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Gemeinsamer Ministerrat, 3. 10. 1913

I. Der gemeinsame Voranschlag für das I. Semester 1914

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z44.pdf.

Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913                     603

   Der kgl. ung. Ministerpräsident schließt sich dem an und
sagt weiter, es handle sich um eine Differenz von sieben Monaten. Wenn die Sa¬
che so dringend sei, so müsse man die Forcen einhalten und die Delegationen
einberufen.

   Der Marinekommandant tritt nochmals dafür ein, daß der Bau in
Angriff genommen werde, ihm schließt sich der gemeinsame Finanzminister an.

   Nachdem der Vorsitzende ein Resume der heutigen Verhandlung gegeben,
erklärender kgl. ung. Ministerpräsident und Dr. Telesz-
k y als Standpunkt der ungarischen Regierung, daß diese in der Mitteilung der
Entwürfe und Pläne an die Etablissements eine Bestellung ersehen und daraus die
Konsequenzen ziehen müßten. Der Vorsitzende schließt hierauf um 3/4 2
Uhr nachmittags die Sitzung.5

                                                                                            Berchtold

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, am 26. Juni 1913. Franz Joseph.

        Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. Oktober 1913

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Tisza, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Ritter v. Bilinski (3. 11.), der k. u. k. Kriegsminister
FZM. Ritter v. Krobatin (4. 11.), der k. k. Minister für Landesverteidigung GdI. Freiherr v. Georgi
(5. 11.), der kgl. ung. Landesverteidigungsminister FML. Baron Hazai, der k. k. Finanzminister
Ritter v. Zaleski, der kgl. ung. Finanzminister Dr. Teleszky, der k. u. k. Chefdes Generalstabes GdI.
Freiherr Conrad v. Hötzendorf (12. 11.), der k. u. k. Marinekommandant Admiral Haus (12. 11.).
[Publiziert in: Österreich-Ungarns Aussenpolitik, Band 7, Nr. 8779]
    Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter v. Günther.
    Gegenstand: Der gemeinsame Voranschlag für das I. Semester 1914.

   KZ. 62 - GMKPZ. 508
   Protokoll des zu Wien am 3. Oktober 1913 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Ministers des k. u. k. Hauses
und des Äußern Grafen Berchtold.

   Der Vorsitzende eröffnet um 11 14 Uhr vormittags die Sitzung mit
dem nachfolgenden Expose:

5 Bericht über den Verlaufaller geführten Beratungen zu dem Thema zwischen den gemeinsa¬
        men Ministern, den Ministerpräsidenten und Finanzministern sowie eine Audienz Teleszkys
        bei Franz Joseph im Schreiben Haus 'an die Militärkanzlei Franz Ferdinands v. 22. 5. 1913,
        ebd., MS., PK. 1-4/11-2295/1913.
<pb/>604 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913

   Bevor wir in die Besprechung des Verhandlungsgegenstandes der heutigen Sit¬
zung eingehen, möchte ich mir erlauben, einige Aufklärungen über die derzeitige
auswärtige Lage zu geben und daran anknüpfend die Ausblicke zu besprechen,
welche dieselbe für die Zukunft zu bieten imstande ist.

   Der Abschluß der türkisch-bulgarischen Verhandlungen hat nicht nur die terri¬
toriale Abgrenzung zwischen der Türkei und Bulgarien definitiv festgelegt und
mit dieser Neuordnung in Konnex stehende Fragen bereinigt, sondern auch ein
engeres Verhältnis zwischen den beiden genannten Staaten hergestellt, das für die
nächsten Jahre richtunggebend sein dürfte.1

   Auf der anderen Seite ist der türkisch-griechische Gegensatz, der in den An¬
sprüchen Griechenlands auf die dem kleinasiatischen Festlande vorgelagerten,
bisher türkischen Inseln seine wesentliche Nahrung findet, bis nun nicht ausgegli¬
chen, so daß heute mit der Möglichkeit eines türkisch-griechischen Waffengan¬
ges gerechnet werden muß.

   Unmittelbarer als durch diese Vorgänge werden wir durch die gleichzeitig sich
vollziehende albanesische Aufstandsbewegung betroffen, die gegenwärtig die
serbische Regierung in Atem hält und die Möglichkeit weiterer Komplikationen
in sich birgt. Wir haben uns dieser Bewegung gegenüber auf den Standpunkt ge¬
stellt, daß es zwar Serbien zusteht, auf dem eigenen Gebiete nach Gutdünken die
nötigen Repressivmaßregeln zu ergreifen und durchzuführen, daß aber die von
der Londoner Botschafterreunion gezogene Grenzlinie nicht überschritten und
die dem neuen Staatswesen zugesicherte Neutralität nicht verletzt werden dürfe.

   Von diesem Gedanken ausgehend, haben wir in freundschaftlicher Form die
serbische Regierung auf die ernsten Folgen aufmerksam gemacht, die eine Igno¬
rierung der Londoner Beschlüsse nach sich ziehen müsste.2 Wenn auch die Bel¬
grader Machthaber es in dieser Richtung an Versicherungen nicht fehlen lassen
und bei den von allen Seiten in Belgrad gegebenen Ratschlägen nicht anzuneh¬
men ist, daß man es serbischerseits zum äußersten wird ankommen lassen, so
muß immerhin mit der Möglichkeit einer serbischen Besetzung strategisch wich¬
tiger Punkte jenseits der von den Mächten fixierten Grenzlinie gerechnet wer¬
den.

   Wir werden uns, im Falle dieses Ereignis eintreten sollte, vor die Alternative
gestellt sehen: entweder die Schaffung eines fait accomplis, welches die erste und
wohl auch letzte Etappe der Absorbierung Albaniens durch Serbien bilden würde,
stillschweigend zu dulden oder ein Ultimatum betreffs Evakuierung des autono-

        Friede von Konstantinopel v. 29. 9. 1913 zwischen der Türkei und Bulgarien, mit dem der
        Londoner Präliminarfrieden v. 30. 5. 1913 abgesehen von einigen Revisionen an der bulga¬
         risch-türkischen Grenze anerkannt wurde. So behielt die Türkei die Stadt Adrianopel. Zwi¬
        schen der Türkei und Griechenland kam es am 14. 11. 1913 zum Frieden von Athen. Zum
        Frieden von Bukarest siehe Anm. 3 dieses Protokolles.
         Schreiben (K.) Berchtolds an Storck v. 29. 9.1913, HHStA, PA. XII., Liasse XLV/23, Karton
         449, fol. 229 f.
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministermt, Wien, 3. 10. 1913  605

 men Albaniens durch die serbischen Truppen an die Belgrader Adresse zu rich¬
 ten.

