MRP-2-0-07-0-19150308-P-0010.xml

|

Gemeinsamer Ministerrat, 8. 3. 1915

I. Die politische Lage. Beziehungen zu Italien

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z10.pdf.

   Der Vorsitzende schliesst sich diesen Ausführungen vom Standpunkte
der auswärtigen Politik an.

   Nach einer Debatte, an der sich auch die beiden Landesverteidi¬
gungsminister beteiligen, wird beschlossen, dass zunächst Vorberatungen
in den militärischen Ministerien stattfinden und dass sich dann die beiden Regie¬
rungen mit der definitiven Entscheidung befassen sollen.

   Hierauf wird die Sitzung um 1/2 10 Uhr abends geschlossen.

            Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des
        Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrats bestätigt. Auf dem letzten
        Blatt die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, am 6. Juli 1915.« Unten die
        Unterschriften von Günther und Buriän. Am Rande der Blätter und unter den einzel¬
        nen Zeilen Striche und Zeichen, die den Sinn des Textes jedoch nicht modifizieren. --
        Ebd. Konzept des Protokolls in Maschinenschrift mit vielen Zusätzen und Korrekturen
        des Ministers des Äußern Buriän. An mehreren Stellen handschriftliche Korrekturen
        und Zusätze des Protokollführers Günther. Auf dem ersten Textblatt seitwärts das
        Handzeichen Buriäns, unter dem Text die Unterschrift Günthers.

                                                                                                     10.

                                                                                      Wien, 8. März 1915

        Der Ministerrat beschließt, teilweise auch infolge des deutschen Druckes, zur Sicherung
         der Neutralität Italiens gewisse minimale territoriale Zugeständnisse zu machen. Tisza
        hält das Übereinkommen mit den Italienern für wichtig, um dadurch ein Zusammenge¬
         hen der Rumänen mit ihnen zu verhindern.

            Die italienische Frage, die in den Ministerratssitzungen vom 31. Juli, 8. und 19.
        August, 20. September, 31. Oktober 1914 und 3. Februar 1915 behandelt wurde, stand
        in diesem Kronrat zum letztenmal auf der Tagesordnung. Deutschland war von Anfang
         an der Meinung, daß die Neutralität Italiens auch um den Preis territorialer Zuge¬
         ständnisse gesichert werden müsse. Botschafter Bülow drängte darauf und auch bei der
         Mission des zum linken Flügel des Zentrums gehörenden Reichstagsabgeordneten
         Erzberger in Italien hatte sich im wesentlichen diese Überzeugung herausgebildet.
        Trotz der schweren Vorwürfe gegen die Deutschen entschloß sich schließlich auch das
         oberste 'Regierungsorgan der Monarchie zur Politik der Gebietsabtretung. Von einer
         Abtretung weiterer Gebiete, über das Trentino hinaus, wollte kein einziges Mitglied
         des gemeinsamen Ministerrates etwas wissen. Über die Einzelheiten der Verhandlungen
         siehe: St. Buriän: Drei Jahre. Berlin 1923, S. 19--50. -- Af. Erzberger: Erlebnisse im
         Weltkrieg. Berlin, 1920, S. 21 ff. und B. von Bülow: Denkwürdigkeiten. Berlin 1930, Bd.
         III, S. 204 ff. Über die polnischen Beziehungen dieses Problems spreche ich in Zusam¬
         menhang mit dem Material des gemeinsamen Ministerrats vom 6. Oktober 1915.

Protokoll des zu Wien am 8. März 1915 abgehaltenen Ministerratesfür gemeinsame
Angelegenheiten, unter dem Allerhöchsten Vorsitze Seiner Majestät des Kaisers
md Königs.

                                                                                                    2x5
<pb/>  K.Z. 17 - G.M.K.P.Z. 521.

   Gegenwärtige: Seine k.u.k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog
Carl Franz Joseph, der k.u.k. Minister des Äußern Baron B u r i ä n,
der kgl. ung. Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.k. Ministerpräsident Graf
S t ü r g k h, der k.u.k. Kriegsminister FZM. Ritter von K r o b a t i n, der
k.u.k. gemeinsame Finanzminister Dr. von K o e r b e r, der k.u.k. Chef des
Generalstabes G.d.I. Freiherr von Conrad.

   Schriftführer: Legationsrat Graf H o y o s.

   Gegenstand: Die politische Lage. Beziehungen zu Italien.

   Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen den Ministerrat mit
der Bemerkung zu eröffnen, es liege Seiner Majestät angesichts der gefährlichen
Situation sehr viel daran, die Ansichten der versammelten Herren über die Lage
kennenzulernen. Allerhöchstderselbe lege den grössten Wert darauf, dass jeder
Teilnehmer an der Konferenz seine Anschauung vollkommen aufrichtig und mit
möglichster Präzision zum Ausdruck bringe und erteile vor allem dem Minister
des Äussern das Wort, damit er die Anwesenden über die aussenpolitische Lage
orientiere.

   Der Minister des Äußern eröffnet seine Ausführungen mit der
Feststellung, dass die Beziehungen zu Italien an einem kritischen Punkte angelangt
seien. Itahen habe seine Prätensionen auf einen Gebietserwerb auf unsere Kosten
zuerst am Anfang des Krieges in schüchterner und verschleierter Weise vorge¬
bracht; schon damals habe man sich italienischerseits der deutschen Vermittlung
bedient und in Berhn den Glauben erweckt, dass Itahen für den Preis territorialer
Konzessionen im Gebiete der Monarchie zur Teilnahme am Kriege auf unserer
Seite bewogen werden könnte. Dass dies auch damals eine Illusion war, sei durch
die weitere Entwicklung erwiesen, indem man seither gesehen habe, dass Italien
damals wegen seiner mangelnden Rüstungen absolut nicht in der Lage gewesen
wäre, eine kriegerische Aktion zu riskieren. Die k.u.k. Regierung habe damals
die durch das Berliner Kabinett übermittelten itahenischen Wünsche abgelehnt.
In Wien und dem k.u.k. Botschafter in Rom gegenüber habe die itahenische
Regierung zu jenem Zeitpunkte ihre Bestrebungen nur in Form von Andeutungen
erwähnt. Seither sei sie jedoch deutlicher damit hervorgetreten. Am 11. Jänner
dieses Jahres habe die itahenische Regierung zum ersten Male in positiver Weise
das Postulat aufgestellt, dass ihr für die Erhaltung ihrer Neutralität eine Gebiets¬
abtretung von Territorien in Aussicht gestellt werden müsse, welche jetzt zu der
Monarchie gehören. Sobald dieses Verlangen einmal klar formuliert war, war die
Wahrscheinlichkeit einer itahenischen Intervention gegen uns gegeben, falls unsere
mihtärische Lage eine ungünstige würde. Es handelte sich für uns daher vor allem
darum, Zeit zu gewinnen und, ohne schroff abzulehnen, jede bindende Zusage
zu vermeiden, weil begründete Hoffnung vorhanden war, dass unsere mihtärische
Lage sich durch entscheidende Erfolge unserer und der deutschen Truppen bessern

216
<pb/>würde. Solche Erfolge wären das einzige Mittel gewesen, um die italienische Regie¬
rung von der eingeschlagenen uns feindlichen Richtung abzubringen. Schon im
Jänner hat die deutsche Regierung uns sehr gedrängt, wir sollten territoriale Opfer
bringen. Baron Buriän habe dies damals aus zwei Gründen abgelehnt, einerseits,
weil er solche territorialen Opfer damals für zwecklos hielt in der Überzeugung, dass
Itahen sowieso nicht sofort, sondern erst nach Beendigung seiner Rüstungen
losschlagen könnte und andererseits auch deshalb, weil er den militärischen Ereig¬
nissen nicht vorgreifen und die günstige Wirkung möglicher militärischer Erfolge
auf die politische Situation nicht präjudizieren wollte. Es sei auch gelungen, die
Italiener bis zum 14. Februar hinzuhalten. Da hätte Baron Sonnino die Geduld
verloren und die Konversation plötzlich abgebrochen, indem er durch den italieni¬
schen Botschafter hier erklären Hess, dass Italien in Hinkunft nur mehr auf dem
Standpunkte des Artikels VII des Dreibundvertrages1 stehen werde und dass nach
der italienischen Auffassung dieses Artikels jede weitere miHtärische Aktion
unserer Armee gegen Serbien oder Montenegro von einem »Accord prealable«
mit Italien über die Kompensationsfrage abhängig sei.

