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Nr. 2 Nr. II Ministerrat, Wien, 10. November 1869 - (PDF)

RS. fehlt. Typoskriptdurchschlag in Hhsta.,Familienarchiv Taaffe, Faszikel 18–48, Druck: Skedl,Der politische Nachlaß des Grafen Eduard Taaffe 75−83. Index und Protokollbuch der Kabinettskanzlei verzeichnen zwar Mitte November 1869 unter KZ. 3870/1869 einen Ministerrat, jedoch ohne Datum, Tagesordnung und MRZ.

P. Weber; VS. Taaffe; BdE. und anw. (Taaffe), Hasner, Potocki, Giskra, Herbst, Brestel, Berger; abw. Plener.

[Tagesordnungspunkte]

Protokolla des zu Wien, am 10. November 1869 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Seiner Exzellenz des Herrn k. k. Ministerpräsidenten Grafen Taaffe.

ℹ️ Der Minister des Innern übergibt eine tabellarische Zusammenstellung der Landtagsvoten über die Reichsratswahlreform und knüpft daran in Fortsetzung der in der Konferenz vom 8. November 1. J. aus Anlaß der Besprechung der Thronrede1 eröffneten Debatte über die Wahlreform folgende Bemerkungen, zu denen ihn der vom Justizminister in jener Sitzung eingebrachte Entwurf veranlaßte: Mit Rücksicht auf die Verhältnisse in Böhmen und Mähren sei die Durchführung dieses Planes nicht anders zu gewärtigen, als dass die Landtage der genannten beiden Länder, so lange sie nicht vollzählig geworden sind, die Ergänzungswahlen aus ihrer Mitte vornehmen, wonach aus Böhmen 108, aus Mähren 44 Abgeordnete, und zwar aus den gegenwärtig verkümmerten Landtagen hervorzugehen hätten. Abgesehen von dem zweifelhaften Umstand, ob diese Zahl von Reichsratsabgeordneten aufzutreiben sein wird, stelle sich im Hinblick auf die von verschiedenen Landtagen dieser Frage gegenüber eingenommene Stellungb die Gesamtsumme der aus allen Ländern zu gewärtigenden direkt gewählten Abgeordneten mit 114 heraus, welche neben den 290 indirekt gewählten als Landesabgeordnete neben Landtagsabgeordneten zu fungieren hätten, ein Ziffernverhältnis, welches dem Zwecke, den man von der Wahlreform intendiert, nicht entspricht.

Ein weiteres Bedenken findet der Minister des Innern darin, dass auf Welschtirol, dessen Gewinnung für die Reichsvertretung von großer Wichtigkeit sei, auf dem Wege des Tiroler Landtages nicht zu rechnen wäre, vielmehr auf Deputierte aus Welschtirol, wenn die Wahl vom Tiroler Landtage abhängig gemacht wird, verzichtet werden müsste.

Ein drittes Bedenken sehe er in der Nichterfüllung des eigentlichen Zweckes der Reform, den Reichsrat von den Landtagen mehr oder weniger unabhängig zu machen; es werde gerade das Gegenteil erfolgen, indem die Bestimmung, ob und welche Änderung in den Wahlordnungen eintreten soll, der autonomen Entscheidung der Landtage anheimgestellt bleibt.

Dem Zwecke, den Reichsrat durch direkte Wahlen zu stärken, scheine ihm der Gedanke mehr zuzusagen, das Prinzip der direkten Wahlen an die Spitze zu stellen, die Vermehrung ohne Abhängigkeit von den Landtagen eintreten zu lassen, und den Schwierigkeiten, die sich ergeben würden, wenn die Landtage die Bestimmung über Wahlkreise, Wahlrecht und Wahlfähigkeit zu treffen hätten, dadurch zu begegnen, dass diese Bestimmungen durch ein Reichsgesetz erfolgen. Sein Gedanke sei daher, die Abgeordnetenzahl auf 406 zu vermehren, die direkte Wahl als Grundsatz hinzustellen, den Landtagen, so lange sie nicht auf ihr landesordnungsmäßiges Wahlrecht verzichten, die Entsendung ihres Kontingents aus der Mitte des Landtages zu überlassen, die andere Hälfte der Deputierten aber nach einem Reichswahlgesetz direkt wählen zu lassen. Dadurch werde allerdings eine Mischung entstehen, allein dieser sei nicht auszuweichen, und allmählich werden aus den Landtagsabgeordneten, da sie sich in einer unbehaglichen Stellung befinden, Landesabgeordnete sich entwickeln. Verweigert ein Landtag die Absendung von Deputierten, so stehen die Landesabgeordneten zur Verfügung; das Reichswahlgesetz werde zugleich das Notwahlgesetz sein.

