MRP-2-0-07-0-19140907-P-0006.xml

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Gemeinsamer Ministerrat, 7. 9. 1914

I. Politische und militärische Lage

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VII/pdf/oe_hu_mrp_VII_z6.pdf.

erwünscht, dass ein mit den Bedürfnissen des Pressedienstes vertrauter Beamter
dem Kriegsüberwachungsamt zugeteilt und bei der Konzipierung dieser Berichte
zu Rate gezogen werde.

   Hierauf wird von beiden Ministerpräsidenten darauf hinge¬
wiesen, dass die Militärbehörde seit der Mobilisierung die Tätigkeit der Zivilver¬
waltung fast ganz ausgeschaltet und insbesondere für die Erhaltung und Kräfti¬
gung der Volkswirtschaft durch entsprechende Fürsorge für Bahntransporte mili-
tärischerseits in keiner Weise Vorsorge getroffen wird.

   Graf S t ü r g k h führt aus, dass unsere Bahnen durch die Militärtransporte
keineswegs vollauf in Anspruch genommen sind, sondern auch einen grossen Teil
des normalen Personen- und Lastverkehres bewältigen könnten, wenn die Mili¬
tärsbehörde dies zulassen würde. Insbesondere müsse man dafür sorgen, dass die
Industrie Kohle erhalte.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident schliesst sich dieser Auffassung an
und betont die Notwendigkeit, für den Transport des Getreides zu den grossen
Mühlen im Interesse der Ernährung der Monarchie Vorkehrungen zu treffen.

   Seine k. und Apostolische Majestät geruhen hierauf festzustellen, dass bezüglich
der Befestigungen die einmütige Anschauung aller Beteiligten vorhege und diese
Massregel nunmehr sogleich in Angriff genommen werden kann. Gleichzeitig
haben Seine Majestät Allergnädigst zu verfügen geruht, dass die weiteren von
den Ministern vorgebrachten Fragen eingehend studiert und mit dem Ar¬
meeoberkommando diesbezüglich von den betreffenden Ressorts in Fühlung
getreten werde.

   Bezüglich Itahens geruhen Seine Majestät zu bemerken, dass man sich im gegen¬
wärtigen Augenblick bei den Verhandlungen mit der itahenischen Regierung eines
ruhigen Tones befleissigen müsse. Seine Majestät sind der Ansicht, dass in mihtäri-
scher Hinsicht ohne provokatorische Absicht das Erforderliche geschehen muss, um
unsere Grenzen gegen Itahen zu schützen, soweit dies möglich ist.

  Hierauf geruhen Seine Majestät den Ministerrat aufzuheben.

             Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des
         Protokolls von sämtlichen Teilnehmern des Ministerrates bestätigt. In der rechten
         oberen Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »ffertig)«. Auf dem letzten Blatt
         die Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, 3. September 1914.« Auf demselben
         Blatt links unten die Unterschrift des Protokollführers Hoyos. Die Unterschrift
         Berchtolds fehlt. -- Ebd. das handschriftliche Konzept des Protokolls mit Korrekturen
         des Protokollführers und Berchtolds. Am Rubrum mit Handzeichen: »Exp. B.«

                                                                                                      6.

                                                                               Wien, 7. September 1914

         Der Minister des Äußern orientiert den Ministerrat über das Verhalten der türkischen,
         der griechischen, der rumänischen, der bulgarischen und der italienischen Regierung
         in Fragen des Krieges. Der Kriegsminister berichtet über seine Verfügungen zur
<pb/>        Steigerung der Kriegsmaterialproduktion. Nach Meinung Tiszas müssen alle ver¬
        fügbaren Kräfte gegen Rußland eingesetzt werden.

