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Gemeinsamer Ministerrat, 22. 1. 1918

I. Richtlinien für die bei den Friedensverhandlungen mit den russischen Maximalisten und den Vertretern der Ukrainischen Republik zu befolgenden Politik

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z34.pdf.

Der k.u.k. Kriegsminister erklärt sich mit einer seinerzeitigen Bespre¬

chung dieser Angelegenheit einverstanden.

Hierauf schliesst der Vorsitzende, Ministerpräsident Ritter

von S e i d 1 e r, den Ministerrat.        ·

   Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des
Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. In der linken
oberen Ecke des Blattes mit Bleistift geschrieben die Signatur des Herrschers: »gelesen.
Karl«. In der rechten Ecke mit Bleistift geschrieben: »fertig«. -- Auf dem letzten Blatt
die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Baden, am 20. Februar 1918.« Unter dem
Text rechts die Unterschrift des österreichischen Ministerpräsidenten Seidler, als
Vorsitzendem des Ministerrates. Links unten die Unterschrift des Protokollführers
Lobkowitz. -- Ebd. das maschinengeschriebene Konzept des Protokolls, mit den aus
der Feder des Protokollführers stammenden Korrekturen. Auf dem ersten Blatt
unten außer den Signaturen der Abschrift und der Kollation das Handzeichen des
österreichischen Ministerpräsidenten Seidler als Vorsitzender des Ministerrates.

                                                                                                               34.

                                                                                  Wien, 22. Januar 1918

            Debatte über den Bericht des Ministers des Äußern über die Friedensverhandlungen
        in Brest-Litowsk. Einhellige Stellungnahme gegen die deutschen Annexionsbestrebun¬
        gen, die den Abschluß des Friedensvertrages verhindern. Militärische und Versorgungs¬
        gesichtspunkte für den Friedensschluß mit den Bolschewiki und den Ukrainern.
        Die Monarchie verzichtet auf Polen, nimmt aber als Entschädigung für die Annexion
        Rumäniens Stellung.

            Am 7. November 1917 siegte die Revolution der Bolschewiki in Petersburg. Tags
        darauf, am 8. November erschien das von Lenin unterfertigte Friedensdekret, in
        welchem sämtliche kriegführenden Parteien zum Friedensschluß aufgefordert wurden.
        Am 28. November schlug der Volkskommissar für Äußeres, Trotzki, allen kriegführen¬
        den Parteien den Abschluß eines Waffenstillstandes vor. Die Ententemächte wiesen den
        Vorschlag Trotzkis zurück, die Mittelmächte nahmen ihn an. Auf Grund des am
         15. Dezember abgeschlossenen Waffenstillstandes begannen am 22. Dezember in Brest-
        Litowsk die Friedensverhandlungen. In einer Verhandlungspause, am 22. Januar 1918
        trat der gemeinsame Kronrat zusammeh und befaßte sich mit den Friedensverhand¬
        lungen und dem Bericht des Führers der österreichisch-ungarischen Friedensdelegation,
        des Ministers des Äußern Czernin, und erteilte ihm weitere Instruktionen. Über die
        zur Debatte stehenden Fragen siehe die Kommentare zu den Protokollen vom 7. Januar,
        9. September 1916, 12. und 22. Januar, 6. Mai 1917.

Protokoll eines am 22. Jänner 1918 unter Vorsitz Seiner k.u.k. Apostolischen Maje¬
stät abgehaltenen Kronrates.

   Gegenstand: Richtlinien für die bei den Friedensverhandlungen mit den russi¬
schen Maximalisten und den Vertretern der Ukrainischen Repubhk zu befolgenden
Politik.

   G.M.K.P.Z. 545.