   Diese abrupte Stellungnahme der italienischen Regierung bot in taktischer
Hinsicht gewisse Vorteile, indem uns hiedurch die Möglichkeit geboten war, den
Zeitpunkt zu bestimmen, wann die Verhandlungen mit Italien wieder aufgenom¬
men werden sollten. Die italienische Regierung bewährte aber nicht lange Still¬
schweigen, Herzog Avarna erhielt nach einer Woche neue Instruktionen, laut
welchen ItaHen sich auf den Standpunkt stellte, dass der Accord prealable mit uns
nicht nur eingeleitet, sondern zu einem günstigen Abschluss gekommen sein
müsse, bevor wir die militärischen Offensiv-Operationen an unserer Südostgrenze
wieder aufnehmen könnten. Baron Buriän ist dieser Auffassung mit Entschieden¬
heit entgegengetreten, indem er daraufhinwies, dass es unmöglich sei, im Momente,
wo man die Operationen beginne, auch die Kompensationen zu bemessen. Daher
habe er auch die italienischerseits angewendete Interpretation des Artikels VII,
als wäre jede militärische Operation ohne vorheriges vollkommenes Einverständnis
mit Italien ein flagranter Vertragsbruch, mit Entschiedenheit zurückgewiesen.

   Der italienische Minister des Äussern habe ausserdem noch erklären lassen,
dass jede Diskussion über einen Accord prealable zwecklos wäre, wenn nicht das
Prinzip, dass Gebiete der Monarchie als Kompensationsobjekt in Frage kommen
können, von uns als Verhandlungsbasis anerkannt werde. Dem itaHenischen
Minister das Äussern wurde damals hierauf keine Antwort erteilt, da eine Wieder¬
aufnahme der italienischerseits abgebrochenen Verhandlungen damals nicht aktuell
war.

   Unsere hinhaltende PoUtik hat, so fuhr Baron Buriän fort, an der natüriichen
Entwicklung der kriegerischen Ereignisse ein rapides Ende gefunden. Wir haben
zuverlässige Anhaltspunkte dafür, dass Italien sich an die rumänische Regierung
mit einer Anfrage über eine mögliche Kooperation der beiden Königreiche gegen
uns gewendet hat und dass hierauf eine zustimmende Antwort erteilt wurde.
Italien dürfte etwa Mitte April seine volle Kriegsbereitschaft erlangen, es sei aber

    1 Über den Art. VII. des Dreibundvertrages s. Anm. 1. zum Protokoll v. 31. Juli 1914.

                                                                                                                                               217
<pb/>für uns jetzt nicht mehr möglich, die Entscheidung über das, was zu geschehen
hätte, bis zu diesem Zeitpunkt hinauszuschieben, denn, abgesehen von der hiemit
verbundenen militärischen Gefahr, erheische auch die gegenwärtige aussenpoli-
tische Situation dringende Entschlüsse.

  In militärischer Hinsicht sei die Hoffnung auf entscheidende strategische
Erfolge unserer und der deutschen Truppen am Kriegsschauplätze im Osten und
Westen für absehbare Zeit geschwunden. Beide Armeen hätten heldenhaft ge¬
kämpft und sehr schöne taktische Erfolge erzielt, in politischer Hinsicht genüge
dies aber nicht. Es wäre unter diesen Umständen nicht gerechtfertigt, weiter
zuzuwarten, denn Italien kann infolge dieser unentschiedenen Situation seine
Interventions-Politik mit Entschiedenheit fortsetzen und könnte tatsächlich in
die Lage kommen, die von vielen Italienern angestrebte Rolle eines Schiedsrichters
in dem grossen Weltkrieg zu spielen. Es steht in militärischer Hinsicht ziemlich
fest, dass die vereinten Armeen Italiens und Rumäniens in diesem Kriege der
einen oder anderen Seite zum entscheidenden Siege verhelfen könnten. Selbst¬
verständlich nützen die Italiener diese Situation aus. Gleichzeitig entfalte die
Tripleentente eine vehemente Tätigkeit bei allen Neutralen, um sie auf ihre Seite
zu ziehen. Seitens der Ententemächte seien die verlockendsten Anträge an Italien,
Rumänien, Bulgarien, und Griechenland gelangt. Auch Serbien, welches kriegs¬
müde sei, werde durch England und Frankreich in jeder Weise zum Ausharren
bewogen und in eine erneuerte Offensive hineingetrieben.

   Soweit bekannt, sei Italien für die aktive Teilnahme durch Frankreich ein Teil
Tunesiens, durch England ein grosses Gebiet in Kleinasien angeboten worden.
Russland biete Rumänien die südlichen von Rumänen bewohnten Bezirke der
Bukowina und eine Grenzberichtigung in Bessarabien, alles dies unbeschadet
aller anderen Gebiete, welche die beiden Länder in einem Kriege gegen die Mon¬
archie erorbern würden.

   Bulgarien solle für einen Anschluss an den Dreierverband die Enos -- Midia-Linie
mit Adrianopel erhalten und Griechenland habe man ein mächtiges Reich in
Kleinasien versprochen. Zum Glück habe man hier das Ziel überschossen und den
Griechen so viel geboten, dass- sie selbst nicht an die Realisierung dieses Ver¬
sprechens glauben wollen.

   Diese Umstände haben die Erregung in ItalienvonTag zu Tag sichtlich gesteigert,
selbst die Stimmung der früher sehr zahlreichen Neutralitätsfreunde habe umge¬
schlagen und der Wunsch nach Neutralität, sei jetzt fast allgemein nur mehr ein
bedingter. Die Gegner einer Intervention wollen den Krieg zwar auch jetzt noch
vermeiden und ein intimeres Verhältnis zur Monarchie anbahnen, dies jedoch
nur unter der Bedingung, dass die nationalen Ansprüche befriedigt werden.
Ausser den Sozialisten denken jetzt alle anderen so.

   Angesichts dieser Situation habe, so führte der Minister des Äussern aus,
Italien immer mehr auf eine Entscheidung gedrängt. Der italienische Botschafter
habe hier im Aufträge seiner Regierung von den »consequences graves« gesprochen
und wiederholt darauf hingewiesen, dass Italien sich volle Aktionsfreiheit bewahre
für den Fall, dass wir gegen Serbien oder Montenegro Vorgehen ohne zu einem
Akkord gelangt zu sein.

218
<pb/>  Wir konnten die Gefahren, die aus einer solchen Sachlage entstehen mussten,
selbst klar erkennen, sie wurden uns aber auch deutscherseits mit der grössten
Vehemenz vor Augen geführt. Früher habe man der deutschen Auffassung, als
sei die Gefahr imminent, widersprechen können, seit der ersten Drohung Sonninos
seien aber nunmehr fast zwei Monate verstrichen und jetzt müsse auch er zugeben,
dass man die Entschlüsse, wie der italienischen Gefahr zu begegnen sei, sofort
fassen müsse.

  Die deutsche Regierung hat in den letzten Tagen nicht nur in recht unangeneh¬
mer Weise alle nur erdenklichen Kanäle benützt, um eine Pression auf die Ent¬
schlüsse der massgebenden Faktoren in Österreich-Ungarn auszuüben, sie hat
auch mit anerkennenswerter Loyalität erklärt, dass sie bereit ist, an dem Opfer
teilzunehmen, welches wir im Interesse der gemeinsamen Sache bringen und hat
uns das ganze reiche Kohlgebiet in Südwestpolen angeboten, ein Gebiet, das
bisher zum grösseren Teile deutscherseits mit Gier für sich reklamiert worden sei.
Ferner hat die deutsche Regierung auch erklärt, dass Italien selbstverständlich
eine Gegenleistung bieten müsse, welche in wohlwollender Neutralität bis zum
Ende des Krieges und in freier Hand für uns am Balkan bestehen müsste.

   Nachdem mit Entschlüssen nicht mehr hingehalten werden könne, habe er mit
Allergnädigster Genehmigung Seiner k.u.k. Apostolischen Majestät den Antrag der
deutschen Regierung bedingungsweise zustimmend zur Kenntnis genommen. Als
Bedingung für seine Zustimmung habe er in erster Linie betont, dass durch die Er¬
werbung des deutscherseits konzedierten russisch-polnischen Kohlengebietes die Er¬
werbungweiterer Gebiete Russisch-Polens durch die Monarchie in keiner Weise
präjudiziert werden dürfe, zweitens habe er den Wunsch ausgesprochen, dass uns
deutscherseits eine Geldanleihe zur Ergänzung unserer Goldbestände finanziert
werde und endlich habe er verlangt, dass die deutsche Regierung eine Gewähr¬
leistung für die uns von Italien versprochene »freie Hand am Balkan« übernehme.

   Die deutsche Regierung hat diesen drei Bedingungen zugestimmt, so dass jetzt
der Zeitpunkt gekommen sei, wo er die Allerhöchste Ermächtigung Seiner k.u.k
Apostolischen Majestät nachsuchen müsse, um an die Durchführung der weiteren
Verhandlungen mit Deutschland und Italien schreiten zu können.

   Nach dem Dafürhalten Baron Buriäns kann jetzt kein Tag verloren werden,
weil die Leidenschaften in Italien täglich wachsen und es auch den Gutgesinnten
immer schwieriger gemacht wird, die Entwicklung der Dinge in dem sicheren
Kanäle der Fortsetzung der Verhandlungen mit uns festzuhalten.

