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Nr. 30 Ministerrat, Wien, 15. und 16. Juni 1867 1867-06-15 1867-05-16

RS. fehlt; Abschrift, Ava.,Ministerratsprotokolle, Karton 33 (Abschriften Prof. Redlich) ; Wortlaut und Datum der Ah. Entschließung: Hhsta.,Kabinettskanzlei, Protokoll 1867 .

P. Hueber; VS. Beust; anw. Komers, John, Becke, Taaffe.

Druck (V-VII): Walter,Zentralverwaltung 3/4, Nr. 45 .

Ministerratsprotokoll vom 15 und 16. Juni 1867 unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Freiherrn v. Beust.

I. Antrag auf Verleihung der geheimen Ratswürde an Grafen Wladimir Mittrowsky.

[I.-IV. fehlen]

V. Zeitpunkt über die Einbringung der übrigen Gesetzesvorlagen an das Abgeordnetenhaus.

V. Der Ministerpräsident bezeichnete es als notwendig, den Abgeordneten des Reichsrates nunmehr die vier Gesetzesvorlagen und zwar a) des Gesetzes, wodurch das Grundgesetz über die Reichsvertretung vom 26. Februar 1861 abgeändert wird; b) des Gesetzes, wodurch der § 13 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung vom 26. Februar 1861 abgeändert wird; c) des Gesetzes über die Verantwortlichkeit der Minister für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder; und d) des Gesetzes über die Delegationen im Allgemeinen und insbesondere über die Delegation des Reichsrates, in nächster Sitzung zu machen1. Der Verfassungsausschuss2 werde diese Vorlagen in die Hand nehmen und einen Vorbericht erstatten. Es werde dann darauf ankommen, vor allem die Delegationen in Fluss zu bringen und den Vorschlag einzubringen, dass der Reichsrat zur Wahl der Delegation schreite, was dann auch in Ungarn von Seite des ungarischen Ministeriums zu geschehen haben wird.

Die Konferenz einigte sich sohin, dass an den Gesetzentwürfen a) und b), wie sie aus den letzten Ministerberatungen hervorgegangen seien, eine Änderung nicht mehr vorzunehmen sei, dass dagegen der Gesetzentwurf c) über die Ministerverantwortlichkeit und der Gesetzentwurf d) über die Delegationen noch einige Modifikationen erheische3.

Graf Taaffe meinte sogar, dass man dem Reichsrate einstweilen nur die Gesetzentwürfe a), b) und c) vorlegen und jenen d) über die Delegationen noch näher überlegen und nachträglich vorlegen sollte. Dieser Meinung trat jedoch der Ministerpräsident entgegen, der es für opportun hielt, auch diese Vorlage unter einem einzubringen, zumal die noch nötigen Modifikationen ohne Anstand sogleich vorgenommen werden können4.

VI. Gesetzentwurf über die Verantwortlichkeit der Minister.

VI. Der Justizminister meinte, ein Ministerverantwortlichkeitsgesetza 5 könne nur zum Schutze der Verfassung erlassen werden und das Einbringen eines solchen an die Kammern könne nur auf das Folgen in freiheitlicher Richtung von Seite der Regierung schließen lassen. Wenn nun das Gesetz in der Fassung, wie es aus der letzten Beratung im Ministerrate hervorgegangen ist, eingebracht wird, werde es so gut wie keine Wirkung äußern und die Regierung sich der Gefahr aussetzen, verlacht zu werden. Nach seinem Dafürhalten sollten daher die beiden in dem ursprünglichen Entwurfe enthalten gewesenen und später aus demselben eliminierten Bestimmungen wieder aufgenommen werden, dass auch auf Versetzung des schuldig befundenen Ministers in den Ruhestand mit dem normalmäßigen oder einem geringeren Pensionsbezuge oder auf gänzliche Entlassung aus dem Staatsdienste erkannt werden kann, dann, dass der Kaiser das Recht der Begnadigung zu Gunsten eines schuldig befundenen Ministers nicht ohne einen hierauf gestellten Antrag des Hauses der Abgeordneten ausüben wird.