       40* 627
<pb/>  Anwesende: Seine Exzellenz der Herr k.u.k. Minister des Äussern, Ottokar
Graf C z e r n i n. Seine Exzellenz der Herr k.k. Ministerpräsident, Dr. Ernst
Ritter von S e i d 1 e r. Seine Exzellenz der Herr kgl. ung. Ministerpräsident,
Dr. Alexander Wekerle, Buriän, Seine Exzellenz der Herr Chef des
k.u.k. Generalstabes, Arthur Baron A r z, Seine Exzellenz der Herr k.u.k. Kriegs¬
minister, Rudolf Edler von Stöger-Steiner,&quot; Seine Exzellenz der Herr
k.u.k. Sektionschef, Dr. Gustav G r a t z, Legationsrat Graf Colloredo
als Schriftführer, Legationssekretär Graf D e m b 1 i n.

   Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen, den Kronrat um 5 Uhr 30 Minuten
zu eröffnen und die Anwesenden vor allem um strengste Geheimhaltung der
abzuführenden Debatte zu ersuchen, worauf Allerhöchstderselbe dem k.u.k.
Minister des Äussern das Wort erteilt.

   Graf C z e r n i n gibt zunächst eine kurzgefasste Darstellung der Brest-
Litowsker Verhandlungen und der gegenwärtigen Situation. Wir verhandeln
-- so führt der Minister des Äussern aus -- einerseits mit den Vertretern der
Regierung der russischen Volkskommissäre, andererseits mit den Vertretern der
ukrainischen Zentralrada. Die Schwierigkeiten konzentrieren sich hauptsächlich
um zwei Punkte, erstens den Streit zwischen Deutschland und den Maximahsten
um das künftige Schicksal der derzeit okkupierten Gebiete; zweitens die chaotischen
Zustände innerhalb, des ehemaligen russischen Reiches. Was den ersten Punkt
betrifft, so handelt es sich vornehmlich um die von der Deutschen Obersten
Heeresleitung, nicht von der Regierung geforderte Form hinsichtlich der Rege¬
lung der Territorialfrage in den besetzten Gebieten, welche mehr oder minder
auf ein deutsches Annexionspetit hinausläuft. Dies sei mit der ganzen Denkungs¬
art der Bolschewiki schwer vereinbar und setzten diese der deutschen Vorgangs¬
weise bisher den zähesten Widerstand entgegen. Nichtsdestoweniger sei zu hoffen,
dass der Friede mit den gegenwärtigen russischen Machthabern dennoch zustande
kommt. Aufkeinen Fall können die österreichisch-ungarischen Vertreter mit leeren
Händen von Brest-Litowsk heimkehren; Graf Czernin bittet daher um die Aller¬
höchste Ermächtigung, mit Herrn Trotzki einen Separatfrieden abzuschliessen für
den Fall, dass die Verhandlungen zwischen Deutschland und den Bolschewiki
an Kurland und Lithauen, also an verhüllten Annexionsgelüsten Deutschlands
scheitern sollten. Österreich-Ungarn würde seiner seit einem Jahre konsequent
befolgten Politik, d. h. Friede ohne Annexionen, untreu werden, wollte es diese
Vorgänge stillschweigend billigen. Der Separatfriedensvertrag dürfe nur einen Arti¬
kel beinhalten, in welchem bloss festgestellt würde, dass der Kriegszustand zwi¬
schen Österreich-Ungarn und Russland aufgehört hat. Eine derartige Abmachung
würde hierzulande gewiss einen guten und beruhigenden Eindruck machen,
was augenblicklich notwendig sei. Dass hieraus eine starke Verstimmung mit
Deutschland resultieren werde, darüber mache sich Graf Czernin keine Illusionen,
doch glaube er, diesen Eindruck, wenigstens teilweise, dadurch paralysieren zu
können, dass den Deutschen gleichzeitig im Westen eine ausgiebigere mihtärische
Unterstützung zugesagt wird, um an dieser Front den Verteidigungskrieg und nur
diesen mit Deutschland weiterzuführen. Graf Czernin habe den deutschen Staats-

     a) Nachträglich mit Bleistift eingefügt.