    Wir haben stets die Schaffung eines selbständigen Albaniens als eine schwie¬
rige diplomatische Arbeit angesehen, aber auch als das einzige Mittel, einer Ver¬
 schiebung des Kräfteverhältnisses in der Adna zu unseren Ungunsten vorzubeu¬
gen. Dadurch, daß wir dieses Ziel auf friedlichem Wege erreichen wollten und
uns daher mit den anderen Mächten ins Einvernehmen setzen mußten, ist das von
uns intendierte albanesische Staatswesen im Kompromißwege auf das Minimum
der Existenzfähigkeit reduziert worden.

    Unter diesen Umständen scheint es wohl nicht möglich, Serbien gegenüber auf
Konzessionen einzugehen. Es würde dies nicht nur unserem Prestige schweren
Eintrag tun, sondern auch die Zukunft Albaniens noch prekärer gestalten, als es
derzeit bereits der Fall ist, und müßte dadurch das Adriaproblem in bedenkliche
Nähe gerückt werden.

    Schon aus diesen Ausführungen über die momentane Lage können die beiden
hohen Regierungen ersehen, auf was für eine labile Basis der Balkanfriede durch
die Friedenstraktate von Bukarest und Konstantinopel und die Londoner Bot-
schafterreunionsbeschlüsse3 gestellt ist. Wir werden in der Zukunft nicht mehr
mit einer ohnmächtig hinsiechenden Türkei und verhältnismäßig kleinen und
schwachen christlichen Staatengebilden am Balkan zu rechnen haben, sondern
mit kraftvollen, nationalgeeinten Militärstaaten, von denen die beiden an uns an¬
grenzenden mit ihren ethnischen Wurzeln weit in die Monarchie hineinreichen
und mehr oder minder eingestandene Aspirationen auf die betreffenden Gebiete
hegen, indes der Bestand des von uns und Italien geschaffenen albanesischen
Staatswesens gleichfalls von zwei der Balkanstaaten bedroht erscheint. Für die
nächste Zukunft ist allerdings infolge der starken Beschneidung Bulgariens im
Bukarester Frieden ein kaum zu überbrückender Gegensatz zwischen diesem
Staate einer-, Serbien und Griechenland andererseits gegeben, der unsere neue
unruhige Nachbarschaft bis zu einem gewissen Grade neutralisieren dürfte. Mit
der Möglichkeit wird aber immerhin fortan gerechnet werden müssen, daß sich
einmal der Balkanbund mit einer Spitze gegen uns rekonstruieren könnte, etwa in
der Weise, daß Serbien für eine Schadloshaltung auf Kosten der Monarchie ma¬
zedonische Gebietsteile Bulgarien in Aussicht stellen könnte.

   Wenn wir vom Balkan absehen, wo - wie gesagt - die Verhältnisse an unserer
Grenze wesentlich unsicherer geworden sind, als es früher der Fall war, haben die
Grundlagen unserer auswärtigen Politik in letzter Zeit keine einschneidenderen

Friede von Bukarest v. 10. 8. 1913 zwischen Bulgarien einerseits und Rumänien, Serbien,
Griechenland sowie Montenegro andererseits. Am 11. 8. 1913 beendete die Londoner Bot¬
schafterreunion ihre Tätigkeit mit der Festlegung der albanischen Südgrenze gegen Grie¬
chenland, siehe dazu das Telegramm des deutschen Botschafters in London an das deutsche
Auswärtige Amt v. 11. 8. 1913, Grosse Politik, Bd. 35, Nr. 13687, seinen Bericht an Beth-
mann Hollweg vom selben Tag, ebd., Nr. 13689 und den Beschluß der Botschafterkonferenz
v. 11. 8. 1913, ebd., Nr. 13890.
<pb/>606 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913

Änderungen erfahren. Durch die im vorigen Jahre erfolgte Erneuerung des Drei¬
bundes ist die bisherige Orientierung unserer Außenpolitik auf eine weitere län¬
gere Periode sichergestellt worden. Innerhalb des Dreibundes sind im Laufe der
Orientkrise bisweilen allerdings gewisse Unterschiede in der Auffassung zwi¬
schen uns und Berlin wahrnehmbar geworden: eine ernstere oder dauernde Be¬
deutung ist denselben jedoch nicht beizumessen. Andererseits hat das Zusam¬
menarbeiten mit Italien in der albanesischen Politik neue Berührungspunkte
zwischen uns und dem italienischen Verbündeten geschaffen, die unseren Bezie¬
hungen zum Vorteile gereicht haben. Bedauerlicherweise ist durch die bekannten
Triester Erlässe4 wieder ein Schatten auf diese Beziehungen geworfen worden,
wobei die übermäßige Empfindlichkeit, mit welcher diese interne Maßnahme der
österreichischen Regierung in der ganzen öffentlichen Meinung Italiens aufge¬
nommen wurde, dargetan hat, daß den Belastungsproben dieses Allianzverhält¬
nisses gewisse Grenzen gezogen sind.

   In unserem Verhältnisse zu den Mächten der Tripelentente ist insofeme eine
Besserung zu verzeichnen, als England während der ganzen Orientkrise uns ge¬
genüber eine loyale Haltung eingenommen und wiederholt unseren Anschauun¬
gen zum Durchbruch verhelfen hat, womit gebesserte Beziehungen zwischen
Berlin und London Hand in Hand gehen. Die Konfliktsmöglichkeit, die aus dem
früher bestandenen gespannten Verhältnisse zwischen Deutschland und England
gegeben war, ist daher nicht unbedeutend abgeschwächt.

   Rußland und Frankreich sind momentan anscheinend friedensbedürftig. Das
Rüstungsfieber aber, das vor wenigen Monaten Frankreich ergriffen hatte und in
der Wiedereinführung der dreijährigen3 Dienstpflicht konkrete Gestalt angenom¬
men hat, wie dessen Parallelerscheinung, die Neuausgestaltung der deutschen
Wehrmacht,5 lassen unzweideutig erkennen, daß der Tag der Abrechnung nur auf¬
geschoben ist und die zielbewußte Tätigkeit, die sich das französische Kapital
anschickt, am Balkan zu entfalten, um daselbst den Boden wirtschaftlich und
politisch zu erobern, deuten den Weg an, der bis dahin zurückgelegt werden soll,
um in der entscheidenden Stunde unsere Kraft zu binden.

    Resümierend möchte ich betonen, daß zwar Aussicht vorhanden ist, aus der
diesmaligen schweren Krise ohne blutigen Waffengang herauszukommen und für
die nächste Zukunft keine größere Konflagration zu gewärtigen ist, die uns in
Mitleidenschaft ziehen könnte, daß aber die dauernde Erhaltung der Integrität der

         Korrektur aus zweijährigen.