            Der sich ziemlich an der Oberfläche bewegende Bericht des Ministers des Äußern
         schließt sich, zumindest formell, dem Expose vom 19. August an. Die Mitglieder der
        Beratung waren fühlbar über die Entwicklung des Verhältnisses zu Italien besorgt, wor¬
         über in den Ministerratsprotokollen vom 8. und 19. August schon die Rede war; über
         die weiteren Ereignisse können wir in den Protokollen vom 20. September, 31. Oktober
        und dann vom 3. Februar und 8. März 1915 lesen. Der Schwerpunkt des Berichtes fiel
        trotzdem auf die Analyse des Verhaltens der Balkanstaaten. Damals war der Wettlauf
        um die Gewinnung der Türkei noch in vollem Gange. Durch den am 2. August 1914
        zwischen der Türkei und dem Deutschen Reich abgeschlossenen Vertrag war die
        Türkei verpflichet, im Falle eines russischen Angrilfs auf Deutschland militärisch
        einzugreifen. Obzwar am 3. August dieser Bündnisfall eingetreten war, zögerte die
        Türkei, die durch das Vordringen der Russen beunruhigt war und auch die Überlegen¬
        heit der britischen und französischen Flotte fürchtete. Die Angelegenheit wurde
        schließlich zugunsten der Mittelmächte entschieden, als es zwei deutschen Kriegs¬
        schiffen, dem Panzerkreuzer Goeben und dem kleinen Kreuzer Breslau gelungen war,
        der Wachsamkeit der britischen und französischen Mittelmeerflotte zu entgehen
        und in den Bosporus einzulaufen. Die beiden Schiffe wurden von den Türken ange¬
        kauft und so konnten sie einer britisch-französischen Flotteninvasion ruhiger entge¬
        gensehen.

            Aus dem Bericht des Ministers des Äußern sowie aus den Worten der übrigen
        Mitglieder der Ministerkonferenz war klar ersichtlich, wie sehr die Außenpolitik der
         Monarchie von den außenpolitischen und militärischen Aktionen des Deutschen
        Reiches abhängig war, wenn man im Ministerrat auch bestrebt war, selbst den Schein
        einer deutschen Einflußnahme abzuweisen. Ein, auch in diesem Ministerrat sich
        zeigendes, charakteristisches Symptom der tatsächlichen deutschen Suprematie war
        der von der Ministerkonferenz stark perhorreszierte deutsche Antrag, die Monarchie
        solle unter Protest den Italienern das Trentino überlassen (ein ähnlicher deutscher
        Antrag bezüglich Rumäniens kam auf die Tagesordnung des folgenden Mini¬
        sterrates).

Protokoll des zu Wien am 7. September 1914 abgehaltenen Ministerratesfür gemein¬
same Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des Ministers des k.u. k. Hauses und des
Äußern Grafen Berchtold.

   K.Z. 73. - G.M.K.P.Z. 517.

   Gegenwärtige: der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Dr. Ritter von B i 1 i n-
s k i, der k.u.k. Kriegsminister FZM. Ritter von K r o b a t i n, der k.k. Minister¬
präsident Graf S t ü r g k h, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf T i s z a, der
kgl. ung. Minister am Allerhöchsten Hoflager Freiherr von B u r i ä n, der k.k.
Minister für Landesverteidigung G.d.I. Freiherr von G e o r g i, der kgl. ung.
Landesverteidigungsminister FML. Freiherr von H a z a i, der Stellvertreter des
k.u.k. Chefs der Marine-Sektion Konteradmiral von K a i 1 e r.

   Protokollführer: Legationssekretär Graf Walterskirchen.

   Gegenstand: Politische und mihtärische Lage.
<pb/>   Der Vorsitzende eröffnet um 11 Uhr 30 Minuten die Sitzung mit dem
Hinweis auf die Wichtigkeit für die verantwortlichen Faktoren der Monarchie, in
den gegenwärtigen ernsten Zeiten wiederholt in persönlichen Kontakt zu treten
und gibt hieran anknüpfend ein Bild der auswärtigen Lage, wie sich dieselbe seit
dem am 19. vorigen Monates stattgefundenen Kronrate entwickelt hat.

   Die Bemühungen Deutschlands und die unseren, welche darauf gerichtet waren,
ein aktives Eingreifen der Türkei zu erreichen, seien von Erfolg begleitet gewesen
und die Türkei sei zum Eingreifen bereit. Doch sei ein solches erst nach Fertig¬
stellung der Befestigungen der Dardanellen möglich. Dieselben schritten langsam
vorwärts und dürften erst am 13. laufenden Monates vollendet sein. Dann könnte
das Eingreifen der Türkei nach zwei Richtungen erfolgen. Entweder würden
türkische Truppen unter dem Schutze der durch die Schiffe »Göben« und »Breslau«
verstärkten türkischen Flotte in der Nähe von Odessa landen und auf diese Weise
mehrere russische Korps binden oder aber die Türkei würde sich gegen Griechen¬
land wenden.

   In Griechenland seien in der letzten Zeit militärische Vorkehrungen wahrnehm¬
bar, welche offenbar gegen Bulgarien gerichtet seien. Auch beweise das Entgegen¬
kommen, mit welchem für Serbien bestimmte Transporte behandelt würden, auf
wessen Seite Griechenland mit seinen Sympathien stünde.