Der Justizminister bemerkt, der Minister des Innern habe in einer Beziehung seine Ansicht geändert und sich dem Standpunkte des Justizministers genähert, indem er nunmehr die direkte Wahl an die Spitze stelle, was auch seine, des Justizministers, im § 1 des Entwurfes ausgesprochene Ansicht sei. Weiter wolle aber der Minister des Innern die zweite Hälfte auf Grund eines vom Reichsrate zu erlassenden Reichswahlgesetzes wählen lassen. In dieser Beziehung müsse der Justizminister erklären, dass das Zustandekommen eines Reichswahlgesetzes im Reichsrate eine Unmöglichkeit sei, weil nicht nur alle Abgeordneten, die überhaupt Gegner der direkten Wahlen sind und deren Zahl nach den Auseinandersetzungen des Finanzministers an ein Drittel streift, dagegen stimmen, sondern auch alle, welche vom liberalen Standpunkte das Gruppensystem perhorreszieren, sich den Gegnern anschließen werden. Auch halte er bei Beibehaltung des Gruppensystems die Verteilung der 203 Abgeordneten auf die Länder nach dem durch die Verfassung gegebenen Maßstab im Wege einer Beratung im Reichsrate für unausführbar.

Der Ministerpräsident wirft die Frage auf, ob denn die Berechtigung feststehe, im Wege der Reichsgesetzgebung das den Landtagen zustehende Recht der Entsendung von Deputierten in den Reichsrat zu alterieren. Das Oktoberdiplom schon statuiere im Art. I, dass die Landtage eine festgesetzte Anzahl von Deputierten in den Reichsrat zu entsenden haben. Im Februarpatent, § 7, und in den Landtagsordnungen sei den Landtagen das Recht garantiert, eine festgesetzte Zahl von Mitgliedern in das Haus der Abgeordneten zu entsenden, und werden gruppenweise direkte Wahlen nur ganz ausnahmsweise, nämlich für den Notfall vorbehalten, dass die Beschickung des Reichsrates durch einen Landtag nicht zum Vollzuge gelangen kann. Hienach erscheint es der Regel nach ausgeschlossen, dass irgend jemand anderer als die Landtage das Recht, Abgeordnete in den Reichsrat zu senden, ausüben könnte. Auch die Dezemberverfassung gewährleiste den Landesvertretern dieses ausschließliche Recht, indem § 7 der Dezemberverfassung2 Änderungen in den Modalitäten der Entsendung von Abgeordneten in den Reichsrat von der vorläufigen Befragung der Landtage abhängig macht. Bei der Schöpfung der Februarverfassung lag es in der Intention, Änderungen derselben mit den möglichsten Schwierigkeiten zu umgeben, indem man die in Österreich vorherrschende Neigung, Gesetzesänderungen zu verlangen, vor Augen hatte. Deshalb machte man Modifikationen von der Befragung der Landtage abhängig. Die Anschauung, die damals herrschte, werde auch heute noch von vielen geteilt. Dieser gegenüber müsste der Beweis geliefert werden, dass durch die Wahlreform, welche eine Änderung der Landesordnungen involviert, den Landtagen nicht Gewalt angetan werde.

Nun soll neben dem bestehenden Reichsrat ein neuer Reichsrat, sollen neben den bestehenden Abgeordneten gewissermaßen Abgeordnete zweiter Klasse geschaffen und soll das Notwahlgesetz zu einer lex ordinaria gemacht werden. Es frage sich, und er gebe diese Frage zu erwägen, ob hierin nicht eine Verletzung garantierter Rechte der Landesvertretungen gelegen sei.