 628
<pb/>Sekretär von seiner oberwähnten Absicht in Kenntnis gesetzt und habe bei diesem
volles Verständnis gefunden.

  Weit wichtiger als die Frage eines Separatfriedens mit den Maximalisten sei
die Verständigung mit den Ukrainern. Ursprünglich hätten die Ukrainer die
Abtretung Ostgahziens gefordert, was glatt abgelehnt wurde. Ebenso hätten sie
bezüglich der ruthenischen Gebiete Ungarns ein kategorisches: »Hände weg« als
Antwort erhalten. Nunmehr fordern sie die Zweiteilung Galiziens und die Schaf¬
fung einer ukrainischen Provinz aus Ostgalizien und der Bukowina. Ausserdem
die bedingungslose Einverleibung des Cholmerlandes mit der ukrainischen
Republik, wodurch die Möglichkeit der Realisierung der austro-polnischen
Lösung allerdings einen starken Stoss erleiden würde. Die Gegenleistung bestünde
in einem Handelsabkommen, welches in dem Friedensinstrument Aufnahme
finden und uns den sofortigen Bezug von Getreide gestatten würde. Ausserdem
würde Österreich-Ungarn für die in der Ukraine lebenden Polen vollste Rezipro¬
zität fordern müssen. Graf Czernin habe alle diese Wünsche ad referendum genom¬
men, bemerkt aber, dass dieselben bei den künftigen Verhandlungen in Rechnung
gestellt werden müssten, wolle man zu einem erspriesshchen Resultate gelangen.
Es handle sich also heute um eine prinzipielle Ermächtigung, welche dem Minister
des Äussern gestatten würde, auf obiger Basis zu verhandeln. Die Frage des wann
und wie müsse späteren Beratungen Vorbehalten bleiben und würde die Durch¬
führung in den Kompetenzkreis der k.k. Regierung fallen. Die wechselseitigen
Garantien könnten was die Form anlangt, in dreifacher Weise festgelegt werden:
Entweder durch Aufnahme eines entsprechenden Passus in das Vertragsinstru¬
ment selbst oder aber in einem geheimen Annex, endlich durch Schaffung eines
Faktums.

   Der k.k. Ministerpräsident, welcher als nächster Redner zu Worte
kommt, unterstreicht vorerst die Notwendigkeit eines baldigen Friedensschlusses
und beleuchtet sodann die Frage der Schaffung eines ukrainischen Kronlandes
vom verfassungstechnischen Standpunkte. Die Sicherung der erforderlichen Zwei¬
drittel-Majorität für die Annahme des einschlägigen Gesetzentwurfes durch das
Parlament hält Dr. von Seidler für erreichbar. Eine Opposition, allerdings in der
allerschärfsten Form, sei eigentlich nur seitens der Polen zu gewärtigen. Immerhin
müsse mit einer vollständigen Ummodelung der Majoritätsverhältnisse und den
heftigsten parlamentarischen Kämpfen gerechnet werden, umsomehr, als das
Parlament wegen der befristeten Behandlung des Budgets jetzt nicht vertagt
werden könnte.

   Hierauf greift der kgl. ung. Ministerpräsident in die Debatte ein
und führt aus: Es handle sich um zwei Dinge, welche scharf zu scheiden seien.
1. Um den Abschluss des Krieges mit demjenigen Teile Russlands, welcher heute
durch die maximalistische Regierung repräsentiert wird, 2. um die Schaffung
einer ukrainischen Provinz. Sollte der erste Punkt, ohne einen Bruch mit Deutsch¬
land herbeizuführen, realisierbar sein, so hätte Dr. Wekerle keine Einwendungen
zu erheben, wiewohl ihm vor der Schaffung eines fait accompli eine nochmalige
eindringliche Aussprache mit der deutschen Regierung nicht nur wünschenwert,
sondern geradezu geboten erscheine.