Der Minister Freiherr v. Beust bemerkte, dass er auf der Basis der monarchischen Auffassung dafür gestimmt habe, dass das Urteil nur ausdrücken soll, ob der Angeklagte für schuldig oder schuldlos befunden werde, dass daher die Strafsätze in das Gesetz nicht aufgenommen werden, insbesondere deshalb, weil er die moralische Strafe, welche in dem Verdikte einer solchen Versammlung liege, für genügend gehalten habe. Da sich indessen gegen gewisse Strömungen der Zeit schwer ankämpfen lasse, teile er jetzt die Meinung, dass solche Betrachtungen derzeit rein verpuffen würden, und stimme, ohne sich deshalb einer Inkonsequenz zeihen lassen zu wollen und noch immer fest daran haltend, dass die Bestimmungen des § 10 nach der letztbeschlossenen Fassung viel rationeller wären, aus Opportunitätsrücksichten, um dem Gesamtministerium keine Verlegenheit zu bereiten, dafür, dass auf die ursprünglichen Bestimmungen nach dem Antrage des Justizministers zurückgekommen werde.

Da auch die übrigen Konferenzmitglieder diese Ansicht teilten, wurde die zweite Alinea des § 10 in nachstehender Weise modifiziert: „Die gesetzliche Folge dieser Verurteilung ist immer die Entfernung des Verurteilten aus dem Rate der Krone, es kann jedoch auch auf Versetzung des schuldig Befundenen in den Ruhestand mit dem normalmäßigen oder einem geringeren Personalbezuge oder auf gänzliche Entlassung aus dem Staatsdienste erkannt werden.“ Dann hätte die dritte Alinea des § 10 zu folgen: „Das Urteil kann überdies nach Umständen etc.“

Weiters wäre nach Ministerratsbeschluss als neuer § 12 einzuschalten: „Der Kaiser wird zu Gunsten eines schuldig befundenen Ministers das Recht der Begnadigung und, falls auf Entlassung aus dem Staatsdienste erkannt wurde, das Recht auf Wiederanstellung oder auf Erteilung eines Ruhegenusses nicht ohne einen hierauf gestellten Antrag des Hauses der Abgeordneten ausüben.“

Der Minister Freiherr v. Becke hielt es, wenn das Ministerverantwortlichkeitsgesetz zustande kommt, für dringend notwendig, eine umfassende Dienstpragmatik für die Staatsbeamten zu erlassen6.

VII. Gesetzentwurf über die Delegationen.

VII. Der Ministrpräsident hielt eine Modifikation bzw. Ergänzung des aus der Ministerberatung7 hervorgegangenen Gesetzentwurfesb in zweifacher Richtung für notwendig und zwar a) eine Modifikation des § 2 über die Art der Wahlen in die Delegation mit Rücksicht auf das den Polen gemachte Zugeständnis, dass die 38 galizischen Abgeordneten für sich ohne Einmischung anderer Abgeordneten die auf sie verhältnismäßig entfallende Zahl der Delegierten zu wählen und dabei die Freiheit haben werden, auf was immer für Abgeordnete zu greifen, sei es, dass dieselben aus ihrer Mitte oder sonst aus dem Hause gewählt werden8, und b) eine Ergänzung, auf deren Notwendigkeit Se. Majestät aufmerksam zu machen geruhten, nämlich die Wiederaufnahme der in dem ursprünglichen Entwurfe enthalten gewesenen und später gestrichenen Bestimmungen über das Recht, das gemeinsame Ministerium zur Verantwortung zu ziehen9.

Nachdem sich ad a) eine längere Debatte über den Wahlmodus und über die Vorteile und Nachteile des einen oder des anderen entsponnen und nachdem insbesondere der Justizminister die Ansicht ausgesprochen hatte, dass es für die Regierung von keiner großen Bedeutung sei, ob das Abgeordnetenhaus die Delegierten aus dem ganzen Hause wähle oder ob die Landtagsabgeordneten die Delegierten aus sich wählen, dass es dagegen gefährlich wäre, Gruppierungen von Ländern, z. B. Böhmen, Mähren und Schlesien, vorzunehmen, weil dies zu Föderalismus führen würde, und nachdem Baron Becke entgegnet hatte, dass er vor einem Föderalismus im Schoße des Reichsrates selbst nicht zurückscheuen würde, wurde sich im Prinzipe dafür geeinigt, dass die 40 Delegierten des Abgeordnetenhauses von den Abgeordneten der einzelnen Landtage gruppenweise aus der Gesamtheit der Mitglieder des Hauses zu wählen seien.

Der Minister Graf Taaffe übernahm es, den Verteilungsschlüssel hiefür zu entwerfen und hierüber in dem morgigen Ministerrate Vortrag zu halten.

Fortsetzung am 16. Juni 1867.