         Zurpolitischen Situation im Küstenland vor dem Ersten Weltkrieg siehe Wiggermann Frank,
         K. u. K. Kriegsmarine und Politik 58 f., zu den ,, Triester Erlässen&quot; oder ,,Hohenloheschen
         Dekreten &quot; mit weiterer Literatur ebd. 160 f.
         Zur Einßihrung der dreijährigen Dienstzeit in Frankreich siehe den Bericht des deutschen
         Militärattaches in Paris v. 20. 8. 1913, Die grosse Politik, Bd. 39, Nr. 15653. Zur Heeresre¬
        form des Deutschen Reiches siehe den Jahresbericht über die deutsche Wehrmacht 1912, Ka.,
         MKSM. 18-2/1-1/1913.
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913  607

 Monarchie es angesichts der veränderten Verhältnisse mit zwingender Notwen¬
 digkeit fordert, die Wehrkraft bis an die Grenze des wirtschaftlich Möglichen
 auszugestalten und insbesondere einen adäquaten Schutz der Süd- und Ostgrenze
 vorzusehen.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident möchte zu dieser Darstel¬
 lung nur eine Bemerkung, betreffend die serbisch-albanische Frage, machen. Er
 stimme mit Grafen Berchtold vollkommen überein und freue sich über den jüng¬
 sten, von uns in Belgrad gemachten Schritt, welcher in freundlicher nicht provo¬
 zierender Weise erfolgt sei. Man müsse unseren Standpunkt nicht nur Serbien,
 sondern auch den Großmächten gegenüber betonen, damit man nicht vor ein fait
 accompli gestellt werde. Je offener und entschiedener unsere Erklärung ist, daß
wir eine Abänderung der in London festgesetzten Grenze Albaniens nicht dulden
werden, umso besser werde dies im Interesse einer friedlichen Lösung sein, wel¬
che die Großmächte wohl nicht hintanhalten werden wollen. Wenn man die Er¬
eignisse des letzten Jahres überblicke, so trete eine Erscheinung ganz konsequent
hervor: Die Blamierung der Großmächte auf der ganzen Linie hinsichtlich allem,
was im Namen Europas gesprochen worden sei. Wenn hingegen eine Macht sage,
daß sie vor der äußersten Konsequenz nicht zurückschrecke, so mache das einen
sichtlichen Eindruck. Er bitte daher, keinen Hehl daraus zu machen, daß wir
eventuell bereit seien, bezüglich der Durchführung der Beschlüsse der Londoner
Botschafterreunion auch allein vorzugehen.

    Der Vorsitzende teilt die Ansicht des Grafen Tisza und ist in der Lage
bekanntzugeben, daß bereits einzelne Mächte in unseren Sinne freundliche Rat¬
schläge in Belgrad gegeben haben.

   Der k. k. Ministerpräsident stimmt seinerseits den Ausführun¬
gen des Vorsitzenden und des kgl. ung. Ministerpräsidenten vollkommen bei. Es
gäbe eine gewisse Grenze, über die nicht hinausgegangen werden dürfe. Wenn
wir uns auch keiner Schuld bewußt seien, so müsse doch konstatiert werden, daß
die Schwerbeweglichkeit des europäischen Konzertes dessen geringe Autorität
zur Folge gehabt habe.

   Man habe in London ein Albanien geschaffen, welches dessen wirtschaftli¬
chen Interessen zuwiderlaufe und seine natürliche Bewegungsmöglichkeit ein¬
schränke. Er weise dabei auf die Erschwerung beziehungsweise Unmöglichkeit
des Besuches gewisser Märkte seitens der Albaner hin. Die Delimitationskom¬
missionen kommen mit ihren Arbeiten nicht weiter, ebenso langsam vollziehe
sich die Wahl des Fürsten, die Einsetzung der Exekutivgewalt usw.6 Dies erzeuge
in Albanien alle möglichen Bewegungen über die Grenze hinaus. Er erlaube sich,
den Wunsch zu äußern, daß man mit allem Nachdrucke die Konstituierung Alba¬
niens beschleunige. Solange man dieses Land als res nullius bestehen lasse, müs¬
se man auf alles gefaßt sein.

Zur Tätigkeit der Grenzkommissionßr Südalbanien und zur Wahl des Fürsten von Albanien
siehe Buchberger, Erinnerungen 225-247.
<pb/>608 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913

   Der Vorsitzende fuhrt aus, daß man, um überhaupt zu einem Resulta¬
te zu gelangen, gewisse Konzessionen hinsichtlich des Umfanges Albaniens habe
machen müssen. Die Beschlüsse der Londoner Konferenz einschließlich jenes,
betreffend die Freizügigkeit der Märkte auf serbischem Gebiete, seien in Belgrad
notifiziert worden. Man wende auch dort nichts dagegen ein, sondern stelle nur
die Sache so dar, als ob die Albaner den Besuch der Märkte dazu benützen, um
die Bevölkerung aufzuhetzen. Das Verbot des Märktebesuches wäre daher nicht
die Ursache des Aufstandes, sondern die Folge des Benehmens der Albaner.

   Der Kandidat auf dem Thron Albaniens ist bereits unterwegs und wenn es ge¬
lingen werde, ihn zur Annahne zu bewegen, so sei alles andere von geringerer
Bedeutung.

   Der Chef des Generalstabes hebt zwei schwierigste Punkte der
Monarchie, das Verhältnis zu Serbien und Montenegro, hervor, die sicher unsere
nächsten Gegner sein werden und nur den Moment abwarten, bis die Monarchie
anderwärts engagiert sei. Was unsere Bundesgenossen betreffe, so stehe wohl
Deutschland zu uns, die Hilfe Italiens komme aber eigentlich nur Deutschland
zugute. Die Wurzel des Übels sei das Anwachsen Serbiens und seine Bestrebun¬
gen, Frankreich, Rußland und Rumänien für sich zu gewinnen. Nach seiner An¬
sicht müsse man da klare Verhältnisse schaffen, insbesondere auch hinsichtlich
Rumäniens. Er stelle sich das so vor, daß sich entweder Serbien uns loyal kom¬
plett angliedere in einem Verhältnisse wie etwa Bayern zum Deutschen Reiche,
oder daß man zur offenen Feindschaft übergehe, wozu jetzt der günstigste Mo¬
ment sei.7 Eine bloß äußere Regelung des serbisch-albanischen Konfliktes sowie
des Verhältnisses zu Serbien überhaupt werde nichts nutzen. Serbien werde nur
Zeit gelassen, sich zu stärken. Es handle sich nicht bloß um die ziffermäßige An¬
zahl unserer Gegner, die Gefahr liege vielmehr in einem Großserbien, welches
eine Verseuchung unserer südlichen Gebiete durch eine Irredenta zur Folge haben
werde. Man müsse Serbien sofort fragen und eine umgehende Antwort, ja oder
nein, verlangen, ohne ihm oder den Großmächten Zeit zu lassen.