   Der Minister des Äussern beabsichtigt, die italienische Regierung vorerst durch
Vermittlung der deutschen Regierung davon in Kenntnis zu setzen, dass er bereit
ist, als Basis der Diskussion die Möglichkeit der Abtretung österreichisch-ungari¬
schen Gebietes als Kompensation an Italien zuzugestehen. Auf weitere Details
wolle er sich Italien gegenüber vorerst nicht einlassen. Dagegen beabsichtige er
die deutsche Regierung in vertraulicher Weise davon in Kenntnis zu setzen, was
wir als Maximum an Italien abtreten könnten und worin das Minimum der
Gegenleistung Italiens bestehen müsse.

   Deutschland könnte dann die Verhandlungen mit Italien auf dieser Grundlage
festlegen und zuweitgehenden italienischen Forderungen a priori entgegentreten.

                                                                                                                                              219
<pb/>Die Eröffnungen der deutschen Regierung in Rom könnten dann den Ausgangs¬
punkt für eine »conversation ä trois« bilden, wie sie deutscherseits schon vor¬
geschlagen worden sei und bei welcher der ganze Komplex der Dreibundfragen
durchgesprochen und der Versuch gemacht werden könnte, den Wert des Bundes¬
verhältnisses für alle Verbündeten zu erhöhen. Die Frage der Kompensation an
Italien könnte dann in der Diskussion mit unterlaufen. Uber die Gebietsabtretung
selbst würde nur zwischen Österreich-Ungarn und Italien direkt verhandelt werden.

   Das Opfer, welches wir zu bringen hätten, sei ein sehr schweres. Eben, weil es
ein so schmerzliches sei, müsse man aber alles tun, dass dieses Opfer nicht umsonst
gebracht werde, sondern, dass uns hiedurch die Möglichkeit geboten werde,
in Zukunft gute Beziehungen zu Italien zu erhalten. Daher müssten alle mass¬
gebenden Faktoren trachten, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und so
dazu beitragen, dass in Italien der Wunsch nach Erhaltung des Bündnisses mit
uns gekräftigt werde.

   Die permanenten internationalen Interessen Italiens weisen es auf den Anschluss
an die Zentralmächte. Dies sieht auch jeder italienische Staatsmann ein, auch Son-
nino, der sich entschieden in diesem Sinne auch uns gegenüber ausgesprochen hat.
Für Italien sei ohne dieses Bündnis eine gute Mittehneerpolitik eben nicht denkbar.

  Auf diese Dispositionen allein könne man die Zuversicht bauen, dass Italien
sich mit dem von uns gebrachten Opfer begnügen und in der Zukunft zu uns halten
werde. Um dies aber zu erreichen, sei es notwendig, dass in Italien kein Miss¬
trauen gegen uns und das Deutsche Reich aufkomme und dass man dort nicht
das Gefühl habe, als würden wir unsere Zusicherungen nicht loyal einhalten oder
die abgetretenen Gebiete bei der ersten Gelegenheit wieder zurückerobern wollen.

   Hiemit schliesst der Minister des Äussern seine Ausführungen, indem er Seine
Majestät bittet, zu gestatten, dass die anderen Anwesenden nunmehr ihre Anschau¬
ungen vortragen und auch über die Einzelheiten der weiteren Vorgangsweise kon¬
krete Fragen stellen.

   Seine Majestät geruhen hierauf, dem kgl. ung. Ministerpräsidenten das Wort
zu erteilen.

   Graf T i s z a betont, der Gedanke, etwas aus dem eigenen Leibe abzutreten,
sei ein so furchtbares Opfer, dass man das Menschenmögliche zu tun ver¬
pflichtet sei, um eine solche Modahtät abzuwenden. Daher habe er sich auch seit
Beginn des Krieges immer jenen angeschlossen, welche eine solche Gebietsabtre¬
tung entschieden ablehnten. Schon Anfang August habe er Gelegenheit gehabt,
in dieser Weise Stellung zu nehmen. Auch später, als infolge der verhängnisvollen
Aktion des neuen deutschen Botschafters in Rom Anfang Jänner die Lage sich
wieder verschärfte, habe er sich für eine zuwartende Haltung ausgesprochen.
In erster Linie, weil man damals noch hoffen konnte, dass entscheidende militäri¬
sche Erfolge auch die politische Lage zu unseren Gunsten beeinflussen würden.
Diese Hoffnung sei leider nicht in Erfüllung gegangen; trotz der heldenmütigen
Haltung unserer Truppen in schweren Kämpfen sei kein so ausschlaggebender
Erfolg erzielt worden, dass unsere pohtische Situation hiedurch verbessert worden
wäre. Hingegen seien zwei neue Momente aufgetaucht, welche die entgegen¬
gesetzte Wirkung ausüben könnten. Er meine die Möglichkeit, dass Przemysl

220
<pb/>sich nicht mehr werde halten können und den Angriff der anglo-französischen
Flotte auf die Dardanellen. Letztere sei die in politischer Hinsicht weitaus wichti¬
gere Begebenheit, weil der ganze Balkan durch die Möglichkeit der Eroberung
Konstantinopels in Unruhe versetzt worden sei.

   Der zweite Grund, welcher den Grafen Tisza im Jänner noch veranlasst hat,
für eine ablehnende Haltung gegenüber Italien einzutreten, war die berechtigte
Hoffnung, dass die Einsicht der permanenten Interessen Italiens die italienischen
Staatsmänner vor einer Abenteuererpolitik zurückhalten werde. Auch Graf Tisza
ist davon überzeugt, dass Italiens Mittelmeerinteressen nur in der Anlehnung an
die Zentralmächte befriedigt werden können. Leider habe man sich auch hierin
getäuscht. Er wolle nicht untersuchen, wie weit die unglückliche Tätigkeit des
Fürsten Bülow dazu beigetragen habe, um die italienischen Staatsmänner in
ihrer Erpressungspolitik zu ermutigen. Eines sei ganz sicher, dass die deutsche
Pohtik im Jänner des Jahres die italienischen Aspirationen auf ein so hohes Diapa¬
son hinaufgeschraubt hatte, dass man damals in Rom mit der Abtretung des
Trentino wie mit etwas ganz selbstverständlichem rechnete und dass man seine
Blicke daher schon auf weitere Gebiete der Monarchie richtete. Die leidenschaft¬
liche Erregung in Italien sei dann hauptsächlich dadurch hervorgerufen worden,
dass man sich durch unsere ablehnende Haltung in Gefahr sah, etwas zu verheren,
womit man schon ganz sicher als nationale Errungenschaft gerechnet hatte.

  All dies könnte man zum guten Teil auf das Schuldkonto der deutschen Politik
setzen, jetzt nütze es aberwenig, dies festzustellen; manmüsse vielmehr derSituation
mit offenen Augen entgegentreten und das Beste tun, um ihr Rechnung zu tragen.
Durch den Eintritt Italiens und Rumäniens in den Krieg auf Seite unserer Gegner
würde, nach Ansicht aller massgebenden militärischen Faktoren, eine ganz unhalt¬
bare Kriegslage geschaffen werden. Man müsse sich daher unbedingt rechtzeitig
mit Italien abfinden, damit es sich nicht weiter Rumänien gegenüber verpflichte.
Daher könne man auch nicht bis Ende April zuwarten. Alle Momente weisen
darauf hin, dass schon jetzt zwischen Italien und Rumänien über konkrete Ver¬
einbarungen verhandelt wird. Wenn diese einmal zum Abschlüsse gelangt seien,
würde Italien vermutlich auch Abmachungen mit den Ententemächten abschliessen
und so gebunden sein, dass wir durch ein Nachgeben im letzten Augenblicke
nichts mehr erreichen würden.

   Trotzdem der zähe Widerstand, den er immer befürwortet habe, keinen vollen
Erfolg hatte, so sei er doch nützlich gewesen, einerseits, weil erst hierdurch das
Trentino für das italienische Volk zu einem wertvollen und begehrenswerten
Kompensationsobjekt wurde und dieser Umstand es den italienischen Staats¬
männern erleichtern wird, sich mit einem viel geringeren Erfolg zu begnügen als
es der Fall gewesen wäre, wenn man schon im Jänner nachgegeben hätte. Die
zweite günstige Wirkung unserer Zähigkeit erblicke er in dem deutschen Angebot
bezüglich des Kohlengebietes in Russisch-Polen, nicht weil er darin ein Aequi-
valent für die Abtretung des Trentino erblicke, denn durch einen wirtschaftlichen
Gewinn könne dieser ethische und politische Verlust nicht aufgewogen werden,
sondern weil er, abgesehen von der ökonomischen Bedeutung des Kohlengebietes,
auch ein wertvolles Anzeichen der loyalen Gesinnung Deutschlands für die Zukunft

                                                                                                                                              221
<pb/>in diesem Angebot erblicke. Der Ministerpräsident betont bei diesem Anlass, dass
wir ein verhältnismässig grosses Goldanlehen benötigen, um die sehr verringerten
Goldbestände der Österreichisch-Ungarischen Bank zu ergänzen und macht die
Anregung, dass bei diesem Anlasse die deutsche Regierung dazu veranlasst werden
sollte, uns Maschinen und Rohstoffe für die Bedürfnisse der Armee, welche in
Deutschland nicht benötigt werden, zu liefern, ohne dass hierfür wie bisher
Kompensationen unsererseits begehrt werden.