Der dem Ministerrate beigezogene Referent des Ministeriums des Inneren Ministerialrat Ritter von Stählin bemerkte, dass die Verteilung in der Art geschehen könne, dass das Plenum aus den Gruppen oder die Gruppen aus dem Plenum wählen. Jedenfalls sollte jedem Lande vorweg ein Delegierter zugewiesen werden, so dass nach Abschlag von 17 von der Zahl 40, die das Abgeordnetenhaus in die Delegation zu wählen hat, noch 23 verblieben, die auf die größeren Länder zu verteilen wären. Bei 203 Abgeordneten und 40 Delegierten entfallen auf 5 Abgeordnete (genauer in Dezimalen auf 5,075) ein Delegierter. Der Rest von 23 Delegierten käme sonach (nach Abschlag von 5, welche durch die vorgängige Zuteilung je eines Delegierten für jedes Land von der Gesamtzahl der Abgeordneten aus jedem Lande10 abzurechnen sind) in dem Verhältnisse von 49 (Böhmen), 33 (Galizien), 13 (Österreich unter der Enns), 5 (Österreich ob der Enns), 8 (Steiermark), 17 (Mähren) und 5 (Tirol) zu verteilen. Die Verteilung gestaltet sich hiernach folgendermaßen:

Land Zahl der Delegierten Zahl der Ersatzmänner
Grundzahl hiezu die verhältnismäßige Aufteilung Gesamtzahl Grundzahl hiezu die Aufteilung Gesamtzahl
Böhmen 1 8,67 10 1 1 2
Dalmatien 1 1 1 1
Galizien 1 5,84 7 1 1 2
Österreich unter der Enns 1 2,30 3 1 1
Österreich ob der Enns 1 0,88 2 1 1
Salzburg 1 1 1 1
Steiermark 1 1,42 2 1 1
Kärnten 1 1 1 1
Krain 1 1 1 1
Bukowina 1 1 1 1
Mähren 1 3,01 4 1 1 2
Schlesien 1 1 1 1
Tirol 1 0,88 2 1 1
Vorarlberg 1 1 1 1
Istrien 1 1 1 1
Görz 1 1 1 1
Triest 1 1 1 1
Zusammen 17 23,00 40 17 3 20

Der Minister Graf Taaffe bemerkte, dass dieser Verteilungsschlüssel den Vorteil habe, dass die kleinen Länder, auf welche nach der Anzahl ihrer Landtagsabgeordneten kein Delegierter entfiele, durch die Annahme der Grundzahl 1 ebenfalls einen Delegierten erhalten und somit vor Föderalismus geschützt werden, wodurch die Autonomisten befriedigt sein werden. Durch die proponierte Wahlmodalität werde aber auch die gegenwärtige Majorität des Abgeordnetenhauses deshalb zufriedengestellt sein, weil aus der Gesamtheit gewählt werden kann.

Nachdem der Ministerialrat Ritter v. Stählin noch eines zweiten Verteilungsschlüssels, bei welchem der Abzug von 5 Abgeordneten von der Gesamtzahl der Abgeordneten jedes Landes mit Rücksicht auf die vorgängige Zuteilung je eines Delegierten für jedes Land nicht gemacht wurde, Erwähnung gemacht hatte, einigte sich die Konferenz für den erstangeführten Schlüssel, und es proponierte nur der Ministrpräsident , die nicht genug deutliche Fassung der zweiten Alinea des § 2 des Gesetzentwurfes (Beilage 3) „Die auf das Haus der Abgeordneten entfallenden vierzig Mitglieder werden von den Abgeordneten der einzelnen Landtage gruppenweise in nachstehender Verteilung aus der Gesamtheit der Mitglieder des Hauses entsendet.“11 in nachstehender Weise zu modifizieren: „Die auf das Haus der Abgeordneten entfallenden vierzig Mitglieder werden in der Weise gewählt, dass die Abgeordneten der einzelnen Landtage nach dem nachstehenden Verteilungsmodus die Delegierten entsenden, wobei ihnen freisteht, dieselben aus ihrer Mitte oder aus dem Plenum des Hauses zu wählen.“ Diese Fassung wurde allseitig angenommen.

Ministerialrat Ritter v. Stählin fragte sohin an, ob es ihm gestattet sei, jene Bedenken vorzubringen, welche er gegen die Abteilung [sic!] des aktiven Wahlrechtes in die Gruppen der Abgeordneten nach den Ländern hegen müsse, worauf ihm von dem Ministerpräsidenten bedeutet wurde, dass dies schon eine beschlossene Sache sei, auf welche nicht mehr zurückgegriffen werden könne12.

