MRP-2-0-07-0-19181022-P-0041.xml

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Gemeinsamer Ministerrat, 22. 10. 1918

I. Stellungnahme zur amerikanischen Antwortnote vom 18. Oktober 1918

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z41.pdf.

         Debatte in der Nachmittagssitzung in Zusammenhang stand. Das Protokoll der
        Nachmittagssitzung wurde jedoch weder vom Minister des Äußern, noch vom Proto¬
        kollführer unterzeichnet. -- Ebd. die Konzepte der beiden Sitzungsprotokolle. Das der
        Vormittagssitzung mit der Handschrift des Protokollführers Colloredo, das der
         Nachmittagssitzung in Maschinenschrift. Letzteres mit dem Handzeichen Buriäns.

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                                                                                Wien, 22. Oktober 1918

        Der Ministerrat entscheidet sich für einen sofortigen Friedensschluß. In der Debatte
        über die Antwort an Wilson wird durch den ungarischen Standpunkt, der starr am
        Dualismus festhält, ja eine Personalunion anstrebt, ein scharfer Gegensatz hervorge¬
        rufen.

            Die letzte Sitzung des gemeinsamen Ministerrates, über die noch ein Protokoll
        verfaßt wurde. Das Habsburgerreich befand sich zu dieser Zeit bereits in totaler
        Auflösung. Das Manifest des Herrschers vom 17. Oktober hatte die föderalistische
        Umgestaltung der österreichischen Hälfte der Monarchie versprochen. Dieses Verspre¬
        chen war jedoch weniger als das, was die Völker damals auf Grund der tatsächlichen
        Kräfteverhältnisse forderten. Die ungarischen Politiker aber waren der Ansicht, die
        Föderalisierung der österreichischen Provinzen bedeute für Ungarn, daß es seiner im
        Ausgleich übernommenen Verpflichtungen entbunden wird, daß diese Umgestaltung
        eine Verbreiterung des dualistischen Systems darstelle. Ministerpräsident Wekerle
        nahm im ungarischen Parlament am 16. Oktober für eine Personalunion Stellung.
        Der Zerfallsprozeß erreichte seinen Höhepunkt durch die auf das Friedensangebot
        der Mittelmächte vom 4. Oktober von Wilson gegebene und einen Tag vor dem Kronrat
        in Wien eingetroffene Antwort, in der er den zehnten seiner vierzehn Punkte als von
        den Ereignissen überholt bezeichnete. Nach Wilson ist nämlich der tschechoslowakische
        Nationalrat de facto eine kriegführende Regierung, und so könne die im 10. Punkte
        skizzierte Autonomie die Tschechen und die Slowaken, doch auch die Südslawen nicht
        befriedigen.

Protokoll des zu Wien am 22. Oktober 1918 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬
same Angelegenheiten, unter dem Allerhöchsten Vorsitze Seiner Majestät des
Kaisers und Königs.

   KZ. - G.M.K.P.Z. 553.

   Gegenwärtige: der k.u.k. Minister des Äussern Graf B u r i ä n, der kgl. ung.
Ministerpräsident Dr. Wekerle, der k.k. Ministerpräsident Freiherr von
Hussarek, der k.u.k. Kriegsminister GO. Freiherr von Stöger-Steiner,
der k.u.k. Gemeinsame Finanzminister Freiherr von Spitzmüller, der
Chef des k.u.k. Generalstabes GO. Baron A r z.

   Protokollführer: Legationsrat Graf Colloredo-Mannsfeld.

   Gegenstand: Stellungnahme zur amerikanischen Antwortnote vom 18. Oktober
1918.

