Gemeinsamer Ministerrat, 22. 10. 1918
I. Stellungnahme zur amerikanischen Antwortnote vom 18. Oktober 1918
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z41.pdf.
Debatte in der Nachmittagssitzung in Zusammenhang stand. Das Protokoll der Nachmittagssitzung wurde jedoch weder vom Minister des Äußern, noch vom Proto¬ kollführer unterzeichnet. -- Ebd. die Konzepte der beiden Sitzungsprotokolle. Das der Vormittagssitzung mit der Handschrift des Protokollführers Colloredo, das der Nachmittagssitzung in Maschinenschrift. Letzteres mit dem Handzeichen Buriäns. 41. Wien, 22. Oktober 1918 Der Ministerrat entscheidet sich für einen sofortigen Friedensschluß. In der Debatte über die Antwort an Wilson wird durch den ungarischen Standpunkt, der starr am Dualismus festhält, ja eine Personalunion anstrebt, ein scharfer Gegensatz hervorge¬ rufen. Die letzte Sitzung des gemeinsamen Ministerrates, über die noch ein Protokoll verfaßt wurde. Das Habsburgerreich befand sich zu dieser Zeit bereits in totaler Auflösung. Das Manifest des Herrschers vom 17. Oktober hatte die föderalistische Umgestaltung der österreichischen Hälfte der Monarchie versprochen. Dieses Verspre¬ chen war jedoch weniger als das, was die Völker damals auf Grund der tatsächlichen Kräfteverhältnisse forderten. Die ungarischen Politiker aber waren der Ansicht, die Föderalisierung der österreichischen Provinzen bedeute für Ungarn, daß es seiner im Ausgleich übernommenen Verpflichtungen entbunden wird, daß diese Umgestaltung eine Verbreiterung des dualistischen Systems darstelle. Ministerpräsident Wekerle nahm im ungarischen Parlament am 16. Oktober für eine Personalunion Stellung. Der Zerfallsprozeß erreichte seinen Höhepunkt durch die auf das Friedensangebot der Mittelmächte vom 4. Oktober von Wilson gegebene und einen Tag vor dem Kronrat in Wien eingetroffene Antwort, in der er den zehnten seiner vierzehn Punkte als von den Ereignissen überholt bezeichnete. Nach Wilson ist nämlich der tschechoslowakische Nationalrat de facto eine kriegführende Regierung, und so könne die im 10. Punkte skizzierte Autonomie die Tschechen und die Slowaken, doch auch die Südslawen nicht befriedigen. Protokoll des zu Wien am 22. Oktober 1918 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten, unter dem Allerhöchsten Vorsitze Seiner Majestät des Kaisers und Königs. KZ. - G.M.K.P.Z. 553. Gegenwärtige: der k.u.k. Minister des Äussern Graf B u r i ä n, der kgl. ung. Ministerpräsident Dr. Wekerle, der k.k. Ministerpräsident Freiherr von Hussarek, der k.u.k. Kriegsminister GO. Freiherr von Stöger-Steiner, der k.u.k. Gemeinsame Finanzminister Freiherr von Spitzmüller, der Chef des k.u.k. Generalstabes GO. Baron A r z. Protokollführer: Legationsrat Graf Colloredo-Mannsfeld. Gegenstand: Stellungnahme zur amerikanischen Antwortnote vom 18. Oktober 1918. 696 <pb/> Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen den Kronrat um 10 % Uhr zu eröffnen. Zur Diskussion -- so bemerkte Seine Majestät -- stehe die Note des Staatssekretärs Lansing vom 18. Oktober 1918 und die Gesichts¬ punkte, welche bei Beantwortung derselben zur Geltung gebracht werden sollen. Was Österreich anbelange, so sei durch Erlassung des kaiserlichen Manifestes vom 16. Oktober1 eine Grundlage geschaffen, die ein Fortspinnen der Konver¬ sation mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten ermögliche. Als gekrönter König von Ungarn stehe Seine Majestät selbstverständlich auf dem Standpunkt, dass er die Integrität und Einheit des