                                                                                                              629
<pb/>  Was hingegen den zweiten Punkt betrifft, so dankt Dr. Wekerle vor allem dem
Grafen Czernin für die Ablehnung jedweder Ingerenz auf innerungarische Ver¬
hältnisse. Hiezu wolle er weiters bemerken, dass es in Ungarn keine ukrainische
Frage gebe; bezüglich das von Ruthenen besiedelten ungarländischen Gebietes
sei eine reinliche Abgrenzung undurchführbar; die ungarländischen Ruthenen
besitzen keine Intelligenz; Grundbesitz, Handel und Industrie sind in den frag¬
lichen Gebieten fast ausschliessüch in der Hand von Nichtruthenen. Unter diesen
Umständen sei es für einen ungarischen Pohtiker leicht, einen rein objektiven
Standpunkt einzunehmen und ausschliesslich die Interessen der Monarchie bezie¬
hungsweise Österreichs zu vertreten und in dieser Hinsicht müsse Dr. Wekerle
nachdrücklichst vor jeder Einmischung von aussen warnen, zumal wenn eine
solche von einem staatlichen Gebilde ausgeht, welches auf einer so labilen Grund¬
lage steht wie die ukrainische Republik. Durch eine nachgiebige Haltung in dieser
Hinsicht käme man leicht auf eine schiefe Ebene, auf der es dann keinen Halt
mehr gibt. Die ethnographische Struktur der Monarchie verbiete jedwede Ein¬
mischung von aussen, welche, wenn sie an einem Punkte angenommen würde
ein gefährliches Präzedens für die Aspirationen anderer Staaten schaffen müsste.
Würde nicht beispielsweise Italien und Rumänien gelegentlich der Friedensver¬
handlungen analoge Forderungen anmelden? Abgesehen hievon bedeutet der
von Graf Czernin vorgeschlagene Weg den Verlust Polens, was wieder das Empor¬
blühen einer zweifachen Irredenta, der galizisch-polnischen, sowie der galizisch-
ukrainischen unausweichlich nach sich ziehen müsste. Ferners müsse Dr. Wekerle
bemerken, dass ihm die ukrainischen Vertreter in Brest-Litowsk sehr wenig
Vertrauen einflössen - man wisse eigentlich nicht, von wem ihr Mandat aus¬
gehe -- und wen sie vertreten. Abgesehen hievon müsste man vor allem in unzwei¬
deutiger Weise festgestellt haben, ob tatsächlich hinreichende exportierbare Ge¬
treidemengen in der Ukraine zur Verfügung stehen und ob dieselben auch ab¬
transportiert werden können. Als Transportweg käme fast ausschliesslich die
Donau in Betracht. Um denselben benützen zu können, müssten wir uns vorerst
mit Rumänien auseinandersetzen etc. etc.! Alle diese Erwägungen mahnen zu
äusserster Vorsicht, sonst würden wir die Autonomie Ostgaliziens für ein
Linsengericht verkaufen. Schliesslich meint Dr. Wekerle, dass auch diese Frage
zunächst gründlich mit Deutschland durchberaten werden sollte.

   Auf die Ausführungen des kgl. ung. Ministerpräsidenten erklärt Graf Czer¬
nin, es gebe keinen glühenderen Verfechter des deutschen Bündnisses, aber alles
 habe seine Grenzen: an deutschen Annexionsveilleitäten, und um solche handle
 es sich letzten Endes, dürfte der Friede nicht scheitern. Im Gegensätze zu der
 vernünftigen Haltung der deutschen Regierung übe die Deutsche Oberste Heeres¬
 leitung eine Art Diktatur aus, gegenderen Ansichtenjedwedes Argument versage;
 wir sind daher gezwungen, eine schärfere Tonart anzuschlagen und es komme
 nur darauf an, unser dezidiertes Auftreten in eine Form zu kleiden, durch welche
 dem Bündnisgedanken kein Abbruch geschieht.