    Der Vorsitzende gibt dem Chef des Generalstabes ganz recht. Es ist
aber zu bedenken, daß in einem solchen Falle unsere Verbündeten kaum hinter
uns stehen, vielmehr uns in den Arm fallen würden. Dann wäre nicht nur nichts
gewonnen, sondern unsere Beziehungen zu Serbien wären noch schlechter. Der
serbische Ministerpräsident Pasic habe ihm gerade heute die Versicherung erteilt,
daß es Serbiens Wunsch sei, mit uns ein freundliches Verhältnis anzubahnen,
wobei er von Dezennien eines freundlichen Auskommens sprach. Der Vorsitzen¬
de möchte zwar keine Garantie für die Länge und Aufrichtigkeit dieser Beziehun-

        Zu den Ausführungen Conrads über das Verhältnis Serbiens zur Monarchie siehe
        Schreiben (Abschrift) Conrads anBerchtoldv. 7.5.1913, Ka., MKSM. 69-5/9/1913,
        fol. 29 f. Zu Conrads Einstellung in der südslawischen Frage siehe Beaver Jan
         Georg, Civil-Military Conflict and the South Slave question in the Habsburg Mon-
         archy: A political biography of Franz Conrad von Hotzendorf [sic!].
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913  609

 gen übernehmen, jedenfalls bestünden aber obige Bedenken hinsichtlich der von
 Baron Conrad gemachten Anregung.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident nimmt ganz entschieden
 Stellung gegen eine staatsrechtliche Angliederung Serbiens an die Monarchie
 und zwar, weil die Sache praktisch unmöglich sei und sich ganz Europa auf Seite
 Serbiens stellen würde. Die Sache wäre aber auch von Nachteil für die Monar¬
 chie.

    Serbien sei ein unangenehmer Nachbar, damit müsse man sich eben abfinden,
 aber man brauche es nicht gleich zu verschlucken. Serbien habe sich durch seine
Vergrößerung auch große Schwierigkeiten bereitet. Es gäbe viele Reibungspunk¬
te, namentlich sein Verhältnis zu Albanien und Bulgarien. Er komme auf das zu¬
rück, was er schon früher gesagt habe, daß man die Gelegenheit benützen müsse,
der Welt zu zeigen, daß man entschlossen sei, Serbien ein ,,entschiedenes Halt&quot;
zuzurufen, wenn es seine Versprechungen nicht halte. Wenn ein energischer Pro¬
test nicht helfe, müsse man ein Ultimatum stellen, um Serbien eine diplomati¬
sche, eventuell eine militärische Niederlage zu bereiten. Da dürfe man nicht
schwanken und sich nicht aufhalten lassen.

    Der gemeinsame Finanzminister macht darauf aufmerksam,
daß die Agitation in Bosnien und der Herzegowina von Serbien aus ganz gewaltig
betrieben werde. Darunter werden wir Jahre leiden müssen, weil der politisch
vorgeschrittenste und relativ größte Teil der Bevölkerung in den annektierten
Ländern die Serben seien. Die Idee des Chefs des Generalstabes halte er für nicht
erfüllbar. Vielleicht hätte man diese Idee früher verwirklichen können; wollten
wir dies jetzt tun, so würde Europa, das uns bisher mit Unrecht als Friedensstörer
bezeichnete, dies dann mit Recht behaupten können. Der Plan des Chefs des Ge¬
neralstabes habe aber überdies eine staatsrechtliche Bedeutung, weil darüber
auch die Parlamente zu entscheiden hätten und deren Zustimmung nicht zu er¬
warten sei. Man könnte wohl, wenn sich die Verhältnisse darnach gestalten, aktiv
gegen Serbien vergehen und es der Monarchie mit Gewalt einverleiben, aber
dessen Angliederung an die Monarchie, wie sich dies Baron Conrad vorstelle, sei
unmöglich. Unter welchem Drucke sollte dies denn jetzt geschehen, wo Serbien
ein Großstaat geworden ist?

   Leider könne Redner aber auch die Hoffnung des Grafen Tisza nicht teilen,
daß wir Gelegenheit haben werden, der Welt unseren Willen zu zeigen, Serbien
werde uns nämlich keine Gelegenheit dazu geben, in einem Momente, wo ganz
Europa den Frieden will. Was Pasic heute gesagt habe, sei sicher wahr, denn Ser¬
bien brauche Zeit, um sich zu konsolidieren. Daß die Serben für einen späteren
Zeitpunkt die Absicht haben, uns unsere südlichen Provinzen streitig zu machen,
darüber bestünde natürlich kein Zweifel. Wir müssen uns auf diesen großen
Kampf vorbereiten und daher ohne Rücksicht auf die allerdings sehr geschwäch¬
ten Finanzen und die sehr prekäre wirtschaftliche Lage schon heute die Armee
entsprechend verstärken.
<pb/>610 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913

   Der k. k. Ministerpräsident führt folgendes aus. Die erste von
Baron Conrad erwähnte Eventualität könne wohl nicht in Betracht kommen. Graf
Stürgkh betrachtet als eine Voraussetzung einer Aktion gegen Serbien, daß wir
von Serbien offenkundig verletzt werden, da es dann zu einer Auseinanderset¬
zung kommen müßte, die wohl eine capitis diminutio Serbiens mit sich brächte.
Heute bilde Serbien eine große Attraktion, weil man sehe, daß sein Prestige auf
Kosten des unsrigen gewachsen. Nähme der Aufschwung Serbiens weiter zu, so
würden sich unsere Südslawen noch mehr hinzugezogen fühlen, da nütze die
beste innere Politik nichts. Er denke so wie der gemeinsame Finanzminister und
auch er glaube, daß man sich auf das intensivste vorbereiten müsse. Jeder Tag
bringe neue bedenkliche Symptome. So habe erst gestern der serbische Gesandte
in einem Interview die Frage der Verstaatlichung der serbischen Bahnen venti¬
liert, trotz der angeblichen Garantien in der Konzessionsurkunde und trotz der
Londoner Formel.8 Eine Auseinandersetzung mit Serbien und eine Demütigung
desselben sei die Lebensbedingung der Monarchie. Wenn dieselbe heute nicht
erfolgen könne, so müsse man sich doch gründlich darauf vorbereiten.

   Der Chef des Generalstabes erwidert, daß er nur der Vollstän¬
digkeit wegen zwei Alternativen aufgestellt habe. Er freue sich darüber, daß der
friedliche Weg von so kompetenten Stellen als ausgeschlossen hingestellt wird,
daß daher nur der gewaltsame erübrigt, aber er glaube, daß man den Krieg dann
führen müsse, sobald die Chancen günstig seien. Die meisten Kriege werden ver¬
loren von denjenigen, welche diese Chancen verpassen. Jedes Hinausschieben
verschlimmere, von rein militärischem Standpunkte betrachtet, die Lage. Wenn
wir zuwarten, so bedinge dies die extreme Ausgestaltung unserer Wehrmacht.
Darauf müsse er den größten Wert legen.