   Am Schlüsse seiner Ausführungen betont Graf Tisza, dass man keine Garantie
für eine korrekte Haltung Italiens in der Zukunft übernehmen könne, sondern
nur hoffen könne, dass die realen Interessen Italiens letzteres auch in Zukunft
an die Zentralmächte weisen werden. Dies sei zwar nur eine Hoffnung, die andere
Alternative aber, nämlich den italienischen Forderungen nicht nachzugeben,
bedeute unter den gegebenen Umständen mit Sicherheit den Krieg gegen
Italien und Rumänien mit unabsehbaren Konsequenzen. Über die Durchfüh¬
rung der weiteren Schritte wolle er sich im einzelnen nicht äussern, es sei
dies Sache der Diplomatie und gerade für eine erfolgreiche Diplomatie
sei es notwendig, dass ein Einzelner die Leitung in der Hand halte und dass er
durch fremde Einwirkung nicht gestört werde. Er möchte aber auch seinerseits
betonen, dass wir trachten sollten, aus diesem schweren Opfer, welches die Mon¬
archie bringen müsse, den grösstmöglichen Vorteil zu ziehen und in dieser
Beziehung möchte er zwei Momente hervorheben, einerseits sollten wir Italien
darüber beruhigen, dass wir das, was wir jetzt versprechen müssen, auch wirklich
einhalten wollen und dass wir nicht sofort an eine Vergeltung denken werden.
Eine solche Befürchtung Italiens könnte den ganzen Erfolg unseres Entgegen¬
kommens kompromittieren. Bis zum Ende des Krieges werde Italien es in der
Hand haben, seine Armee auch gegen uns einzusetzen und hiedurch die Über¬
legenheit der uns feindlichen Gruppe herbeiführen. Dafür, ob Italien diese Situation
werde ausbeuten wollen oder nicht, werde vor allem die Frage entscheidend sein,
ob man in Rom über das zukünftige Verhältnis zu den Zentralmächten beruhigt
sei oder nicht. Aber auch nach dem Kriege wäre es für uns eine Lebensfrage, mit
Italien gute Beziehungen zu unterhalten. Er teile in vollem Masse die sittliche
Entrüstung über das Vorgehen Italiens, aber die Monarchie wird kaum jemals
in der Lage sein, sich den Luxus eines Vergeltungs-Krieges zu erlauben, so dass
wir uns durch Betonung solcher Absichten ganz nutz- und zwecklos schädigen.&quot;

   Es erscheine ihm ferner ungemein wichtig, dass die Spannung, welche momentan
in unserem Verhältnisse zu Italien eingetreten sei, sobald als möglich einer fühl¬
baren Detente weiche. In Rumänien habe diese Spannung schon jetzt in einer
uns sehr ungünstigen Weise gewirkt, indem daselbst der sich langsam fühlbar
machende Umschwung der öffentlichen Meinung zugunsten der Monarchie wieder
aufgehalten worden sei.

   Was die Rückwirkung der Abtretung österreichisch-ungarischen Gebietes auf
die öffentliche Meinung der Monarchie betrifft, ist Graf Tisza der Ansicht, wenn

   a) Der mit »Er teile« beginnende und mit »zwecklos schädigen« endende Teil wurde von
Tisza nachträglich in die Reinschrift des Protokolls eingefügt.

222
<pb/>auch das Geheimnis über die erfolgte Abtretung nicht zu halten sein wird, die
grosse Öffentlichkeit dieses Opfer doch nicht so schmerzlich empfinden wird,
als man annehmen könnte. Die grosse Mehrzahl wünsche eine Verständigung mit
Italien und werde sich verhältnismässig leicht über die hiefür gebrachten Opfer
hinwegsetzen. Für die Militärkreise werde letzteres allerdings sehr schmerzhaft
sein, aber man sollte hiebei bedenken, dass ein Rückenangriff Italiens und Rumä¬
niens von unserer tapferen Armee, welche nunmehr seit fast 8 Monaten in beispiel¬
loser Pflichterfüllung unter den schwierigsten Verhältnissen gegen eine gewaltige
Übermacht ankämpft, noch viel schmerzlicher empfunden werden würde.

   Der ungarische Ministerpräsident verweist am Schlüsse seiner Ausführungen
darauf, dass dies der schwerste Entschluss sei, den er in seinem ganzen öffentlichen
Leben zu fassen genötigt gewesen sei. Wenn er den Anträgen des Ministers des
Äussern seine Zustimmung gebe, so tue er es in der Überzeugung, dass sie durch
die Verhältnisse gerechtfertigt seien. Im privaten Leben stehe jedem das Recht zu,
seine persönliche Sicherheit, sein Leben aus ideellen Gründen aufs Spiel zu setzen,
im öffentlichen Leben müsse aber ein verantwortlicher Staatsmann sich vor der
schwersten Notwendigkeit beugen, wenn die Existenz des Staates bedroht er¬
scheint.

   Seine k.u.k. Apostohsche Majestät geruhen hierauf, dem k.k. Ministerpräsiden¬
ten das Wort zu erteilen.

   Graf Stürgkh betont, dass, wenn der kgl. ung. Ministerpräsident seiner
Empfindung in dieser schweren Stunde Ausdruck verleihen konnte, er als die für
die Angelegenheiten der Reichsratslande in erster Linie verantwortliche Persön¬
lichkeit für sich das Recht in Anspruch nehmen dürfe, das Opfer, das gebracht
werden müsse, noch um einen Grad tiefer zu fühlen. Der Minister des Äussern
habe die ganze Situation in so klarer und ausführlicher Weise dargelegt, dass er
seinerseits diesen Ausführungen nichts Neues beifügen könne. Er wolle daher nur
einige markante Punkte in Schlagworten berühren, die ihm beachtenswert er¬
scheinen. Da müsse er vor allem auf die zweifellos täglich zunehmende kriegerische
Bereitschaft Italiens und Rumäniens hinweisen, in zweiter Linie auf die Tatsache,
dass über eine Kooperation der beiden Armeen gegen uns verhandelt werde.
Drittens erscheine auch ihm die Dardanellengefahr als ein sehr ernstes Moment
in der ganzen Lage. Viertens dürfe man seiner Ansicht nach auch die Überzeugung
des deutschen Verbündeten, dass eine Remedur gegen die italienische Gefahr gefun¬
den werden müsse, nicht ganz ausser Acht lassen und endlich müsse auch die Be¬
trachtung unserer Lage am nördlichen und auf dem serbischen Kriegsschauplatz
die Überzeugung hervorrufen, dass daselbst für absehbare Zeit keine definitiven
Entscheidungen fallen können und dass wir absolut nicht in der Lage seien,
Italien mit irgendwelcher Aussicht auf Erfolg entgegenzutreten. Selbst wenn man
einen Einfall der italienischen Truppen im Trentino aufhalten könnte, so wäre
dies am Isonzo oder in Dalmatien mit den uns zur Verfügung stehenden Truppen
ganz unmöglich. Unter diesen Umständen und da es nicht möglich erscheine,
Itahen in irgendwelcher anderen Weise zu befriedigen, müsse auch er zur Konklu¬
sion gelangen, dass dieses schwere Opfer gebracht werden müsse. Es sei dies das
einzige Mittel, um den drohenden Gefahren vorzubeugen. Wenn man einmal

                                                                                                                                             223
<pb/>diese Überzeugung gewonnen habe, sei es Pflicht jedes einzelnen, die schwere
Verantwortung hiefür auf sich zu nehmen; daher könne er dem Minister des
Äussern seine Zustimmung nicht versagen. Er stimme vollkommen mit dem kgl.
ung. Ministerpräsidenten darin überein, dass die Sache nicht ganz geheim durch¬
geführt werden könne. In dieser Beziehung werde das Erreichbare anzustreben
sein. Es wäre wünschenswert, dass über die Form und den Zeitpunkt der in der
itahenischen Kammer abzugebenden Erklärung konkrete Abmachungen mit der
italienischen Regierung getroffen werden. Er sei mit der von dem Minister des
Äussern skizzierten Vorgangsweise ganz einverstanden und lege insbesondere
Wert auf die Teilnahme des deutschen Kabinetts an den Verhandlungen, weil
seiner Ansicht nach die deutsche Mitgarantie für. die italienischen Zusagen sehr
wertvoll sei. Was die Leistungen Italiens betreffe, sollte man auf die wohlwollende
Neutralität besonders in wirtschaftlicher Hinsicht grosses Gewicht legen und
vor allem freie Hand in Serbien und Montenegro erhalten. Auch er begrüsse
es mit Genugtuung, dass Deutschland sich dazu verstanden habe, uns eine
Kompensation für das Opfer, welches wir bringen, anzubieten. Er müsse jedoch
auch seinerseits den Vorbehalt machen, dass durch Annahme des deutschen
Anerbietens die Möglichkeit weiterer Erwerbungen russisch-polnischen Gebietes
durch die Monarchie in keiner Weise präjudiziert werden dürfe, denn die An¬
sprüche, die wir in diesem Belange erheben, können durch den Erwerb von Sos-
nowice in keiner Weise befriedigt werden. Der Ministerpräsident ist sich nicht
ganz klar darüber, wie der deutsche Vorschlag bezüglich des Kohlenbeckens ge¬
meint sei. Es scheine sich mehr um ein6 privatliches Eigentumsverhältnis zu han¬
deln, das man uns anbiete.

