MRP-2-0-07-0-19170110-P-0019.xml

|
[Tagesordnungspunkte]

Gemeinsamer Ministerrat, 10. 1. 1917

   Der kgl. ung. Ministerpräsident wiederholt, dass er die vom Vorsit¬
zenden geschilderten Nachteile durchaus würdige. Die kgl. ung. Regierung würde
von dem Kündigungsrechte nur dann Gebrauch machen, wenn sonst eine Verjäh¬
rung dieses Rechtes eintreten würde. Wenn das Recht aber prolongiert werde, so
sei man ungarischerseits durchaus mit der Anregung des Vorsitzenden einverstan¬
den.

   Der k.k. Ministerpräsident erklärt, dass im Prinzip gegen eine solche
Lösung auch österreichischerseits keine Einwendung bestehe. In formaler Bezie¬
hung werde man sich über die Durchführung, sei es im Notenwege, sei es im Wege
eines Gesetzes, mit der kgl. ung. Regierung noch zu verständigen haben.

   Es ergibt sich demnach Übereinstimmung der beiden Regierungen dahin, dass
zur Vermeidung der sich aus der Kündigung der Handelsverträge ergebenden
schweren Nachteile der Weg der Erstreckung des Kündigungsrechtes eingeschla¬
gen werde. Die Durchführung bleibt dem weiteren Einvernehmen der beiden
Regierungen Vorbehalten.

   Der Vorsitzende schliesst die Sitzung um ^ 9 Uhr abends.

            Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des
        Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt, mit Ausnahme
        des österreichischen Ministerpräsidenten Stürgkh, dessen Name auf diesem Bogen gar
        nicht vorkommt, denn er war noch vor Fertigstellung der Reinschrift, am 23. Oktober,
        einem Attentat zum Opfer gefallen. -- Auf dem letzten Blatt unter dem Text rechts
        die Unterschrift Buriäns, links unten die von Joannovics. Die Kenntnisnahme durch den
        Herrscher fehlt. Die Reinschrift wurde offenbar nach dem am 21. November 1916
        eingetretenen Tod Franz Josephs, oder zumindest zu einer Zeit fertiggestellt, als er
        bereits schwer krank war. Wenn letzteres der Fall war, so ist sicher, daß man nur
        unaufschiebbare, wichtige Schriftstücke von dem schwerkranken Greis unterschreiben
        ließ. Das Protokoll des einen Monat vorher abgehaltenen Ministerrates zur Kenntnis
        zu nehmen, hatte der Herrscher nicht mehr die Zeit und die Möglichkeit. -- Ebd. das
        maschinengeschriebene Konzept des Protokolls mit einigen Korrekturen des Protokoll¬
        führers. Auf dem ersten Blatt unten das Handzeichen Buriäns. -- Auf dem letzten
        Blatt unten die Unterschrift von Joannovics.

                                                                                                                19.

                                                                                  Wien, 10. Januar 1917

        Die Lebensmittelrationen. Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Staatsbürger der
         Monarchie im besetzten Rumänien. Die Verbindungen der Rumänen Siebenbürgens
        mit dem rumänischen Königreich.

            In dieser Konferenz kam die Unzufriedenheit der Österreicher darüber, daß sich
        Ungarn als einstiges landwirtschaftliches Exportland an der Sicherung der Lebens¬
        mittelversorgung der österreichischen Provinzen nicht in solchem Maße beteilige, wie
        es könnte, in sehr scharfer Form zum Ausdruck. Zu der auf der Tagesordnung
         stehenden Frage siehe den Kommentar zum Protokoll vom 9. September 1916.

428
<pb/>Protokoll des zu Wien am 10. Jänner 1917 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬
same Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des Ministers des k.u.k. Hauses und des
Äußern Grafen Czernin.

   K.Z. - G.M.K.P.Z. 531.

   Gegenwärtige: Der kgl. img. Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.k. Mini¬
sterpräsident Graf C1 a m-M a r t i n i c, der k.u.k. gemeinsame Finanzminister
Baron B u r i ä n, der k.u.k. Kriegsminister G. O. Freiherr von K r o b a t i n,
der kgl. ung. Finanzminister Teleszky, der kgl. ung. Ackerbauminister
Baron Ghi 11 äny, der k.k. Finanzminister Dr. von Spitzmüller, der
Chef des k.k. Amtes für Volksernährung Minister Oberst H ö f e r, der Chef des
ungarischen Ernährungsamtes Baron K ü r t h y, der Stellvertreter des Chefs des
k.u.k. Kriegsministeriums, Marinesektion, Vizeadmiral von K a i 1 e r, der Mili¬
tärgeneralgouverneur von Lublin Feldzeugmeister K u k, der Vertreter des
Armeeoberkommandos Oberstleutnant im Generalstabskorps Klusacek.

   Schriftführer: Generalkonsul von Joannovics.

   Gegenstand: Regelung der Getreidefrage.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung um 10 Uhr vormittags und teilt
einleitend die Information mit, welche er bei einem Besuche in Berlin über die in
Rumänien Vorgefundenen Gertreidevorräte erhalten hat. Die Deutsche Oberste
Heeresleitung hat sich über die Menge der vorhandenen Vorräte-und die Möglich¬
keit des Abtransportes noch ungenügend orientiert gezeigt und keine sicheren Anga¬
ben machen können. Erst auf wiederholtes Drängen hat der Staatssekretär des
Innern auf Grund von Erhebungen beim kgl. preussischen Rriegsministerium
nähere Angaben gemacht, wonach die Gesamtmenge an Brot- und Futtergetreide,
die aus Rumänien abgeführt werden könnte, vorläufig ohne jede Gewähr auf zwei
bis zweieinhalb Millionen Tonnen geschätzt werde. Da im Sinne der zwischen den
beiden Kriegsministerien geführten Verhandlungen diese Gesamtmenge zwischen
Deutschland und Österreich-Ungarn nach dem Verhältnisse der Einwohnerzahl,
das ist 7 : 5, verteilt werden soll mit der Massgabe, dass für Brotgetreide das Ver¬
hältnis umgekehrt wird und beim Futtergetreide ein Ausgleich stattfindet, kann für
Österreich-Ungarn, die Richtigkeit der vorläufigen Schätzung vorausgesetzt, mit
einem Anteile von 8 -- 900.000 Tonnen gerechnet werden.

