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Nr. 605 Ministerrat, Wien, 20. Oktober 1871 – Protokoll II - (PDF)

RS. und bA.; P. Artus; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Hohenwart 20. 10.), Holzgethan 30. 10., Scholl 31. 10., Jireček 3. 11., Schäffle 2./3. 11., Habietinek 1. 11., Grocholski; außerdem anw. Beust, Kuhn, Lónyay 29.10, Andrássy, Wenkheim 30. 10.

Druck: Gmr. I/2, Ergänzende Protokolle anderer Provenienz Nr. 2.

KZ. 2817 – MRZ. 112

|| || Protokoll II des zu Wien am 20. Oktober 1871 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Reskript an den böhmischen Landtag (Fortsetzung), im Zusammenhang damit böhmische Fundamentalartikel - (PDF)

[I.] ℹ️ Se. Majestät geruhen aufzufordern, dass sich von den || || beteiligten Ministern über jene Punkte der Fundamentalartikel ausgesprochen werde, gegen welche Bedenken vorliegen1.

Der ungarische Ministerpräsident erklärt, folgende Bedenken zu haben:

1. schiene ihm die Veränderung des Namens „Reichsrat“ nicht ohne Bedenken2. So unbedeutend die Sache an und für sich scheine, so sei doch der Effekt nicht zu unterschätzen, den die Sache machen würde. Er halte dafür, dass derartige Änderungen in einer auf konservativen Grundlagen beruhenden Monarchie überhaupt nicht stattfinden sollten.

2. Gegen die Umgestaltung des Oberhauses müsse er sich prinzipiell entschieden erklären, schon wegen der unausbleiblichen Rückwirkungen auf Ungarn3. Diese Maßregel erscheine auch in sich durch nichts gerechtfertigt.

3. Das Quotensystem halte er für absolut unmöglich4.

|| || 4. Halte er es zumal mit Rücksicht auf eventuelle Schwierigkeiten in Kroatien für notwendig, dass es ausgesprochen werde, dass die Delegation aus den Reichsvertretungsmitgliedern gewählt werde, wozu ja Graf Hohenwart zugestimmt habe.

5. In die Kompetenz des Reichsvertretungskörpers müsste die Erneuerung der Übereinkommen mit Ungarn auf Zeit ausdrücklich eingeschaltet werden.

Nach näherer Beleuchtung dieser Punkte bemerkt der ungarische Ministerpräsident, dass dies die Bedenken seien, welche sich ihm im Allgemeinen ergeben. Ob noch andere einzelne Punkte entsprechend seien, will er im Hinblick auf den Umfang seiner Berechtigunga nicht untersuchen.

Der Reichskanzler nimmt auf die bereits erörterten Motive der Stellungnahme des gemeinsamen Ministeriums in der böhmischen Frage Bezug. || || Soweit die Agenden der gemeinsamen Ministerien des Krieges und der Finanzen tangiert werden, würden sich seine Kollegen auszusprechen haben. Von dem Standpunkte des ihn zunächst berührenden Ressorts des Ministeriums des Äußern müsse er vor allem bemerken, dass in den Vorlagen zwar nicht ausdrücklich gesagt werde, dass die Hofkanzler in Bezug auf die auswärtige Politik diejenige Stellung einzunehmen haben würden, welche bisher die Ministerpräsidenten beider Reichshälften hatten, allein es lasse sich voraussehen, dass die Entwicklung der Verhältnisse die Hofkanzler dazu drängen würde, in Dingen der auswärtigen Politik eine gewisse Ingerenz in Anspruch zu nehmen5. Es sei namentlich vorauszusehen, dass sich der böhmische Landtag mit auswärtigen Angelegenheiten wird beschäftigen wollen. Eine Änderung des dermaligen Verhältnisses schiene nun in keiner Weise erwünscht. || || Eine weiterer Punkt sei die Zusammensetzung der Delegationen6. Es sei von Bedeutung und nach den vorliegenden Erfahrungen von sehr gutem Erfolge gewesen, dass hier wie in Ungarn ein Drittel der Delegierten aus dem Oberhause gewählt wurde. In diesen Elementen liege eine erprobte Gewähr für den befriedigenden Lauf der Delegationen. Es dürfte auch schwer abzusehen sein, wie die Umwandlung des Herrenhauses würde ermöglicht werden können, es müsste jedenfalls ein ungewöhnlicher großer Pairsschub eintreten. Abgesehen hievon falle aber das Gewicht auf die eventuell wesentlich geänderte Zusammensetzung der diesseitigen Delegation.