    Was die Zweiteilung Galiziens anbelangt, so verkenne Graf Czernin keineswegs
 die grossen Gefahren, welche eine solche Massregel, die zweifelsohne einen Kotau
 vor der Ukraine darstellt, in sich birgt, er leugne nicht, dass hiedurch ein folgen-

 630
<pb/>schweres Präzedens geschaffen würde und dass wir uns auf eine schiefe Ebene
begeben -- aber was bleibe dem verantwortlichen Leiter der auswärtigen Politik
der Monarchie übrig, wenn ihm der k.k. Ministerpräsident, General Landwehr
und General Höfer übereinstimmend erklären, die ungarischeAushilfe anNahrungs-
mitteln könne uns nur über die zwei nächsten Monate hinweghelfen und dass
nach dieser Zeit unvermeidlich der Zusammenbruch kommen müsse, wenn wir
nicht von irgendeiner Seite Getreidezuschübe erhalten, (hier widerspricht Dr.
Wekerle) und wo können diese heute gefunden werden, wenn nicht in der Ukraine.
Falls Dr. Wekerle auch für Österreich die Garantie des Durchhaltens übernimmt,
dann wolle Graf Czernin freudigst eine andere Politik machen. Solange dies nicht
geschehen ist, befinde er sich in der Situation eines Mannes, welcher sich im dritten
Stocke eines brennenden Hauses befindet und als einzige Rettungsmöglichkeit
zum Fenster hinausspringt. Der Mann wird in diesem Augenblicke nicht daran
denken, ob er er sich beim Rettungssprung auch die Beine bricht. Natürlich wolle
er die Kuh nicht aus dem Stalle lassen, bevor der Preis für dieselbe nicht bezahlt
sei -- es müsse vorerst vollste Sicherheit bestehen, dass wir das ukrainische Getreide
auch rechtzeitig erhalten. Dies alles müsse natürlich von der entsprechenden
publizistischen Aufmachung begleitet sein.

   Im Gegensätze zu Dr. von S e i d 1 e r, welcher den Ausführungen des Ministers
des Äussern vollinhaltlich beipflichtet, bestreitet Dr. Wekerle, dass die Ernäh¬
rungsverhältnisse derart desolate seien, dass sie den verhängnisvollen Schritt
der Schaffung einer ukrainischen Provinz über Verlangen der Nachbarrepubfik
rechtfertigen. Dr. Wekerle beruft sich diesfalls auf Äusserungen, die GM. von
Landwehr im Dezember 1917 ihm gegenüber gemacht habe.

   Hierauf ergreift der Chef des Generalstabes das Wort:
   Seiner Ansicht nach sei ein Friedensschluss mit den russischen Maximahsten,
welche nur auf Propagierung ihrer revolutionären Ideen bedacht seien, von sekun¬
därer Bedeutung und hätte für uns schon deshalb keinen praktischen Wert, weil
wir an der Bolschweikifront keine Truppen stehen hätten. Ob wir mit Herrn
Trotzki einen Frieden zustandebringen oder nicht, sei einerlei, hingegen müsse
der Bruch mit Deutschland vermieden werden.
   Anders liegt die Sache mit der ukrainisch-rumänischen Front, an der wir
40 Divisionen stehen haben. Hier also hätte ein Friedensschluss praktische Folgen
und sei eine Auseinandersetzung anzustreben. Massgebend für diese Front sei
einzig und allein General Schtscherbatschoff; die Verhandlungen müssten also
tunlichst mit ihm geführt werden, denn ohne ihn werde man schwerlich zu einem
greifbaren Resultat kommen. Hinsichtlich der ukrainischen Getreidevorräte,
der Möglichkeit ihres Abtransportes sowie der Schaffung eines ukrainischen
Kronlandes schliesst sich Baron Arz den Bedenken des kgl. ung. Ministerpräsi¬
denten an. Weiters warnt er vor einer Zurücknahme des den,Polen gegebenen
 Versprechens, welches im Grunde doch ein kaiserliches Wort bedeute und uns
hinsichtlich der Polen gewisse Verpflichtungen auferlegt.
   Was die Räumung der besetzten Gebiete und die Demobilisierung anbelangt,
 so hielte es der Chef des Generalstabes für zweckentsprechend, das Publikum,
 welches sich diesbezüglich in groben Illusionen wiegt, dahin aufzuklären, dass