Königreiches zu wahren habe; Seine Majestät sei entschlossen, um dieser Prinzipien willen den Kampf bis zum Äussersten fortzusetzen, bis zum endgültigen Zusammenbruch, wenn dies dem Willen der Völker entspreche; Seine Majestät müsse indessen der ungarischen Regierung und den politischen Parteien, welche diese unterstützen, zu bedenken geben, was auf dem Spiele stehe, was durch ein baldiges Einlenken noch erreicht und gerettet werden könne und ob eine Fortführung des Kampfes vor Gott und den Völkern verantwortet werden könne. Die Entscheidung liege in dieser Hinsicht bei der ungarischen Regierung. An den k.k. Ministerpräsidenten richtet Seine Majestät die Anfrage ob nicht der Augenblick gekommen sei, wo an die Bildung nationaler Regierungen gedacht werden sollte. Hierauf ergreift der k.u.k. Minister des Äussern mit Allerhöchster Genehmigung das Wort zu nachstehenden Ausführungen: Die Sphynx Wilson hat endlich gesprochen, aber seine Mitteilungen stellen uns vor ein neues Rätsel. Es heisst jetzt mit grösster Umsicht zu Werke gehen und vorderhand eine dilatorische Taktik befolgen. Die Vorteile der Wilson'schen Antwort liegen vornehmlich in dem, was sie verschweigt; sie ist nicht ablehnend und ermöglicht ein Weiterspinnen des Friedensfadens. Unsere Antwort muss vor allem auf zwei Grundprinzipien aufgebaut werden: sie muss kurz und präzis sein, sie darf keinerlei Indignation oder Missmut verraten. Was die technische Vorgangsweise anbelangt, so hat Graf Buriän die Absicht, den Notentext, der jetzt in Ausarbeitung ist, vorerst Seiner k.u.k. Apostolischen Majestät und den beiden Regierungen zur Genehmigung vorzulegen, sodann aber auch die mass¬ gebenden Kreise der beiden Parlamente zur Mitarbeit heranzuziehen. Wie die parlamentarischen Korporationen, welche hiezu berufen wären, zusammengesetzt sein sollen, müsse den beiden Regierungen überlassen werden. Was nun den Inhalt der Wilson zu erteilenden Antwort anbelangt, so sei es notwendig, vorerst die Note des Präsidenten der Vereinigten Staaten einer kritischen Beleuchtung zu unterziehen. Die ganze Argumentation Wilsons über die Tschecho-Slowaken stehe auf einer äusserst schwachen Basis. Weder politisch noch materiell spielt in all'dem, was die Teschecho-Slowaken betrifft, das slowakische Element eine irgendwie nennenswerte Rolle; so sitze beispielsweise in dem im Auslande gebil- 1 Das Manifest wurde nicht am 16., sondern am 17. Oktober herausgegeben. Die bereits gebildeten Nationalräte werden in der österreichischen Hälfte der Monarchie anerkannt. Die föderalistische Umgestaltung Österreichs wird versprochen. Offensichtlich behauptet Buriän auf Grund dessen, das Manifest ermögliche die Fortsetzung der mit dem Präsidenten Wilson begonnenen Verhandlungen. 697 <pb/>deten tschecho-slowakischen Nationalrate kein einziger Slowake, auch liege den Slowaken der Wunsch nach Vereinigung mit den Tschechen absolut ferne. Diese Tatsachen müssen in der Antwort an Wilson festgenagelt werden. Wenn weiters Mr. Wilson in seinen einleitenden Worten behauptet, es bestehe zwischen der Monar¬ chie und dem von ihm anerkannten tschecho-slowakischen Staate de facto der Kriegszustand, so ist dies eine bewusste Unwahrheit, der die Tatsachen diametral zuwiderlaufen. Ferners drängt sich die Frage auf, von wem der tschecho-slowaki- sche Staat mit der angeblichen »Autorität«, um die Worte Wilsons zu gebrauchen, ausgestattet worden sei. Das Machtwort des Herrn Wilson und seiner Entente¬ genossen genügt hiezu keineswegs. Wenn also die