   Einerseits von Griechenland bedroht, andererseits des rumänischen Nachbars
nicht ganz sicher, sei die Stellung Bulgariens eine schwierige, umsomehr als unaus¬
gesetzt von Seitens Russlands Einschüchterungsversuche in Sofia gemacht würden.
Die Haltung Bulgariens sei dementsprechend auch heute eine neutrale und hätten
wir und Deutschland es bisher nicht erreicht, das Königreich zu einem aktiven
Vorgehen zu bewegen.

   Die Haltung Rumäniens sei eine wenig zufriedenstellende. Seit jenem Kronrate
in Bukarest, in welchem die Neutrahtät des Königreiches beschlossen wurde, seien
keine Fortschritte zu verzeichnen. Im Gegenteil hätten wir in der letzten Zeit
wiederholt Wahrnehmungen gemacht, dass Rumänien russische für Serbien
bestimmte Transporte ungehindert die Donau hinauffahren Hesse. Wir müssten uns
daher damit zufrieden geben, dass Rumänien neutral bleibe.

   Auch Italien sei neutral und gingen unsere und Deutschlands Bestrebungen
dahin, es bei »guter Laune« zu erhalten. Was die immer wieder auftauchenden
Kompensationsforderungen betreffe, hätten wir nachdrückHch erklärt, dass
Erörterungen über solche, soweit sie die Integrität der Monarchie berühren,
vollkommen ausgeschlossen seien. Wir seien mit Italien darin einig, unseren
Akkord über Albanien aufrechtzuerhalten und stimmten mit ihm in der Ansicht
überein, dass die auf der Londoner Konferenz1 gezogenen Grenzen Albaniens
unverrückbare wären und etwaige Strömungen nur temporärer Natur sein könnten.
Durch diese Konversationen hielten wir das Zusammengehen mit Italien auf¬
recht. Durch den Druck der Verhältnisse gezwungen, in Albanien weniger

    1 Die Londoner Botschafterkonferenz (17. Dezember 1912) hat sich mit der Frage des
unabhängigen Albaniens beschäftigt und das Recht der Albanier auf einen eigenen Staat
anerkannt. In Anbetracht der Unversehrtheit der Grenzen Albaniens wurde den Serben
der Zugang zur Adria verweigert.

174
<pb/>hervorzutreten, hätten wir nichts dagegen einzuwenden, dass Italien nunmehr
dort an erste Stelle gerückt sei und dies umsoweniger, als wir uns dadurch eine
günstige Wirkung auf die öffentliche Meinung des Königreiches erhoffen.

   Der k.k. Ministerpräsident stellt die Frage, ob es nicht möglich
wäre, den deutschen Kaiser zu veranlassen, dass derselbe, gestützt auf seine ver¬
wandtschaftlichen Beziehungen zum griechischen Hofe, in Athen die Neutralität
Griechenlands erwirke.

   Der Vorsitzende erklärt, dass Deutschland die Neutralität Griechen¬
lands gewünscht und auch in diesem Sinne in Athen eingewirkt hätte. Jetzt aber,
wo es sich gezeigt habe, dass Griechenland unter dem Drucke Englands stehe, hätte
Deutschland sich von demselben abgewendet.

   Der Vorsitzende richtet nunmehr an den k.u.k. Kriegsminister die Frage, welche
Mittel der Kriegsverwaltung zur weiteren Führung des schweren Kampfes, in
welchem wir uns befänden, noch zur Verfügung stünden.

   Der k.u.k. Kriegsminister ergreift das Wort und führt aus, er habe
gleich zu Beginn des Krieges alles, was mobil und ausgerüstet gewesen sei, zur
Armee stossen lassen. Er sei dann zur Bildung von Marschformationen geschritten.
Die ersten und zweiten Formationen dieser Art seien bereits an der Front, die
dritte Formation sei als »rollender Ersatz« für Standesabgänge bestimmt und die
vierte und fünfte Formation würden noch gebildet werden. Wenn auch auf diese
Weise 500 Bataillone aufgestellt würden, so könne er sich nicht verhehlen, dass der
Kampfwert dieser Marschformationen als selbständige Truppen kein sein-
grosser sei, da sie eigentlich nur zur Ergänzung und Ausfüllung der Stände be¬
stimmt seien. Auch mache sich bei ihrer Organisierung ein empfindlicher Offiziers¬
mangel fühlbar.

