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Gemeinsamer Ministerrat, 10. 11. 1913

I. Datum der Delegation im Jahre 1914

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z45.pdf.

III. Titel der bosnisch-herzegowinischen Beamten

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z45.pdf#page=6.

622 Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. 11. 1913

Sache als eine gerade für Ungarn vorteilhafte darstellen müsse, was der öster¬
reichischen Regierung möglicherweise nicht angenehm sein dürfte, so behält sich
Graf Stürgkh vor, auf die taktische Frage der gleichzeitigen oder getrenn¬
ten Behandlung noch zu antworten, und dankt dem kgl. ung. Ministerpräsidenten
für sein in dieser Angelegenheit bewiesenes Entgegenkommen, von dem er Ge¬
brauch mache. Als Reflexion möchte er nur noch bemerken, daß vom rein militä¬
rischen Standpunkte betrachtet das ganze vor die Delegationen gehört hätte, wo
es leichter durchzubringen gewesen wäre.

   Graf Berchthtold erbittet sich noch die Zustimmung, in das Budget
1914/1915 einen Betrag von 38 900 Kronen an Telegrammkosten anläßlich der
Übermittlung von Depeschen des Telegraphenkorrespondenzbüros an die Regie¬
rung in Albanien, welche darum gebeten habe, einstellen zu dürfen.

   Diese Zustimmung wird erteilt. Es wird hierauf beschlossen, bei Sr. Majestät
die Einberufung der nächsten Delegation für ungefähr Mitte November in au.
Antrag zu bringen.19 Die zweitnächsten Delegationen wurden für Jänner 1914 in
Aussicht genommen.

   Nunmehr schließt der Vorsitzende die Sitzung um 10 Uhr abends.
                                                                                             Berchtold

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 10. November 1913. Franz Joseph.

      Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. November 1913

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Tisza, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Ritter v. Bilihski (13.12.), der k. u. k. Kriegsminister
FZM. Ritter v. Krobatin (15. 12.), der kgl. ung. Finanzminister Dr. Teleszky, der k. u. k. Marineko¬
mmandant Admiral Haus, der Leiter des k. k. Finanzministeriums Sektionschef Freiherr v. Engel.
     Schriftführer: Legationsrat Graf Hoyos.
    Tagesordnung: I. Datum der Delegation im Jahre 1914, II. Bosnische Bahnbauten, III. Titel der
bosnisch-herzegowinischen Beamten.

         Über Vortrag Berchtolds v. 24. 10. 1913 wurden mit den Handschreiben an Berchtold,
         Stürgkh und Tisza v. 25. 10. 1913 die Delegationenflir den 18. 11. 1913 nach Wien einberu¬
        fen, HHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 2578/1913. Der Voranschlagfür das erste Halbjahr 1914 in
         Ka., MKSM., Karton 1117, Fasz. Voranschlag für die ersten sechs Monate des Jahres 1914.
         Mit Vortrag des gemeinsamen Ministeriums v. 4. 11. 1913 wurde die Einbringung des ge¬
         meinsamen Budgets in Antrag gebracht. Der Vortrag wurde mit Ah. E. v. 14. 11. 1913 resol-
         viert, HHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 2741/1913. Nach der Annahme des Budgets durch die
         Delegationen wurde es über Vortrag Berchtolds v. 28. 12. 1913 mit Ah. E. v. 30. 12. 1913
         sanktioniert, ebd., KZ. 3120/1913.
<pb/>Nr. 45 Gemeinsamer Ministermt, Wien, 10. 11. 1913  623

   KZ. 74 - GMKPZ. 509

   Protokoll des zu Wien am 10. November 1913 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Ministers des k. u. k. Hau¬
ses und des Äußern Grafen Berchtold.

    [I.] Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, als erste
 Frage stehe das Datum der nächstjährigen Delegationssession auf der Tagesord¬
 nung.