Vom Standpunkte der Machtstellung des Reiches spreche er die Überzeugung aus, dass man sich bei der beabsichtigten Umgestaltung einem großen Anachronismus gegenüber finde. || || Sie entspreche den österreichischen Verhältnissen ante 1848, welche eine derartige Nebenstellung der einzelnen Länder ermöglichten. Seither haben sich die Verhältnisse überhaupt und insbesondere in Bezug auf das Nationalitätsprinzip wesentlich geändert, welches damals entweder nicht gekannt oder, wo es gekannt war, seitens der überwiegenden Mehrzahl der Regierungen entschieden perhorresziert wurde. In jener Zeit war einmal ein sehr konzentrischer Zustand im Reiche für die auswärtige Politik viel weniger nötig. Dann aber waren die einzelnen Völker auswärtigen Einflüssen viel weniger zugänglich als jetzt. Es sei mit Sicherheit vorauszusehen, dass slawische, germanische und römische Einflüsse bei einer derartigen Gestaltung der Monarchie sich innerhalb derselben weit mehr werden geltend machen, als dies bisher der Fall war. Abgesehen davon sei die ganze Physiognomie der Monarchie eine || || Sache, die nicht eine Schwächung zulässt, sondern eine Stärkung erfordert. Österreich als Großstaat beruhe eben auf dem Ansehen der Kaiserkrone, welches in Absicht auf Emanationen nach außen eine gewisse Konzentration voraussetze. Unter allen Umständen gewinne die Konzentration durch die intendierte Neugestaltung nichts und werden die Einflüsse von außen verstärkt. Wenn ferner der Zusammenhang mit der gegenwärtigen politischen Lage in das Auge gefasst werde, so entspreche das Projekt auch von diesem Standpunkte demjenigen nicht, was wünschenswert erscheine. Die Richtung der auswärtigen Politik, welche eingeschlagen worden, habe erst vor kurzem einen neuen präzisen Ausdruck gefunden. Die Delegationen haben ihr zugestimmt, und sie habe im Auslande ohne Unterschied den freundlichsten Wiederhall || || gefunden, ja nicht eine entgegengesetzte Stimme habe sich gegen diese Politik erhoben, welche für die Sicherheit und friedliche Entwicklung Bürgschaft biete7.

Es verstehe sich von selbst, dass die Gestaltung der inneren Zustände nicht ohne Rückwirkung bleiben könnte. Wenn auch hinsichtlich der zum Ausdrucke gelangten Besorgnisse wegen einer Bedrückung des deutschen Elementes eine große Übertreibung mit unterläuft, so dürfe man sich doch nicht an das halten, was die Menschen bei ruhiger objektiver Erwägung denken sollten, sondern an die tatsächlich vorhandene Wirkung auf die Gemüter. Es werde allerdings den Deutschen in Böhmen ein Nationalitätengesetz geboten, aber abgesehen davon, dass einzelne Bestimmungen, wie z. B. dass die Erlangung von Ämtern || || unbedingt an die Kenntnis beider Sprachen gebunden ist, die Deutschen kaum immer in die günstige Lage bringen dürfte, ist es Tatsache, dass unter Umständen an sich ganz entsprechende Gesetze die beabsichtigte Wirkung nicht erzielen8. In dieser Beziehung weise er nur auf das italienische Garantiegesetz hin, von welchem bman nicht leugnen könne, dass es dem Hl. Stuhle sehr liberale Zugeständnisse mache und von dem gleichwohlb niemand behaupten werde, es habe dazu geführt, dass sich Rom und die Kirche damit befreundet haben9. Ähnliches werde in Böhmen eintreten, und lasse sich voraussehen, dass es dort zu Schmerzensschreien der Deutschen kommen werde. Dass den Deutschen in dieser Beziehung keine Handhabe geboten werde, sei vom Standpunkte der äußern Politik jedenfalls von großer Wichtigkeit. Es seien zwar alle Garantien gegeben, dass die preußische Regierung sich von || || Einmischungen in innere Fragen ferne halten werde, allein, es könnten Umstände eintreten, deren Macht stärker wäre als der beste Wille. Wenn auf die Eventualität eines fortdauernden Widerstandes des tschechischen Elementes und auf die Eventualität einer gleichen Resistenz der Deutschen hingeblickt wird, so schiene es in dem letzteren Falle wohl fraglich, ob, wenn es sehr weit käme, die deutsche Regierung ruhig würde zusehen können, während der tschechische Widerstand auf materielle Hilfe von außen nicht rechnen könnte. Denn die hiebei in Frage kommende Macht würde wohl an der Befriedigung des tschechischen Elementes Gefallen findenc . An ein Dazwischentreten derselben wäre aberd nicht zu denken; sie habe auf ein anderes Land ihre Blicke gerichtet und werde es nicht ungern sehen, wenn diesem Lande aus dem böhmischen Ausgleich nicht allzu große Hoffnungen erwachsene .