    Es ergreift hierauf der Kriegsminister das Wort und führt folgendes
aus: Der in den Verwaltungen der beiden Staaten und im gemeinsamen Haushalte
ab 1914 zu bewirkende Übergang auf die neue Budgetperiode bedingt die Ein¬
schaltung eines halbjährigen, den Zeitraum 1. Jänner bis 30. Juni 1914 umfassen¬
den Heeresbudgets.9 Mit Rücksicht auf diesen Umstand wurden in dem Summar
über das Gesamterfordemis des Heeres für das erste Halbjahr 1914 den Ansprü-

         Siehe dazu GMR. v. 21. 2. 1913, GMKPZ. 504. Zur Londoner Formel siehe ebd., Anm. 3.
         Zur Verlegung des Budgetjahres siehe Schreiben (deutsche Übersetzung) Teleszkys an Bilihski
         v. 1. 1. 1913, Ka., KM. Präs. 37-11/1/1913. In der Konferenz v. 29. 4. 1913 wurden die Mo¬
         dalitäten der Verlegung für alle vier Budgets - des ungarischen, des cisleithanischen, des
         bosnischen und des der gemeinsamen Minister -- behandelt; das Protokoll dieser Konferenz
         in ebd., Abteilung 15/B, Rubrikzahl 15/5-3/1913. Mit VortragBerchtolds v. 17. 5. 1913 wur¬
         de mit Ah. E. v. 18. 5. 1913 das Budgetjahr der gemeinsamen Minister aufdie Zeit vom 1. 7.
         bis 30. 6. desfolgenden Jahres verlegt, beginnend mit dem Budget 1914/15. Für die Zeit vom
         1. 1. bis 30. 6. 1914 wurde ein Halbjahresbudget beschlossen, HHStA., Kab. Kanzlei, KZ.
          1198/1913.
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. JO. 1913  611

eben der Knegsverwaltung die halben Beträge der korrespondierenden Bewilli¬
gungen pro 1913 zu Grunde gelegt.10

    Der k. k. Finanzminister möchte hiezu bemerken, daß hinsicht¬
lich des normalen Teiles des Budgetentwurfes noch einige Posten unbereinigt
seien, worauf der Kriegsminister entgegnet, daß das Normalbudget im
Wege von unmittelbaren Verhandlungen zwischen dem Kriegsministerium und
den beiden Finanzverwaltungen bereits festgestellt sei. Nur hinsichtlich der Post
Systemisierung von Evidenzoffizieren und Pferdeergänzungsreferenten habe das
k. k. Finanzministerium einige Änderungen gewünscht, deren Durchführung je¬
doch auf solche Schwierigkeiten stoße, daß das Kriegsministerium nicht in der
Lage ist, den bezüglichen Anregungen Folge zu geben. Mit Rücksicht auf diesen
Umstand sowie in Anbetracht dessen, daß die schon pro 1913 beabsichtigt gewe¬
sene Realisierung der in Rede stehenden Maßnahme aus Schlagfertigkeitsrück¬
sichten unbedingt notwendig ist, weil sonst die Bestimmungen des Gesetzes be¬
treffend die Stellung von Pferden und Fuhrwerken für Zwecke des Heeres nicht
nutzbar gemacht werden könnten, wäre es dringend wünschenswert, daß das k. k.
Finanzministerium diesen Anträgen zustimme. Im übrigen sei ihm gemeldet wor¬
den, daß keine Anstände vorhanden sind.

   Der k. k. Finanzminister erwidert, daß diesbezüglich ein Mi߬
verständnis vorliegen müsse, da der Vertreter des Finanzministeriums bei der Be¬
sprechung im Mai dem Vertreter des Kriegsministeriums nur das Einverständnis
mit der formellen Art der Behandlung des Halbjahrsbudgets gegeben habe.&quot;

   Der Minister hat erst im September die Ziffern des Budgets zur Prüfung be¬
kommen. Was speziell die Systemisierung von Evidenzoffizieren betreffe, so dür¬
fe nicht übersehen werden, daß die österreichische Regierung auf Grund aus¬
drücklicher Zusicherung des Kriegsministeriums im Parlamente erklärt habe, die
Durchführung des Pferdestellungsgesetzes werde nichts kosten.12 Und jetzt weni¬
ge Monate nachher komme man mit dieser Anforderung. In einem Augenblicke,
wo man so große Lasten auf sich nehme, solle man, statt neue Anstalten zu schaf¬
fen, lieber trachten, mit den bisherigen Kräften das Auslangen zu finden und auf
dem Gebiete der militärischen Verwaltung zu sparen.

Mit Schreiben v. 28. 5. 1913 teilte Krobatin Zaleski den vorläufigen Entwurfdes Gesamter¬
fordernisses des Heeresfür das I. Halbjahr 1914 mit, Fa., FM., allg., Z. 40804/1913.
Gemeint ist die Besprechung des Vertreters des k. k. Finanzministeriums mit dem Vertreter
des Kriegsministeriums v. 24. 6. 1913. Zur Aussage Zaleskis, das Einverständnis bei der
Besprechung bezöge sich nur auf die formelle Art der Behandlung des Halbjahresbudgets
siehe die Referentenbemerkungen in Fa., FM., allg., Z. 75732/1913; zur Position Krobatins,
die Zustimmung bezöge sich direkt aufdas Budget, siehe die Darstellung im Schreiben (Ab¬
schrift) des Chefs der ökonomischen Abteilung an Krobatin v. 6. 10. 1913, ebd., Z.
75714/1913.
Das Gesetz betreffend die Stellung der Pferde und Fuhrwerke wurdepubliziert in Ungarn als
GA. LXIX/1912 und für Cisleithanien als Gesetz vom 21. Dezember 1912, RGBl. Nr.
235/1912.
<pb/>612 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913

   Der Kriegsminister hält dem entgegen, daß er zu diesem Zwecke
überhaupt keine verfügbaren Offiziere habe. Er weist auf Rumänien hin, welches
einfach anläßlich der Mobilisierung alle Ortschaften umstellt und sämtliche Pfer¬
de und Wagen requiriert habe. Auf eine solche Weise können aber wir nicht Vor¬
gehen.

   Nachdem nun der kgl. ung. Finanzminister hervorhebt, daß
die Kriegsverwaltung auf dem Standpunkte stehe, die seit 1910 eingetretenen
Preissteigerungen nicht decken zu können und deshalb mit Nachtragskrediten
kommen müsse, der Generalstabschef den meritorischen Wert für die
Operationsfähigkeit betont, welchen die Systemisierung der Pferdeevidenzoffi-
ziere besitzt, erklärt der k. k. Ministerpräsident, daß das Evi¬
denzblattsystem im Parlamente so gut aufgenommen worden sei, daß Grund zur
Annahme vorhanden ist, man werde diese Post nicht relevieren.