Prämissen, aus denen Mr.Wilson seine Argumentation ableitet, unzutreffend sind, so sind evidenter Weise auch die von ihm gezogenen Konklusionen falsch. Schliesslich muss auch noch daran erinnert werden, dass sich Wilson in seiner ersten kurzen Antwort auf die öster¬ reichisch-ungarische Demarche vom 16. September 1918 ausdrücklich auf seine 14 Punkte beruft, die er nunmehr als nicht genügende Besprechungsbasis erklärt. Alle diese Widersprüche und Ausflüchte werden in unserer Antwort entsprechend angenagelt werden müssen. Als ausgesprochen günstig für uns erscheint der Schlussatz der Wilsonschen Note, nachdem der Präsident die Monarchie als existent anerkannt und uns zur Verständigung mit Tschechen und Südslawen den Weg direkter Aussprache und Verständigung weist. In unserer Antwort werden wir die Bereitschaft, uns dieser Aufgabe zu unterziehen, zum Ausdrucke zu bringen haben. Den allerschwierigsten Punkt bildet abgesehen von der sozusa¬ gen formellen Seite, die schon berührt wurde, die Frage, wie auf den Standpunkt zu reagieren sein wird, den Mr. Wilson in der tschecho-slowakischen und süd¬ slawischen Frage eingenommen hat. In Österreich ist, wie auch Seine k.u.k. Apostolische Majestät bereits hervorgehoben hat, durch das Manifest ein Weg beschritten worden, welcher ein Einverständnis mit den Wilsonschen Ideen nicht ausschliesst. Weit schwieriger stelle sich die Sache für Ungarn, doch auch dort darf man sich weder den Tatsachen noch den Erfordernissen der Stunde verschlies- sen; in dieser Hinsicht sind 2 Konsiderationen von allergrösster Wichtigkeit: 1. Es müssen in unserer Antwort die Slowaken unbedingt erwähnt werden und zwar in einer Weise, die dem einschlägigen Standpunkte Wilsons einigermassen Rechnung trägt und 2. muss in der südslawischen Frage in zwölfter Stunde ein klares, unzweideutiges Wort gesprochen werden. Es steht uns allerdings frei, eine Diskussion über diese Frage abzulehnen, aus der Welt geschafft wird sie aber dadurch nicht, ebenso wenig wie das Interesse, welches ihr bis auf weiteres die Entente entgegenbringt. Auch ist nicht zu übersehen, dass bei den Slowaken auto- nomistische Tendenzen unleugbar bestehen, welche allerdings nirgends einen zentrifugalen Charakter oder den Wunsch einer Vereinigung mit den Tschechen aufweisen. Unter diesen Umständen wird die Notwendigkeit nicht zu umgehen sein, in der Antwortsnote die Slowaken in einer Weise zu erwähnen, welche sozu¬ sagen dem Weltbedürfnis und nicht allein den Bedürfnissen des ungarischen Staates Rechnung trägt. Was den südslawischen Passus in der Note Wilsons anbelangt, so stehen wir vor der bedrückenden Frage: Was ist zu tun, um dem Weiterwuchern der grosserbischen Propaganda Schranken zu setzen, wie sie in 698 <pb/> der letzten Agramer Tagung zum Ausdruck gekommen ist. So weit wie die in dieser Tagung gefassten Beschlüsse kann nicht gegangen werden, aber zu weit¬ gehendem, raschestem Entgegenkommen zu einer grosszügigen Revision unseres bisherigen Standpunktes muss unbedingt geraten werden. Die ungarische Regie¬ rung stehe auf dem Standpunkt, dass die Integrität und Einheit Ungarns gewahrt werden muss. Hiezu ist zu bemerken, dass zwischen dem Königreich Ungarn und den partes adnexae ein Unterschied besteht, welcher bei Behandlung des süd¬ slawischen Problems in Betracht gezogen werden sollte. Wie die Dinge heute liegen, kann nur mehr an eine Vereinigung aller Südslawen »im Rahmen der Monarchie unter dem Szepter Habsburgs« gedacht werden. Ein Hinweis auf Ungarn oder Österreich