Diese Umstände seien sehr in das Auge zu fassen und scheinen zu der ernsten Er|| || wägung aufzufordern, wie, ohne ungerecht zu sein und den Ausgleich zu hindern, vorzugehen wäre, ohne dass zu so vielen Besorgnissen nach einer Seite hin Anlass gegeben würde. Das Ganze in das Auge fassend, könne er von seinem Standpunkt aus nur erklären, dass dadurch jede auswärtige Politik erschwert werde. Insoferne er sich auf die nähere Erörterung der sein Ressort zunächst tangierenden Punkte beschränkt habe, sei hiefür der früher angedeutete Standpunkt, der von Seite der gemeinsamen Minister eingenommen worden, maßgebend gewesen, und involviere dies nicht, dass bezüglich des Übrigen irgend eine Verantwortung seitens des gemeinsamen Ministeriums übernommen werde.

Der Reichskriegsminister findet zwar in den Propositionen die Einheit der Armee im Allgemeinen gewahrt, glaubt aber doch in der Bestimmung des Art. XI 5, wornach, wenn es sich || || um eine Änderung in dem Maßstabe der Aufteilung der auszuhebenden Mannschaft handeln sollte, die Zustimmung des Landtages hiezu als notwendig erklärt werde, eine Alteration des Wehrgesetzes zu erblicken, für dessen intakte Aufrechthaltung er sich im Hinblick auf die voraussichtlichen enormen Schwierigkeiten des Zustandekommens eines dem jetzigen entsprechenden Wehrgesetzes auf das allerentschiedenste aussprechen müsste10.

Der Vorsitzende des diesseitigen Ministerrates klärt auf, dass es sich um eine Konzession handle, die praktisch keinen Wert habe, da nur in dem für sobald kaum vorauszusetzenden Fall einer Änderung des Wehrgesetzes in Bezug auf den Maßstab der Aufteilung der auszuhebenden Mannschaft eine Ingerenz des Landtages eintreten würde.

Dem ungarischen Ministerpräsidenten erscheint die Sache als nicht so ganz unbedenklich, || || [es kön]nten immerhin auf diesem Wege ganz unerwartete Dinge kommen. Er wisse aus Erfahrung, welche Schwierigkeiten gewisse, nicht präzise Bestimmungen über die Befugnisse des Reichstages in Militärsachen in den ungarischen Ausgleichsartikeln nach sich gezogen haben.

Auch dem Reichsfinanzminister schiene volle Klarheit der betreffenden Kompetenzbestimmungen sehr wünschenswert.

Dem Reichskriegsminister schiene auch der Passus wegen der Landwehrangelegenheiten nicht ohne Bedenken, jedenfalls aber einer präzisen Erläuterung bedürftig.