   Der k. k. Finanzminister erklärt, angesichts der Versicherung
des Kriegsministers, daß diese Organisation unentbehrlich sei, sich der betreffen¬
den Ausgabe nicht weiter widersetzen zu wollen.

   Der Kriegsminister fahrt nun fort:
   Die unausgesetzt fortschreitenden Rüstungen der Nachbarstaaten, die vielfach
ungeklärte politische Situation sowie die in das allgemeine Bewußtsein gedrun¬
gene Erkenntnis, daß im modernen Völkerleben das Recht an der Seite des Star¬
ken ist, legen der Heeresverwaltung die Pflicht auf, bei entsprechender Bedacht-
nahme auf die Leistungsfähigkeit der Bevölkerung alle Vorkehrungen zu treffen,
die eine Erhöhung der Schlag- und Widerstandskraft der Wehrmacht herbeizu¬
führen geeignet sind.
    Hiezu gehört vor allem die unumgänglich notwendige Stärkung der Truppen¬
stände, die in den Grenzbereichen in erhöhterem Maße, bei den sonstigen in Be¬
tracht kommenden Heereskörpem in geringerem Umfange durchgeführt werden
müssen.
    Die Erhöhung der Stände ist teils eine unmittelbare, teils eine indirekte, die
sich dadurch äußert, daß gewisse bisher auf den Stand ihrer Truppenkörper zäh¬
lende Formationen einen eigenen Stand erhalten sollen.
    Neuaufstellungen sind pro erstes Halbjahr 1914 nur in ganz beschränktem
Umfange beabsichtigt.
    Die rascheste Verwirklichung der in der bezüglichen Vorlage beantragten Or¬
ganisationsmaßnahmen, die vornehmlich auf die Stärkung unserer ungewöhnlich
niedrigen Friedensstände sowie auf die Einleitung der Ausgestaltung unserer
quantitativ unzulänglichen Artillerie abzielen, bildet ein eminentes staatliches In¬
teresse, weil sie die Wehrfähigkeit der Monarchie bedeutend erhöhen wird.
    Die Aufbesserung der Friedensstände, namentlich jener in den Grenzbezirken,
ist aber nicht nur vom militärischen, sondern auch vom politischen und volks¬
wirtschaftlichen Standpunkte dringend geboten, weil sie zur Folge hat, daß bei
einer Verschärfung der äußeren politischen Lage nicht sofort zur Anwendung ei¬
ner militärischen Ausnahmeverfügung geschritten werden muß, die wohl nur kur-
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913  613

 ze Zeit verborgen bleiben kann, die Öffentlichkeit beunruhigt, wirtschaftlich von
 lähmendem Einflüsse ist und die Erwerbstätigkeit der von einer plötzlichen Ein¬
 berufung betroffenen Staatsbürger oft gerade zu einem solchen Zeitpunkte unter¬
 bricht, in dem die Anwesenheit des Ernährers doppelt erwünscht wäre.

    Die Sitzung wird hierauf von Vi 2 bis 4 Uhr unterbrochen.

    Nach Wiederaufnahme der Sitzung legt der Kriegsminister Tabellen vor über
 die Verhältnisse der aktiv Dienenden zu den Reservisten im Kriegsfälle bei uns
 und anderen Großmächten, dann über die Kriegsformationen der Großmächte
 und der Balkanstaaten, sowie über einen Vergleich dieser Formationen des Drei¬
 bundes gegenüber jener der Tripelentente beziehungsweise Serbiens, Montene¬
 gros und Rumäniens.

    Der Chef des Generalstabes ergänzt noch die ausführlichen
Darlegungen des Kriegsministers und weist speziell daraufhin, daß eigentlich die
Marschtruppen nicht in die vorgebrachten Ziffern einzurechnen sind, weil sie
bestimmt wären, die erste Linie zu ersetzen. Auch müsse man die Ziffern nicht
summarisch nehmen, sondern die Raumverteilung berücksichtigen, woraus sich
ergebe, daß wir in den ersten Monaten eines Krieges im Osten oder Südosten
beinahe allein bleiben.

    Der k. k. Ministerpräsident möchte, ohne die Argumente des
Knegsministers abschwächen zu wollen, doch aufinerksam machen, daß dieser
Rumänien in die Zahl der Dreibundgegner einbezogen habe, während wir einen
gewissen Anspruch haben sollten, Rumänien nicht als Gegner betrachten zu müs¬
sen. Mit diesem bestehe doch eine Vereinbarung, wegen welcher wir anläßlich
der Eiandelsvertragsverhandlungen übermäßige Opfer an unausgenütztem
Fleischkontingent auf Kosten Serbiens gebracht haben.13

   Der Vorsitzende stimmt dem zu, indem er sagt, der Vertrag bestehe
fort, sei erst vor kurzem erneuert worden, alle rumänischen Staatsmänner jeder
politischen Richtung erklären, am Dreibunde festzuhalten, und Herr Take lone-
scu gab jüngst seiner Meinung Ausdruck, daß auch bei einem Regierungswechsel
eine Änderung der Auslandspolitik nicht in Frage komme.14 Allerdings, fugt Graf
Berchtold hinzu, sei die Volksstimmung immer gegen diese Politik gewesen und
es sei immerhin zu besorgen, daß eine Volksbewegung einen Umschlag herbei¬
fuhrt.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident meint gleichfalls, daß der
Kriegsminister den schlimmsten Fall angenommen habe, daß nämlich im Süd¬
osten 46 Divisionen gegen uns und keine für uns stünde. So schlimm seien die
Verhältnisse doch wohl nicht. Einer entsprechenden auswärtigen Politik wird es
immer gelingen, einen Teil der militärischen Kräfte am Balkan für uns zu gewin¬
nen. Rechnen wir Serbien und Rumänien gegen uns, so kann ein Anschluß Bul-

13 Siehe dazu GMR. v. 14. 4. 1909, GMCPZ. 472.
14 Siehe hierzu die Aufzeichnung v. 13. 9. 1913 über das Gespräch Berchtolds mit lonescu v. 9.

       9. 1913, publiziert in Österreich-Ungarns Aussenpolitik, Bd. 7, Nr. 8619.
<pb/>614 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913

gariens und der Türkei an uns mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen wer-

den.
   Im gleichen Sinne äußert sich der kgl. ung. Finanzminister.