Der Minister des Innern zweifelt nicht, dass es in der Kompetenz des Reichsrates liege, die Zahl seiner Mitglieder zu vermehren. Die Dezemberverfassung verbiete eine Amplifikation des Reichsrates nicht. Die Ausschließlichkeit der Beschickung des Reichsrates durch die Landtage sei nirgends ausdrücklich ausgesprochen. Die Landtage seien nur Repräsentanten der Länder, es könne also eventuell nur von einer Schmälerung der Landesrechte die Rede sein und eine solche trete nicht ein, da das Verhältnis zwischen den einzelnen Ländern in keiner Weise alteriert werden soll. Wenn man sich auf den Standpunkt stelle, dass ohne Verzichtleistung der Landtage auf ihr Recht nichts geschehen dürfe, dann würde jede Reform an dem Widerstände eines einzigen, vielleicht des unbedeutendsten Landtages scheitern können.

Der Finanzminister entwickelt seine Ansicht in folgender Weise: Die Wahlreform sei nach allen Seiten eine heikle, im gegenwärtigen Augenblick vielleicht unmögliche Sache. Die Frage der Wahlreform trete an ihn speziell nicht zum ersten Mal heran, sie sei schon im Jahre 1867 im Verfassungsausschuß nach allen Richtungen ventiliert worden. Vom Rechtsstandpunkte hielt er damals und halte auch jetzt die Anschauung fest, dass die Zusammensetzung des Reichsrates Sache der Reichsverfassung und eine Änderung in keiner anderen Weise als durch die Reichsgesetzgebung denkbar sei; von einem Rechte der Landtage könne auf Grund der Landesordnungen nur sofern die Rede sein, dass die Landtage eine gewisse Anzahl von Mitgliedern in den Reichsrat zu entsenden haben. Ob ein anderes Land mehr oder weniger Mitglieder zu senden habe, sei eine Frage, die nur der Reichsgesetzgebung angehört. Im Jahre 1867 war der Reichsrat, bzw. der Verfassungsausschuß, nicht im Zweifel darüber, dass er das Zahlenverhältnis zwischen den einzelnen Ländern alterieren könne. Dies sei der rechtliche Standpunkt, der nicht zu verlassen wäre, wenn man nicht, da ja ein einziger kleiner Landtag alles verhindern könnte, in ein Chaos geraten will.

Im politischen Leben sei aber der praktische Standpunkt der dominierende und in dieser Beziehung glaube er, dass sich der Ministerrat mit der Wahlreform umsonst abmühe, das Ergebnis werde höchstens das des „aliquid fecisse videri", gewiß aber kein tatsächliches sein, da die erforderliche Zweidrittelmajorität weder in der Hauptfrage, noch weniger aber in Betreff der Modalitäten zu erzielen sein werde. Unter den Anhängern der direkten Wahlen gebe es nicht wenige, denen es nicht so sehr um die Sache, als um Prinzipienreiterei zu tun sei, – diese werden von der Perhorreszierung der Gruppenwahl nicht abgehen, und ihre Stimmen, zu jenen der Gegner der direkten Wahlen geschlagen, genügen vollauf, die Abstimmung zu hintertreiben und ein praktisches Resultat nicht aufkommen zu lassen.

Was das Projekt des Justizministers betrifft, so könne die der Landesgesetzgebung unbeirrt von der Reichsgesetzgebung eingeräumte Entscheidung über die Zusammensetzung der Wahlgruppen, ein Recht, das den Landtagen bisher nicht zustand, allerdings als ein Kompellierungsmittel gelten, welches die Landtage willfährig zu machen geeignet wäre. Er würde aber ein richtigeres Kompellierungsmittel darin finden, dass, sobald ein Landtag das Prinzip der direkten Vertretung akzeptiert, die Modalität der Zusammensetzung zu seinem ausschließlichen Rechte werde; dass es aber, solange die Annahme des Prinzips nicht erfolgt, bei der Verdoppelung der Gruppen sein Verbleiben hätte.

In Betreff der Mischung von Landtags- und Landesabgeordneten, wie sie der Plan des Ministers des Innern involviert, glaube er, dass es vielleicht möglich wäre, für ein einzelnes Land, speziell Galizien, eine Ausnahme zu machen, wie etwa in Ungarn für Kroatien; im großen Ganzen sei aber eine solche Mischung unausführbar, weil die Vertretung der Minoritäten bei der Wahl aus der Mitte der Landtage entfallen und das Vertretungsverhältnis im Reichsrate gänzlich verschoben würde.