oder auch nur auf die heilige Stephanskrone bringt uns heute dem angestrebten Ziele nicht näher, ja derartige Hinwiese könnten direkt schädliche Wirkungen auslösen und ausgesprochen friedenverhindernd wirken. Es wäre allerdings besser, wenn wir die Lösung dieser heiklen Frage dem Friedens¬ kongresse aufbewahren könnten; dies gehe aber nicht mehr an, weil Wilsons Note eine vorherige Stellungnahme unserseits erfordert. Graf Buriän müsse daher eindringlichst vor jeglicher Intransigenz warnen. Hierauf ergreift der kgl. ung. Ministerpräsident das Wort. Dr. Wekerle erklärt, dass vor allem die serbo-kroatische Frage von der Nationalitäten¬ frage zu trennen sei. Was die erste Frage anbelange, so sei die ungarische Regie¬ rung zu weitgehendem Entgegenkommen bereit. Sie habe erklärt dass die Vereini¬ gung der Südslawen von diesen Völkerschaften abhänge, allerdings dürfe sich diese Vereinigung nur unter der heiligen Stephanskrone vollziehen, denn an ihrem Rechte müsse die ungarische Regierung unbedingt festhalten. Wer sein gutes Recht aufgibt, gibt sich selbst auf, erweckt den Anschein der Schwäche und treibt die Dinge einer Katastrophe zu. Je mehr man gebe, desto mehr werde verlangt werden; in ein uferloses Hinauflizitieren könne er sich nicht einlassen. Innerhalb des Rahmens der heiligen Stephanskrone sollen die Aspirationen der Südslawen nach Selbständigkeit in weitgehendem Masse honoriert werden. Hinsichtlich der Nationalitätenfrage sei die ungarische Regierung bereit, auch über den Rahmen der Nationalitätengesetze hinausgehende Konzessionen zu machen, aber auch hier dürfe kein allzu rasches Tempo eingeschlagen werden. Der Wortführer der Slowaken, Abgeordneter Jeniga hatte vor wenigen Wochen noch keineswegs autonomistische Velleitäten; seine Forderungen beschränkten sich auf die strenge Durchführung des Nationalitätengesetzes und auf gewisse Konzessionen in der Schulfrage und hinsichtlich des Gebrauches der slowakischen Sprache. Diese Petite können ohne Bedenken -gewährt werden, obwohl auch die Slowaken und nicht minder die Rumänen heute anspruchsvoller geworden sind. Die Komitate Pressburg und Trencsen hätten sich übrigens bereits gegen eine Vereinigung mit den Tschechen ausgesprochen. Bezüglich der vom Grafen Buriän vorgeschlagenen parlamentarischen Mitarbeit zur Besprechung der Wilsonschen Note wäre nach Ansicht Dr. Wekerles die Heranziehung einiger markanter Politiker und nicht der Delegation die entsprechendste Vorgangsweise. Als nächster Redner ergreift der k.k. Ministerpräsident das Wort, um zunächst die slowakische Frage in Erörterung zü ziehen. Es scheine zweifelhaft. 699 <pb/>so führt Freiherr von Hussarek aus, dass sich eine Trennung zwischen Tschechen und Slowaken erreichen lasse. Vielleicht Hesse sich hier durch autoritative glaub¬ hafte Beschlüsse des Slowakentums etwas machen. Einzelbeschlüsse, wie die von Dr. Wekerle angeführten Enunziationen der Komitate Pressburg und Trencsen würden nicht hinreichen, nur das Votum einer grossen Volkversammlung oder dergleichen, welches womöglich noch in der Antwort an Wilson als Argument dafür verwendet werden könnte, dass die Slowaken von einer Vereinigung mit Tschechen nichts wissen wollen, wäre von Wert. Was die südslawische Frage anbelange, so stimme Freiherr von Hussarek der Auffassung des k.u.k. Ministers des Äussern vollinhaltiich zu. Nur eine kurze und präzise Formel könne hier Rettung bringen: Die südslawische Frage wird im Rahmen der Monarchie, aber bei gleichzeitiger Vereinigung aller