   Die Heeresverwaltung hoffe, 150.000 Tonnen monatlich aus Rumänien abbe¬
fördern zu können; ob und innerhalb welcher Zeit dies zu erreichen sei, hänge im
wesentlichen davon ab, dass

   I. für glatte Abwicklung des Verkehrs auf den ungarischen Bahnen gesorgt
werde,

   II. die in Österreich-Ungarn zur Zeit noch festgehaltenen deutschen Wagen
möglichst bald herausgegeben und damit für die Abbeförderung freigemacht
werden.

   Die Wiederherstellung der gemeinsamen Transportorganisation auf der Donau
sei in vollem Gange und einzelne Transporte seien bereits im Zuge. Die ersten 1000
Tonnen Mais seien dieser Tage in Deutschland eingetroffen, so dass angenommen
werden könne, auch Österreich-Ungarn habe einige Transporte erhalten. Der

                                                                                                               429
<pb/>Staatssekretär hat schliesslich die Hoffnung ausgesprochen, dass die der Steige¬
rung der Transporte noch entgegenstehenden Schwierigkeiten in kürzester Zeit
überwunden werden.

   Die grössten Schwierigkeiten bestehen nach deutscher Ansicht darin, dass eine
grosse Anzahl von Schiffen versenkt wurde, die erst gehoben werden müssen;
ausserdem sei die Leistungsfähigkeit der siebenbürgischen Bahnen infolge der durch
die Mihtärtransporte verursachten Verstopfung und der Schwierigkeiten der Eva¬
kuierung dermalen eine sehr beschränkte.

   Der k.u.k. Kriegsminister bemerkt zu den vorstehenden Angaben, dass
die Behauptung, es mangle an Schleppern, nicht berechtigt sei. Es seien genügend
Schleppschiffe vorhanden; gegenwärtig seien in der unteren Donau mehr als 60
Schleppe angestellt, von welchen manche über drei Wochen unten liegen, ohne
verladen werden zu können, weil die Ladevorrichtungen zerstört seien und die
Verladung mit Menschenkräften erfolgen müsse. Die Daten über die vorhandenen
Getreidevorräte seien noch nicht verlässlich; vor Ende Jänner werde man keinen
genauen Überblick darüber haben, welche greifbaren Vorräte an Getreide sich in
Rumänien befinden, doch schätze man sie auch hier auf etwa 2--2.5 Millionen
Tonnen. Der bisherige Abtransport habe sich wegen der langen Verladedauer
allerdings sehr langsam vollzogen. Es seien seit 1. Dezember bis 7. Jänner für Öster¬
reich-Ungarn bloss 13.180 Tonnen, für Deutschland 7.849 Tonnen abbefördert
worden.

   Die geringe Leistungsfähigkeit der siehenbürgiscben Bahnen sei begreiflich, weil
sie den ganzen Nachschub für die in Rumänien stehenden Truppen zu bewältigen
haben. Man habe Leerzüge eingerichtet, um die Waggons nach Deutschland
regelmässig zurückbefördern zu können. Die leistungsfähigste Strecke Brassö-
Sinaia sei wegen der Zerstörung des Tunnels überhaupt noch nicht im Betriebe.
Eigentlich sei nur die Strecke von Orsova bis Slatina, ferner die Bahn über Vörös-
torony betriebsfähig, die Bahn von Bukarest hinunter gegen die Donau zu aber
noch nicht. Auf den Bahntransport werde man also vorläufig nicht rechnen können,
doch sei auch im vorigen Jahre das Getreide viel weniger mit der Bahn, als auf dem
Donauwege befördert worden: die Bahntransporte betrugen nach Österreich-
Ungarn 218.000 Tonnen, nach Deutschland 264.000 Tonnen, die Schiffstransporte
dagegen 694.000 Tonnen, beziehungsweise 649.000 Tonnen. Das Hauptgewicht
müsse auch heuer auf den Schiffsverkehr gelegt werden. Wenn dieser gut funktio¬
niere, so werde er voraussichtlich genügen, um alles, was in Rumänien erfasst
werden könne, hereinzubringen.

   Dass viele Schleppe versenkt wurden, sei richtig, doch sei man mit den Hebungs¬
arbeiten intensiv beschäftigt. Ein sicherer Überblick über die für den Abtransport
notwendigen vorbereitenden Massnahmen werde erst möglich sein, wenn man
wissen werde, wo das Getreide liegt und wie es zur Bahn, beziehungsweise zur
Donau gebracht werden kann.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident hält die Schätzung der rumänischen
Getreidevorräte für allzu optimistisch. Bezüglich des Abtransportes wäre im gro¬
ssen und ganzen wohl an der Einteilung festzuhalten, dass die Eisenbahnen haupt¬
sächlich für militärische Zwecke, die Donau aber für den Getreideverkehr freige-

430
<pb/>macht werden soll. Im vorigen Jahre seien in der Zeit, wo es am besten ging,
monatlich 300--350.000 Tonnen auf der Donau befördert worden. Die nächste
Aufgabe wäre also, die grösstmögliche Ausnützung des Donauweges in die Wege
zu leiten, damit er mit Beginn des Frühjahres mit voller Leistungsfähigkeit ein-
setzen könne. Auf diese Weise könnten in den fünf Monaten vom 1. März bis
Ende Juli etwa 15 Millionen Meterzentner hereinbefördert werden. Dies dürfte
wohl das Maximum sein, mit welchem man rechnen könnte.

   Um diese Leistungsfähigkeit zu erreichen, müsste auch dafür gesorgt werden,
dass das Getreide rechtzeitig an die Donau gebracht werde, zu welchem Zwecke
eine rasche Organisation dieses Zuschubdienstes zu erfolgen hätte, damit er noch
im Laufe des Winters sich vollziehen könne. Endlich sei für die Bergung der in
Rumänien noch auf dem Felde stehenden Maisernte durch schleunigste Organi¬
sierung von Arbeiterpartien vorzusorgen. Es sei nicht bekannt, ob die deutsche
Militärverwaltung diese Arbeit schon in Angriff genommen habe. Die Mitwirkung
aller berufenen Faktoren der Monarchie an diesen Vorsorgen sei ein Gebot drin¬
gendster Notwendigkeit.