Was er, der Finanzminister, am leichtesten vertreten könnte und womit er zugleich in Konsequenz mit seinem früheren Standpunkt bleiben würde, ist die Vindizierung der Wahlreform für die Reichsgesetzgebung in voller Unabhängigkeit von den Landtagen.

Der Ackerbauminister erklärt, er sei zwar keine Autorität in dieser Sphäre legislatorischer Arbeiten, allein über die politische Bedeutung der vorliegenden Projekte könne er seine Ansicht, und zwar in der dezidiertesten Art dahin aussprechen: Der Antrag des Justizministers sei als im Geiste der Verfassung verfasst anzuerkennen; er sei ein ehrliches Gesetz, das sich verteidigen lasse und dem selbst die positivsten Gegner nicht den Vorwurf werden machen können, es sei dem Geiste der Verfassung widerstreitend. Bei aller Anerkennung dieses Vorzuges zweifle er, dass der Antrag Aussicht habe, im Reichsrat die Majorität zu erlangen. Die Modalitäten des vom Minister des Innern skizzierten Planes scheinen ihm aber in einem ganz anderen als in dem Geiste der Verfassung entworfen zu sein und könnte sich das Ministerium, wenn es ihn adoptierte, dem Tadel nicht entziehen, dass es, indem es selbst daran geht, den Geist der Verfassung zu ändern, auch den Feinden der Verfassung das Recht ausliefere, Hand an dieselbe zu legen. Er stimme daher unbedingt gegen das Projekt des Ministers des Innern.

Der Unterrichtsminister sieht die Regierung durch die Umfrage bei den Landtagen und durch die von letzteren abgegebenen Voten in die Zwangslage versetzt, ein Wahlreformgesetz einzubringen, und dieser politischen Lage Rechnung tragend spreche er sich, so wenig Hoffnung er gleich dem Finanzminister für die Durchführung hege, für eine Vorlage aus. Was diese selbst anbelangt, so werde es auf eine Detailerwägung des vom Justizminister eingebrachten Elaborates ankommen, da dem Ministerrate ein anderes nicht vorliegt. Wenn die Regierung etwas getan haben werde, was sie relativ am besten vertreten kann und wodurch sie relativ den mindesten Angriffen ausgesetzt wird, so müsse sie sich resignieren, wenn ihr ein Erfolg nicht zuteil wird. Er lege auf die Verdoppelung keinen Wert. Wolle man eine Transaktion, so müsse man zu einem Modus greifen, der die autonomen Bestrebungen am wenigsten verletzt, und diese Eigenschaft scheine ihm die Proposition des Justizministers zu besitzen.

Der Justizminister wiederholt, dass der Reichsrat absolut nicht imstande sei, ein Reichsratswahlgesetz zu machen, worauf der Minister des Innern erklärt, dass es ohneweiters den Landtagen überlassen werden möge, er wolle dies gern zugeben. Der Justizminister konstatiert dies als ein wesentliches Zugeständnis.

Der Ministerpräsident findet, dass sich der Antrag des Ministers des Innern durch seine Kürze und durch die Schnelligkeit empfehle, mit der er durchgeführt werden kann. Der Antrag des Justizministers sei ein komplizierterer. Der Schwerpunkt der Differenz falle aber in die Frage, ob der Reichsrat befugt ist, die Wahlreform nach dem Projekt des Ministers des Innern mit Hintansetzung der Landtage zu beschließen, oder ob man, wie dies im Sinne des vom Justizminister vorgelegten Entwurfes gelegen ist, nicht ganz unabhängig von den Landtagen vorzugehen habe.

Der Minister des Innern glaubt bemerken zu müssen, dass das Recht der Landtage, den Reichsrat nach ihren Landesordnungen zu beschicken, nicht bestritten, sondern dem Reichsrat nur die Ergänzung im Wege der Reichsgesetzgebung unabhängig, ob die Landtage zu der Vermehrung und dem Modus derselben die Zustimmung geben, vindiziert werden soll.