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<pb/>   Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen den Kronrat um
10 % Uhr zu eröffnen. Zur Diskussion -- so bemerkte Seine Majestät -- stehe
die Note des Staatssekretärs Lansing vom 18. Oktober 1918 und die Gesichts¬
punkte, welche bei Beantwortung derselben zur Geltung gebracht werden sollen.
Was Österreich anbelange, so sei durch Erlassung des kaiserlichen Manifestes
vom 16. Oktober1 eine Grundlage geschaffen, die ein Fortspinnen der Konver¬
sation mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten ermögliche. Als gekrönter
König von Ungarn stehe Seine Majestät selbstverständlich auf dem Standpunkt,
dass er die Integrität und Einheit des Königreiches zu wahren habe; Seine Majestät
sei entschlossen, um dieser Prinzipien willen den Kampf bis zum Äussersten
fortzusetzen, bis zum endgültigen Zusammenbruch, wenn dies dem Willen der
Völker entspreche; Seine Majestät müsse indessen der ungarischen Regierung
und den politischen Parteien, welche diese unterstützen, zu bedenken geben,
was auf dem Spiele stehe, was durch ein baldiges Einlenken noch erreicht und
gerettet werden könne und ob eine Fortführung des Kampfes vor Gott und den
Völkern verantwortet werden könne. Die Entscheidung liege in dieser Hinsicht
bei der ungarischen Regierung. An den k.k. Ministerpräsidenten richtet Seine
Majestät die Anfrage ob nicht der Augenblick gekommen sei, wo an die Bildung
nationaler Regierungen gedacht werden sollte.

   Hierauf ergreift der k.u.k. Minister des Äussern mit Allerhöchster
Genehmigung das Wort zu nachstehenden Ausführungen:

   Die Sphynx Wilson hat endlich gesprochen, aber seine Mitteilungen stellen
uns vor ein neues Rätsel. Es heisst jetzt mit grösster Umsicht zu Werke gehen
und vorderhand eine dilatorische Taktik befolgen. Die Vorteile der Wilson&#39;schen
Antwort liegen vornehmlich in dem, was sie verschweigt; sie ist nicht ablehnend
und ermöglicht ein Weiterspinnen des Friedensfadens. Unsere Antwort muss
vor allem auf zwei Grundprinzipien aufgebaut werden: sie muss kurz und präzis
sein, sie darf keinerlei Indignation oder Missmut verraten. Was die technische
Vorgangsweise anbelangt, so hat Graf Buriän die Absicht, den Notentext, der
jetzt in Ausarbeitung ist, vorerst Seiner k.u.k. Apostolischen Majestät und den
beiden Regierungen zur Genehmigung vorzulegen, sodann aber auch die mass¬
gebenden Kreise der beiden Parlamente zur Mitarbeit heranzuziehen. Wie die
parlamentarischen Korporationen, welche hiezu berufen wären, zusammengesetzt
sein sollen, müsse den beiden Regierungen überlassen werden. Was nun den
Inhalt der Wilson zu erteilenden Antwort anbelangt, so sei es notwendig, vorerst
die Note des Präsidenten der Vereinigten Staaten einer kritischen Beleuchtung
zu unterziehen. Die ganze Argumentation Wilsons über die Tschecho-Slowaken
stehe auf einer äusserst schwachen Basis. Weder politisch noch materiell spielt
in all&#39;dem, was die Teschecho-Slowaken betrifft, das slowakische Element eine
irgendwie nennenswerte Rolle; so sitze beispielsweise in dem im Auslande gebil-

   1 Das Manifest wurde nicht am 16., sondern am 17. Oktober herausgegeben. Die bereits
gebildeten Nationalräte werden in der österreichischen Hälfte der Monarchie anerkannt. Die
föderalistische Umgestaltung Österreichs wird versprochen. Offensichtlich behauptet Buriän
auf Grund dessen, das Manifest ermögliche die Fortsetzung der mit dem Präsidenten Wilson
begonnenen Verhandlungen.