   Wenn der Verteilungsschlüssel 7 : 5 der Bevölkerungszahl im grossen und gan¬
zen auch entspreche, so sei Österreich-Ungarn damit noch nicht geholfen, weil es
hilfsbedürftiger sei als Deutschland, das ungleich besser versorgt sei und der
Monarchie daher zum Durchhalten verhelfen müsse. Diese Aushilfe hätte Deutsch¬
land, wenn Rumänien nicht erobert worden wäre, aus seinen Vorräten zu leisten
gehabt. Jetzt brauche aber Deutschland seine eigenen Vorräte nicht zu berühren,,
sondern könne die Aushilfe aus der rumänischen Beute gewähren. Es sei daher in
den Verteilungsschlüssel noch die Summe als plus einzustellen, mit welcher Deutsch¬
land auszuhelfen hätte. Aber selbst, wenn Deutschland die österreichisch-ungari-
scherseits angesprochene Getreidemenge zusichere, ergebe sich die zweite Schwie¬
rigkeit, dass diese Menge nicht rechtzeitig aus Rumänien herangeschafft werden
könne. Es sei daher unumgänglich nötig, dass Deutschland aus seinen eigenen
Vorräten auf Rechnung der späteren rumänischen Bezüge einen Vorschuss gebe,
weil Österreich-Ungarn seinen Bedarf nicht rechtzeitig decken könnte, wenn es jetzt
ausschliesslich auf Rumänien angewiesen bliebe. Ausserdem sei Deutschland
gegenüber der Gesichtspunkt in den Vordergrund zu stellen, dass Mais für Öster¬
reich-Ungarn leider nicht Futtermittel, sondern Brotfrucht sei und daher auch bei
Mais eine entsprechend höhere Beteiligung eintreten müsste.

   Nach der Gesamtlage ergeben sich demnach als allerdringendste Notwendigkei¬
ten die sofortige energische Organisation der Bewirtschaftung Rumäniens und
ein baldigstes Zusammentreten mit den leitenden deutschen Faktoren.

   Der k.k. Ministerpräsident bezeichnet die Beteihgung der beiden
Regierungen an den Arbeiten in Rumänien als ein unerlässliches Postulat, wenn
sie die Verantwortung für die rechtzeitige Versorgung der Bevölkerung tragen
sollen. Österreich würde in eine ganz ausserordentlich kritische Lage geraten, wenn
es nicht in der allerkürzesten Zeit hinreichende Zuschübe erhalte. Der ungedeckte
Bedarf an Brotgetreide belaufe sich auf 10 Millionen Meterzentner und sei durch
Heranziehung von Gerste zu Mahlzwecken auf 55 Millionen Meterzentner herab¬
gedrückt worden. Auf diesem Gebiete könnten keine weiteren Ersparnisse mehr

                                                                                                    43i-
<pb/>erzielt werden. Der Verbrauch sei auf das Äusserste herabgesetzt worden, was sich
schon aus der Tatsache ergebe, dass man von einem normalen Jahresbedarf von
über 60 Millionen Meterzentner Brotgetreide auf 29 Millionen Meterzentner
zurückgegangen sei. Bei dieser Lage der Dinge sei eine der Kardinalbedingungen
des Durchhaltens, dass auch die österreichische Regierung in die Lage versetzt
werde, auf allen in Rumänien in Betracht kommenden wirtschaftlichen Gebieten,
so insbesondere auch wegen des Anbaues mitzuarbeiten, um alles vorzusorgen, was
die kritische Lage der Monarchie erheische. Zu diesem Zwecke sei eine genügende
wirtschaftliche Vertretung durch österreichische Fachleute unerlässlich.

   Der Verteilungsschlüssel von 7 : 5 könne auch aus dem Grunde nicht als
gerechtfertigt angesehen werden, weil Deutschland viel weniger Zuschuss brau¬
chende Gebiete habe als Österreich-Ungarn. Ferner sei auch mit Rücksicht darauf,
dass ein grosser Teil gerade des aktiven Getreideproduktionsgebietes von Galizien
in Feindeshand geblieben und weite vom Feinde geräumte Gebiete verwüstet wor¬
den seien, eine Verbesserung des Schlüssels begründet.

   Bezüglich der Verteilung bestehe seitens der Heeresverwaltung die gewiss ge¬
rechtfertigte Absicht, vor allem die sehr geringen Reservebestände der Armee auf¬
zufüllen und die Gesamtvorräte in ihrer Hand zu behalten. Mit Rücksicht auf die
kritische Lage in Österreich werde aber doch zu erwägen sein, ob es nicht möglich
wäre, für die nächste Zeit gleichzeitig einen gleichen Anteil dem österreichischen
Bedarfe zukommen zu lassen. Sollte dies nicht möglich sein, so müsste für den
österreichischen Bedarf im Vorschusswege, sei es von Ungarn, sei es von Deutsch¬
land vorgesorgt werden. Wenn die Reserve-Vorräte der Armee ergänzt und das
österreichische Defizit von 5.5 Millionen Meterzentnern gedeckt sein werden, dann
wäre erst darüber zu reden, was mit den etwa über diesen Bedarf hinausgehenden
weiteren rumänischen Vorräten zu geschehen habe.

   Der k.u.k. Kriegsminister schildert die durch das Ausbleiben der Mehl-
und Hartfutterzuschübe zu den Fronttruppen eingetretenen höchst bedenklichen
Zustände, welche an einigen Teilen der Front im Südwesten das Brotbacken zeit-
weilig in Frage gestellt haben. Zur dringendsten Aushilfe seien von Ungarn 800
Waggons, vom preussischen Kriegsministerium 600 Waggons zur Verfügung
gestellt worden, doch habe letzteres bemerkt, dass es unter keiner Bedingung mehr
Mehl liefern könne. Infolgedessen habe sich das Kriegsministerium genötigt
gesehen, die Brotportion weiter erheblich zu verkürzen.

   Zur Transportfrage sei zu bemerken, dass, wenn das rumänische Getreide an
der Donau wäre, wegen seines Abtransportes keine Schwierigkeiten beständen.
Bei einer Tagesleistung von 19 Schleppen, wie sie voriges Jahr erreicht worden sei,
würden die 20 Millionen Meterzentner bis Juli abbefördert werden. Doch liege
der Transport zur Donau in der Hand Deutschlands. Dem österreichisch-ungari¬
schen Wirtschaftsstabe beim Militärgeneralgouvernement in Rumänien seien vom
Kriegsministerium bereits Fachleute zugewiesen worden. Das Armeeoberkom¬
mando habe ausserdem zugestanden, dass das Kriegsministerium befugt sei, im
Bedarfsfälle noch andere Leute zu entsenden.