                                                                                                               631
<pb/>die Durchführung dieser Massnahmen einen sehr langen Zeitraum, jedenfalls
viele Monate, in Anspruch nehmen wird. Man müsse sich also vor allem in Geduld
fassen und nichts überstürzen. Betreffs der Versorgung Österreichs mit Getreide
appelliert Baron Arz an die Unterstützung Ungarns. Hienach reflektiert Graf
C z e r n i n auf die polnische Frage: Die austropolnische Lösung sei noch immer
-- auch wenn das Cholmland an die Ukraine abgetreten und aus Ostgalizien
ein ukrainisches Kronland geschaffen würde -- möglich, wenn die Deutschen
wollen. Sollte aber Deutschland oder besser gesagt, General Ludendorff auf
der Abtretung der D^browaer Kohlengruben und einer verstümmelnden
Grenzrektifikation im Norden bestehen, dann allerdings müssten wir auf die
austropolnische Lösung verzichten. Deshalb schwebe dem Minister des Äussern
der Gedanke vor, an die Deutsche Oberste Heeresleitung heranzutreten
und derselben Folgendes zu erklären: Die austropolnische Lösung können
wir nur dann akzeptieren, wenn wir ein im wesentlichen unbeschnittenes
Kongresspolen erhalten. Geht Deutschland auf diesen Vorschlag nicht ein,
Hann wäre als Ersatz für Kongresspolen eine Verbindung Rumäniens mit
der Monarchie in der Form einer Personalunion anzustreben. Dieser letz¬
tere Modus hätte unter anderem auch den Vorteil, dass die schwer vertretbaren
Grenzrektifikationspetite Ungarns gegenüber Rumänien entfallen könnten. Graf
Czernin habe die Absicht, mit der Vertretung des vorentwickelten Planes vor
der Deutschen Obersten Heeresleitung Sektionschef Dr. Gratz zu betrauen,
welcher sich zu diesem Zwecke baldmöglichst in das deutsche Hauptquartier
zu begeben hätte.

   Im Anschlüsse hieran erstattet Sektionschef Dr. Gratz Bericht über die
polnische und rumänische Frage, wie sie sich auf Grund von Konversationen mit
Dr. von Kühlmann und anderen deutschen Funktionären heute darstellt. Hienach
ergibt sich folgendes Bild: Auch ohne den ukrainischen Zwischenfall wäre die
austropolnische Lösung -- wie sie den Deutschen vorschwebte -- für uns nicht
annehmbar gewesen. Die Deutschen fordern, abgesehen von den durch Grafen
Czernin erwähnten territorialen Beschneidungen Kongresspolens die Nieder¬
haltung der polnischen Industrie, das Miteigentumsrecht an den polnischen
Eisenbahnen und Staatsdomänen, sowie die Überwälzung eines Teiles der Kriegs¬
schulden auf Polen. Es bliebe somit ein blutarmes, kaum lebensfähiges Polen
übrig, das uns nur Schwierigkeiten bereiten würde. Wegen der Dqbrowaer Kohlen¬
gruben sei in Deutschland eine allgemeine Krise ausgebrochen: Hindenburg,
Ludendorff hätten deshalb ihre Demission angeboten und selbst der Kanzler¬
stuhl wäre ins Wanken geraten. Bezüglich Dqbrowa sei also nichts herauszuschla¬
gen. Der Verzicht auf Kongresspolen hingegen und die rumänische Kompen¬
sation, das heisst der engere Anschluss dieses immens reichen Landes an die
Monarchie, hatten vieles für sich, obwohl es auch hier schwer fallen wird, mit
Deutschland handelsein zu werden. Politisch würde die rumänische Lösung Vor¬
teile bieten, insoferne als der Irredentismus dann kaum sein offizielles Gepräge
beibehalten könnte. Wir würden ferners die untere Donau beherrschen und so
den von vielen österreichischen und ungarischen Patrioten gehegten Traum reali¬
sieren.