Südslawen exklusive Serbien und Montenegro in ein einheitliches unabhängiges Staatsgebilde gelöst. Gegenüber der von Seiner k.u.k. Apostolischen Majestät angeregten Frage der Bildung von besonderen nationalen Regierungen neben den Nationalversammlungen müsse der k.k. Mini¬ sterpräsident bemerken, dass er zu einem derartigen Schritt, aus welchem sich gefahrvolle Weiterungen entwickeln könnten, nicht einraten zu sollen glaube. Es schwebe ihm vor, dass der Kontakt mit den einzelnen Nationalversammlungen durch k.k. Funktionäre eventuell durch die Statthalter respektive Landespräsiden¬ ten aufrecht zu erhalten wäre. Was die vom k.u.k. Minister des Äussern zur Sprache gebrachte Mitwirkung der parlamentarischen Vertretungskörper anhe- lange, so glaube Freiherr von Hussarek, dass zu diesem Zwecke die Einberufung des Delegationsausschusses für Äusseres zu einer vertrauHchen Aussprache, nicht zu einer Sitzung, das beste Mittel wäre. Sodann greift Freiherr von S p i t z m ü 11 e r in die Debatte ein und kommt auf den Passus der Note Wilsons zu sprechen, wo es heisst, »welche Aktion von Seite der österreichisch-ungarischen Regierung genügen würde etc.« und pole¬ misiert mit den Ausführungen des ungarischen Ministerpräsidenten, welcher von den unersättHchen nationalen Aspirationen gesprochen habe. Der vorerwähnte Passus der Wilsonschen Note breche dem Programm von Korfu2 die Spitze und lege es gewissermassen in unsere Hand, einen Ausgleich mit den Südslawen zu finden. Das unbedingte Festhalten an der dualistischen Struktur wäre unter Umständen eine kluge Politik, heute aber gehe es um den Bestand der Monarchie und da müsse man doch vor allem daran denken, diese zu retten und nicht um jeden Preis den Dualismus zu halten trachten. Das Aufgehen Sloweniens im südslawischen Länderkomplex, dem sich die ungarische Regierung so hartnäckig widersetze, sei heute ein sauerer Apfel, in den man beissen müsse. Eine halbwegs erspriessliche Lösung des südslawischen Problems werde Ungarn bedeutende Opfer auferlegen, aber auch Österreich bringe grosse Opfer. So habe es, abgesehen von manchem anderen 80.000 deutsche Volksgenossen hingegeben, welche im südslawischen Länderkomplex aufgehen werden. Auf die Frage der Personal- 2 Zwischen der großserbischen Richtung von Paäic und dem kroatischen Jugoslawismus von Trumbiö wurde ein Kompromiß am 20. Mi 1917 in Korfu geschlossen: südslawischer Natio¬ nalstaat unter serbischer Dynastie. 700 <pb/>union mit Ungarn übergehend rät Freiherr von Spitzmüller dringend davon ab, im gegenwärtigen so kritischen Augenblicke einen diesbezüglichen Gesetzentwurf einzubringen; dies könne nur verwirrend und friedenerschwerend wirken. Im Rahmen der Stephanskrone sei heute eine Lösung der südslawischen Frage unmög¬ lich und müsse sich Freiherr von Spitzmüller diesbezüglich voll und ganz zum Standpunkte des Grafen Buriän bekennen. Nach dem gemeinsamen Finanzminister beleuchtet der Chef des General¬ stabes die Rückwirkungen der innerpolitischen Zustände auf Geist und Ver¬ fassung der Armee. Seine Ausführungen gipfeln in dem Satze: Wir müssen Frieden schliessen um jeden Preis und so rasch als möglich. Bei den zentrifugalen Tendenzen, welche die Signatur der politischen Situation bilden, sei ein weiteres unbedingtes Standhalten unserer Truppen zum mindesten fraglich geworden. Dies gelte sowohl für die Front, wie für das Hinterland. Hiezu komme der Um¬ stand, dass nach dem Abfall Bulgariens und dem bevorstehenden Ausscheiden der Türkei 27 -- 30 Divisionen