   Auf Grund der vorstehenden Darlegungen wird die Notwendigkeit einer ein-
vernehmlichen Regelung der folgenden drei Fragen erkannt:

432
<pb/>   1. Feststellung des Gesamtdefizits und der Verteilung der Vorräte, beziehungs¬
weise der Auslandsbezüge in Österreich-Ungarn;

  2. Verteilung der rumänischen Vorräte zwischen Österreich-Ungarn und
Deutschland;

   3. Organisierung der Arbeiten in Rumänien.
   Das Gesamtdefizit ergibt sich aus nachstehender Berechnung:

   Ungedeckter Bedarf Österreichs.5.5 Millionen q
  ungedeckter Bedarf Ungarns .4. -- Millionen q
  ungedeckter Bedarf der Heeresleitung .2.5 Millionen q
   das Gesamtdefizit beträgt demnach .12.-- Millionen q

   Das mit 4 Millionen q berechnete ungarische Defizit wird seitens des kgl. ung.
Ministerpräsidenten damit erklärt, dass die erste Requisition der
Getreidevorräte bei den Produzenten, welche&quot; 5 Milhonen hätte ergeben müssen,
um den ganzen Bedarf zu decken,6 nur eine Million q ergeben habe. Das in der
Konferenz am 16. Oktober mit 2.9 Millionen veranschlagte Defizit habe sich daher
auf 4 M. erhöht/ Es sei ungarischerseits eine zweite strenge Requisition ange¬
ordnet worden, wobei weit unter die für Selbstversorger in Aussicht genommen
gewesene Kopfquote heruntergegangen wurde, bis auf 9 Kg Weizen im Monate.
Dies bedeute bei dem Mangel an anderen Nahrungsmitteln eine sehr weitgehende
Einschränkung der Volksernährung, die nicht ohne den schwersten^ Folgen
bleiben könne, welche sich durch Unterernährung und erhöhte Kindersterblich¬
keit und in der Verminderung der Arbeitskraft der Bevölkerung schon jetzt äu-
ssern. Immerhin musste zu diesem Mittel gegrifien werden, um das Durchhalten
bis zur nächsten Ernte zu ermöglichen. Da die jetzt angeordnete zweite Requisi¬
tion zum grossen6 Teile auch den für Mastzwecke reservierten Mais betreffe, ist
mit einem Fettmangel zu rechnen, welcher die jetzigen Übelstände weitaus ver¬
schärfen werde. Nur ein-^ rechtzeitiger Ersatz durch die Einfuhr aus Rumänien
könnte die Lage einigermassen lindern, und halbwegs erträgliche Zustände für
die Bevölkerung schaffen/ Demnach werde mit dem Defizit von zirka 4 Millionen
Meterzentnern Getreide auch nach Durchführung der zweiten Requisition ge¬
rechnet werden müssen. Es werde daher ungarischerseits nicht abgewartet werden
können, bis das österreichische Defizit und der Heeresbedarf aus Rumänien

    a) ln der Reinschrift des Protokolls wurden die Wörter »von welcher ein Ergebnis von«
von Tisza gestrichen und an ihre Stelle »welche« geschrieben.

    b) »q erwartet wurde« wurde in der Reinschrift des Protokolls von Tisza auf »hätte ergeben
müssen, um den ganzen Bedarf zu decken« verbessert.

    c) Der mit »Das in der« beginnende und mit »auf 4. M. erhöht« endende Teil wurde von
 Tisza nachträglich eingefügt.

    d) Das in der Reinschrift des Protokolls ursprünglich stehende Wort »nachteilige«
wurde von Tisza auf »den schwersten« verbessert.

    e) Das Wort »großen« wurde von Tisza nachträglich eingefügt.
    /) Statt des Textes »werde, um die Mast wegen der Fettproduktion fortsetzen zu können,
für einen« wurde von Tisza der mit »ist mit« beginnende und mit »nur ein« endende Teil
gesetzt.
    g) An Stelle von »vorzusorgen sein« in der Reinschrift wurde von Tisza nachträglich der
mit »könnte die Lage« beginnende und mit »die Bevölkerung schaffen« endende Teil gesetzt.

28 Komjäthy: Protokolle  433
<pb/>gedeckt sein werden.Da nicht zu hoffen sei das ganze 12 Millionen Defizit durch
den Import aus Rumänien decken zu können, werde ebenso wie in Ungarn auch
in Österreich, namentlich aber in den besetzten Gebieten, unter die normierte
Kopfquote heruntergegangen und das, was aus Rumänien hereingebracht werde,
zwischen Österreich, Ungarn und der Heeresverwaltung verteilt werden müssen.

   Der k.k. Ministerpräsident erklärt, dass auch österreichischerseits
alles Nötige geschehen werde, um den Verbrauch per Kopf der Bevölkerung
möglichst einzuschränken. Zu diesem Zwecke sei eine neue Requisition angeord¬
net worden, die in Niederösterreich noch im Laufe des Jänner, in den anderen
Kronländern im Februar durchgeführt werden soll. Leider werde die normierte
Kopfquote tatsächlich schon jetzt nicht mehr erreicht und es sei bereits ein 30 %-
iger Rückgang in der Arbeitsleistung des Mannes zu bemerken. Bei Beurteilung
der Verhältnisse dürfe jedoch nicht ausser Acht gelassen werden, dass Ungarn
in Friedenszeiten immer ein Exportland, Österreich aber ein Importland war und
überdies durch den Krieg eines seiner wichtigsten Produktionsgebiete, Ostgalizien,
verloren habe. Die österreichische Regierung müsse mit der Stimmung der Bevöl¬
kerung rechnen, welche die ihr auferlegten Entbehrungen nur missmutig trage,
wenn sie unter dem Eindruck stehe, dass sie wegen der ungenügenden Leistungen der
aktiven Produktionsgebiete zu leiden habe. Andererseits wäre es aber nicht zu
verantworten, wenn die österreichische Regierung heute aus den durch die eigene
Produktion gedeckten Kronländern das herausziehen wollte, was für die unge¬
deckten Gebiete gebraucht werde, weil die Verkehrsverhältnisse den rechtzeitigen
Ersatz nicht gestatten würden. Es müsse daher österreichischerseits der Stand¬
punkt aufrechtgehalten werden, dass zuerst die Verteilung zwischen Österreich
und der Armee geregelt werden müsse, damit dem Eintritte einer kritischen Lage
vorgebeugt werde. Da aber auf genügende Zufuhren aus Rumänien in absehbarer
Zeit nicht zu rechnen sei, erscheine es unvermeidlich, zur Sicherstellung des Be¬
darfes der nächsten Zeit die Aushilfe dort anzusprechen, wo sie am raschesten
erhältlich sei, das ist Deutschland.