Wenn die Balkanvölker gegen uns sind, so sei die Ursache wohl auch darin zu
finden, daß sie an uns keine ökonomische Stütze finden, während die Tripelen¬
tente in der Lage sei, sie ökonomisch zu unterstützen. Eine solche Unterstützung
sei unsererseits ausgeschlossen, wenn wir zuviel rüsten. Auf einen Einwurf des
Chefs des Generalstabes, daß wir in einem finanziellen Wettstrei¬
te mit Frankreich immer unterliegen müssten und daher auf militärischem Gebie¬
te stark sein sollen, erwidert D r. T e 1 e s z k y, daß es sich nicht um eine
Konkurrenz handle, sondern darum, den Balkanstaaten im Notwendigsten öko¬
nomische Unterstützung zu leihen. Graf Berchtold fügt dem hinzu, daß
Griechenland den deutschen Markt in Anspruch nehme, um nicht ganz Frank¬
reich ausgeliefert zu sein.

    Dr. v. Bilinski begreift den Wunsch des kgl. ung. Finanzministers. Es
sei dem Sprecher aber bekannt, daß Serbien von einer hiesigen Bankengruppe
Geld und industrielle Förderung angeboten worden sei, daß man dieselbe hinge¬
zogen, doch mit ihr nicht abgeschlossen habe. Man behandle solche Angebote
nur als Pressionsmittel gegenüber anderen Gruppen. Allerdings muß zugestanden
werden, daß eine in Belgrad mit österreichischem und ungarischem Kapitale sei¬
nerzeit errichtete Bank bei Beginn des Krieges den Kredit eingeschränkt, wäh¬
rend eine dortselbst bestehende französische Bank den Zinsfuß herabgesetzt hat.

    Dr. Teleszky erklärt, er habe hauptsächlich Rumänien und Bulgarien

vor Augen gehabt.
    Der Kriegsminister gibt nun eine Zusammenstellung der Ereignisse

seit dem Beginn des ersten Balkankrieges und weist nach, daß wir, sobald es nur
irgend möglich war, die Sicherungsmaßregeln herabminderten im Sinne einer fi¬
nanziellen Erleichterung und im Interesse der Bevölkerung.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident hebt hervor, daß er sich seit
seiner Mitwirkung an dem Zustandekommen der Wehrvorlage des Jahres 1888,
also seit 25 Jahren, immer für die Ausgestaltung der Wehrmacht eingesetzt habe.
Die Anforderungen seien keineswegs exorbitant, im Gegenteil, wenn man sie mit
den militärischen Auslagen anderer Mächte vergleiche. Wenn man sie dennoch
nicht in vollem Umfange akzeptieren könne, so liege der Grund darin, daß die
wirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen fehlen. Vom finanziellen
 Standpunkte müsse man eigentlich unser Vorgehen überhaupt als leichtsinnig be¬
 zeichnen, weil wir große Gefahr laufen, finanziellen Kalamitäten entgegenzuge¬
 hen. Nichtsdestoweniger müsse er allen Forderungen zustimmen, welche eine
 absolut notwendige Bedingung unserer Wehrfähigkeit bilden, aber nur diesen,
 denn bei der jetzigen wirtschaftlichen Lage kann bloß das für die Sicherheit der
 Monarchie imbedingt Notwendige geleistet werden. Es handle sich um vier große
 Gruppen und er wolle bezeichnen, was er innerhalb derselben für unbedingt not¬

 wendig halte.
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913  615

     1. Die unabweisliche Forderung der Entwicklung unserer Artillerie. 2. Die ge¬
 mischte Gruppe von Forderungen betreffend die technischen Truppen, besondere
 Verwendungen und Abkommandierungen, beziehungsweise den Ersatz des ein¬
 schlägigen Menschenmateriales für die Infanterie. Er sehe vollkommen ein, daß
 die technischen Truppen anderen Großmächten ebenbürtig ausgestaltet werden
 müssen, wobei die Infanterie nicht verkürzt werden dürfe. 3. Die Verstärkung des
 Friedensstandes in den Grenzgebieten. Da möchte er jedoch vor einer optischen
 Täuschung warnen. Die Annahme, daß, wenn wir Kompanien zu 120 Mann ge¬
 habt hätten, die außerordentliche Belastung der letzten Vorbereitungen hätte ver¬
 mieden werden können, sei wohl nicht ganz richtig, denn die von uns ergriffenen
 Vorsichtsmaßregeln seien weit über dieses Maß hinausgegangen. Dagegen sei
 nicht zu leugnen, daß man bei erhöhten Ständen vermeiden kann, bei jeder pein¬
 lichen diplomatischen Situation zu solchen für unsere diplomatische Stellung
 sehr mißlichen Maßregeln greifen und dabei einen gewiß nicht wünschenswer¬
ten, die Bevölkerung drückenden Vorgang wählen zu müssen. Was die Standeser¬
höhungen in Galizien betreffe, so sei dies eine Notwendigkeit. Hinsichtlich Bos¬
niens und der Herzegowina würde er bitten, daß man womöglich auf der Zahl von
39 Bataillonen stehen bleibe. Ebenso möchte er dafür plädieren, daß man von den
acht Bataillonen an der serbischen Grenze absehe. Für den Ernstfall bedeuten
diese acht Bataillone sehr wenig und eine Großmacht habe es doch nicht nötig,
Serbien gegenüber zu solchen Maßregeln zu greifen, umsoweniger als die serbi¬
schen Friedensstände gering bleiben. Er halte es politisch und praktisch für bes¬
ser, von diesen acht Bataillonen abzusehen. Ebenso sei eine Verstärkung bei den
Korps gegen Italien nicht erforderlich. Die albanische Frage werde noch lange
Zeit eine Rolle spielen. Gerade jetzt, wo die Triester Erlässe so verstimmen, er¬
scheine ihm eine solche militärische Maßnahme politisch mißlich. Im Falle abso¬
luter Notwendigkeit würde er sich aber, was die Truppen des XV. und XVI. Korps
betrifft, fugen.

   Der Chef des Generalstabes weist bezüglich Bosniens und der
Herzegowina auf die ungünstigen Eisenbahnverbindungen hin, welche die Ursa¬
che sind, daß wir zur Aufstellung der Kriegsformationen drei Wochen benötigen.
Bosnien besitze nur drei wenig leistungsfähige Bahnen, die naturgemäß die Mili¬
tärtransporte nur langsam bewältigen können. Montenegro kann in ein paar Ta¬
gen mit der Mobilisierung fertig sein. Wir brauchen also in Bosnien-Herzegowina
soviel Truppen um dem ersten Anprall Widerstand bieten zu können. Daher müs¬
se er für den erhöhten Stand eintreten. Was Italien und Serbien betreffe, bezie¬
hungsweise das III., XIV, XIII., VII. Korps, so ist die Standeserhöhung notwen¬
dig, weil den Grenztruppen schon am ersten Alarmierungs- respektive
Mobilisierungstage viele wichtige Aufgaben zufallen, wie zum Beispiel die Ei¬
senbahnsicherung, die Grenzbewachung, Kundschaftsdienst usw., dann die Mo¬
bilisierung. Diesen Aufgaben wären sie nicht gewachsen, wenn man sie nume¬
risch schwäche. Er müsse übrigens ehrlich sagen, daß er in die
Bundesfreundlichkeit Italiens kein volles Vertrauen habe. Italien setzt seine
<pb/>616 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913

Kriegsvorbereitungen gegen uns, so vor allem die Befestigungen, fort, als ob es
in uns einen künftigen Gegner sehen würde.