   Was das durch Deutschland uns zu gewährende Goldanlehen betreffe, so sei
ein solches zur Aufbesserung der Valuta sehr nötig und könne auch, wie er von
deutscher finanzieller Seite erfahren hat, tatsächlich zu einem geeigneten Zeit¬
punkte in Berlin auf den Markt gebracht werden. Nur der Zeitpunkt sei noch
unbestimmt, von mancher Seite höre er die Ansicht aussprechen, dass dieses
Anlehen erst bei Friedensschluss effektuiert werden sollte, da müsse man sich in
Acht nehmen, dass diese Frage nicht deutscherseits mit jener der Kriegsentschädi¬
gung in Zusammenhang gebracht werde.

   Nachdem vorerst Italien durch Vermittlung Deutschlands nur von unserer
prinzipiellen Zusage in Kenntnis gesetzt werden soll, so sei es noch zu früh, über
die konkreten Abmachungen zu sprechen. Graf Stürgkh möchte aber schon jetzt
darauf hinweisen, dass bei der Delimitierung der &#39;abzutretenden Gebiete Süd¬
tirols nicht nur die ethnographischen Grenzen berücksichtigt werden dürfen,
sondern in erster Linie auch strategische Interessen. Letztere stimmen nicht überall
mit der Sprachgrenze überein. Ferner müsse er noch folgendes betonen. Wenn
man schon blutenden Herzens die Abtretung des Trentino ins Auge fasst, so
liegen die Verhältnisse an der Isonzolinie ganz anders. Es wäre seiner Ansicht
nach für die Zukunft des ganzen Küstenlandes verhängnisvoll, hier an Abtretungen
zu denken und die italienische Grenze näher an Triest heranrücken zu lassen.

    b) Das »ein« nachträglich in die Reinschrift des Protokolls eingetragen.

 224
<pb/>Wenn die italienischen Aspirationen auf das Küstenland auch nur zum kleinen
Teil erfüllt würden, so würde Gefahr bestehen, dass die politische Situation
daselbst unhaltbar wird. Aus diesem Grunde möchte er dringend bitten, dass auch
die deutsche Regierung auf das eindringlichste darauf aufmerksam gemacht werde,
dass wir in eine Gebietsabtretung im Isonzogebiet unter keinen Umständen ein¬
willigen können und dass wir von der deutschen Regierung erwarten, dass sie
jede diesbezüghch vorgebrachte Anspielung Italiens entschieden zurückweisen wird.

   Der k.k. Ministerpräsident reflektiert sodann auf die Bemerkung des Ministers
des Äussern und des ungarischen Ministerpräsidenten über unser zukünftiges Ver¬
hältnis zu Italien und stimmt der Anschauung bei, dass es nötig sein wird, bonne
mine au mauvais jeu zu machen und den Italienern möglichst freundlich ent¬
gegenzukommen. Er ist aber der Ansicht, dass dies nur bis zur Erfüllung der italieni¬
schen Gegenleistung, also bis zum Friedensschlüsse zu geschehen brauche. Jetzt
müsse gewiss alles aufgeboten werden, um die öffentliche Meinung Italiens von
unseren freundschaftlichen Absichten zu überzeugen.

   Was die Stimmung in der Bevölkerung anbelangt, betonte Graf Stürgkh, dass
die durch die Abtretung betroffenen Kreise der Provinz die Aussicht auf dies¬
bezügliche Verhandlungen mit Italien ungemein schmerzlich empfinden. In anderen
Kreisen überwiegen die Befürchtungen vor den Konsequenzen eines Eingreifens
Italiens alle anderen Konsiderationen; die Insistenz, mit welcher einzelne unter
ihnen an massgebender Stelle zur Nachgiebigkeit drängen, hat sogar etwas Cho¬
kantes an sich, man dürfe diese Insistenz aber nicht als Mangel an Patriotismus
ansehen, im Gegenteil, gerade sehr monarchietreue Elemente hätten in der letzten
Zeit aus Besorgnis für die Zukunft Österreich-Ungarns besonders zu einem Entge¬
genkommen gegenüber Deutschland und Italien gedrängt. Wenn diese Erscheinung
auch in subjektiver Beziehung unangenehm empfunden werden müsste, so müsse
man doch zugeben, dass diese Haltung einflussreicher Kreise in der Monarchie
die Entschlüsse der massgebenden Faktoren in pohtischer Hinsicht bis zu einem

gewissen Grade erleichtere.
   Bevor er schliesse, möchte er den Minister des Äussern noch fragen, ob er es

nicht für möglich halte, dass Rumänien, falls wir mit Italien zu einer befriedigen¬
den Einigung gelangen, nicht doch dazu bewogen werden könnte, nicht nur neutral
 zu bleiben, sondern sich uns und unseren Verbündeten aktiv anzuschliessen.
 Hiedurch könnte der Weltkrieg mit aller Aussicht zu einer raschen Entscheidung

 gebracht werden.
    Der Minister des Äussern beantwortet diese letzte Anfrage dahin,

 dass nach Einschätzung aller gegebenen Momente mit Sicherheit angenommen
 werden kann, dass Rumänien automatisch gegen uns losschlagen wird, wenn Italien
 uns angreift. Dagegen könne mit fast ebensolcher Bestimmtheit gesagt werden,
 dass Rumänien ruhig bleiben werde, wenn Italien sich nicht rühre. Die dritte
 Möglichkeit, dass Rumänien auf unserer Seite eingreife, erscheine viel zweifel¬
 hafter, er habe aber niemals aufgehört, alle jene Elemente, welche sich in Rumänien
 noch für die Fortsetzung der traditionellen dreibundfreundlichen Politik ein-
 setzen, zu stärken und mit denselben enge Fühlungnahme zu unterhalten. Die
 öffentliche Meinung Rumäniens sei so beweglich, dass ein Umschwung zu unseren

15 Komjäthy: Protokolle  225
<pb/>Gunsten gar nicht unmöglich wäre, wenn die geringere Gefahr und der grössere
Gewinn in einem Zusammengehen mit uns erblickt werde.

   In der rumänischen Seele sei die Stufenleiter des in diesem Kriege anzustreben¬
den Gewinnes so geordnet, dass ah erster Stelle der Erwerb Siebenbürgens und
der Bukowina stehe, an zweiter Stelle Bessarabien, welches insoferne weniger Wert
habe, als man mit Bestimmtheit damit rechnen zu müssen glaubt, dass Russland
es bei erster Gelegenheit wieder mit Waffengewalt zurücknehmen würde. Der
Minister wiederholt, dass sowohl er wie auch die deutsche Regierung, ihr Möglich¬
stes tue, um den kleinen Kreis dreibundfreundlicher Politiker in Bukarest in ihrem
Einfluss zu stärken und man ihnen auch gewisse Zusicherungen betreffend den Er¬
werb Bessarabiens für den Fall gemacht habe, dass Rumänien rechtzeitig eingreife.

   Was die Geheimhaltung unserer Abmachungen mit Italien betrifft, ist Baron
Buriän der Ansicht, dass eine solche Geheimhaltung unmöglich und auch in
gewisser Hinsicht gar nicht erwünscht wäre, weil man eine Detente mit Italien
herbeiführen wolle und weil unter den gegebenen Umständen ein Versprechen
an Italien auch mit der Durchführung gleichbedeutend sei. Selbstverständlich
werde man sein ganzes Augenmerk auf die Form und den Inhalt der italienischer-
seits beabsichtigten parlamentarischen Erklärung richten müssen. Es würde nicht
leicht sein, eine Textierung zu finden, die weder zuviel noch, was mit Rücksicht
auf das italienische Parlament wichtig sei, zu wenig sage. Baron Buriän beabsich¬
tigt, diese wichtige Frage gleich nach Abgabe der prinzipiellen Erklärung durch
die deutsche Regierung anzuschneiden. Eine zweite Schwierigkeit sehe er darin
voraus, dass, wie er wisse, Italien die Absicht habe, die sofortige Räumung der
von uns abgetretenen Gebiete zu verlangen. Er werde sich einem solchen Ansinnen
mit Entschiedenheit widersetzen und auch auf die deutsche Regierung einwirken,
damit sie ihrerseits die Italiener von einer solchen Forderung zurückhalte.

   Was das Isonzogebiet betreffe, so sei es in der italienischen Presse sehr oft
zusammen mit dem Trentino genannt worden, dagegen habe die deutsche Regierung
erst in der letzten Depesche des Reichskanzlers dieses Gebiet als weiteres Postulat
Italiens erwähnt. Der Minister führt dies auf einen Bericht des Abgeordneten
Erzberger über seine italienische Reise zurück, der am 28. Februar, das heisst am
Tage, wo die erwähnte Depesche redigiert wurde, dem Reichskanzler Vorgelegen hat.