    Er wisse, daß man die Frage bereits in politischen Kreisen erörtert habe, ob die
 nächsten Delegationen in Budapest nicht schon im Jänner unmittelbar nach den
 diesjährigen Delegationen tagen könnten. Gegen diesen Plan müsse er sich vom
 Standpunkte seines Ressorts aussprechen. Die gespannte internationale Situation
 stelle noch immer erhöhte Anforderungen an die Arbeitskräfte des Ministeriums
 des Äußern. Während der Delegationen sei es in erster Linie ihm, aber auch den
Referenten nicht möglich, sich den politischen Agenden mit voller Intensität zu
widmen, weil er und seine Herren den Sitzungen beiwohnen müssen. Insbeson¬
dere leide der Verkehr mit den diplomatischen Korps, den er gerade mit Rück¬
sicht auf die Lage nicht für lange unterbrechen könne.

    Aus diesem Grunde lege er Wert darauf, daß ihm nach den diesjährigen Dele¬
gationen eine Pause gegönnt werde, in welcher die normalen Dienstverhältnisse
des Ministeriums des Äußern wieder hergestellt und ihm die Wiederaufnahme
der Empfange des diplomatischen Korps ermöglicht würde.

    Er glaube ferner daraufhinweisen zu sollen, daß mindestens zwei Monate vor
dem Zusammentritte der nächsten Delegationen ein gemeinsamer Ministerrat zur
Feststellung der verschiedenen Budgets pro 1914--1915 zusammentreten müsse.

   Der k. u. k. Kriegsminister erwähnt, er habe Men Entwurf sei¬
nes Budgets3 für das Budgetjahr 1914-1915 bereits in Druck legen lassen.

   Der k. u. k. Marinekommandant ist ebenfalls mit den Vorar¬
beiten zu diesem Budget fertig.

   Der k. k. Ministerpräsident betont, daß das Budget der k. k.
Regierung für die Budgetperiode 1914-1915 im Reichsrate längstens bis Ende
Juni nächsten Jahres erledigt sein müsse. Daher müsse dem österreichischen Ab¬
geordnetenhause zu den Budgetberatungen ein genügender Zeitraum, etwa die
Monate April, Mai und Juni, freigehalten werden. Er würde daher Wert darauf
legen, daß die Delegationssession in Budapest noch vor der Osterwoche, also in
den ersten Tagen des April beendet werde. Es müßte somit mit dem Zusammen¬
tritte der Delegation etwa Mitte Februar gerechnet werden.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident spricht sich ebenfalls für
einen tunlichst baldigen Zusammentritt der nächstjährigen Delegationen aus, da¬
mit das Budget der kgl. ung. Regierung rechtzeitig erledigt werden könne.

Korrektur Krobatins aus sein Budget.
<pb/>624 Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. 11. 1913

   Der Vorsitzende stellt sodann fest, daß für die Tagung der nächstjäh¬
rigen Delegation der Termin so in Aussicht zu nehmen sein wird, daß die Delega¬
tionsberatungen noch vor Ostern beendet sein können.1

   Der k. k. Ministerpräsident bittet den Vorsitzenden um Aus¬
kunft über den gegenwärtigen Stand der griechisch-türkischen Friedensverhand¬
lungen. Graf Berchtold erteilt dieselbe, indem er darauf hinweist, daß
noch fünf Fragen in den Verhandlungen unbereinigt sind. Wenn aber auch hier¬
über eine Einigung erzielt werde, so würden Reibungen zwischen Griechenland
und der Türkei wegen der noch ungelösten Inselfrage fortbestehen, da die Türkei
fest entschlossen zu sein scheine, diese Frage selbst auf die Gefahr eines Konflik¬
tes in ihrem Sinne zu lösen.2

   [II.] Hierauf wird der zweite Verhandlungsgegenstand, die Frage der Finanzie¬
rung des bosnisch-herzegowinischen Bahnbaues vom Vorsitzenden zur Diskussi¬
on gestellt.3

   Graf Berchtold bemerkt hiezu, er möchte, ehe er dem gemeinsamen Finanzmi¬
nister das Wort erteile, auf die große Wichtigkeit hinweisen, welche die ehebaldi¬
ge Inangriffnahme des Bahnbaues für ihn vom Standpunkte seines Ressorts be¬
sitze.