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<pb/>deten tschecho-slowakischen Nationalrate kein einziger Slowake, auch liege den
Slowaken der Wunsch nach Vereinigung mit den Tschechen absolut ferne. Diese
Tatsachen müssen in der Antwort an Wilson festgenagelt werden. Wenn weiters Mr.
Wilson in seinen einleitenden Worten behauptet, es bestehe zwischen der Monar¬
chie und dem von ihm anerkannten tschecho-slowakischen Staate de facto der
Kriegszustand, so ist dies eine bewusste Unwahrheit, der die Tatsachen diametral
zuwiderlaufen. Ferners drängt sich die Frage auf, von wem der tschecho-slowaki-
sche Staat mit der angeblichen »Autorität«, um die Worte Wilsons zu gebrauchen,
ausgestattet worden sei. Das Machtwort des Herrn Wilson und seiner Entente¬
genossen genügt hiezu keineswegs. Wenn also die Prämissen, aus denen Mr.Wilson
seine Argumentation ableitet, unzutreffend sind, so sind evidenter Weise auch
die von ihm gezogenen Konklusionen falsch. Schliesslich muss auch noch daran
erinnert werden, dass sich Wilson in seiner ersten kurzen Antwort auf die öster¬
reichisch-ungarische Demarche vom 16. September 1918 ausdrücklich auf seine
14 Punkte beruft, die er nunmehr als nicht genügende Besprechungsbasis erklärt.
Alle diese Widersprüche und Ausflüchte werden in unserer Antwort entsprechend
angenagelt werden müssen. Als ausgesprochen günstig für uns erscheint der
Schlussatz der Wilsonschen Note, nachdem der Präsident die Monarchie als
existent anerkannt und uns zur Verständigung mit Tschechen und Südslawen
den Weg direkter Aussprache und Verständigung weist. In unserer Antwort
werden wir die Bereitschaft, uns dieser Aufgabe zu unterziehen, zum Ausdrucke
zu bringen haben. Den allerschwierigsten Punkt bildet abgesehen von der sozusa¬
gen formellen Seite, die schon berührt wurde, die Frage, wie auf den Standpunkt
zu reagieren sein wird, den Mr. Wilson in der tschecho-slowakischen und süd¬
slawischen Frage eingenommen hat. In Österreich ist, wie auch Seine k.u.k.
Apostolische Majestät bereits hervorgehoben hat, durch das Manifest ein Weg
beschritten worden, welcher ein Einverständnis mit den Wilsonschen Ideen nicht
ausschliesst. Weit schwieriger stelle sich die Sache für Ungarn, doch auch dort
darf man sich weder den Tatsachen noch den Erfordernissen der Stunde verschlies-
sen; in dieser Hinsicht sind 2 Konsiderationen von allergrösster Wichtigkeit:
1. Es müssen in unserer Antwort die Slowaken unbedingt erwähnt werden und
zwar in einer Weise, die dem einschlägigen Standpunkte Wilsons einigermassen
Rechnung trägt und 2. muss in der südslawischen Frage in zwölfter Stunde ein
klares, unzweideutiges Wort gesprochen werden. Es steht uns allerdings frei,
eine Diskussion über diese Frage abzulehnen, aus der Welt geschafft wird sie aber
dadurch nicht, ebenso wenig wie das Interesse, welches ihr bis auf weiteres die
Entente entgegenbringt. Auch ist nicht zu übersehen, dass bei den Slowaken auto-
nomistische Tendenzen unleugbar bestehen, welche allerdings nirgends einen
zentrifugalen Charakter oder den Wunsch einer Vereinigung mit den Tschechen
aufweisen. Unter diesen Umständen wird die Notwendigkeit nicht zu umgehen
sein, in der Antwortsnote die Slowaken in einer Weise zu erwähnen, welche sozu¬
sagen dem Weltbedürfnis und nicht allein den Bedürfnissen des ungarischen
Staates Rechnung trägt. Was den südslawischen Passus in der Note Wilsons
anbelangt, so stehen wir vor der bedrückenden Frage: Was ist zu tun, um dem
Weiterwuchern der grosserbischen Propaganda Schranken zu setzen, wie sie in

698
<pb/> der letzten Agramer Tagung zum Ausdruck gekommen ist. So weit wie die in
 dieser Tagung gefassten Beschlüsse kann nicht gegangen werden, aber zu weit¬
 gehendem, raschestem Entgegenkommen zu einer grosszügigen Revision unseres
 bisherigen Standpunktes muss unbedingt geraten werden. Die ungarische Regie¬
 rung stehe auf dem Standpunkt, dass die Integrität und Einheit Ungarns gewahrt
 werden muss. Hiezu ist zu bemerken, dass zwischen dem Königreich Ungarn
 und den partes adnexae ein Unterschied besteht, welcher bei Behandlung des süd¬
 slawischen Problems in Betracht gezogen werden sollte. Wie die Dinge heute
 liegen, kann nur mehr an eine Vereinigung aller Südslawen »im Rahmen der
 Monarchie unter dem Szepter Habsburgs« gedacht werden. Ein Hinweis auf
 Ungarn oder Österreich oder auch nur auf die heilige Stephanskrone bringt uns
heute dem angestrebten Ziele nicht näher, ja derartige Hinwiese könnten direkt
 schädliche Wirkungen auslösen und ausgesprochen friedenverhindernd wirken.
 Es wäre allerdings besser, wenn wir die Lösung dieser heiklen Frage dem Friedens¬
kongresse aufbewahren könnten; dies gehe aber nicht mehr an, weil Wilsons Note
eine vorherige Stellungnahme unserseits erfordert. Graf Buriän müsse daher
eindringlichst vor jeglicher Intransigenz warnen.