   Baron Buriän hat auf dieses deutsche Ansinnen sofort geantwortet, dass das
Isonzogebiet unter allen Umständen von den Verhandlungen ausgeschlossen
bleiben müsse. Italien dürfte jedoch auch in dieser Frage mit Insistenz an uns
herantreten, das solle uns zwar nicht bewegen, sofort nachzugeben, er müsse aber
befürchten, dass die italienische Regierung wegen des Isonzogebietes die Sachen
in drei bis vier Wochen wieder auf die Spitze treiben und eine Art von Ultimatum
an uns richten würde. Er werde dann selbstverständlich keine weitere Entschei¬
dung treffen, bevor er die Frage nicht neuerlich im Ministerrat vorgebracht habe.

   Was die Anfrage des k.k. Ministerpräsidenten über das Kohlengebiet von
Sosnowice betreffe, müsse er betonen, dass die deutsche Regierung uns selbstver¬
ständlich die volle staatliche Souveränität über die Kohlengebiete zuerkenne,
ausserdem soll sie auch die Enteignung der Kohlengruben auf ihre Kosten vor¬
nehmen, so dass letztere dann lastenfrei in unser Staatseigentum übergehen würden.

226
<pb/>  Bezüglich der Goldanleihe sei es ganz selbstverständlich, dass diese Frage ganz
getrennt von der Frage der Kriegsentschädigung zu behandeln sein werde.

   Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen hierauf dem gemeinsamen Finanz¬
minister das Wort zu erteilen.

   Dr. von K o e r b e r erklärt, er wolle sich nach den erschöpfenden Darlegungen
des Ministers des Äussern und der beiden Ministerpräsidenten kurz fassen. Er
verweist darauf, wie sehr das Prinzip des schrankenlosen Egoismus die Politik
der einzelnen Staaten zu beherrschen drohe. Wenn früher geschriebene Verträge
eine gewisse Garantie für die Haltung eines Verbündeten boten, so sei dies nicht
mehr der Fall, denn kein Staat scheue sich heute Verträge zu brechen, wenn dies
zu seinem Vorteil geschehen kann. Auch unser Verhältnis zu Italien müsse von
diesem Gesichtspunkte aus betrachtet werden und wenn auch für die treulose
Haltung Italiens eine Entschuldigung nicht zu finden sei, so müsse man doch
die Tatsache nicht vergessen, dass wir von Feinden umringt sind und dass wir
auch in der Zukunft genötigt sein werden, hiemit zu rechnen und trachten müssen,
die Zahl unserer Feinde soweit wir können, zu verringern. Daher müsse er für
eine wohlwollende Verständigung mit Italien eintreten, welche Italien nicht nur
aus dem Kreise unserer Gegner ziehen, sondern auch noch ein volles Überein¬
kommen über den ganzen Komplex der Balkanfragen herstellen würde. Wir
sollten unsere Interessen am Balkan gemeinsam mit Italien wahren. Bei dieser
Verständigung denke er vor allem an unsere gemeinsamen Interessen in Albanien
und an Salonik, welches für unsere wirtschaftliche Expansion in der Welt eine
immer grössere Bedeutung erhalten würde. Wir müssen trachten, die Verbindung
mit Salonik kürzer zu machen. Politisch habe es auch eine Bedeutung, dass die
Bevölkerung von Salonik seit jeher mit uns sympatisiere.

   Er denke also daran, dass man mit der italienischen Regierung eine Verständi¬
gung suche, die sich auch auf den Balkan beziehe, damit unsere wirtschaftlichen
Interessen daselbst gleichzeitig mit jenen Italiens gewahrt werden.

   Auf die Frage der Goldanleihe übergehend, erwähnt der gemeinsame Finanz¬
minister, dass er dieselben Bedenken wie Graf Stürgkh hege, ob es möglich sein
werde, eine solche Anleihe im jetzigen Zeitpunkte zu effektuieren. Seiner Ansicht
nach werde man ohnedies eine neue innere Anleihe zur Deckung der Kriegs¬
kosten aufnehmen müssen. Dies könnte eventuell im Mai geschehen und auf
diese Weise den Geldbedarf sicherstellen. Ob dann noch eine Goldanleihe im
Auslande nötig sein werde, wisse er nicht, für jeden Fall halte er esc für nicht
angängig/ dass das Goldanlehen, wenn es uns erst bei Friedensschluss gewährt
wird, deutscherseits nicht mit der Frage der Kriegsentschädigung in Zusammen¬
hang gebracht werde.

   Dr. von Koerber schliesst seine Ausführungen mit der Bemerkung, er pflichte
der Anschauung vollkommen bei, dass die Gebietsabtretung von der öffentlichen
Meinung mit Ruhe hingenommen werden würde, weil man die Zwangslage, in

    c) Das nach »es« stehende Wort »fast« wurde von Koerber gestrichen.
    d) An Stelle des in der Reinschrift des Protokolls gestandenen »unmöglich« setzte Koerber
 »nicht angängig».

       15* 227
<pb/> der wir uns befinden, begreife. So schwer es jedem patriotisch denkenden Menschen
 auch fallen müsse, so könne er persönlich sich mit gutem Gewissen sagen, dass
 unter den gegebenen Verhältnissen nichts anderes geschehen könne und daher
 stimme er dem Anträge des Ministers des Äussern bei.

    Mit Allerhöchster Ermächtigung ergreift der k.u.k. Kriegsminister das Wort.
    FZM. von K r o b a t i n betont, er habe sich seit Beginn des Krieges bei jeder
 Gelegenheit mit aller Entschiedenheit gegen jede Gebietsabtretung ausgesprochen
 und immer den Standpunkt vertreten, dass die volle Integrität des Besitzstandes
 der Monarchie erhalten werden müsse.
    Es sei daher begreiflich, dass es ihm jetzt doppelt schwer falle, den Vorschlägen
 Baron Buriäns zuzustimmen; wenn er es dennoch tue, so geschehe dies, weil er
einsehe, dass man nicht das Unmögliche leisten könne. Wir haben nicht die Macht,
zwei neuen feindlichen Heeren entgegenzutreten, welche zusammen über 2 Millio¬
nen Soldaten verfügen. Selbst wenn wir, was er hoffe und glaube, genügend Men¬
schenmaterial hätten, um genügend starke neue Armeen gegen diese Gegner
aufzustellen, so würde es materiell leider nicht möglich sein, diese Armeen auszu¬
rüsten. Wenn er jetzt zustimme, so tue er es in der Voraussetzung, dass die militä¬
rischen Interessen der Monarchie bei der Abtretung des Trentino gewahrt und
eine uns in strategischer Hinsicht günstige Grenze gesichert werden würde. Die
Monarchie habe so viele mihtärisch schlechte Grenzen, dass es eine dringende
Notwendigkeit wäre, hier auch auf die Bedürfnisse der Defensive Rücksicht zu
nehmen.
   Er müsse ferner die Bitte Vorbringen, dass die Gebietsabtretungen nur auf
Südtirol beschränkt bleiben sollten und endlich noch darauf hinweisen, dass, falls
dieses Opfer gebracht würde, die Monarchie auch den Willen kundgeben sollte,
Herr im eigenen Hause sein zu wollen. Man sollte sich entschliessen, bei dieser
Gelegenheit alle jene Italiener, welche mit dem italienischen Nationafismus sympa-
tisieren, auch wenn sie österreichische Staatsangehörige seien, auszuweisen, sie
zu exproprieren und sie der österreichischen Staatsbürgerschaft verlustig zu
erklären. Dies wäre das einzige Mittel, dem Irredehtismus entgegenzutreten und
zu verhüten, dass wir in einigen Jahren wieder in eine ähnliche Zwangslage
versetzt werden wie heute.
   Auch FZM. von Krobatin ist der Ansicht, dass diese Gelegenheit benützt
werden sollte, um die deutsche Regierung zu veranlassen, uns bei den Lieferungen
für die Armee grösseres Entgegenkommen zu zeigen.
   Es sei selbstverständlich, dass die Abtretung Südtirols in der Armee am härtesten
empfunden werden würde, besonders weil die Armee in Italien nie einen Freund
oder verlässlichen Bundesgenossen erblickt hat. Die Armee werde aber wie immer
den ihr erteilten Befehlen gehorchen und nie werde ein Ton ihres Schmerzes über
dieses schwere Opfer in die Öffentlichkeit dringen.
   Der Chef des Generalstabes, welcher auf Befehl Seiner Majestät
nunmehr seine Ansicht äussert, betont, dass er, seitdem er den Generalstab leitet,
immer wieder in langen Friedensjahren auf die Perfidie Italiens hingewiesen und
den Krieg gegen diesen unverlässlichen Bundesgenossen gewünscht habe, weil
er wusste, dass Italien uns im Ernstfälle in den Rücken fallen würde, wenn man

228
<pb/>der Schlange nicht rechtzeitig den Kopf zertrete. In allen seinen Denkschriften
über diese Frage habe er betont, dass wir einem Kriege gegen Russland und
Italien nicht gewachsen seien, dies schon gar nicht, wenn wir, wie dies jetzt der
Fall sei, auch am Balkan engagiert wären. Er würde sich selbst desavouiren, wenn
er jetzt dieser Ansicht untreu würde.6 Italien können nunmehr verlangen, was es
wolle und wir hätten in mihtärischer Beziehung kein Mittel in der Hand, um dieser
Erpressung entgegenzutreten. Der Schwerpunkt liege momentan nur auf politi¬
schem Gebiete und es werde nur von dem guten Willen Italiens und der Geschick¬
lichkeit unserer Diplomatie abhängen, inwieweit die Italiener ihre Forderungen
einschränken würden.