   Unsere militärische Bereitschaft in Bosnien sei in erster Linie von der Lösung
dieser Frage abhängig. Während der letzten Krise habe es sich gezeigt, zu welch
außerordentlichen militärischen Vorkehrungen uns der Mangel an genügenden
Verkehrswegen nach unserer Südostgrenze bei jeder Verschärfung der Lage nöti¬
ge. Diese außerordentlichen Vorkehrungen zögen unabsehbare Folgen für unser
Wirtschaftsleben nach sich, sie riefen im In- und Auslande Beunruhigung hervor
und könnten auch ohne unverhältnismäßige Kosten nicht durchgeführt werden.
Nach den Ereignissen des letzten Winters müsse für die Sicherheit unserer Gren¬
ze im Südosten der Monarchie unbedingt gesorgt werden. Unsere Nachbarn seien
aus dem Kampfe gestärkt hervorgegangen. Hiezu komme noch, daß es auf die
Stimmung der Bevölkerung in Bosnien und der Herzegowina sehr ungünstig zu¬
rückwirken müßte, wenn mit dem Bau nicht bald begonnen würde.

    Der gemeinsame Finanzminister erwähnt, er sei in einer sehr
schwierigen Lage. Seinerseits habe er alles getan, um die an Ah. Stelle und von
der Kriegsverwaltung dringendst gewünschte Inangriffnahme des Baues im näch¬
sten Frühjahre zu ermöglichen; der Landtag habe die Vorlage erledigt, die Bege¬
hung der Strecken sei vollendet und es bestehe kein Anstand, daß die Offertaus¬
schreibungen für den Bahnbau Ende des Jahres erfolgen und mit dem Bau Anfang
nächsten Jahres begonnen werde. Leider erscheine aber die Erledigung der be¬
treffenden Gesetze in den Parlamenten noch in weite Feme gerückt; er brauche

         Fortsetzung des Gegenstandes in GMR. v. 14. 12. 1913/[II], GMKPZ. 510.
         Zwischen der Türkei und Griechenland kam am 14. 11. 1913 der Frieden von Athen zustande.
         Fortsetzung des GMR. v. 8. 11. 1912, GMKPZ. 501.
<pb/>Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. 11. 1913  625

 nur daraufhinzuweisen, daß die beiden Regierungen nunmehr über einen Monat
 über den Text der Gesetzesvorlage verhandeln. Er müsse befürchten, durch die
 Umstände gezwungen zu werden, mit dem Bau beginnen zu müssen, ohne ir¬
 gendwie die Beitragsleistung der beiden Regierungen für 60 Jahre sichergestellt
 zu haben. Eine Sicherstellung der ersten Jahresrate durch die Regierungen würde
 ihm schwerlich genügen und ihn vor allem die Verhandlungen mit den Finanz¬
 kreisen des Auslandes wegen eines Anlehens sehr erschweren. Letztere würden
 unbedingt mit wucherischen Zinsenforderungen hervortreten, wenn er ihnen
 nicht nachweisen könne, daß der Amortisationsdienst für 50 Jahre sichergestellt
 sei. Das Plus an Zinsen müßte dann naturgemäß das bosnisch-herzegowinische
 Budget tragen, was auch im Landtag Erbitterung hervorrufen würde.

    Er rechne auch seinerseits als alter Parlamentarier namentlich mit den Schwie¬
rigkeiten, welche dem Gesetze im österreichischen Abgeordnetenhause bereitet
werden würden und habe diese auch früher vorhergesehen. Daher habe er auch
seinerzeit den schüchternen Versuch gemacht, die beiden Regierungen dazu zu
bewegen, die Bestimmungen des 1880ger Gesetzes large auszulegen und den Zu¬
schuß der Monarchie für die Bahnbauten von den Delegationen anzusprechen.4