der Entente gegen uns frei geworden seien. Falls auf die Verlässlichkeit unserer Truppen noch einigermassen zu zählen ist, wäre es denkbar, die Drin --Save --Donau-Linie, auf die sich die im Süden operieren¬ den Armeen langsam zurückzuziehen Befehl erhalten hätten, einige Zeit zu halten; sollte sich aber Rumänien wieder mit voller Kraft auf die Seite unserer Feinde schlagen und auch an der italienischen Front eine nachhaltige Offensive losbrechen, dann würde unsere Kraft rasch erlahmen. Hierauf kommt abermals der k.u.k. Minister desÄussern zum Wort und bespricht die Entwicklung der Dinge in Rumänien. Der Chef des General¬ stabes -- so führt Graf Buriän aus -- habe sich ihm gegenüber dafür eingesetzt, dass der von Herrn Marghiloman suggerierten Abolierung der Artikel 10, 11 und 12 des Bukarester Friedensvertrages wie auch den rumänischen Wünschen hinsichtlich der Dobrudscha unserseits Rechnung getragen werde. Der k.u.k. Minister des Äussern müsse jedoch gestehen, dass er die von GO. Baron Arz zur Begründung seines einschlägigen Standpunktes vorgebrachten Argumente nicht als zwingend ansehen könne. Die Kompensationen, die uns Rumänien als Äquivalent für unsere Konzessionen geben könnte, seien zu labil, als dass es opportun erscheinen könnte diese Pfänder, welche später -- eventuell bei den Friedensverhandlungen oder gelegentlich der Revision der Verträge -- in unserem Spiele verwendet werden könnten, schon jetzt aus der Hand zu geben. Eine Garan¬ tie für das fernere Wohlverhalten Rumäniens, welche uns von Herrn Marghiloman zugesichert würde, hätte ja nur einen sehr bedingten Wert, denn wer bürge dafür, dass Marghiloman nicht morgen durch Avarescu oder Bratianu ersetzt werde, und dann würden die Garantien gänzlich wertlos werden. Auch der Wert der Ratifizierung des Friedensvertrages, die wir im übrigen anstreben, dürfe nicht überschätzt werden. Hiezu sei zu bemerken, dass die Tendenz der Entente dahin gehe, »sämtliche Ostverträge« einer Revision zu unterziehen. Einseitige Über¬ prüfungen und Spezialbesprechungen mit Rumänien dürften angesichts dieser Dispositionen kaum einen günstigen und unsere Sache fördernden Eindruck erwecken, weil sie . die Lösung all dieser Fragen dem Friedenskongresse auf¬ bewahren will. Graf Buriän resümiert daher seine Ansicht dahin, dass auf die 701 <pb/>Wünsche Herrn Marghilomans nicht einzugehen und die Angelegenheit dilatorisch zu behandeln wäre. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen des Grafen Buriän stimmen der k.k. und kgl. ung. Ministerpräsident einer abwartenden hinhaltenden Politik gegenüber Rumänien zu. Der k.u.k. Chef des Generalstabes begründet hierauf seinen von Grafen Buriän soeben kritisierten Vorschlag, welchen er notabene vor Austritt der Türkei gemacht habe, und führt aus, dass ihm jedes Mittel willkommen wäre, welches Rumänien vor agressiven Aktionen zurückzuhalten geeignet schiene. Nach dem, was der k.u.k. Minister des Äussern vorgebracht hätte, sei Freiherr von Arz aber gerne bereit, von seinem Vorschlag abzustehen. Hierauf erläutert Freiherr von Arz die militärische Situation im Süden und Südosten der Monarchie und führt aus, dass das Armeeoberkommando alles veranlasst habe, um dem Vormarsche der Entente am Balkan zu begegnen und einem Putschversuch Rumäniens vorzubeugen. Dem gegen Serbien vorbrechenden Angriff der Entente, welcher zirka 27 Divisio¬ nen zur Verfügung stünden, könnten zirka 18 1/2 eigene Divisionen (einschliess¬ lich des deutschen Kontingents) entgegengestellt