   Der Chef des k.k. Amtes für Volksernährung gibt die bei
Deutschland als Vorschuss auf Rechnung der späteren rumänischen Lieferungen
anzusprechende Menge mit 10.000 Waggons Roggenmehl an.

   Bezüglich der Leistungen der besetzten Gebiete in Russisch-Polen teilt der
Militärgeneralgouverneur von Lublin mit, dass von der dem
Gouvernement zur Lieferung auferlegten Menge von 26.429 Waggons Getreide,
die auch für den Bedarf der Etappentruppen und der Zivilbevölkerung zu dienen
hätten, bis jetzt 9.391 Waggons, demnach mehr als ein Drittel, geliefert worden
seien. Es seien also noch etwa 17.000 Waggons aufzubringen, was einerseits aus
wirtschaftlichen Gründen, da der Drusch nur sehr langsam vor sich gehe, anderer¬
seits wegen der Zurückhaltung der Bevölkerung mit Schwierigkeiten verbunden sei.
Immerhin sei zu erwarten, dass auch diese Menge, nötigenfalls mit militärischer

   h) Zwischen dem mit »gedeckt sein werden« endenden und dem mit »Da nicht« beginnen¬
den Satz wurde der folgende Teil von Tisza gestrichen: »weil der rumänische Mais zur Fort¬
setzung der Mästungen benötigt werde und hiefür nicht mehr in Betracht käme, wenn er
verspätet eingeliefert werde«.

434
<pb/>Assistenz hereingebracht werden könne, in welchem Falle die hiezu erforderlichen
6000 Mann beim Kriegsministerium angesprochen werden würden. Ein besseres
Ergebnis sei aber auch mit Zwangsmassregeln nicht zu erwarten, weil die Produ¬
zenten ihre Vorräte verborgen halten. Mit der Herabsetzung der Kopfquote, die
im Verhältnis zum Hinterlande keine günstigere sei, wäre schwerlich ein wesentli¬
cher Erfolg zu erreichen.

   Der k.u.k. Kriegsminister gibt das für die Heeresverwaltung infolge der
geringeren Beiträge der besetzten Gebiete und der Undurchführbarkeit von Erspar¬
nissen auf dem Wege der Standesherabsetzung sich ergebende Manko mit 1.9 Mil¬
lionen Meterzentnern Mehl =2.5 Millionen Meterzentnern Getreide an.

  Auf Grund der gegebenen Darlegungen beschliesst die Konferenz sohin, an die
deutsche Regierung mit dem Ersuchen um Aushilfe heranzutreten und ihr mitzu¬
teilen, dass Österreich-Ungarn mit einem Manko von 12 Millionen Meterzentnern
Brotgetreide zu rechnen habe und die deutsche Aushilfe sich in der Weise ergeben
könnte, dass aus der rumänischen Beute 12 Millionen q an Österreich-Ungarn
überwiesen werden. Da es aber unmöglich sei, diese Menge aus Rumänien schon
in der nächsten Zeit hereinzubringen und im besten Falle mit Frühjahrsbeginn
auf einen regelmässigen Abtransport grösserer Mengen zu rechnen sei, anderer¬
seits aber ein dringender sofortiger Bedarf bestehe, wären deutscherseits in der Art
eines aus den späteren rumänischen Bezügen zurückzuerstattenden Vorschusses 1.5
Millionen q Roggenmehl, davon 1 Million q für Österreich, 0.5 Million für
die Heeresverwaltung, als augenblickliche Aushilfe zur Verfügung zu stellen.
Hieran anknüpfend wäre der deutschen Regierung des weiteren noch mitzuteilen,
dass die Fortsetzung der in Berlin Ende November begonnenen Verhandlungen
über die Ernährungsfrage sobald als möglich erfolgen sollte. Es sei nicht angängig,
diese Frage mit jener der Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen gleichzeitig
zu verhandeln, weil die letztere unter allen Umständen noch einiger Wochen der
Vorbereitung bedürfe, während die Aussprache über die Ernährungsfrage nicht
länger hinausgeschoben werden könne.

   Des weitern ergibt sich Einvernehmen darüber, dass von dem aus Rumänien
bezogenen Getreide, wobei auch Mais als Brotfrucht zu gelten habe, die zuerst
hereingebrachten 7 Millionen q hälftig, also zu je 3.5 Millionen q zwischen Öster¬
reich und der Heeresverwaltung geteilt werden sollen, wobei auch die auf Öster¬
reich entfallende Hälfte zunächst von der Heeresverwaltung in Depot genommen
würde. Von den der Heeresverwaltung zukommenden 3.5 Millionen q Getreide =
3 Millionen q Mehl werde, nachdem 1.9 Millionen q Mehl als Defizit der Heeres¬
verwaltung zu gelten habe, die den restlichen 1.1 Millionen q Mehl entsprechende
Getreidemenge dem ungarischen Kontingente gutgeschrieben werden, welches
sich demnach um diesen Betrag verringere. Die Zustimmung&#39; der k.k. österreichi¬
schen Regierung zu dieser Verteilungsgrundlage ist an den Vorbehalt geknüpft,

    i) Nachträgliche, mit eigenhändiger Unterschrift versehene Einfügung Tiszas: »Bemer¬
kung. Die kgl. ung. Regierung hat dies als Bemerkung, nicht als Vorbehalt betrachtet, und
glaubt im Einvernehmen mit Seiner Excellenz dem Herrn k.k. Ministerpräsidenten in der
Auffassung zu sein, dass obiger Theilungsschlüssel auf 7 Millionen q bedingungslos zu gelten
habe.«

    28&#39; 435
<pb/>dass die k.k. Regierung die Verantwortung nicht zu übernehmen vermöchte, wenn
das österreichische Defizit von 5.5 Millionen q Getreide nicht voll gedeckt würde.