    Der k. k. Ministerpräsident erklärt, nicht in der Lage zu sein,
eine Verpflichtung dafür zu übernehmen, daß das Gesetz noch vor Ende des Jah¬
res parlamentarisch erledigt und der Ah. Sanktion unterbreitet werden könne.
Wenn der Herr gemeinsame Finanzminister auf die Verzögerung hinweise, wel¬
che die Erledigung dieser Frage seitens beider Regierungen erfahren habe, so
müsse er erwidern, daß die Balkankrise im Verlaufe der letzten Jahre militärische
Anforderungen in den Vordergrund gestellt habe, die nicht hinausgeschoben wer¬
den konnten. Die im letzten Monate gepflogenen Verhandlungen über die Textie¬
rung der gleichlautenden Vorlagen seien nunmehr abgeschlossen. Er wolle hiezu
nur bemerken, daß sich eine prinzipielle Schwierigkeit darüber ergeben habe, ob
der auf bosnisch-herzegowinische Landeskosten auszuführende Bau der Linie
Novi-Bihac die Genehmigung der beiden Parlamente oder nur wie andere bos¬
nisch-herzegowinische Gesetze der Vorgenehmigung der beiden Regierungen
bedürfe. Die kgl. ung. Regierung habe sich aus konstitutionellen Gründen für
erstere Auffassung entschieden. Die k. k. Regierung sei zwar nach wie vor der
Ansicht, daß die Genehmigung der Regierungen ohne Votum der Volksvertretung
zu einer auf Kosten der Landesregierung zu erbauenden Bahn genügt hätte, aber
sie habe, um zu einer Einigung zu gelangen, ihren prinzipiellen Standpunkt auf¬
gegeben, jedoch der Parität halber dann auch die Einholung der Zustimmung des
Reichsrates vorsehen müssen. Sie sei der Ansicht, daß hiedurch ein Präjudiz zu
ungunsten der bosnisch-herzegowinischen Landesregierung geschaffen werde,
indem die Verwaltungskontrolle der beiden Regierungen eine erhebliche Ver-
schärfüng erfahre. Nunmehr sei diese Angelegenheit entschieden und die Über¬
einstimmung hinsichtlich der Textierung der beiden Gesetzesvorlagen erzielt

4 Siehe dazn GMR. v. 2. 5. 1912, GMKPZ. 493.
<pb/>626 Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. 11. 1913

worden. Es obliege daher keinem Anstande, daß die betreffende Vorlage den Par¬
lamenten demnächst an einem zu bestimmenden Tage gleichzeitig unterbreitet
werde. Die Unterbreitung der Vorlage bedeute aber noch lange nicht, daß dieselbe
angenommen werden würde. Dem österreichischen Abgeordnetenhause sei seit
langer Zeit keine Lokalbahnvorlage zugegangen, obwohl dies dringend ge¬
wünscht werde. Die Forderungen der einzelnen Parteien nach Lokalbahnen, wel¬
che ihren Wählern zugute kommen sollen, würden, wenn sie erfüllt würden, In¬
vestitionen in der Höhe von fast 260 Millionen Kronen erheischen. Die Stimmung
im Hause sei nun eine derartige, daß man annehmen müsse, daß die bosnischen
Bahnen ohne gleichzeitige Bewilligung der österreichischen Lokalbahnen nicht
votiert werden könnten. Eine Lokalbahnvorlage einzubringen sei aber für die
k. k. Regierung mit Rücksicht auf die Finanzlage sehr schwer, zumal jede Bedek-
kung fehle. Er könne sich daher vorerst nur dazu verpflichten, die bosnische
Balmvorlage im Abgeordnetenhause einzubringen. Angesichts dieser Sachlage
müsse er sich fragen, ob es nicht zweckmäßiger wäre, die Inangriffnahme der
Bahnbauten durch Auszahlung der ersten Rate der Regierungssubvention ohne
parlamentarische Genehmigung zu ermöglichen. Die Hauptsache sei schließlich,
daß mit dem Bau begonnen werde und er sei der Ansicht, daß es dem gemeinsa¬
men Finanzministerium bei der vorhandenen Geldknappheit ohnedies nicht mög¬
lich wäre, den ganzen Betrag der zu kontrahierenden Investitionsschuld schon
jetzt im Wege eines Anlehens aufzunehmen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident will keine nachträgliche
Polemik über die Frage der parlamentarischen Genehmigung des Baues der Linie
Novi-Bihac beginnen. Ungarn besitze keine geschriebene Verfassung, die jewei¬
lige Regierung sei daher umsomehr verpflichtet, alles zu vermeiden, was dem
Geiste der Verfassung widersprechen würde und daher habe sie darauf bestehen
müssen, daß das ungarische Parlament sein Votum abgebe. Graf Stürgkh habe
daraufhingewiesen, daß hiedurch ein Präjudiz zum Schaden Bosniens geschaffen
werde, dem gegenüber müsse er betonen, daß der Fall, wo die bosnisch-herzego-
winische Landesregierung eine Bahn auf eigene Kosten baue, noch nicht vorge-
kommen sei. Es könne daher nicht von einem Präjudiz sondern nur von einem
Präzedenzfalle die Rede sein.