   Hierauf ergreift der kgl. ung. Ministerpräsident das Wort. Dr. Wekerle
erklärt, dass vor allem die serbo-kroatische Frage von der Nationalitäten¬
frage zu trennen sei. Was die erste Frage anbelange, so sei die ungarische Regie¬
rung zu weitgehendem Entgegenkommen bereit. Sie habe erklärt dass die Vereini¬
gung der Südslawen von diesen Völkerschaften abhänge, allerdings dürfe sich
diese Vereinigung nur unter der heiligen Stephanskrone vollziehen, denn an ihrem
Rechte müsse die ungarische Regierung unbedingt festhalten. Wer sein gutes
Recht aufgibt, gibt sich selbst auf, erweckt den Anschein der Schwäche und treibt
die Dinge einer Katastrophe zu. Je mehr man gebe, desto mehr werde verlangt
werden; in ein uferloses Hinauflizitieren könne er sich nicht einlassen. Innerhalb
des Rahmens der heiligen Stephanskrone sollen die Aspirationen der Südslawen
nach Selbständigkeit in weitgehendem Masse honoriert werden. Hinsichtlich
der Nationalitätenfrage sei die ungarische Regierung bereit, auch über den
Rahmen der Nationalitätengesetze hinausgehende Konzessionen zu machen, aber
auch hier dürfe kein allzu rasches Tempo eingeschlagen werden. Der Wortführer
der Slowaken, Abgeordneter Jeniga hatte vor wenigen Wochen noch keineswegs
autonomistische Velleitäten; seine Forderungen beschränkten sich auf die strenge
Durchführung des Nationalitätengesetzes und auf gewisse Konzessionen in der
Schulfrage und hinsichtlich des Gebrauches der slowakischen Sprache. Diese
Petite können ohne Bedenken -gewährt werden, obwohl auch die Slowaken und
nicht minder die Rumänen heute anspruchsvoller geworden sind. Die Komitate
Pressburg und Trencsen hätten sich übrigens bereits gegen eine Vereinigung mit
den Tschechen ausgesprochen. Bezüglich der vom Grafen Buriän vorgeschlagenen
parlamentarischen Mitarbeit zur Besprechung der Wilsonschen Note wäre nach
Ansicht Dr. Wekerles die Heranziehung einiger markanter Politiker und nicht
der Delegation die entsprechendste Vorgangsweise.

  Als nächster Redner ergreift der k.k. Ministerpräsident das Wort,
um zunächst die slowakische Frage in Erörterung zü ziehen. Es scheine zweifelhaft.