   Jede Gebietsabtretung sei ein schwerer Schaden; die Abtretung Südtirols würde
aber in strategischer Hinsicht besonders schwer empfunden werden. Man verliere
einen Keil, der nach Italien hineinragt und der ein Dorn im Fleische Italiens ist,
daher auch einen ganz bedeutenden militärischen Wert habe. Es sei ganz ungerecht¬
fertigt, dass man im Deutschen Reiche über diese italienische Forderung so leicht
hinweggehe und von dem Trentino als von einem Fetzen Land spreche, das kei¬
nen Wert habe. Wenn Italien mit diesem schweren Opfer nicht befriedigt werden
könnte und neue Forderungen stelle, so müsste man, seiner Ansicht nach, lieber
zugrunde gehen und Deutschland mitreissen, als solchen weiteren Erpressungen
nachzugeben.

   Seine k. u. k. Apostolische Majestät geruhen, das Ergebnis der
im Ministerrate vorgebrachten Ansichten dahin zu resümieren, dass alle Teil¬
nehmer, wenn auch schweren Herzens dafür eingetreten seien, dass dieses schwere
Opfer gebracht und dass Verhandlungen mit Itahen auf Grundlage einer Gebiets¬
abtretung eingeleitet werden können. Seine Majestät hebt jedoch hervor, dass
Er die Allerhöchste Ermächtigung hiezu nur erteile, insoferne Gebietsabtretungen
in Südtirol in Frage kommen und dass eine territoriale Zession am Isonzo unter
keinen Umständen zugestanden werden dürfe.

   Der Minister des Äussern erbittet sich das Wort von Seiner Majestät,
um noch einige Worte über die Art der Durchführung der Verhandlungen zu spre¬
chen. Er hoffe, die deutsche Regierung dazu zu bewegen, auf Italien mit eben¬
solcher Insistenz einzuwirken, damit es seine Forderungen nicht zu hoch stelle,
wie auf uns aus Berlin eingewirkt worden sei, um uns zur Nachgiebigkeit zu
bewegen. Wir würden der deutschen Regierung das Maximum dessen mitteilen,
was wir in Südtirol konzedieren könnten, wobei.wir natürlich in erster Linie
strategische Rücksichten berücksichtigen würden. Auf eine Anfrage Baron
Conrads erklärt der Minister, er betrachte es als selbstverständlich, dass die Ver¬
handlungen mit Itahen sobald sie sich auf konkrete Gebietsabtretungen erstrecken,
nur im engsten Einvernehmen mit den militärischen Stellen der Monarchie geführt
werden würden. Er möchte aber vom Standpunkte seines Ressorts davon abraten,
dass man strategische Rücksichten nur deshalb vorschiebe, um ein möglichst
kleines Territorium an Italien abzutreten. Ganz abgesehen davon, dass man sich

   e) Von »Es würde« bis »untreu würde« wurde von Conrad mit Bleistift nachträglich in die
Reinschrift des Protokolls eingetragen.

                                                                                                                                              229
<pb/>in Italien mit einer bescheidenen Grenzberichtigung niemals zufrieden geben
könne, würde es auch nicht in unserem Interesse liegen, einen grösseren Teil der
italienischen Bevölkerung Südtirols bei uns zu behalten und so die Trentinofrage
nicht definitiv zu bereinigen.

   Was die italienische Gegenleistung betreffe, so würde dieselbe in den Besprechun¬
gen zu dritt, welche in Berlin stattfinden würden, festgesetzt werden. Deutschland
habe uns mitgeteilt, dass Italien uns freie Hand am Balkan anbiete, dies sei ein
recht weiter Begriff. Wir haben kein Interesse daran, ihn einzuschränken und
werden es der deutschen Regierung überlassen, den italienischerseits zu erwartenden
Einschränkungen entgegenzutreten. Was das Abkommen über Albanien betrifft,
verweist Baron Buriän darauf, dass wir kein Interesse daran haben, die
Beschlüsse der Londoner Konferenz2 oder unseren albanischen Akkord mit
Italien jetzt umzustossen, da diese Abkommen uns eine Handhabe bieten
können, Itahen beim Friedensschluss zur Aufgabe Valonas zu veran¬
lassen.

   Der Kriegsminister habe sich für ziemlich drastische Massregeln in der Zukunft
gegen jede Itahener ausgesprochen, welche der Monarchie angehören und gegen
dieselbe agitieren. Wenn er auch nicht so weit gehe, wie FZM. von Krobatin,
so sei er doch auch der Ansicht, dass es nach dem Kriege notwendig sein wird,
die hochverräterischen Agitationen, welche nur infolge der Langmut der Regie¬
renden in der Monarchie Wurzel fassen konnten, zu unterdrücken. Es müsseein
für alle Mal jenen Elementen, welche sich an dieser Agitation beteiligen, klar
gemacht werden, dass dies nicht mehr geduldet werden wird und dass sie die Mon¬
archie verlassen müssen, wenn sie hier nicht ihren Pflichten als loyale Untertanen
nachkommen wollen. Er denke hiebei nicht nur an Verbrecher, sondern auch an
jene, die manchmal auch in gutem Glauben ihre nationalen Aspirationen zum
Schaden der Monarchie verbreiten.

   Der k.k. Ministerpräsident ist mit dem Vorschläge Baron Buriäns
ganz einverstanden, möchte aber nur die eine Einschränkung machen, dass man
seiner Ansicht nach auch mit den Mitteilungen an die deutsche Regierungsehr
vorsichtig sein sollte. Die Erfahrungen der letzten Wochen hätten gezeigt, dass
man in Berlin bei Preisgabe fremden Gebietes recht freigebig verfahre und sich
nicht scheue, eine ganz unbeschränkte Pression auf uns auszuüben, um uns zur
Nachgiebigkeit zu bewegen. Graf Stürgkh befürchtet, dass, wenn man die deutsche
Regierung sofort von unseren Maximalkonzessionen in Kenntnis setzt, sie diese
zu früh preisgeben wird.

   Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen dieser Ansicht zuzustimmen.
   Der Minister des Äussern erklärt, dass auch er die Absicht habe,
vorerst nur von Grenzberichtigungen zu reden. Nur sollte man sich schon jetzt
darüber klar werden, dass diese nicht genügen werden und dass eine vollständige
Bereinigung der italienischen Frage in Südtirol bei Wahrung unserer strategischen
Interessen notwendig sein werde.

    2 Über die Londoner Konferenz s. Anm. 1. zum Protokoll v. 7. September 1914.

230
<pb/>   Der kgl. ung. Ministerpräsident reflektiert auf die Frage der
Anleihe, indem er wiederholt, dass er allerdings an eine jetzt abzuschliessende
grosse^ Gold-Anleihe denke. Ein leitender deutscher Bankmann habe ihm dies¬
bezüglich gesagt,g dass Berliner Finanzkreise sich mit der Frage beschäftigen
und das Geschäft für möglich halten^ würden, wenn einmal die italienische
Spannung beseitigt sei.

   Auf die Balkanfragen zurückkommend, bemerkt Graf Tisza, dass wir vor allem
trachten müssen, freie Hand in Serbien und Montenegro zu erhalten. Wir müssten
trachten, möglichst wenig Reibungsflächen mit Italien für die Zukunft zu schaf¬
fen. Was die vom gemeinsamen Finanzminister aufgeworfene Frage von Salonik
betreffe, glaube er Dr. von Koerber richtig dahin verstanden zu haben, dass nur
von der Stärkung unserer wirtschaftlichen Position daselbst die Rede war, denn
es wäre für die Monarchie ganz unmöglich, eine gesunde Balkanpolitik zu machen,
wenn man ihr politische Absichten auf Salonik nachsagen könne.

   Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen hierauf den Chef des General¬
stabes aufzufordern, sich über die mihtärische Lage zu äussern, indem Seine Maje¬
stät betonen, dass es notwendig sei, darüber Beschluss zu fassen, wie die Operatio¬
nen angesichts der jüngsten Misserfolge der deutschen Armee in Nord-Polen
weiterzuführen sein würden. Eine zweite Frage, über welche der Ministerrat auf¬
geklärt werden solle, sei jene, welche Verteidigungsmittel uns im äussersten Falle
gegen Italien zur Verfügung stehen.