    Was die in Frage kommenden bosnisch-herzegowinischen Bahngesetze anbe¬
lange, könne er erklären, daß die ungarische Regierung in der Lage sei, die Vor¬
lage in relativ kurzer Zeit durchzubringen. Jedenfalls noch Ende dieses oder An¬
fang nächsten Jahres. Es erschiene ihm in jeder Hinsicht zweckmäßig, wenn der
Gesetzentwurf vorerst im ungarischen Abgeordnetenhause erledigt werde. Hie¬
durch würde eine gewisse Pression auf das österreichische Parlament ausgeübt
werden. Außerdem wäre es für die kgl. ung. Regierung nicht möglich, darüber zu
verhandeln, was geschehen solle, um den Bahnbau im nächsten Jahre ohne die
Erledigung der Vorlagen in beiden Parlamenten zu ermöglichen, bevor nicht das
zustimmende Votum des ungarischen Abgeordnetenhauses vorliege. Jetzt könne
er zu der Frage einer provisorischen Lösung nicht Stellung nehmen.
<pb/>Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. 11. 1913  627

    Der gemeinsame Finanzminister erklärt, er wolle hinsicht¬
 lich der Frage der Bahnlinie Novi--Bihac, jetzt, wo sich beide Regierungen geei¬
 nigt hätten, keine Schwierigkeiten machen, könne aber nicht umhin zu erklären,
 daß seiner Ansicht nach die Zustimmung der beiden Regierungen zu diesem Bau
 genügt hätte, Hauptsache sei, daß überhaupt gebaut werde und er sehe schon jetzt
 voraus, daß er sich mit einer provisorischen Lösung würde begnügen und den
 Bau werde beginnen müssen.

    Der k. u. k. Kriegsminister spricht seine Genugtuung darüber
 aus, daß alle maßgebenden Faktoren den festen Willen bekunden, den Bau der
 bosnisch-herzegowinischen Bahnen so bald wie möglich in Angriff zu nehmen.
 Er könne seinerseits nur betonen, daß dies aus militärischen Gründen so bald als
möglich geschehen müsse. Die jüngste Mobilisierung des bosnisch-herzegowini¬
 schen und dalmatinischen Korps habe der Kriegsverwaltung wieder bewiesen,
wie ungünstig die dortigen Mobilisierungsverhältnisse in militärischer Hinsicht
tatsächlich sind. Die Hinsendung der Reservisten, welche aus allen Teilen der
Monarchie stammten, habe bis zur Erreichung der Kriegsbereitschaft drei ganze
Wochen erfordert. In Hinkunft würde allerdings durch die Verstärkung der Frie¬
densstände eine kleine Besserung eintreten, dies hindere aber nicht, daß im
Kriegsfälle doch mobilisiert werden müsse und die Militärverwaltung derzeit auf
den Landwege über die einzige schmalspurige Bahn Bosnisch Brod-Sarajewo
verfüge, die eine sehr beschränkte Leistungsfähigkeit habe. Die Montenegriner
könnten mit 25 000 Mann in drei Tagen an der herzegowinischen Grenze stehen,
Serbien verfüge über eine Reihe von Schmalspurbahnen, die eine Leistungsfähig¬
keit für den Transport von 17 000 Mann täglich haben dürften, wogegen wir nur
7000 Mann befördern könnten. Daher glaube er, daß wir leicht an Beginne eines
Krieges einer starken serbischen Übermacht gegenüber stehen könnten. Es mü߬
ten uns unbedingt drei Vollbahnen zum Aufinarsch zur Verfügung stehen und
daher sei er für den in dieser Konferenz in Aussicht genommenen raschen Baube¬
ginn sehr dankbar. Wenn er noch einen Wunsch hervorbringen könne, so wäre es
der, daß auch die Linie Bugojno-Arzano normalspurig ausgebaut werden möge.
Dies wäre aus strategischen Gründen von Vorteil, weil erst hiedurch der normal-
spurige Anschluß an die in Aussicht genommene dalmatinische Bahn Knin-
Metkovic von Spalato aus gesichert werden könnte.