Der Vorsitzende des diesseitigen Ministerrates klärt auf, dass es sich höchstens um Angelegenheiten der Verwaltung handeln könne, wie die Evidenzhaltung der Urlauber, die Verfügungen wegen der Aufbewah|| || rung der Monturen und dergleichen, die vielleicht im Lande zweckentsprechender besorgt würden. Jedenfalls aber könnte eine derartige Ingerenz nur in Folge einer Änderung des Landwehrgesetzes Platz greifen11.

Der ungarische Ministerpräsident meint, das Prinzip liege darin, als ein Teil der Landwehrangelegenheiten eventuell Landessache werden würde, während die Legislative jetzt der Reichsvertretung vorbehalten sei. Das wäre denn doch nicht ohne Bedenken. Wenn das Galizien zugestanden werden wollte, hätte er keine Einwendung, insoferne aber in Böhmen die einschlägigen Befugnisse gewissermaßen als Ausfluss der staatsrechtlichen Stellung aufgefasst werden könnten, würden wohl Anstände obwalten. Die Frage sei, wer wird die künftige landtägliche Ingerenz regeln?

Der Vorsitzende des diesseitigen Ministerrates bemerkt, durch diese Bestimmung || || werde den Landtagen noch gar nichts eingeräumt, insoferne in dieser Richtung etwas in Anspruch genommen werden sollte, könnte dies nur im gesetzlichen Wege durch den Delegiertenkongress geschehen.

Se. Majestät geruhen anzudeuten, dass, wenn für die Landwehr der diesseitigen Länder etwas geschehen solle, dies nur durch die Landtage zu erzielen wäre, welche der Natur der Sache nach ein größeres Interesse daran haben. Die Erfahrung habe gezeigt, dass auf dem bisherigen Wege ersprießliche Resultate nicht zu erwarten seien, da die Reichsvertretung sich der Förderung dieses Institutes wenig geneigt zeige.

Der Minister für Landesverteidigung weiset in dieser Richtung darauf hin, dass der Reichsrat sogar für Zwecke, || || welche in dem von ihm selbst votierten Landwehrgesetzte vorgesehen seien, die nötigen Mittel verweigere. So habe nach dem Gesetze eine Landwehrkavallerie zu bestehen, der Reichsrat bewillige aber nichts für Pferde, fnicht einmal die Sättelf .

Der Reichskriegsminister bemerkt, dass, insoferne nach dem, was vorgebracht worden, es darauf hinauslaufen würde, den Landtagen eventuell eine Ingerenz in Landwehrsachen in der Weise einzuräumen, wie dies in Tirol der Fall sei, er dagegen nichts einzuwenden hätte12. Auch er sei in Anbetracht des voraussichtlich regeren Interesses für eine mehrere Ingerenz der Landtage. Eine andere Frage sei freilich, ob, falls die Landtage bedeutende Mittel für die Landwehr aufwenden würden, dies nicht auf die Bewilligungen für || || die reguläre Armee nachteilig zurückwirken würde. Es sei dies ein Gesichtspunkt von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, zumal die Quelle, aus welcher die Mittel für beide zu fließen haben, in letzter Auflösung doch immer eine und dieselbe bleibe. Im Übrigen habe er weitere Bedenken nicht.

Des Reichsfinanzministers wichtigstes Bedenken vom Standpunkte der gemeinsamen Finanzen in Bezug auf die Frage, welcher Vertretung der zur Erneuerung der mit 1877 ablaufenden Übereinkommen wegen der Quote zum gemeinsamen Aufwande und wegen des Zoll- und Handelsbündnisses kompetent wäre, sei durch die zugestandene Zuweisung der Kompetenz an den Delegiertenkongress beseitigt. Indes sei vom Standpunkte der gemeinsamen || || Finanzen nicht zu verkennen, dass man in den auf die gBehandlung der gemeinsamen Angelegenheiten und Bestimmung und Leistung derg Quote bezüglichen Bestimmungen uneingedenk der Machtstellung der Monarchie wohl zu weit gegangen sei und dass die Besorgnis einer Schädigung begründet erscheine13. Die Zuweisung aller direkten Steuern und der Gesetzgebung hierüber an den Landtag bilde namentlich, wenn die Konsequenzen für die Quotenbedeckung in das Auge gefasst werden, eine große Schwierigkeit. Auch in Beziehung auf die indirekten Steuern, in Beziehung auf den Abzug der im Lande eingehenden Stempeln und Gebühren (in Böhmen sieben Millionen) von den Länderquoten ergeben sich wesentliche Bedenken. Die Ingerenz der Landesvertretung ziehe sich auch durch alles Weitere hindurch, in das Kommunikationswesen, in die Verwaltung der Post- und Telegrafenanstalten und der Eisenbahnen.