   G.d.I. Baron Conrad erklärt, der jüngste Misserfolg der deutschen Armee,
welcher es unmöglich machte, aus dem grossen Siege bei den masurischen Seen
strategische Vorteile zu ziehen, sei zwar sehr bedauerlich, die Gesamtlage wäre
jedoch hiedurch nicht so beeinflusst, dass es für uns notwendig wäre, unsere
Operationen abzubrechen. Der Chef des Generalstabes gibt hierauf vertrauliche
Aufklärungen über diese Operationen, welche in erster Linie zum Entsätze der
Festung Przemysl und zur Wiedereroberung Mittelgaliziens führen sollen.

   Auch über die Frage unserer Verteidigungsmittel gegen Italien erteilt Baron
Conrad streng vertrauliche Auskünfte. Aus denselben geht hervor, dass keine
grossen Truppenmassen für eine wirksame Verteidigung zur Verfügung stehen
und dass nur Pola und Südtirol für einige Zeit gehalten werden könnten.

   Auf die italienische Frage zurückkommend, spricht der Chef des Generalstabes
seine Überzeugung aus, dass Italien uns niemals freie Hand in Serbien gewähren
werde, weil Italien Serbien als zukünftigen Bundesgenossen gegen uns brauche.
Auch er sei der Ansicht, dass man während der Dauer des Krieges trachten müsse,
die italienische öffentliche Meinung über unsere Absichten zu beruhigen, denn wir
können jetzt einen italienischen Angriff nicht riskieren. Aber, was itahenische
Zusicherungen bedeuten, lehre uns die Erfahrung der letzten Monate und seiner

    f) An Stelle des ursprünglichen »größere« wurde von Tisza in die Reinschrift des Protokolls
 »jetzt abzuschließende große« gesetzt.

    g) Das ursprüngliche »zugesagt« wurde von Tisza auf »gesagt« verbessert.
     h) »und das Geschäft für möglich halten« ist eine nachträgliche Eintragung Tiszas in die
 Reinschrift des Protokolls.

                                                                                                                                                231
<pb/>Ansicht nach werde man nach dem Kriege die erste Gelegenheit benützen müssen,
um Italien eine Lektion zu erteilen.
 , Auch der k.k. Ministerpräsident ist der Ansicht, dass es in der
Zukunft wegen der serbischen Frage zu einem Konflikte mit Italien kommen wird,
wogegen Graf T i s z a und Baron B u r i ä n die Anschauung vertreten, dass
der Versuch gemacht werden müsse, Italien im Bundesverhältnis zu erhalten.
Baron Buriän verweist insbesondere darauf, dass Italien schon jetzt bereit war,
sein sogenanntes vitales Interesse an Serbien gegen das Trentino einzutauschen und
glaubt nicht, dass dieses Interesse tatsächlich ein so grosses ist, dass eine Ver¬
ständigung hierüber unmöglich wäre. Auch er ist sich dessen bewusst, dass künftige
Verträge mit Italien keinen Wert haben werden, wenn es nicht gelingt, Italiens
wahre Interessen mit jenen des Dreibundes in Einklang zu bringen. Wir riskieren
nichts, wenn wir dies versuchen und wenn man sich in dieser Hoffnung täusche,
so werde dies nur beweisen, dass die Leidenschaften in Italien so starke sind,
dass eine besonnene Politik daselbst nicht aufkommen kann.

   Seine k.u.k. Hoheit Erzherzog Carl Franz Joseph richtet
mit Genehmigung Seiner k.u.k. Apostolischen Majestät an den Minister des
Äussern die Anfrage, ob es nicht möglich sein würde, falls Italien nunmehr be¬
friedigt wird und sich zu einer neutralen Haltung verpflichtet, die italienische
Regierung dazu zu bewegen, auch bezüglich der korrekten Haltung Rumäniens
uns gegenüber eine gewisse Garantie zu übernehmen.

   Der Minister des Äussern verweist in Beantwortung dieser Anfrage
darauf, dass eine solche Garantie wohl nicht leicht erreichbar wäre. Wir seien
übrigens dessen so ziemlich sicher, dass die rumänische Gefahr nur bei einem
Angriff Italiens akut wäre. Was vermieden werden musste, war eine weitergehende
Vereinbarung zwischen Italien und Rumänien, durch welche die beiden Staaten
etwa durch Übernahme einer Garantie für die beiderseitigen Eroberungen noch
enger aneinander geknüpft werden würden. Es liege bisher nichts vor, was auf
eine solche schon perfekte Interessengemeinschaft schliessen lassen würde, im
Gegenteil, es wären Anzeichen dafür, dass Italien noch immer bestrebt sei, die
Brücken zum Dreibund nicht abzubrechen und sich noch sowohl gegenüber
Rumänien als auch gegenüber den Ententemächten Handlungsfreiheit bewahren
wolle.

   Dies beweise, dass man in Italien noch immer hoffe, mit uns zu einer Verein¬
barung zu gelangen.

  Seine k.u.k. Apostolische Majestät geruhen hierauf, den gemeinsamen Minister¬
rat aufzuheben.

             Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des
         Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. In der rechten
         oberen Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »fertig«. Auf dem letzten Blatt
         die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, 2. April 1915.« Links unten die
         Unterschrift des Protokollführers Hoyos. Das Konzept des Protokolls befindet sich
         zwischen dem Konzept des Ministerratsprotokolls vom 3. Februar 1915 und der
         Original-Reinschrift des Protokolls vom 18. Juni 1915. Am Rubrum des Mantelbogens

232
<pb/>        steht: »Gern. Min. R. Protokoll. No. 521. Über die unter Allerh. Vorsitz stattgehabte
        Beratung vom 8. März 1915. Bereitwilligkeit, das Trentino an Italien abzutreten.« Im
        Konzept einige, vom Protokollführer stammende Korrekturen.

                                                                                                               11.

                                                                                     Wien, 18. Juni 1915

        Außenminister Buriän informiert den Ministerrat kurz über die außenpolitische
        Lage, mit besonderer Berücksichtigung des Kriegseintritts Italiens. Es wird beschlossen,
        das Armeeoberkommando zu ersuchen, den Krieg sparsamer zu führen und die
        Kriegsmaterialbestellungen auf die Erfordernisse des gegenwärtigen Krieges zu
        beschränken. Dann wurde die finanzielle Lage besprochen, auf Grund der Vorlage des
        ungarischen Finanzministers Teleszky an den ungarischen Ministerrat vom 3. Juni
        über die Modalitäten der Deckung der außerordentlichen Kriegsausgaben. In diesem
        Zusammenhang kam die Zollunion mit Deutschland zur Sprache, sowie das Problem
        des Goldfonds. Ebenfalls die Einberufung der Delegationen, schließlich die Frage der
        Heranziehung von Kriegsgefangenen zu landwirtschaftlichen Arbeiten.

            Über die Antezedenzien der im kurzen außenpolitischen Bericht Buriäns behandel¬
        ten Fragen siehe das Material des gemeinsamen Ministerrats vom 7. Juli 1914 und 8.
         März 1915.

           Über das Problem der Mobilisierungskredite und der Finanzplanung des Krieges
        siehe die im Kommentar zum Protokoll vom 3. Februar 1915 zitierten Arbeiten
        (E. Ivanyi, I. Teleszky und S. Popovics). -- Zur Deckung der gemeinsamen Ausgaben
        beschloß die Konferenz, die Voranschläge des vorangegangenen Jahres als Grundlage
        zu nehmen; wenn spezielle Kredite notwendig wären, müßten diese von den Regierun¬
        gen bereitgestellt werden. Bei Meinungsverschiedenheiten muß der gemeinsame
        Ministerrat entscheiden. Diese Frage tauchte übrigens auf der gemeinsamen Minister¬
        konferenz vom 6. Oktober 1915 von neuem auf, wobei das Vorgehen der beiden
        Regierungen im Sinne der von der Konferenz gemachten Vorschriften vom Ministerrat
        gutgeheißen wurde.

Protokoll des zu Wien am 18. Juni 1915 abgehaltenen Ministerratesfür gemeinsame
Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des Ministers des k.u.k. Hauses und des
Äußern Baron Buriän.

   K.Z. - G.M.K.P.Z. 522.

   Gegenwärtige: der k.k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung-
Ministerpräsident Graf T i s z a, der k.u.k. gemeinsame Finanzmmister Dr. von
K o e r b e r, der k.u.k. Kriegsminister FZM. Ritter von Krobatin, der
k.k. Minister für Landesverteidigung G.d.I. Freiherr von G e o r g i, der kgl.
ung. Landesverteidigungsminister G.d.I. Baron H a z a i, der kgl. ung. Finanz¬
minister Dr. Teleszky, der k.k. Handelsminister Dr. von Schuster,
der kgl. ung. Handelsminister Baron Harkänyi, der k.k. Finanzminister
Freiherr von Engel, der Chef des k.u.k. Generalstabes G.d.I. Freiherr von

                                                                                                               233
<pb/>