   Bei der grossen Anzahl von Soldaten, welche ins Feld gestellt worden seien,
ergebe sich eine weitere Schwierigkeit in dem gesteigerten Bedarfe nach Gewehren.
Er habe daher die bei der Waffenfabrik in Steyr für Mexiko bestellten 67 000
Gewehre Muster 14 beschlagnahmt, desgleichen die dortselbst für Rechnung
Bulgariens und Rumäniens bestellten Gewehre, soweit sie von den entsendeten
Kommissionen noch nicht übernommen waren. Auch habe er die ursprünglich
für Albanien bestimmten und noch in der Monarchie verbliebenen 30 000 Gewehre
Muster 13 angekauft und weitere 60 000 Stück Muster 13 von der deutschen
Regierung gekauft, die zum Teil noch im Einrollen in die Monarchie begriffen
seien. Ausserdem habe er grosse Bestellungen gemacht und habe in der nächsten
Zeit Lieferungen im nachstehenden Ausmasse zu erwarten:

Monat September  16 000 Stück
Monat Oktober    16 000 Stück
Monat November   27 000 Stück
Monat Dezember   33 000 Stück

  Der k.k. Minister für Landesverteidigung erklärt, er habe
489 Bataillone aufgestellt, von welchen er 454 Bataillone mit Mannlicher- und
35 Bataillone mit Werndl-Gewehren versehen habe.

                               175
<pb/>  Der kgl. ung. Landesverteidigungsminister erklärt, er habe 438

Bataillone aufgestellt, von welchen 338 mit Mannlicher- und 100 Bataillone mit
Werndl-Gewehren ausgerüstet seien. Ausserdem habe er noch 20 000 Mannlicher-

und 20 000 Werndl-Gewehr in Vorrat.
   Hierauf setzt der k.u.k. Kriegsminister seine Ausführungen fort und

erwähnt, dass er kolossale Vorräte an Munition an die Armee abgegeben habe, so
dass ihm nur eine kleine Partie von Patronen (zirka 12 Millionen) verblieben sei.
Da die Bestellungen im Auslande derzeit unmöglich seien, so sei er auf die Produk¬
tion der heimischen Fabriken angewiesen. Dieselben könnten ihm aber derzeit nur
3 Millionen Patronen per Tag liefern. Er habe daher dieser Tage die Direktoren
der Munitionsfabriken zu sich beschieden und ihnen in sehr ernster und eindring¬
licher Weise ihre Pflicht ans Herz gelegt, für die möglichste Steigerung der Produk¬
tion zu sorgen. Er hoffe es zu erreichen, dass ihm nunmehr täglich 5 bis 6 Millio¬
nen Patronen geliefert werden würden. Ausserdem habe er eine Kommission
nach Lüttich entsendet mit dem Aufträge, die Maschinen der dortigen grossen

Munitionsfabrik anzukaufen.
   Feldgeschütze seien in befriedigender Zahl vorhanden und seien noch 400

Stück vorrätig. Die Produktion der Geschosse habe er auf das äusserste steigern

lassen. Auch der Stand der Maschinengewehre sei ein guter.
   Von Feldhaubitzen und Gebirgsgeschützen seien keine Vorräte vorhanden, da

dieselben bei Kriegsausbruch gerade in Neuerzeugung begriffen waren. Er habe
daher 36 Stück von den für die Türkei bei Skoda bestellten 48 Stück Haubitzen
beschlagnahmt, desgleichen 24 für China bestellte Gebirgsgeschütze.

   Für Bekleidung der Armee auch für den Fall eines Winterfeldzuges sei gesorgt.
So habe er bereits 915 000 Stück Pelzleibchen vorrätig und habe weitere 216 000

Stück bestellt.
   Auf die Frage der Verteidigung Tirols im Falle eines Angriffes durch Italien

übergehend, erklärte FZM. von Krobatin, dass G.d.K. Rohr derzeit über 22
Bataillone Ersatzformationen des III. und XIV. Korps verfüge. Mit 15. September
würden zirka 100 Landsturm-Battaillone bereit stehen. An Artillerie verfüge er
über 18 Batterien, allerdings minderwertiges Material Muster 75, nur geeignet, in
festen Stellungen verwendet zu werden, ferner über 7 Züge Feldgeschütze, 6 Züge
Gebirgsgeschütze, 2 Züge Kavallerie und 2 Züge Sappeure.