                                                                                                              699
<pb/>so führt Freiherr von Hussarek aus, dass sich eine Trennung zwischen Tschechen
und Slowaken erreichen lasse. Vielleicht Hesse sich hier durch autoritative glaub¬
hafte Beschlüsse des Slowakentums etwas machen. Einzelbeschlüsse, wie die von
Dr. Wekerle angeführten Enunziationen der Komitate Pressburg und Trencsen
würden nicht hinreichen, nur das Votum einer grossen Volkversammlung oder
dergleichen, welches womöglich noch in der Antwort an Wilson als Argument
dafür verwendet werden könnte, dass die Slowaken von einer Vereinigung mit
Tschechen nichts wissen wollen, wäre von Wert. Was die südslawische Frage
anbelange, so stimme Freiherr von Hussarek der Auffassung des k.u.k. Ministers
des Äussern vollinhaltiich zu. Nur eine kurze und präzise Formel könne hier
Rettung bringen: Die südslawische Frage wird im Rahmen der Monarchie, aber
bei gleichzeitiger Vereinigung aller Südslawen exklusive Serbien und Montenegro
in ein einheitliches unabhängiges Staatsgebilde gelöst. Gegenüber der von Seiner
k.u.k. Apostolischen Majestät angeregten Frage der Bildung von besonderen
nationalen Regierungen neben den Nationalversammlungen müsse der k.k. Mini¬
sterpräsident bemerken, dass er zu einem derartigen Schritt, aus welchem sich
gefahrvolle Weiterungen entwickeln könnten, nicht einraten zu sollen glaube.
Es schwebe ihm vor, dass der Kontakt mit den einzelnen Nationalversammlungen
durch k.k. Funktionäre eventuell durch die Statthalter respektive Landespräsiden¬
ten aufrecht zu erhalten wäre. Was die vom k.u.k. Minister des Äussern zur
Sprache gebrachte Mitwirkung der parlamentarischen Vertretungskörper anhe-
lange, so glaube Freiherr von Hussarek, dass zu diesem Zwecke die Einberufung
des Delegationsausschusses für Äusseres zu einer vertrauHchen Aussprache,
nicht zu einer Sitzung, das beste Mittel wäre.

   Sodann greift Freiherr von S p i t z m ü 11 e r in die Debatte ein und kommt
auf den Passus der Note Wilsons zu sprechen, wo es heisst, »welche Aktion von
Seite der österreichisch-ungarischen Regierung genügen würde etc.« und pole¬
misiert mit den Ausführungen des ungarischen Ministerpräsidenten, welcher von
den unersättHchen nationalen Aspirationen gesprochen habe. Der vorerwähnte
Passus der Wilsonschen Note breche dem Programm von Korfu2 die Spitze und
lege es gewissermassen in unsere Hand, einen Ausgleich mit den Südslawen zu
finden. Das unbedingte Festhalten an der dualistischen Struktur wäre unter
Umständen eine kluge Politik, heute aber gehe es um den Bestand der Monarchie
und da müsse man doch vor allem daran denken, diese zu retten und nicht um
jeden Preis den Dualismus zu halten trachten. Das Aufgehen Sloweniens im
südslawischen Länderkomplex, dem sich die ungarische Regierung so hartnäckig
widersetze, sei heute ein sauerer Apfel, in den man beissen müsse. Eine halbwegs
erspriessliche Lösung des südslawischen Problems werde Ungarn bedeutende
Opfer auferlegen, aber auch Österreich bringe grosse Opfer. So habe es, abgesehen
von manchem anderen 80.000 deutsche Volksgenossen hingegeben, welche im
südslawischen Länderkomplex aufgehen werden. Auf die Frage der Personal-

    2 Zwischen der großserbischen Richtung von Paäic und dem kroatischen Jugoslawismus von
Trumbiö wurde ein Kompromiß am 20. Mi 1917 in Korfu geschlossen: südslawischer Natio¬
nalstaat unter serbischer Dynastie.

 700
<pb/>union mit Ungarn übergehend rät Freiherr von Spitzmüller dringend davon ab,
im gegenwärtigen so kritischen Augenblicke einen diesbezüglichen Gesetzentwurf
einzubringen; dies könne nur verwirrend und friedenerschwerend wirken. Im
Rahmen der Stephanskrone sei heute eine Lösung der südslawischen Frage unmög¬
lich und müsse sich Freiherr von Spitzmüller diesbezüglich voll und ganz zum
Standpunkte des Grafen Buriän bekennen.

   Nach dem gemeinsamen Finanzminister beleuchtet der Chef des General¬
stabes die Rückwirkungen der innerpolitischen Zustände auf Geist und Ver¬
fassung der Armee. Seine Ausführungen gipfeln in dem Satze: Wir müssen
Frieden schliessen um jeden Preis und so rasch als möglich. Bei den zentrifugalen
Tendenzen, welche die Signatur der politischen Situation bilden, sei ein weiteres
unbedingtes Standhalten unserer Truppen zum mindesten fraglich geworden.
Dies gelte sowohl für die Front, wie für das Hinterland. Hiezu komme der Um¬
stand, dass nach dem Abfall Bulgariens und dem bevorstehenden Ausscheiden
der Türkei 27 -- 30 Divisionen der Entente gegen uns frei geworden seien. Falls
auf die Verlässlichkeit unserer Truppen noch einigermassen zu zählen ist, wäre
es denkbar, die Drin --Save --Donau-Linie, auf die sich die im Süden operieren¬
den Armeen langsam zurückzuziehen Befehl erhalten hätten, einige Zeit zu
halten; sollte sich aber Rumänien wieder mit voller Kraft auf die Seite unserer
Feinde schlagen und auch an der italienischen Front eine nachhaltige Offensive
losbrechen, dann würde unsere Kraft rasch erlahmen.