   Der gemeinsame Finanzminister erklärt eine Änderung des
Eisenbahnprojektes in diesem Sinne für unmöglich, da er nicht an den bosnisch-
herzegowinischen Landtag bei der heute vorherrschenden Stimmung mit einem
solchen Ansinnen herantreten könnte. Dagegen sei er bereit, Vorstudien darüber
anstellen zu lassen, ob der Unterbau der Linie Bugojno-Arzano für eine normal-
spurige Bahn vorbereitet werden könnte. Nach einer kurzen Debatte über die
Bedeckungsfrage, in deren Verlauf der kgl. ung. Finanzminister
auf die Gefahr einer neuerlichen Vergrößerung der schwebenden Schulden hin¬
weist, erklärt der Vorsitzende resümierend, die Konferenz sei zu dem
Resultate gelangt, daß die beiden Eisenbahnvorlagen den Parlamenten demnächst
<pb/>628 Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. 11. 1913

unterbreitet werden sollen und eine spätere Ministerkonferenz nach Erledigung
der Vorlage im ungarischen Abgeordnetenhause darüber beraten würde, welche
finanzielle Sicherstellung dem Herrn gemeinsamen Finanzminister noch vor der
parlamentarischen Erledigung der Vorlagen geboten werden könne, damit im
nächsten Frühjahre mit dem Bau begonnen werde.5

   [III.] Hieraufwird der dritte Punkt der Tagesordnung, nämlich die Titulatur der
bosnisch-herzegowinischen Behörden, Ämter etc. in Diskussion gezogen. Der
gemeinsame Finanzminister bemerkt hiezu, die Frage der Benen¬
nung dieser Behörden und Institute als kaiserliche und königliche Behörden etc.
sei seines Wissens schon zur Zeit der Annexion in unförmlicher Weise aufgewor¬
fen und damals zurückgewiesen worden. Nunmehr liege ein diesbezüglicher An¬
trag des Kriegsministeriums vor, welches für die Armee die Konsequenzen aus
der Annexion zu ziehen im Begriffe sei und eine analoge Behandlungsweise der
Zivilbehörden wünsche.6 Er habe diese Anregung den beiden Regierungen mitge¬
teilt und seither seitens des Grafen Tisza die telegraphische Verständigung erhal¬
ten, daß die ungarische Regierung gegen den Vorschlag schwere Bedenken hege.7
Daher habe er das Ansuchen gestellt, diese Frage im gemeinsamen Ministerrat
zur Sprache bringen zu dürfen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident hält die Beibehaltung des
bestehenden Zustandes vorderhand für zweckentsprechend. Die Verleihung des
Titels ,,kaiserlich und königlich&quot; an die bosnisch-herzegowinischen Landesbe¬
hörden erscheint ihm geeignet, Erwartungen und Hoffnungen hervorzurufen,
welche mit den gemeinsamen Interessen nicht vereinbar wären. Er verweist dar¬
auf, daß das Annexionsgesetz bisher in keiner der beiden Volksvertretungen erle¬
digt sei. Solange keine definitive Regelung der staatsrechtlichen Verhältnisse er¬
folgt sei, könnte die ungarische Regierung diesem Vorschläge nicht nähertreten.