  Zum Zwecke einer gerechten Verteilung hält es der k.k. Ministerpräsi¬
dent für notwendig, eine möglichst genaue Aufnahme des Vorratsbestandes bei
allen drei Faktoren (Österreich, Ungarn und Heeresverwaltung) durchzuführen,
wobei ein näherer Kontakt der beiden Regierungen erwünscht sei, um bei diesen
Erhebungen möglichst parallel vorzugehen. Am zweckmässigsten erschiene es,
durch alternativ in Wien und Budapest tagende Kommissionen der massgebenden
Stellen ein einvernehmliches Vorgehen sicherzustellen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident erwidert, dass diesem Zwecke durch
das bereits eingeleitete Zusammenwirken der beiden Ernährungsämter gedient
werde.

   Der k.k. Ministerpräsident betont schliesslich, dass für den Fall, als
die von Deutschland angeforderte Aushilfe von 1 Million q Roggenmehl für
Österreich nicht abgegeben werden könnte, auf andere Weise für den Bedarf
Österreichs werde vorgesorgt werden müssen. Hiefür bestehen nur zwei Möglich¬
keiten; Rumänien oder ein ungarischer Vorschuss von etwa 6000 Waggons Mais
auf Rechnung der spätem rumänischen Bezüge.

   Hierauf erwidert der kgl. ung. Ackerbauminister, dass Mais im
Jänner noch nicht transportfähig sei und erst im Februar --März werde herange¬
zogen werden können. Man müsse aber auch in Ungarn die volle Sicherheit haben,
dass der an Österreich vorzuschiessende Mais aus Rumänien im April -- Mai wieder
zurückerstattet werde.

   Zur Frage der ungarischen Getreidelieferungen an die Heeresverwaltung be¬
merkt der kgl. ung. Ackerbauminister, dass die zwischen den Abferti¬
gungen und Empfängen sich ergebende Differenzdaraus zu erklären sei,dass infolge
der Verkehrsschwierigkeiten die täglich zum Versand gebrachte Menge nicht
immer rechtzeitig in den Verpflegsmagazinen eintreffe. Hiefür könne die ungarische
Regierung jedoch nicht verantwortlich gemacht werden, da der Abtransport Sache
der Zentraltransportleitung sei. Dermalen sei Ungarn nicht in der Lage, die täg¬
lich normierte Zahl von 192 Waggons beizustellen, weil die Getreidevorräte zum
grösstenTeile nicht an der Bahn liegen, sondern erst herangeschoben werden müssen.
Aus diesem Grunde werde man mit der vollen Lieferung von 192 Waggons täglich
erst etwa um die Mitte Februar wieder einsetzen können, vorausgesetzt, dass
genügend Waggons zum Transport beigestellt werden. In der ersten Zeit habe
man monatlich weit mehr als 200 Waggons täglich abgeliefert. Es müsse also
der Gesamtdurchschnitt für die ganze Zeit, nicht bloss die Lieferung der letzten
Zeit zur Beurteilung herangezogen werden. Jedenfalls müsste in die angeforderten
192 Waggons täglich auch das eingerechnet werden, was in Form von Maismehl
geliefert werde.

   Hiemit sind die beiden ersten Punkte: Feststellung des Gesamtdefizits und
Verteilung der Auslandsbezüge, ferner Verteilung der rumänischen Getreidevor¬
räte zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland erledigt und es gelangt nun
noch als dritter Punkt: Sicherung des grösstmöglichen Einflusses bei der wirtschaft¬
lichen Organisation Rumäniens, zur Erörterung.

436
<pb/>   Über die Abmachungen der beiden Obersten Heeresleitungen, betreffend die
wirtschafliche Ausnutzung Rumäniens, gibt der Vertreter des Armee¬
oberkommandos die nachstehenden Aufschlüsse:

   Die Tätigkeit des österreichisch-ungarischen Wirtschaftsstabes beim Militär¬
generalgouvernement ist eine vollständig paritätische mit dem deutschen Wirt¬
schaftsstabe. Die Getreideaufbringung habe er zu leiten, für die Beistellung der
nötigen Arbeiter und Gespanne zu sorgen, das Transportwesen zu regeln, und die
Durchführung des Anbaues zu überwachen, wobei über deutschen Wunsch ins¬
besondere auf Ölsaaten Gewicht gelegt werde. Durch Delegierung gegenseitiger
Vertreter erhalten die beiden Wirtschaftsstäbe vollen Einblick in die beiderseiti¬
gen Massnahmen. Die Aufbringung erfolgt territorial auf Grund der Einteilung
in Kreise, von welchenJ 11 unter österreichisch-ungarischer, 17 unter deutscher
Leitung stehen. Die aufgebrachten Vorräte sollen der gemeinsamen Bedarfs¬
deckung zugeführt werden. Das ganze Territorium ist in drei Bezirke eingeteilt,
von welchen* zwei einem deutschen, einer einem österreichisch-ungarischen In¬
spektor unterstellt sind.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident bezeichnet es als unerlässlich, dass
zu dieser Tätigkeit auch die beiden Regierungen herangezogen werden. In dieser
Beziehung sei vom Armeeoberkommando bereits ein Schritt geschehen, indem die
beiden Regierungen eingeladen wurden, je einen Vertreter in den Wirtschaftsstab
zu entsenden, welcher nach aussen hin als Mitglied des Stabes zu fungieren habe,
aber eigentlich Vertrauensmann der betreffenden Regierung sei. Eine einzige Per¬
son genüge aber nicht ; es wären zumindest zwei Organe zu bestimmen, welche
berechtigt wären, im Aufträge ihrer Regierungen Anträge zu stellen und an diese
zu berichten.