werden. Dieses Kräfteverhältnis werde uns hoffentlich in die Lage versetzen, die Drin --Save --Donau-Linie einige Zeit zu halten. Was Rumänien betreffe, so stelle sich das Kräfteverhältnis folgender- massen: 155 rumänische Bataillone gegen 120 eigene (inklusive der Armee Mak- kensen). Dies kann genügen, um einen Putschversuch der Rumänen zu vereiteln. Mehr könne man nicht erwarten. Zudem seien die Rumänen auch artilleristisch und was die Versorgung mit Munition anbelange im Vorteil, so dass ausschliess¬ lich nur an Defensivaktionen gedacht werden könne. Auf eine Bemerkung des kgl. ung. Ministerpräsidenten, dass in Ungarn Stimmen laut werden, welche dem Armeeoberkommando antiungarische Tendenzen in dem Sinne zuschreiben, dass die Verteidigung Ungarns vernachlässigt werde, repliziert Freiherr von Arz, dass er diesen Vorwurf auf das Entschiedenste zurückweisen müsse. Das Armeeoberkommando sei peinlichst bestrebt, allen Anforderungen, welche die Verteidigung der Monarchie erheischen, in unparteiischer Weise und nur nach rein militärischen Rücksichten gerecht zu werden. In Anbetracht der sehr pre¬ kären Transportverhältnisse sei es aber unmöglich, die in Aussicht genom¬ menen und als notwendig erkannten Umgruppierungen im Handumdrehen durchzuführen. Schliesslich kommt noch der k.u.k. gemeinsame Finanzminister auf die Frage der Einbringung des Gesetzentwurfes über die Personalunion zu sprechen, von der er dringendst abrät. Im weiteren Verlaufe seiner Ausführungen polemisiert Freiherr von Spitzmüller gegen die beabsichtigte Errichtung eines separaten ungarischen Ministeriums des Äussern, welches mit dem Geiste der pragmatischen Sanktion im Widerspruch stehe. Der k.k. Ministerpräsident spricht sich in demselben Sinne aus, worauf Graf Buriän angesichts der schwierigen Lage, in welcher sich die ungarische Regierung befinde, Dr. Wekerle zur Erwägung stellt, die Behandlung des Gesetzentwurfes tunlichst hinauszuziehen, um nicht die kommenden Friedens¬ verhandlungen mehr als nötig zu komplizieren. 702 <pb/> Der kgl. ung. Ministerpräsident erwidert hierauf, dass sich die kgl. ung. Regierung in einer Zwangslage befinde. Der Gesetzentwurf müsse einge¬ bracht werden, um der Agitation des Grafen M. Kärolyi die Spitze abzubrechen. Was die Durchführung anbelangt, so wolle er sich für eine tunlichst dilatorische Behandlung einsetzen. Hierauf resümiert Seine k.u.k. Apostolische Majestät die Ergebnisse des Kronrates. 1. Die Friedensaktion ist so rasch als möglich durchzuführen. 2. Die Antwort an den Präsidenten der Vereinigten Staaten ist derart zu fassen, dass hiedurch die Defensivkraft der Armee nicht gefährdet werde. 3. Die k.k. und kgl. ung. Regierung wird aufgefordert, unter tunlichster Zurück¬ setzung staatsrechtlicher Bedenken unverweilt die nötigen Massregeln, namentlich in der südslawischen Frage, zu ergreifen, welche eine Weiterentwicklung in zentri¬ fugalem Sinne hintanzuhalten geeignet scheinen. Im Anschlüsse hieran sagt der kgl. ung. Ministerpräsident zu, einer Lösung der südslawischen Frage in dem Sinne »Vereinigung sämtlicher südslawischer Gebiete im Rahmen der Monarchie« das Wort zu reden. Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde von keinem einzigen Teilnehmer des Ministerrates auf dem Mantelbogen des Protokolls bestätigt. -- In der linken unteren Ecke des letzten Blattes die Unterschrift Colloredos. Die Kenntnisnahme durch den Herrscher und die Unterschrift des Ministers des Äußern fehlen. -- Das Konzept ist nicht vorhanden. 703 <pb/><pb/>