Persönlichkeiten handle. Bevor noch etwas vom System bekannt war, habe die Verfassungspartei der gegenwärtigen Regierung eine maßlose, ja man könne sagen, mitunter bübische Opposition entgegengestellt. Er erinnere an das mit Beifall aufgenommene unhöfliche Auftreten eines hervorragenden Abgeordneten in den ersten Tagen, der sich unterfing zu fragen: „Wer sind die Männer, die uns gegenüber stehen?“7 Da sei es klar, dass es sich nicht um das System, sondern um die Personen handle; man will, dass das Ministerium abtrete, um anderen Platz zu machen. Er könne sich übrigens nicht verhehlen, dass auch jene Opposition, welche das Ministerium in der letzten Zeit gefunden, vielleicht in einiger Hinsicht eine sachliche, aber gewiss auch und in hohem Maße eine persönliche war.

|| || [] Dinge jetzt [] somit die Regierung, wenn sie auch [] Opfer bringen wollte, [] bleiben, keine Aussicht, irgendetwas durchzuführen. Daher sei es, unabhängig von dem Willen der Regierung, ihre Pflicht, als Regierung ihre Demission bei Sr. Majestät zu erbitten. Der Zeitpunkt der Enthebung hänge einzig und allein von der Ah. Entschließung Sr. Majestät ab, das Ministerium könne selbstverständlich nicht nach eigenem Dafürhalten die Geschäftsführung abbrechen und das Amt verlassen. In Betreff seiner persönlichen Stellung müsse er darauf zurückkommen, dass es sich nicht um den Rücktritt einzelner Mitglieder, sondern der Regierung als solcher handelt, was nicht ausschließt, dass, wenn das Programm und die Persön|| || lichkeiten des neuen Ministeriums es ermöglichen, mit ihnen zu gehen, ein oder das andere Mitglied des abtretenden Ministeriums darin Platz finde.

Der Finanzminister sieht sich, indem er sich auf seine frühere Erklärung beruft, dass er als prinzipieller, aber offener Gegner des Systems sich der Bitte um Enthebung nicht anschließen kann, vom ganz objektiven und allgemeinen Standpunkt veranlasst, einen tatsächlichen Umstand zur Geltung zu bringen, welcher die Notwendigkeit einer baldigen Entscheidung begründet. Die finanzielle Lage sei der Art, dass die Tätigkeit eines Reichsrates dringend geboten gewesen wäre. Gegenwärtig sei gar keine Zeit zu einer regelrechten Aktion mehr vorhanden. || || [] Pflicht zu [] die Zeit [] vorgeschritten, dass jemand, weder er noch ein präsumptiver Nachfolger im Stande ist, die Verantwortung zu übernehmen, dass die Finanzgebarung pro 1872 regelrecht begonnen werde. In der Zeit vom [] Jänner bis 1. Februar 1872 werden an Zinsen der Staatsschuld allein [] Millionen fällig, wozu keine Mittel vorhanden sind.

Minister Ritter v. Grocholski meint, dass der Reichsrat bis zum 1. Jänner einberufen sein werde.

Der Präsident des Ministerrates glaubt noch einen weiteren Grund für die Dringlichkeit einer Ah. Entscheidung vorbringen zu sollen. In letzter Zeit gehe [] Bewegung in || || eine unzweifelhaft revolutionäre über. In Graz fand vor einigen Tagen ein deutscher Parteitag statt, wo man zur Steuerverweigerung und allen möglichen entschiedenen Mitteln gegen die Regierung aufgefordert hat8. Es sei daher notwendig, dass eine Regierung eingesetzt werde, die das volle Ah. Vertrauen besitzt und in der Lage ist, mit Entschiedenheit einzugreifen, was das gegenwärtige Ministerium von dem Augenblick an zu tun nicht in der Lage ist, wo seine Politik nicht die Ah. Genehmigung gefunden hat und alles, was sie zu verfügen notwendig fände, nicht als ein Schritt gegen die Revolution, sondern gegen das Deutschtum aufgefasst würde. Daher sei es dringendst geboten, dass möglichst rasch eine Regierung eintrete, die, durch nichts gebunden, vollkommen freie Hand hat.