   Ausser der wirtschaftlichen Ausnützung erheischen aber noch drei wichtige
Gruppen von Agenden eine entsprechende Fürsorge: In erster Linie die Vertretung
der wirtschaftlichen und finanziellen Interessen der österreichischen und ungari¬
schen Staatsangehörigen in Rumänien. Ungarische Staatsangehörige seien allein
mit mehreren Hundert&#39; Millionen Lei in Rumänien engagiert. Es müsste dafür
gesorgt werden, dass diese Interessenten eines entsprechenden Schutzes ihrer Regie¬
rungen teilhaftig werden und nötigenfalls sich selbst nach Rumänien begeben kön¬
nen : Vom Gesichtspunkte der Staatspohzei und Nationalitätenpolitik wäre es für
die ungarische Regierung von grösstem Interesse, Einblick in die Verbindungen zu
bekommen, welche die rumänische Regierung mit den ungarländischen Rumänen
gepflogen habe und hierüber an Ort und Stelle Nachforschungen anstellen zu
können. Ferner sei eine Überwachung und Kontrollierung der von den deutschen
Militärbehörden eingeleiteten Repatriierungsaktion der angeblich von den rumä¬
nischen Truppen aus Siebenbürgen verschleppten ungarischen Staatsangehöri¬
gen rumänischer Nationalität unbedingt erforderlich, da man deutscherseits die
Absicht zu haben scheine, diese Leute ohne Auswahl nach Hause zu schicken,
obwohl weitaus die überwiegende Mehrzahl unter ihnen nicht von den Rumänen

    j) Nach »von welchen« wurde von Oberstleutnant KluSacek »derzeit« eingefügt.
    k) Nach »von welchen« wurde von Oberstleutnant KluSacek »dermalen« eingefügt.
    l) Das Zahlwort »Hundert« wurde von Tisza nachträglich eingefügt.

                                                                                                    437
<pb/>verschleppte Opfer der Invasion, sondern durchaus unverlässliche Elemente seien,
die sich den zurückflutenden rumänischen Truppen nach Verübung von Plünde¬
rungen und Räubereien freiwillig angeschlossen hatten. Auch viele Stellungs¬
flüchtlinge dürften sich unter ihnen befinden. Die Lage in Siebenbürgen sei immer
noch eine derart schwierige, dass man nicht einmal die loyale ungarische und
deutsche Bevölkerung in ihre Heimatsorte zurücklasse, weil die Grenzgebiete dem
mihtärischen Operationsgebiete noch zu nahe liegen. Es wäre daher höchst be¬
denklich, jene unzuverlässigen Elemente zurückkehren zu lassen. Um dies zu ver¬
hindern und die Heimzubefördernden genau zu prüfen, sei die Entsendung eines
ungarischen Polizeiorganes unbedingt erforderlich.

   Der k.k. Ministerpräsident schliesst sich den vorstehenden Aus¬
führungen durchaus an. Er hält es für ausgeschlossen, dass diese ganze Tätigkeit
von einer oder einigen Personen ausgeübt werden könne. Vor allem sei es nötig,
im Einvernehmen mit dem Armeeoberkommando den Rahmen der Kooperation
mit den deutschen Stellen zu bestimmen. Für Österreich spielen die wirtschafth-
chen Interessen die grösste Rolle. Es sei ungemein bedauerlich, dass es nicht gelun¬
gen sei, die Getreideaufbringung in die Hand zu bekommen. Es sollte der deutschen
Heeresleitung nahegelegt werden, jene Organe mitwirken zu lassen, die schon im
Vorjahre auf diesem Gebiete erspriesslich tätig waren. Das von den beiden Regie¬
rungen einvernehmlich mit dem Armeeoberkommando festzustellende Programm
für die wirtschaftliche, kommerzielle, finanzielle und polizeiliche Tätigkeit wäre
dann mit der deutschen Obersten Heeresleitung zu vereinbaren, worauf an die
Auswahl der zu entsendenden Persönlichkeiten geschritten werden könne.

   Nachdem der Vertreter des Armeeoberkommandos
die Erklärung abgegeben hat, dass die Bestrebungen der beiden Regierungen die
volle Würdigung und Unterstützung der Obersten Heeresleitung finden und der Chef
des österreichisch-ungarischen Wirtschaftsstabes bereits beauftragt sei, in diesem
Sinne bei dem deutschen Militärgeneralgouverneur zu wirken, einigt sich die
Konferenz dahin, dass von jeder der beiden Regierungen zunächst je vier
Organe und zwar je zwei Vertreter im Getreidefach, ein Polizeibeamter und ein
kommerzieller Delegierter entsendet werden sollen, welche sämtlich dem öster¬
reichisch-ungarischen Wirtschaftsstabe zuzuteilen sind. Da die Vorsehung des
kommerziellen Dienstes jedoch zweckmässiger dem nach Bukarest zu entsen¬
denden Konsularfunktionär anzugliedern wäre, hätte der Wirtschaftsstab die
kommerziellen Delegierten diesem letzteren zuzuweisen, wobei sie aber formell als
Organe des Wirtschaftsstabes zu gelten hätten.

   Der kgl. ung. Finanzminister ersucht schliesslich um Bekanntgabe
jener Personen, die das Kriegsministerium bereits aus eigener Initiative als Refe¬
renten in Wirtschaftsangelegenheiten dem Wirtschaftsstabe zugeteilt habe, damit
die Regierungen nötigenfalls auch andere Personen namhaft machen können.

   Der Kriegsminister stimmt mit dem Bemerken zu, dass in Hinkunft
auf Grund der vom Armeeoberkommando erhaltenen Bewilligung das Kriegsmi¬
nisterium in der Lage sei, wegen Entsendung der von den beiden Regierungen etwa
gewünschten Persönlichkeiten das Erforderliche zu veranlassen und es daher genü¬
ge, wenn etwaige diesbezügliche Wünsche dem Kriegsministerium bekanntgege-

438
<pb/>ben und gleichzeitig dem Ministerium des Äussern zur Information mitgeteilt
werden.

   Bedarf Bosniens und der Herzegowina.

   Der k.u.k. gemeinsame Finanzminister meldet mit dem Er¬
suchen um tunlichste Deckung aus den von Rumänien zu beziehenden späteren
Partien für Bosnien und die Herzegowina einen noch ungedeckten Bedarf von 4000
Waggons Mais an, welcher dadurch entstanden sei, dass die nach EintrittRumäniens
in den Krieg verfügte Herabsetzung der Kopfquote sich als undurchführbar er¬
wiesen habe, so dass über die von Ungarn bereits bewilligten 6000 Waggons hinaus
ein Mehrbedarf in der angegebenen Höhe entstanden sei.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident bemerkthiezu, dassvon einer solchen
Erhöhung des bosnisch-herzegowinischen Verbrauches nur dann die Rede sein
könnte, wenn die Importe das berechnete Gesamtdefizit von 12 Milhonen q über¬
steigen würden. Bosnien und die Herzegowina müssten daher vorläufig trachten,
mit den 6000 Waggons das Auslangen zu finden.

