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VORWORT

Der vorliegende Band ist der zweite der Edition „Die Protokolle des cisleithanischen Ministerrates 1867–1918“, die als dritte Serie der „Protokolle Österreichs und der österreichisch-ungarischen Monarchie 1848–1918“ vom Institute for Habsburg and Balkan Studies herausgegeben wird. Er umfasst die Protokolle des cisleithanischen Ministerrates 1868–1871. Zur Edition im Allgemeinen und zu den Editionsrichtlinien verweisen wir auf den Beitrag „Zur Edition der cisleithanischen Ministerratsprotokolle 1867–1918“ im ersten Band dieser Reihe.

Während der erste Band (1867) die Transformation des Kaisertums Österreich in Österreich-Ungarn behandelt hat, beschäftigt sich dieser nun tatsächlich mit Cisleithanien. Im Delegationsgesetz nahm der Reichsrat den österreichisch-ungarischen Ausgleich an. Es erhielt am 21. Dezember 1867 die kaiserliche Sanktion. Der Wirkungskreis der bisher für die Gesamtmonarchie zuständigen staatlichen Institutionen reduzierte sich auf das Gebiet, das offiziell „die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ hieß, aber inoffiziell oft Cisleithanien genannt wurde. Am 1. Jänner 1868 nahm die Regierung unter Ministerpräsident Carlos Fürst Auersperg ihre Tätigkeit auf. In ihr waren die nunmehr gemeinsamen Minister nicht mehr vertreten, der Minister des Äußern und des Kaiserlichen Hauses sowie der Reichskriegsminister – für ihre Ausgabenverwaltung wurde als drittes ein gemeinsames Finanzministerium neu geschaffen – und der Wirkungskreis der anderen Minister war auf das Gebiet Cisleithaniens reduziert worden.

Neben diese neuen organisatorischen Rahmenbedingungen trat eine zweite grundlegende Veränderung. Die Dezemberverfassung vom 21. Dezember 1867 baute die konstitutionellen Rechte Cisleithaniens aus, deren Grundsteine mit dem Oktoberdiplom und dem Februarpatent gelegt worden waren. Die Regierung war zukünftig mehr als bisher an eine Zusammenarbeit mit dem Reichsrat gebunden und in der ersten cisleithanischen Regierung waren gerade die konstitutionellen Kräfte stark vertreten. Geografisch grenzte sich Cisleithanien zu Ungarn ab, inhaltlich rangen deutschliberal-zentralistische und konservativ-föderalistische Kräfte um die zukünftige Gestaltung der Monarchie.

Beides dokumentieren die Protokolle. Der ersten deutschliberal geprägten Regierung gelang es bis Anfang 1870 nicht, im zentralistischen Sinne die Abhängigkeit des Reichsrates (und damit der Regierung) von den Landtagen durch ein neues Wahlgesetz zu reduzieren. Ebensowenig gelang es den folgenden beiden Regierungen Potocki und Hohenwart, über einen Ausgleich mit den Tschechen und den Polen und die Föderalisierung Cisleithaniens eine konservative Wende einzuleiten.

Dieser Band deckt einen fast vierjährigen Zeitraum ab, in dem sich der Ministerrat 618 Mal traf. Der Großteil dieser Protokolle fiel dem Justizpalastbrand zum Opfer. Die Behandlung vieler Themen im Ministerrat ist daher im Weg der Protokolle nicht mehr erhalten, nur mehr ihre Tagesordnungen legen Zeugnis von der Tätigkeit des Ministerrates ab. So groß dieser Verlust auch ist, so haben doch mehrere Protokolle, wenn auch teilweise in Fragmenten, den Brand überdauert. Darunter befinden sich auch solche mit sehr bedeutenden Themen wie der galizische Ausgleich mit den Polen oder der Hohenwart’sche Ausgleichsversuch mit den Tschechen. Umso wichtiger ist es daher, das, was den Brand überdauert hat, zu bewahren.

Thomas Kletečka hat die Protokolle kommentiert, Richard Lein die Einleitung verfasst und die Anpassungen für die Digitalisierung vorgenommen. Die Erstellung des Drucksatzes der Printversion und der digitalen Version lag in den Händen von Stephan Kurz. Wie bereits der erste Band wird auch dieser Band unter https://mrp.oeaw.ac.at digital publiziert. Dieser Band wird zudem als erster in hybrider Erscheinungsweise aus einer frei lizensierten XML-Datenquelle erstellt.

Das Projekt der Edition der Ministerratsprotokolle 1848–1918 benötigt die Zusammenarbeit mit vielen Stellen. Für die finanzielle Grundlage danken wir dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Die Basis der Arbeit an diesem Editionsprojekt ist das Entgegenkommen, das uns stets vom Österreichischen Staatsarchiv erwiesen wird. Auch ihm und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebührt unser ausgesprochener Dank.

Wien, im Frühjahr 2022 Franz Adlgasser, Thomas Kletečka, Richard Lein, Anatol Schmied-Kowarzik