Ad b) bemerkte Minister Graf Taaffe der Ansicht gewesen zu sein, dass die Bestimmung über die Verantwortlichkeit des gemeinsamen Ministeriums in das Delegationsgesetz nicht aufzunehmen sei, weil sie mit dem dem Reichsrate vorzulegenden (cisleithanischen) Ministerverantwortlichkeitsgesetze im Widerspruche stehe. Er habe vielmehr geglaubt, dass eine eigene Vorlage hierüber den beiderseitigen Ländervertretungen gemacht werden solle. Wenn jedoch hierüber in das Delegationsgesetz etwas aufgenommen werden soll, müsse man sich an den von Sr. Majestät als König von Ungarn Ah. sanktionierten Landtagsbeschluss über das 67er Elaborat halten, wonach die §§ 11, 12 und 13 des ursprünglichen Entwurfes über den Reichssenat (Beilage 4)c 13 in das Delegationsgesetz aufzunehmen wären. Etwas Anderes erübrige nicht. Die §§ 11 und 12 seien nämlich identisch mit den diesbezüglichen Bestimmungen des erwähnten Landtagsartikels, und § 13, der die Bestimmungen über das Verfahren einem eigenen Gesetze vorbehält, sei nur geeignet, eine Lücke des Landtagsartikels auszufüllen.

Der Minister Freiherr v. Becke und der Ministrpräsident waren gleichfalls der Ansicht, dass die Bestimmungen über das Recht der Delegationen, das gemeinsame Ministerium zur Verantwortung zu ziehen, in das Delegationsgesetz und zwar in der Weise aufzunehmen seien, wie dies in den §§ 11, 12 und 13 des ursprünglichen Entwurfes normiert war, und zwar in letzterer Beziehung Baron Becke insbesondere aus dem Grunde, weil, da Se. Majestät einmal den Landtagsbeschluss über das 67er Elaborat genehmigt habe, alle hierauf bezüglichen Vorlagen im Geiste desselben gehalten werden müssen. Der Ministrpräsident machte darauf aufmerksam, dass sich in der Folge eine Menge von Gesetzesmodifikationen infolge des erwähnten sanktionierten ungarischen Landtagsartikels von selbst ergeben werden, dass es daher für die Regierung nicht politisch klug wäre, im vorliegenden Falle mit dem Beispiele voranzugehen, dass es anders werden soll.

Dem Justizminister schien es anormal, dass für das cisleithanische und für das Reichsministerium ein anderer Gerichtshof, eine Kommission des Herrenhauses und eine Kommission aus unabhängigen und gesetzkundigen Staatsbürgern14 bestellt werden soll. Seines Wissens werden die Richter über einen angeklagten Minister in keinem konstitutionellen Staate anders als aus den Kammern gewählt. Er erachtete daher vorschlagen zu sollen, dass im Delegationsgesetz die Verantwortlichkeit des gemeinsamen Ministeriums nur im Prinzipe ausgesprochen und beiläufig gesagt werde: „Das Recht, das gemeinsame Ministerium zur Verantwortung zu ziehen, wird von der Delegation geübt. Ein eigenes Gesetz wird die näheren Bestimmungen über das Verfahren enthalten.“ Der Kriegsminister schloss sich dem Antrage des Justizministers an, weil auch die §§ 11, 12 und 13, die von der Majorität der Konferenz aus dem früheren Entwürfe restituiert werden wollen, nichts Fertiges enthalten, indem auch der § 13 auf ein eigenes Gesetz über das Verfahren hinweist.

Der Ministrpräsident konstatierte, dass der Antrag des Justizministers auf einer irrtümlichen Voraussetzung beruhe. In Sachsen z. B. bestehe der Modus, dass der Strafgerichtshof für die angeklagten Minister bei jedem neuen Landtage erneuert wird. Die eine Hälfte der Richter wähle der König, die andere Hälfte aber die Kammer, die nicht gehalten sei, diese Richter gerade aus sich zu wählen, sondern vielmehr befugt sei, dieselben aus dem Volke zu wählen, was auch meistens und zwar aus dem Advokatenstande geschehe.

Da dieser Gesetzentwurf, in welchem nach dem Majoritätsbeschlusse die §§ 11, 12 und 13 aus dem früheren Entwürfe nach dem § 9 des neuen Entwurfes einzuschalten wären, am nächsten Montag, d. i. am 17. Juni, dem Abgeordnetenhause vorgelegt werden soll, lud der Ministrpräsident die Konferenzmitglieder ein, sich mit ihm sogleich zu Sr. Majestät zu begeben, um über die letztberührte Meinungsverschiedenheit Se. Majestät um die Ah. Entscheidung au. zu bitten15.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. 8. Juli 1867.