Der Ministerpräsident fordert hienach den Justizminister auf sich auszusprechen, ob er den Reichsrat für berechtigt halte, unabhängig von den Landtagen zu dem bestehenden Reichsrat eine zweite in der Verfassung nicht vorgesehene Hälfte anzufügen, und im bejahenden Falle, ob es im Geiste der Verfassung gelegen und vom Standpunkte der Durchführbarkeit politisch rätlich sei.

Der Justizminister ist des Erachtens, dass das Recht der Landtage nicht weiter gehe, als dass sie die in der Landesordnung bestimmte Zahl der Abgeordneten zu entsenden haben, und letzteres sehe er allerdings als ein Recht der Landtage, als eine positive gesetzliche Bestimmung und nicht wie der Finanzminister als eine bloße Zitation aus dem Gesetze über die Reichsvertretung an. Die Berechtigung des Reichsrates aber, die Bestimmungen über die Vermehrung zu treffen, würde er nicht bezweifeln, doch halte er es nicht für rätlich, dieses Recht sensu strictissimo auszuüben, da es im Sinne der Verfassung liegt, dass wenn auch nicht die Landtage, so doch die Länder auf die Entsendung einen Einfluß zu nehmen und darüber ein Wort mitzusprechen haben.

Der Finanzminister will von Opportunitätsrücksichten absehen, vom Rechtsstandpunkte aber sei die Bestimmung über Reichsratswahlen unbedingt Sache der Reichsgesetzgebung. Selbst auf den Geist der Verfassung könne man sich nicht stützen. Der föderative Geist sei nirgends ausgebildeter als in Nordamerika und der Schweiz, und von letzterer könne er mit Gewissheit behaupten, dass das Wahlgesetz Sache der Gesamtgesetzgebung ist und in die Kompetenz des Nationalrates gehört, der mit dem Abgeordnetenhause in Österreich äquipariert.

Der Justizminister meint, der förderative Standpunkt gehe in seinem Extrem dahin, die Länder als vollkommen selbständig zu betrachten. Der richtige Standpunkt sei der, sie als Individualitäten zu betrachten, wie sie die Februarverfassung durch die Bestimmung kennzeichnet: „Aus dem Königreiche Böhmen werden entsendet“ usw. Hätte man die Länder nicht als Individualitäten betrachtet, dann würde z. B. auf Vorarlberg nicht die Zahl von zwei Abgeordneten entfallen sein. Übrigens haben die Länder jetzt schon einen wichtigen Einfluß auf die Gesetzgebung in Reichsratswahlen. Sie entscheiden z. B., wer als Großgrundbesitzer anzusehen ist, was wichtiger sei, als wie viele zu entsenden sind, welcher Einfluß aber entfiele, wenn direkte Wahlen unabhängig von den Landtagen eingeführt würden. Eine Bedrückung der Minoritäten durch die Landtage besorge er nicht, denn ein Landtagsbeschluss sei noch kein Landesgesetz, dazu gehöre die Sanktion der Krone, welche Gewalttätigkeiten der Landtage gegenüber den Minoritäten nicht zugeben werde.

Der Ministerpräsident will die behauptete Berechtigung des Reichsrates als ein formales Recht nicht bestreiten, aber bestreiten müsse er, dass es mit dem Geiste der Verfassung vereinbar sei, die Beschickung des Reichsrates unabhängig von dem Einflusse der Landtage zu ändern. Der Geist der Verfassung ergebe sich aus den von ihm bereits zitierten Bestimmungen des Oktoberdiploms, der Februarverfassung, der Landesordnungen und der Dezemberverfassung. In allen diesen Gesetzen werde den Landtagen das Recht gewährleistet, eine festgesetzte Zahl von Abgeordneten in den Reichsrat zu entsenden. Man müsste dem Geiste dieser Gesetze Zwang antun, wollte man in dieses Recht einen anderen Sinn als den der Ausschließlichkeit legen. Bei der Erlassung dieser Gesetze sei gewiss nicht im entferntesten daran gedacht worden, dass dem Reichsrat noch ein weiterer Reichsrat angefügt werden soll, den andere Elemente als die Landtage zu beschicken das Recht hätten. Der triftigste Beweis hiefür sei die Ausnahmsbestimmung direkter Gruppenwahlen für den Fall, dass die Beschickung aus einem Landtage nicht zum Vollzug gelangen kann. Nach dieser Ausnahmsbestimmung erscheine es unzweifelhaft, dass nur, wenn der Landtag auf sein Entsendungsrecht verzichtet, eine Änderung in Betreff der Beschickung vorgenommen werden kann. Solange aber ein Landtag auf seinem gesetzlichen Beschickungsrecht besteht, glaubt der Ministerpräsident, dass es, wenn auch vielleicht nicht dem streng formalen Rechte, so doch dem Geiste der Verfassung zuwiderlaufe, andere Faktoren als die Landtage zur Beschickung des Abgeordnetenhauses heranzuziehen.