   Hierauf kommt abermals der k.u.k. Minister desÄussern zum Wort
und bespricht die Entwicklung der Dinge in Rumänien. Der Chef des General¬
stabes -- so führt Graf Buriän aus -- habe sich ihm gegenüber dafür eingesetzt,
dass der von Herrn Marghiloman suggerierten Abolierung der Artikel 10, 11
und 12 des Bukarester Friedensvertrages wie auch den rumänischen Wünschen
hinsichtlich der Dobrudscha unserseits Rechnung getragen werde. Der k.u.k.
Minister des Äussern müsse jedoch gestehen, dass er die von GO. Baron Arz
zur Begründung seines einschlägigen Standpunktes vorgebrachten Argumente
nicht als zwingend ansehen könne. Die Kompensationen, die uns Rumänien als
Äquivalent für unsere Konzessionen geben könnte, seien zu labil, als dass es
opportun erscheinen könnte diese Pfänder, welche später -- eventuell bei den
Friedensverhandlungen oder gelegentlich der Revision der Verträge -- in unserem
Spiele verwendet werden könnten, schon jetzt aus der Hand zu geben. Eine Garan¬
tie für das fernere Wohlverhalten Rumäniens, welche uns von Herrn Marghiloman
zugesichert würde, hätte ja nur einen sehr bedingten Wert, denn wer bürge dafür,
dass Marghiloman nicht morgen durch Avarescu oder Bratianu ersetzt werde,
und dann würden die Garantien gänzlich wertlos werden. Auch der Wert der
Ratifizierung des Friedensvertrages, die wir im übrigen anstreben, dürfe nicht
überschätzt werden. Hiezu sei zu bemerken, dass die Tendenz der Entente dahin
gehe, »sämtliche Ostverträge« einer Revision zu unterziehen. Einseitige Über¬
prüfungen und Spezialbesprechungen mit Rumänien dürften angesichts dieser
Dispositionen kaum einen günstigen und unsere Sache fördernden Eindruck
erwecken, weil sie . die Lösung all dieser Fragen dem Friedenskongresse auf¬
bewahren will. Graf Buriän resümiert daher seine Ansicht dahin, dass auf die

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<pb/>Wünsche Herrn Marghilomans nicht einzugehen und die Angelegenheit dilatorisch
zu behandeln wäre.

   In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen des Grafen Buriän stimmen
der k.k. und kgl. ung. Ministerpräsident einer abwartenden hinhaltenden Politik
gegenüber Rumänien zu.