         Mit Vortrag v. 12. 11. 1913 bat der k. k. Eisenbahnminister Förster um die Einbringung des
         Gesetzentwurfs betreffend die Ergänzung des bosnisch-hercegovinischen Eisenbahnnetzes in
         den Reichsrat. Der Vortrag wurde mit Ah. E. v. 14. 11. 1913 resolviert, HHSxA., Kab. Kanz¬
         lei, KZ. 2754/1913. Mit Vortrag (deutsche Übersetzung) Tiszas v. 12. 11. 1913 wurde die
         Einbringung des entsprechenden Gesetzentwurfes in den Reichstag erbeten. Auch dieser Vor¬
         trag wurde mitAh. E. v. 14. 11.1913 resolviert, ebd., KZ. 2755/1913. Fortsetzung des Gegen¬
         standes in GMR. v. 14. 12. 1913/[I], GMKPZ. 510.
         Am 23. 10. 1913 unterbreitete Krobatin einen Vortrag über die Maßnahmen zur Stärkung der
         Monarchie in Bosnien und der Hercegovina, in dem er zwar nur auf die Einbeziehung der
         bosnisch-herzegowinischen Truppen in das gemeinsame Heer abzielte, aber auch über die in
         diesem Ministerrat besprochenen zivilen Titulaturen referierte, Ka., MKSM. 97--1/3-
         8/1913.
         Schreiben (Abschrift) Bilihskis an beide Ministerpräsidenten v. 28.10.1913, HHStA., PA. I,
         CdM. V/29, Karton 630, CdM. 690/1913, fol. 568r-571r. Das Telegramm Tiszas konnte in
         den Beständen des HHStA., PA. I, CdM. nicht gefunden werden.
<pb/>Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. 11. 1913  629

    Der k. k. Ministerpräsident hat auf die erste ihm durch Herrn
 v. Bilihski übermittelte Anregung des Knegsministeriums nicht geantwortet, weil
 er die Besprechung der Frage im gemeinsamen Ministerrate abwarten wollte.

    Die österreichische Regierung habe sich seinerzeit, als im Jahre 1889 die Titu¬
 latur ,,kaiserlich und königlich&quot; für die gemeinsamen Behörden eingeführt wur¬
de, dagegen ausgesprochen. Wenn jetzt die Frage der Ausdehnung dieser Titula¬
tur auf die bosnisch-herzegowinischen Landesbeamten aufgeworfen werde, so
würde seiner Ansicht nach durch eine solche Ausdehnung dem gegenwärtig legal
pragmatischen Standpunkt in keiner Weise präjudiziert werden. Innerstaatlich sei
die Frage der Zugehörigkeit Bosniens allerdings noch nicht gelöst, es bestehe
aber kein Zweifel darüber, daß die beiden Provinzen durch die Annexion der
Monarchie einverleibt worden seien. Man könne ohne dem gegenwärtigen prag¬
matischen Zustand zu präjudizieren, den Beamten dieser der Monarchie einver¬
leibten Provinzen die Bezeichnung ,,kaiserlich und königlich&quot; geben. Werde dann
einmal die innerstaatliche Frage geregelt, so würde hiemit wohl auch die Titelfra¬
ge eine entsprechende Änderung erfahren. Wenn die k. k. Regierung sich auch,
wie dies schon im Jahre 1889 der Fall war, für die Bezeichnung ,,kaiserlich und
königlich&quot; nicht begeistern könne, so trage sie doch keine Bedenken gegen diese
Maßregel und glaube auch nicht, daß hiedurch ein Präjudiz geschaffen würde.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident verweist darauf, daß die
kardinale Differenz, welche zwischen der Anschauung der österreichischen und
ungarischen Regierung bestehe, derzeit praktisch belanglos sei, da beide Staaten
in der Zukunft bei der endgiltigen Regelung der staatsrechtlichen Frage in die
Lage kommen würden, ihren Standpunkt zu wahren. Unter gemeinsamen Behör¬
den verstehe er solche, deren Wirksamkeit sich auf gemeinsame Interessen bezie¬
he. Die Verwaltungsbeamten Bosniens hätten aber nur in Bosnien und der Herze¬
gowina dienstliche Funktionen, sie seien Landesbeamte und daher halte er die
jetzige Bezeichnung für die richtige. Jede Änderung würde seiner Ansicht nach
die Frage präjudizieren, jedenfalls aber zu Mißverständnissen führen, die weder
im Interesse Ungarns noch Österreichs lägen. Er müsse daher neuerlich erklären,
daß die kgl. ung. Regierung nicht in der Lage sei, dieser Anschauung zuzustim¬
men.