Minister Dr. Berger findet die Basis für die Entscheidung der Rechtsfrage im Oktoberdiplom. Wenn man die Artikel I, II, III lese, so komme man dahin, dass alle Gesetzgebung ihre Wurzel in den Landtagen habe, und dass selbst im Reichsrate in den ihm vorbehaltenen Gegenständen das Gesetzgebungsrecht mittelbar von den Landtagen durch die von ihnen ausgesendeten Delegationen geübt wird. Dies wurde auch bei dem Delegationsgesetze über die gemeinsamen Angelegenheiten anerkannt, wonach die Wahl der Delegationen aus den Reichsratsmitgliedern der einzelnen Länder zu erfolgen hat. Noch mehr bekunde das Notwahlgesetz das Recht der Landtage, da selbes bei einem einzelnen Land nur dann zur Ausführung zu gelangen habe, wenn dort die Wahl der Abgeordneten aus dem Landtage nicht zustande kommt, d. h., wenn der Landtag faktisch die Wahl nicht vornimmt, somit auf sein Wahlrecht verzichtet. Dass in der Tat der Reichsrat nur unter dem Gesichtspunkte der Zusammensetzung aus den Landtagen zu betrachten ist, beweise das Kundmachungspatent zur Februarverfassung, welches mit offenbarer Beziehung auf das Wahlrecht der Landtage von der „Zusammensetzung“ des Reichsrates spricht. Alle diese Argumente sprechen unzweifelhaft für das selbständige Recht der Landtage, den Reichsrat zu bilden. Er verwerfe daher jeden Vorgang, der dieses Recht der Landtage ignoriert, dem Reichsrate seinen ursprünglichen Charakter benimmt und aus ihm ein zur Hälfte aus Landtagsabgeordneten, zur anderen Hälfte aus direkt gewählten Landesboten bestehendes Zwitterding schafft. Wohl könne er sich denken, dass man mit Beachtung der Rechte des Landtages durch diese selbst dahin wirkt, direkte Wahlen zustandezubringen, und nur für ein solches Projekt könnte er stimmen. Er sei daher gegen den Entwurf des Ministers des Innern und betrachte jenen des Justizministers eher für ein Projekt, das zur Diskussion geeignet ist.

Der Minister des Innern wendet sich gegen die seinem Antrage gemachte Ausstellung, dass er dem Geiste der Verfassung widerstreite. Er räume ein, dass der Geist der Verfassung durch sein Projekt eine Änderung erleide, aber habe nicht auch das Oktoberdiplom durch das Februarpatent und letzteres durch die Dezemberverfassung eine Änderung erlitten? In der Dezemberverfassung wurde den Landtagen weit mehr Autonomie geschaffen, das Zentralisationssystem auf ein Minimum reduziert. Sie sei gewissermaßen die Vermittlung zwischen dem Oktoberdiplom und der Februarverfassung. Das sei ihr Geist. Er erinnere aber daran, dass bei ihrer Erlassung schon die Notwendigkeit ihrer Revision, um Frieden im Reiche herbeizuführen, in Aussicht genommen worden ist. Warum soll man sich immer dieser Notwendigkeit verschließen, wenn sie wirklich da ist? Das Sträuben dagegen, dass ein Reformprojekt nicht im Geiste der gegenwärtigen Verfassung gelegen ist, scheine ihm unmotiviert. Ja noch mehr – nicht bloß die Revision der Landesordnungen, sondern auch die Revision der Verfassung selbst durch den neugewählten Körper sei eine Notwendigkeit. Er mache kein Hehl daraus und sei bereit, diese Erklärung mit Ermächtigung des Ministerrates auch im Hause zu machen3.