   Heeresbedarf an Futter, Getreide und Gemüse.

   Der k.u.k. Kriegsminister berechnet den durch den Abzug der zur
Schweinemast bestimmten 600.000 q Mais vom Futterkontingent, durch die
geringere Leistungen der besetzten Gebiete und des Armeebereiches, endhch durch
die Rückstände in den Lieferungen aus Österreich sich ergebenden Fehlbetrag
mit insgesamt 2.7 Millionen Meterzentnern, beziehungsweise nach Einrechnung
der Abgänge (Calo) mit 3.6 Millionen Meterzentnern Futtergetreide und fragt an,
wie dieser Fehlbetrag gedeckt werden soll.

   Der k.k. Ministerpräsident glaubt, dass was die österreichische
Regierung zu leisten sich verpflichtet habe, auch eingehalten werden könne.
Darüber hinaus werde man jedoch nicht gehen können. Dagegen würde seiner
Ansicht nach durch ein etwas vorsichtigeres und sparsameres System im Etappen¬
gebiete wahrscheinlich viel mehr hereingebracht werden können als durch andere
Mittel. Da überdies Verhandlungen mit den beiden Landesverteidigunsministerien
wegen Beistellung von 10% der Rübenernte zu Futterzwecken im Zuge seien,
dürfte auch auf diesem Wege das Auslangen ermöglicht werden.

   Auf die weitere Anfrage des k.u.k. Kriegsministers wegen Lieferung
von Gemüse (Rollgerste und Hülsenfrüchte), die nahezu gänzlich ausgesetzt hätte,
erwidert der k.k. Ministerpräsident, dass man österreichischerseits in
der Lage wäre, Rollgerste zu erzeugen, wenn die Heeresverwaltung die Gerste
dazu beistelle. An Hülsenfrüchten seien im ganzen bloss 3900 Waggons geerntet
worden; davon dürften etwa 1500 Waggons greifbar sein, wovon wieder die Hälfte
der Heeresverwaltung zur Verfügung stehe.

   Der kgl. ung. Ackerbauminister äussert sich dahin, dass auch in,
Ungarn die Ernte an Hülsenfrüchten nur zirka 4000 Waggons ergeben habe. Den
ganzen angesprochenen Bedarf könnten also beide Staaten der Monarchie zusam¬
men nicht liefern, weil sie zu wenig produzieren. Die gesamten Hülsenfrüchte seien

                                                                                                    439
<pb/>zwar beschlagnahmt und der Kriegsproduktengeseilschaft abzuliefern; doch nütze
eine Requisition nur wenig, weil dieser Artikel in durchwegs kleinen 10 -- 20 Kilo&quot;1
Posten bei den Produzenten verteilt und daher schwer zu ergreifen sei.

    Rollgerste könne in Ungarn wegen des festgestellten Defizits aus ungarischer
Gerste nicht erzeugt werden; doch wäre es möglich, den Bedarf aus den rumäni¬
schen Importen zu decken, weil es sich mit Einrechnung des Malzkaffees um eine
unerhebliche Menge, im ganzen 3000 Waggons handle.

   Bezüglich Rollgerste wird demnach die Deckung des Heeresbedarfes in der Weise
vorgesehen, dass die aus Rumänien bezogene Gerste zunächst auf Rollgerste für
die Heeresverwaltung verarbeitet werden soll und erst nach Deckung dieses Be¬
darfes die weiter eingeführte Gerste anderweitig verwendet würde. Um den augen¬
blicklichen Bedarf der Heeresverwaltung decken zu können, übernimmt die
kgl. ung. Regierung die vorschussweise Erzeugung von Rollgerste aus ungarischer
Gerste, welche seitens der Heeresverwaltung aus den rumänischen Importen in der
Weise zurückzuerstatten sein werde, dass die entsprechende Menge von dem unga¬
rischen Mehlkontingente abgerechnet wird.

   Der Vorsitzende schliesst die Sitzung um ^ 7 Uhr abends.

            Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Proto¬
         kolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. Auf demselben Blatt
        links oben mit Bleistift geschrieben: »gelesen K(arl)« -- in der rechten Ecke ebenfalls
         mit Bleistift geschrieben: »f(ertig)«. Außerdem einige Ziffern und Buchstaben. -- Auf
         dem letzten Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Laxenburg, am 14.
         April 1917.« Unter dem Text rechts die Unterschrift Czernins, links die von Joanno-
        vics. -- Ebd. das maschinengeschriebene Konzept des Protokolls. Am Rubrum das
        Handzeichen Czernins, auf dem letzten Blatt die Unterschrift von Joannovics.

                                                                                    20.

                                                                                 Baden, 12. Januar 1917

        Was soll mit Polen geschehen? Die maximalen und minimalen Friedensziele der
        Monarchie. Tiszas Standpunkt in der rumänischen und serbischen Frage. Der Kronrat
        sieht den Zweck des Krieges in der Aufrechterhaltung der Integrität der Monarchie.

            Ende 1916 zeigte sich bei den Völkern der Entente, besonders aber bei denen der
        Mittelmächte in immer zahlreicheren Anzeichen die Kriegsmüdigkeit und die Friedens¬
        sehnsucht wurde immer stärker. In der großen Politik trat dies in Form von Friedens¬
        fühlern und Friedensversuchen in Erscheinung. Durch das Scheitern der Friedensange¬
        bote wurden die führenden Politiker der Monarchie gezwungen, die Grundsätze ihrer
        Außenpolitik zu überprüfen. So kam im gemeinsamen Ministerrat vom 12. Januar
        auch die polnische Frage wieder auf die Tagesordnung. Ein neuer Zug dieser Frage ist,
        daß die Hoffnung der Deutschen, bei Kriegsende im Westen einen zumindest geringen

   m) Nachträgliche Eintragung Ghillänys: »10--20 Kilo«.

440
<pb/>