   Der k. u. k. Kriegsminister teilt mit, daß die Absicht bestehe,
den bosnisch-herzegowinischen Infanterieregimentem mit den Infanterieregi-
mentem des Heeres fortlaufende Nummern zu geben, so daß sie bmit den übrigen
Heeresregimentem gleich adjustiert und bezeichnet (bosnisch-herzegowinisches)
k. u. k. Infanterieregiment No. 103-106b heißen würden; dies wird von der Kon¬
ferenz ohne Widerspruch zur Kenntnis genommen.8

b-b Korrektur Krobatins aus 103-106 bosnisch-herzegowinisches Infanterieregiment.
      Der Vortag Krobatins v. 23. 10. 1913 wurde nicht resolviert, ebd.
<pb/>630 Nr. 45a Allenmtertänigster Vortrag

   Nachdem der Wortlaut eines Kommuniques für die Presse festgelegt worden
ist, erteilt der Vorsitzende auf Wunsch des Grafen Tisza noch Aufklärun¬
gen über das Kalendarium der bevorstehenden Delegationssession. Es wird ver¬
abredet, daß Graf Berchtold am 19. November nach dem Empfange der Delega¬
tionen durch Se. k. u. k. apost. Majestät sein Expose um `A 3 Uhr nachmittags im
ungarischen Ausschuß und um `A 5 Uhr im österreichischen Ausschuß verlesen
wird. Die Debatte über auswärtige Angelegenheiten würde dann am Freitag und
Samstag den 21. und 22. November im ungarischen Ausschuß zu Ende geführt
werden können. In der nächsten Woche würden die Ausschüsse der österreichi¬
schen Delegation tagen, wogegen in Budapest Parlamentsberatungen stattfinden
würden. Die ungarischen Ausschüsse würden dann ihre Tätigkeit nach dem 30.
November wieder aufnehmen.

   Hierauf erklärt der Vorsitzende den Ministerrat für aufgehoben.

                                                                                             Berchtold

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, am 5. Jänner 1914. Franz Joseph.

Nr. 45a Alleruntertänigster Vortrag

   Allergnädigster Herr!
   Ich nehme mir die ehrerbietigste Freiheit, Euer Majestät au. zu melden, daß in
dem heute abgehaltenen gemeinsamen Ministerrate der Beschluß gefaßt wurde,
daß die Vorlagen über den Zuschuß der beiden Regierungen zur Verzinsung des
bosnisch-herzegowinischen Bahnanlehens durch die österreichische und ungari¬
sche Regierung demnächst den beiden Parlamenten gleichzeitig unterbreitet wer¬
den sollen. Der kgl. ung. Ministerpräsident hat sich bereit erklärt, für den Fall, als
die Durchberatung der Vorlage im österreichischen Abgeordnetenhause vor Ende
dieses Jahres nicht erfolgen könnte, nach deren Annahme im ungarischen Abge¬
ordnetenhause in einem neuerlichen gemeinsamen Ministerrate darüber zu bera¬
ten, auf welche Weise die Inangriffnahme des Bahnbaues im nächsten Frühjahre
durch eine unter der Verantwortlichkeit der beiden Regierungen zu ermöglichen¬
de kurzfristige Finanzoperation ins Auge gefaßt werden kann.
   In tiefster Ehrfurcht

Wien, am 10. November 1913

                                     Berchtold
<pb/>