 632
<pb/>   Seine k.u.k. Apostolische Majestät resümiert hierauf das
Ergebnis der Debatte, wie folgt: Der Minister des Äussern ist ermächtigt 1. even¬
tuell und falls es nicht anders gehen sollte, mit den russischen Maximalisten in
der von Grafen Czernin vorgeschlagenen Form ein Separatabkommen abzu-
schliessen, 2. wenn die Versorgungsverhältnisse in der Monarchie eine Fort¬
führung des Krieges unmöglich erscheinen lassen sollten und eine reale Unter¬
lage vorhanden wäre, mit der Ukraine auf der Basis einer Zweiteilung Gahziens
in Verhandlungen einzutreten. Die Schuld eines eventuellen Scheiterns dieser
Verhandlungen müsste in ostensibler Weise den ukrainischen Vertretern auf¬
gebürdet werden. 3. Die austropolnische Lösung, so bedauerlich dies auch sei,
vorläufig zurückzustellen und hiefür den Anschluss eines tunlichst hypotheken¬
freien Rumäniens an die Monarchie ins Auge zu fassen. 4. Den Deutschland zu
gewährenden sonstigen Konzessionen (Militärkonvention, handeis- und verkehrs¬
politische Abmachungen) könnte erst dann nähergetreten werden, wenn die Terri¬
torialfragen gelöst sein werden.

   Schliesslich kommt noch der k.u.k. gemeinsame Finanzminister
zum Wort. Baron Buriän hebt gleichfalls die unabsehbaren Gefahren hervor,
welche eine auf Drängen des Auslandes erfolgende Errichtung eines ukrainischen
Kronlandes nach sich ziehen könnte, insbesondere, wenn eine diesbezügliche
Bindung in den Friedensvertrag aufgenommen werden sollte. Es sei wohl wahr-
scheinlich, dass der Krieg an der inneren Struktur der Monarchie nicht spurlos
vorübergehen werde, aber die Umformung müsse von Innen kommen, nicht
von Aussen aufgezwängt werden, wenn anders diese Umformung der Monarchie
zum Vorteil oder zum mindesten nicht zum Nachteil gereichen soll. Falls aber
dieses schwere Opfer ein Gebot der Notwendigkeit werden sollte, dann müsste
man vor allem darauf bedacht sein, ein dahin zielendes Versprechen in eine tun¬
lichst anodyne Form zu bringen. Die Form sei hier -- so paradox dies auch
klingen mag -- etwas sehr wesentliches. Es sei ein grosser Unterschied, ob man
sich in der Form einer Friedensbedingung bindet oder ob beispielsweise in einem
geheimen Annex eine Absicht erklärt wird. In der Wahl der richtigen Form hege
noch die Möglichkeit, die katastrophalen Folgen, welche aus dem ukrainischen
Geschäft resultieren können, abzuwenden beziehungsweise abzuschwächen.

   Seine Majestät geruht die Ausführungen Baron Buriäns zu Kenntnis zu nehmen
und schhesst hierauf den Kronrat.

             Die Original-Reinschrift ist nicht vorhanden. Die Veröffentlichung erfolgt auf
          Grund des maschinengeschriebenen Konzepts des ProtokoUs. Hierin ein Blatt mit der
         Bemerkung, in die Liste der Anwesenden auch den Namen Buriäns aufzunehmen, der
         irrtümlich ausgeblieben sei.

                                                                                                   633
<pb/>