|| || Der Handelsminister klärt auf, dass kein Zweifel darüber bestehen könne, dass die Post- und die Telegrafen- als Reichsanstalten der Zentralverwaltung verbleiben. Bezüglich der Eisenbahnen wurde sich darüber geeinigt, der Delegiertenkongress solle darüber entscheiden, welche Eisenbahnen fürderhin als Reichsbahnen zu behandeln sein sollen. Diese würden selbstverständlich der Zentralverwaltung vorbehalten bleiben, bezüglich der andern Bahnen, bei welchen Reichsinteressen nicht eintreten, wurde die Überlassung der betreffenden Einflussnahme an die Länder als in mannigfacher, namentlich in finanzieller Beziehung vorteilhaft erkannt.

Der Reichsfinanzminister findet ein weiteres Bedenken auch gegen § 6, Punkt b, in welchem in Bezug auf das gegenwärtige Staatsvermögen Ansprüche eröffnet worden, deren || || Tragweite nicht klargestellt erscheine, welche Unklarheit jedenfalls unerwünscht sei und zu Komplikationen führen könnte. Übrigens sei in Beziehung auf die Regelung der Finanzangelegenheiten noch manches sehr unklar. So die Art und Weise der Bestimmung der Quote, es frage sich, wie bei den Deputationsvereinbarungen vorgegangen werden würde, werde die Parität so gewahrt werden, dass der Konsens aller Deputationen zu der Vereinbarung erforderlich sein werde. Der beabsichtigte Weg scheine kaum praktisch, der vorgeschlagene Modus der Lösung in Fällen des Nichtzustandekommens einer Vereinbarung, hda voraussichtlich jährlich Se. Majestät entscheiden müssteh, nicht wünschenswert. Wie es mit der Staatsschuld gehen werde, wenn ein Land wie Böhmen mit einer so bedeutenden Kontributionskraft herausgenommen würde, sei auch fraglich. || || Da die Art und Ausmaß der direkten Steuern maßgebend ist in Betreff der Erträgnisse der indirekten Steuern und umgekehrt, würde [bei] einer Trennung der Gesetzgebung und Verwaltung des Steuerwesensi unter gewissen Verhältnissen der Staatskredit in höchst bedenklicher Weise leiden. Eine geordnete Finanzverwaltung erheische ein geordnetes Ganzes, eine einheitliche wohldurchdachte Leitung. Kroatien habe Ähnliches verlangt, er hätte aber lieber auf sein Amt resigniert, als die Verantwortung für eine derartige Einrichtung auf sich genommen. Vom Standpunkte des gemeinsamen Finanzministeriums erscheine es im Allgemeinen von Wichtigkeit, dass die regelmäßige Abfuhr der Quoten sichergestellt erscheine. Die Leistungen der beiden Finanzverwaltungen seien bisher anstandslos erfolgt, für 1871 sei die Deckung für den gemeinsamen Aufwand gesichert, insoferne aber nicht vorausgesehen werden könnte, dass für das nächste Jahr eine gesetzmäßige Körperschaft die nötigen Mittel bewillige, || || dürfte die Lage sich weniger günstig gestalten. Abgesehen hievon würde schon die Einforderung der Quoten von 17 Ländern eine sehr große Schwierigkeit bilden.