|| || Der Finanzminister []lich in einigen [] der Diskussion, die, wie er dankbar anerkenne, ganz objektiv geführt worden ist, gefallenen, nachdem er aber Gegner war, ohne Absicht indirekt gegen seine Anschauungen gerichteten Bemerkungen Veranlassung, seine wesentlich verschiedene Auffassung der Lage darzulegen. Er sehe die Dinge nicht so verzweifelt an, wie sie nach manchen Äußerungen der Herren angesehen zu werden scheint. Namentlich bedürfe, was der Herr Landesverteidigungsminister auseinandergesetzt, einiger Ergänzung. Wenn auf die Missstimmung der Tschechen und deren Folgen für den Fall einer Bedrohung von Preußen hingewiesen || || wurde, so müsse er aufmerksam machen, dass in Böhmen zwei Millionen Deutsche wohnen, welche sich adurch den Ausgleicha zu diesen Gegnern hingedrängt fühlen könnten. In Galizien bestehe ein noch ungünstigeres Zahlenverhältnis zwischen den Polen und Ruthenen, da den zweieinhalb Millionen Polen, welche allerdings nicht russischer Sympathien verdächtigt werden können, 2,800.000 Ruthenen gegenüberstehen, welche tatsächlich gegen Russland hingedrängt wurdenb c. Die Sache stehe also nicht so, dass, wenn man durch den Ausgleich die Tschechen und Polen gewänne, dadurch schon diese Länder als undurchbrechliche Vormauer gegen Preußen und Russland zu betrachten wären. Man müsse fernerc zwischen den Führern und der || || [] unterscheiden. [] Meinung, [] Letztere hinter [] Erstern steht. Die Masse des tschechischen und polnischen Volks sei gut österreichisch, von dieser sei nichts zu besorgen. Wenn die Führer ihrer angemaßten mandatlosen Stellung entkleidet werden, habe man es mit entschieden treu österreichisch gesinnten Volksstämmen zu tun. Was die Verfassung anbelangt, so möge man über ihre Mängel und Vorzüge was immer für Ansichten haben, jedenfalls müsse mit den konkreten Verhältnissen gerechnet werden. Und unter den gegebenen Verhältnissen sei es für ihn Axiom, dass das strenge Festhalten an dieser Verfassung wirklich noch als ein Reif erscheint, welcher die Monarchie || || zusammenhält. Daran soll man nicht rütteln, wie es beim Föderalismus doch der Fall wäre. Wenn mit kräftiger Hand Ordnung gehalten wird, werden wir Ruhe und Legalität haben, und diese seien die Grundlage und Bedingung des Staatslebens. Er sehe unter der Voraussetzung einer kräftigen Regierung nicht die geschilderten Gefahren vorhanden.

Der Präsident des Ministerrates bemerkt, dass er auf die Auseinandersetzungen des Finanzministers allerdings einiges zu entgegnen hätte, aber mit Rücksicht auf den eben gefassten Entschluss in eine politische Erörterung nicht mehr eingehen, sondern dies der künftigen Regierung überlassen zu sollen glaubt. || || Die Bemerkungen des [Finanzministers] scheinen darauf hinzuweisen, dass eine Regierung ans Ruder kommen möge, welche in keiner Weise gebundene Hände hat. Nur eine solche könne das angedeutete System einschlagen; er wäre nicht in der Lage, in dasselbe einzutreten.

Der Landesverteidigungsminister repliziert dem Finanzminister, seine (des Landesverteidigungsministers) Äußerung sei nicht dahin gegangen, dass von den Tschechen und Polen im Falle eines Krieges etwas zu besorgen wäre, sondern nur dahin, dass die Tschechen, wenn sie nicht befriedigt werden, sich passiv verhalten und nicht jene Unterstützung gewähren werden, die sonst zu erwarten wäre, dass ferner bei den Polen nicht jener Enthusiasmus für die österreichische Sache zu finden sein würde, der bei bessere Behandlung || || erzielt werden könnte.

Der Finanzminister fügt bei, er habe gerade das Gegenteil aufgegriffen, nämlich, dass die Befriedigung der Tschechen und Polen nicht als das Spezifikum gegen Preußen und Russland anzusehen wäre, weil es noch Deutsche und Ruthenen gibt, die nicht befriedigt wären.

Minister Ritter v. Grocholski wendet sich gegen die Bemerkung des Finanzministers, dass es die gegenwärtige Verfassung ist, welche alle Völker und Länder zusammenhält. Da es vielleicht das letzte Mal ist, dass die Minister zusammen beraten, so wolle er nicht scheiden, ohne seine Ansicht entschieden auszusprechen, dass, was die Länder zusammenhält, einzig und allein das dynastische Gefühl, und wenn etwas zersetzt, dies die Verfassung ist. Dieselbe sei nicht der Reif, der die Monarchie || || zusammenhält, sondern der [] auseinander [] seine innige Überzeugung. Heute sei durch die Verfassung die Zusammengehörigkeit loser als im Jahre 1861.

Der Finanzminister erwidert, ihm sei nicht entfernt eingefallen, die in dem dynastischen Gefühl konzentrierte Kraft herabzusetzen, über derlei Verdacht hoffe er erhaben zu sein. Er habe vom Wert oder Unwert der Verfassung nicht gesprochen, sondern gesagt, sie sei ein Reif, der die Teile zusammenhält, welcher Gedanken vollkommen damit vereinbar sei, dass der stärkste Reif die Dynastie ist und dass die Massen, die als renitent hingestellt werde, durch und durch vom österreichisch dynastischen Gefühl durchdrungen sind, was zu konstatieren er sich hier verpflichtet hielt.

Minister Ritter v. Grocholski muss bezüglich der || || Polen bestätigen, dass dem so ist. Ein anderes sei die Opposition gegen die Verfassung; gegen die Dynastie werden die Polen nie renitieren.

Der Justizminister fügt bei, dasselbe sei in Böhmen der Fall, und was die Führer anbelangt, so bezweifle er deren österreichische Gesinnung auch jetzt nicht, nachdem sie die Verhandlungen abgebrochen haben.

Der Präsident des Ministerrates schließt die Sitzung, indem er konstatiert, dass alle Minister (auch der Finanzminister und der Landesverteidigungsminister) darin übereinstimmen, das gegenwärtige Ministerium sei nicht mehr in der Lage, die Regierung fortzuführen. Infolgedessen werde an Se. Majestät die Bitte gestellt, Allerhöchstderselbe geruhe die Demission des Ministeriums aller|| || gnädigst [] zu nehmen [] möglichst bald eine Ah. Entscheidung zu treffen. Das Demissionsgesuch werde von den Ministern gefertigt werden, welche der Demissionseinreichung beigestimmt haben9.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 11. November 1871. Franz Joseph.