   Der k.u.k. Chef des Generalstabes begründet hierauf seinen von
Grafen Buriän soeben kritisierten Vorschlag, welchen er notabene vor Austritt der
Türkei gemacht habe, und führt aus, dass ihm jedes Mittel willkommen wäre,
welches Rumänien vor agressiven Aktionen zurückzuhalten geeignet schiene. Nach
dem, was der k.u.k. Minister des Äussern vorgebracht hätte, sei Freiherr von Arz
aber gerne bereit, von seinem Vorschlag abzustehen. Hierauf erläutert Freiherr
von Arz die militärische Situation im Süden und Südosten der Monarchie und führt
aus, dass das Armeeoberkommando alles veranlasst habe, um dem Vormarsche der
Entente am Balkan zu begegnen und einem Putschversuch Rumäniens vorzubeugen.
Dem gegen Serbien vorbrechenden Angriff der Entente, welcher zirka 27 Divisio¬
nen zur Verfügung stünden, könnten zirka 18 1/2 eigene Divisionen (einschliess¬
lich des deutschen Kontingents) entgegengestellt werden. Dieses Kräfteverhältnis
werde uns hoffentlich in die Lage versetzen, die Drin --Save --Donau-Linie einige
Zeit zu halten. Was Rumänien betreffe, so stelle sich das Kräfteverhältnis folgender-
massen: 155 rumänische Bataillone gegen 120 eigene (inklusive der Armee Mak-
kensen). Dies kann genügen, um einen Putschversuch der Rumänen zu vereiteln.
Mehr könne man nicht erwarten. Zudem seien die Rumänen auch artilleristisch
und was die Versorgung mit Munition anbelange im Vorteil, so dass ausschliess¬
lich nur an Defensivaktionen gedacht werden könne. Auf eine Bemerkung des
kgl. ung. Ministerpräsidenten, dass in Ungarn Stimmen laut werden, welche dem
Armeeoberkommando antiungarische Tendenzen in dem Sinne zuschreiben,
dass die Verteidigung Ungarns vernachlässigt werde, repliziert Freiherr von
Arz, dass er diesen Vorwurf auf das Entschiedenste zurückweisen müsse. Das
Armeeoberkommando sei peinlichst bestrebt, allen Anforderungen, welche die
Verteidigung der Monarchie erheischen, in unparteiischer Weise und nur nach
rein militärischen Rücksichten gerecht zu werden. In Anbetracht der sehr pre¬
kären Transportverhältnisse sei es aber unmöglich, die in Aussicht genom¬
menen und als notwendig erkannten Umgruppierungen im Handumdrehen
durchzuführen.

   Schliesslich kommt noch der k.u.k. gemeinsame Finanzminister
auf die Frage der Einbringung des Gesetzentwurfes über die Personalunion zu
sprechen, von der er dringendst abrät. Im weiteren Verlaufe seiner Ausführungen
polemisiert Freiherr von Spitzmüller gegen die beabsichtigte Errichtung eines
separaten ungarischen Ministeriums des Äussern, welches mit dem Geiste der
pragmatischen Sanktion im Widerspruch stehe.

   Der k.k. Ministerpräsident spricht sich in demselben Sinne aus,
worauf Graf Buriän angesichts der schwierigen Lage, in welcher sich die
ungarische Regierung befinde, Dr. Wekerle zur Erwägung stellt, die Behandlung
des Gesetzentwurfes tunlichst hinauszuziehen, um nicht die kommenden Friedens¬
verhandlungen mehr als nötig zu komplizieren.

702
<pb/>   Der kgl. ung. Ministerpräsident erwidert hierauf, dass sich die
kgl. ung. Regierung in einer Zwangslage befinde. Der Gesetzentwurf müsse einge¬
bracht werden, um der Agitation des Grafen M. Kärolyi die Spitze abzubrechen.
Was die Durchführung anbelangt, so wolle er sich für eine tunlichst dilatorische
Behandlung einsetzen. Hierauf resümiert Seine k.u.k. Apostolische
Majestät die Ergebnisse des Kronrates.

   1. Die Friedensaktion ist so rasch als möglich durchzuführen.
   2. Die Antwort an den Präsidenten der Vereinigten Staaten ist derart zu fassen,
dass hiedurch die Defensivkraft der Armee nicht gefährdet werde.
   3. Die k.k. und kgl. ung. Regierung wird aufgefordert, unter tunlichster Zurück¬
setzung staatsrechtlicher Bedenken unverweilt die nötigen Massregeln, namentlich
in der südslawischen Frage, zu ergreifen, welche eine Weiterentwicklung in zentri¬
fugalem Sinne hintanzuhalten geeignet scheinen. Im Anschlüsse hieran sagt der
kgl. ung. Ministerpräsident zu, einer Lösung der südslawischen Frage
in dem Sinne »Vereinigung sämtlicher südslawischer Gebiete im Rahmen der
Monarchie« das Wort zu reden.

             Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde von keinem einzigen Teilnehmer
         des Ministerrates auf dem Mantelbogen des Protokolls bestätigt. -- In der linken
         unteren Ecke des letzten Blattes die Unterschrift Colloredos. Die Kenntnisnahme durch
         den Herrscher und die Unterschrift des Ministers des Äußern fehlen. -- Das Konzept
         ist nicht vorhanden.

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