Der diesseitige Finanzminister schickt voraus, dass er in der sogenannten Ausgleichspolitik von Anbeginn an nicht eine Ära des Friedens, sondern eine Ära des Unfriedens und der Zerstörung zu erblicken vermochte und sich daher entschieden dagegen erklärte. Vom Ressortstandpunkte müsse er die finanziellen Punktationen des böhmischen Operates in ihrer Totalität unbedingt perhorreszieren, zumal als die Ausdehnung derselben auf die übrigen Länder sich als unausweichliche Konsequenz ergeben würde. Zu den einzelnen Punkten habe er folgendes zu bemerken: Es werde zwischen direkten und indirekten Steuern unterschieden, die ersteren den Ländern zugewiesen, die letzteren || || dem Reiche vorbehalten. Diese Bestimmung sei ganz unpraktisch, weil ein unbestrittenes Kriterium für beide Gattungen von Steuern noch nirgends, nicht in der Theorie, nicht in der Praxis festgestellt erscheine. Er weist auf das Gebührenäquivalent hin, welches als indirekte Steuer behandelt werde, seiner Natur nach aber zu den direkten gehöre. Der Streit würde sogleich entbrennen, und zwar zwischen der Reichsvertretung und 17 Landtagen. Es sei ganz unmöglich, die Gesetzgebung für die direkten und die indirekten Steuern zu trennen. Die Gesetzgebung müsse in einer Hand bleiben. Böhmen sei ein aktives Land. Es könnte leicht geschehen, dass man dort Veranlassung fände, die Grundsteuer herabzusetzen. Das wäre für Böhmen sehr angenehm, welche Rückwirkungen würde es aber auf jdie übrigen, insbesonders auf die angrenzenden Länderj üben? Die Tendenz gehe nicht || || dahin, dem Reiche Lasten abzunehmen, sondern diverse Millionen am Reiche zu ersparen. Schon jetzt sei ein Defizit vorhanden, was soll dann geschehen? Galizien, Bukowina, Tirol, Krain, Istrien, Dalmatien seien passiv, sollen alle diese Länder von dem Reichtum des Stammlandes Niederösterreich erhalten werden? Es sei eine eigentümliche Erscheinung, dass dahin getrachtet werde, Land und Staat in eine bis zur gegenseitigen Kontoführung gesonderte Stellung zu bringen, in welchem Konto sich Soll und Haben genau ausgleichen sollen. Diese Auffassung hebe den Staat ganz auf.

Was die Staatsschuldenquote betreffe, möge man sich einen Schuldner denken, welcher Gläubiger von 17 anderen Schuldnern sei. Welchen Kredit könne er haben? Im Allgemeinen Verkehrsleben hätte er gar keinen. || || Im Konkreten sei zu bemerkten, dass schon die bloße Verlautbarung der einschlägigen Bestimmungen des böhmischen Operates einen gewaltigen Rentensturz auf einen Kriegskurs zur Folge hatte. Die Papierrente hatte bereits 61 erreicht und fiel aus den erwähnten Gründen auf 56, ja 55. Sie stehe jetzt auf 57, weil sie von regierungsfreundlicher Hand ohne seinen Einfluss mit großer Mühe gehalten werde. Sie notiere unter der französischen Rente und beiläufig gleich mit der italienischen. Für die Finanzverwaltung sei Rente bereits ein unverkäuflicher Artikel geworden. Im Laufe des Sommers habe er k[]-8 Millionen und zwar größtenteilsk in das Ausland verkauft, sie sei zurückgeströmt, und habe die vermittelnde Anstalt ihren Kommissionskredit bei dieser Gelegenheit vollständig eingebüßt. Pro 1872 werde sich das Defizit auf 50 Millionen stellen. || || Die Kassabestände seien wohl in sehr erfreulicher Höhe vorhanden, gleichwohl werde man mit kaum mehr als zehn Millionen in die Gebarung des künftigen Jahres übergehen können. Es sei also für die Deckung von 40 Millionen Vorsorge zu treffen. Es bestehen keine anderen Deckungsmittel als Rentenreserven. Unter anderen Verhältnissen wäre es möglich gewesen, die Deckung durch Rentenverkäufe zu schaffen. Jetzt nicht, und sei für 1872 eine Stockung im Staatshaushalte unvermeidlich. Fundamentalartikel und Staatsbankrott seien für ihn gleichbedeutend, er sei daher mit aller Entschiedenheit gegen diese Idee.

Se. Majestät geruhen hierauf die Sitzung zu schließen14.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 12. November 1871. Franz Joseph.