   Dies sei alles und eine Verstärkung der Verteidigung Tirols mit Rück¬
sicht auf die grosse Wichtigkeit des russischen Kriegsschauplatzes ausge¬

schlossen.
   Der kgl. ung. Ministerpräsident führt aus, seiner Ansicht nach sei

es unbedingt notwendig, im Falle eines Angriffes Italiens demselben mit den Waffen
in der Hand entgegenzutreten, glaubt jedoch, dass hiezu nur geringe Kräfte zu
verwenden wären, da wir eine zur Besiegung der itahenischen Armee genügende
Truppenmacht sowie so nicht aufstellen könnten, und grössere Massen unnützer
Weise vom Hauptkriegsschauplatze zurückhalten würden. Die Hauptaufgabe ist
 und bleibt, alles Verfügbare gegen Russland zu verwenden. Ebenso notwendig sei es
 aber, alles zu unterlassen, was in Italien als Provokation aufgefasst werden könnte.
 Schliesslich gibt er der Hoffnung Ausdruck, dass es sich Italien doch noch über-
<pb/>legen würde, bevor es zum Angriff gegen die Monarchie schreite, wenn es weiss,
dass dies gleichbedeutend mit tatsächlicher Feindseligkeiten wäre.

   Graf Stürgkh weist auf die moralische Wirkung hin, die dadurch erzielt würde,
wenn eine -- wenn auch kleine -- deutsche Truppen-Abteilung an der Abwehr-Ak¬
tion gegen einen eventuellen italienischen Angriff teilnehmen würde.

   Demgegenüber bemerkt der Vorsitzende, dass der Standpunkt der deutschen
Regierung in dieser Richtung bisher ablehnend gewesen, da Deutschland nicht
in einen Konflikt mit Itahen geraten wolle. Die Ratschläge des Berliner Kabinettes
gingen auch für uns immer dahin, gegebenen Falles die Italiener unter Protest ein¬

zulassen.
   Nachdem der Vorsitzende noch angeregt hat, darauf hinzuwirken, dass

die Zeitungszensur einheitlich gehandhabt werde, schliesst er die Sitzung um 1 Uhr

30 Minuten.

         Original-Reinschrift. -- Die Einsichtnahme wurde auf dem Mantelbogen des Proto¬
         kolls von sämtlichen Mitgliedern des Ministerrates bestätigt. In der rechten oberen
         Ecke dieses Bogens mit Bleistift geschrieben: »f(ertig)«. -- Auf dem letzten Blatt die
         Kenntnisnahme durch den Herrscher: »Wien, am 27. September 1914.« Auf demselben
         Blatt rechts unten die Unterschrift von Berchtold, links die von Walterskirchen. --
         Ebd. das handschriftliche Konzept des Protokolls mit einigen Korrekturen des Mini¬
         sters des Äußern Berchtold und des Protokollführers.

                                                                                                        7.

                                                                    Wien, 20. September 1914

Bericht Berchtolds über die außenpolitische Lage: die Frage des Kriegseintritts bzw.
der Neutralität Rumäniens. Das Deutsche Reich ist für einen Einmarsch der Rumänen
nach Siebenbürgen. Der italienische, türkische und griechische Standpunkt. Tisza
hält die deutsche Auffassung für gefährlich. Debatte über die deutsche und die öster¬
reichisch-ungarische Kriegführung.

   Auch dieser Ministerrat wurde -- wie die Ministerratssitzungen während des
Weltkrieges im allgemeinen -- mit einem Bericht des Außenministers über die außen¬
politische Lage eingeleitet. Berchtold knüpfte an sein Expose vom 7. September an.
Die militärische Lage der Mittelmächte hat sich seither verschlechtert. Die Truppen des
Generals Brudermann (die 3. österreichisch-ungarische Armee) hatten bei Lemberg
zweimal (26--30. August und 8--12. September) eine katastrophale Niederlage erlit¬
ten. Die Russen haben Lemberg erobert, Przemysl umzingelt und sind in die Karpaten¬
pässe eingedrungen. Ungarn ist von einer russischen Invasion bedroht. Da zur selben
Zeit (5--12. September) der deutsche Vormarsch an der Marne durch den französisch¬
englischen Gegenangriff zum Stehen gebracht wurde, konnte keine Rede davon sein,
von dort deutsche Einheiten zur Entlastung der österreichisch-ungarischen Truppen
abzuziehen. Angesichts des drohenden russischen Vormarsches kam das Problem der
rumänischen Intervention notwendigerweise in den Vordergrund. So wie die Deutschen
am 7. September beantragt hatten, den Italienern das Trentino zu überlassen, um einem
italienischen Angriff zuvorzukommen, schlugen sie jetzt die Überlassung Sieben¬
bürgens an Rumänien als beste Methode gegen einen rumänischen Angriff vor.

12 Komjäthy: Protokolle  177
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