   Graf Tisza kommt mm zur vierten Gruppe der Forderungen, das ist die
Standeserhöhung bei der Infanterie um fünf Mann per Kompanie und zwar bei
292 Bataillonen. Er glaube, daß die militärische Wichtigkeit dieser Maßregel un¬
willkürlich überschätzt werde. Man stehe unter dem Eindrücke der jetzigen Stan¬
desverhältnisse bei der Infanterie. Diese seien unhaltbar und zwar sowohl vom
Standpunkte der Ausbildung als von jenem der Kriegsbereitschaft. Wennjetzt mo¬
bilisiert werden sollte, so hätten die Kompanien 180 ausgebildete Mannschaften
und 70 Ersatzreservisten und Landsturmmänner, während die Gegner kompakte
ausgebildete Massen zur Verfügung haben. Diesem Zustande ist aber durch das
Wehrgesetz von 1912 abgeholfen, infolgedessen die Infanteriekompanie seiner¬
zeit über wenigstens 400 ausgebildete Leute verfügen, hiemit ihren eigenen Be¬
darf vollständig decken und 150 Mann an Reserveformationen abgeben können
wird. Die volle Wirkung des neuen Wehrgesetzes werde sich erst nach zehn Jah¬
ren ergeben und es frage sich, ob wir so lange Zeit haben. Es sei von eminentem
Interesse, aus der jetzigen Lage rasch herauszukommen und wenigstens dem un¬
haltbaren Zustande der Inanspruchnahme von Ersatzreservisten in der ersten Li¬
nie abzuhelfen. Dies wird beiläufig drei Jahre auf Basis des jetzigen Wehrgesetzes
in Anspruch nehmen. Er weist an der Hand eingehender Daten nach, daß die gan¬
ze Wirkung einer weiteren Erhöhung des Friedensstandes der Kompanie auf 100
Mann eine Vermehrung der Reserve an ausgebildeter Mannschaft nach 12 Jahren
um 26, nach der obenerwähnten dreijährigen Periode um 9 Mann sein werde. Dies
sei unleugbar ein Vorteil, könne aber gewiß nicht als eine Lebensfrage für unsere
Wehrfähigkeit eingestellt werden. Im Hinblicke auf die finanziellen Verhältnisse
sei es jedoch notwendig, daß nur das unbedingt Notwendige verlangt werde. In
Ungarn werden alle Anforderungen der einzelnen Ressorts für neue Ausgaben
geradezu brutal zurückgewiesen. Man dürfe nicht mehr verlangen, als was vertret¬
bar sei, denn das würde sich sehr rächen und sich gegen das Militär wenden. Er
habe viel gekämpft wegen seiner Bestrebnisse zu Gunsten eines guten Verhältnis¬
ses zwischen Volk und Heer und wolle in diesen Bestrebungen nicht erlahmen.
Redner bespricht mm die finanzielle und ökonomische Situation und sagt, daß die
finanzielle Aktionsfähigkeit auch im militärischen Interesse gelegen sei.

    Würde man den Stand mit fünf Mann erhöhen, so bedeute das eine Erhöhung
 der Rekruten um drei, also auf 51 Mann, was in zwölf Jahren mit Abzug eines
 30%igen Abganges 429 Mann in der Kompanie ausmacht, so daß sich die Reser¬
 ve an ausgebildeter Mannschaft von 151 auf 177, also um 26 Mann, vermehren

 würde.
    Auf Basis des jetzigen Wehrgesetzes bekommt die Kompanie jährlich 48 Re¬

 kruten statt wie früher 25. Mit jedem Jahre bessere sich daher der Vorrat der
 Kompanie an ausgebildeten Reservisten, nach Abzug eines Abganges von 10 %,
 um 21. Der jetzige Bedarf an Ersatzreservisten von 72 Mann sinke also im ersten
 Jahre auf 51, im zweiten auf 30, im dritten auf 9.
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913    617

    Wenn man dagegen eine Vermehrung der Rekruten auf 51 vomimmt, so würde
diese Besserung jährlich drei Mann bedeuten und der Bedarf der Ersatzreservi¬
sten im ersten Jahre 48, im zweiten 24 ausmachen und mit Ende des dritten Jahres
ganz aufhören. Der Unterschied belaufe sich also im ersten Jahre auf drei, im
zweiten auf sechs, im dritten auf neun Mann. In beiden Fällen hört der Bedarf an
Ersatzreservisten zu Ende des dritten Jahres ganz oder beinahe auf, da ja der Be¬
darf von neun Mann größtenteils durch den Überschuß der Truppenkörper mit
erhöhtem Präsenzstand gedeckt werden könnte. Der ziffermäßige Abzug der ge¬
forderten 19 500 Mann würde zirka 4800 bedeuten.

    Hier wirft der Chef des Generalstabes ein, daß diese Berech¬
nung wohl mathematisch richtig sei, daß aber für den Stand von 100 Mann noch
andere Rücksichten sprechen. Abgesehen von solchen der Ausbildung ist zu be¬
denken, daß 2 Vi Rekruten per Jahr und Kompanie mehr, in zehn Jahren zirka
45 000 Mann voll ausgebildeter Leute ergeben, was dem Infanteriestande eines
Korps zu drei starken Divisionen entspräche.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident proponiert nun einen Ab¬
zug von rund 4000 Mann vorzunehmen, so daß für eventuelle neue Formationen
eine Reserve von zirka 800 Mann übrig bliebe. Dies sei die äußerste Grenze, bis
zu welcher die ungarische Regierung gehen beziehungsweise die Verantwortung
übernehmen könnte.

   Der gemeinsame Finanzminister entledigt sich eines Ah. Be¬
fehles, wonach in der heutigen Konferenz die Dringlichkeit des Beginnes mit
dem Bau der bosnischen Bahnen zur Sprache gebracht werden soll.15 Bauherr sei
wohl Bosnien, jedoch darf mit dem Baue nicht begonnen werden, bevor nicht
beide Staaten der Monarchie durch besondere Gesetze die Beiträge sichergestellt
haben. Redner habe die Detailprojekte der zunächst auszubauenden Linien: Ban-
jaluka-Jajce, Samac-Doboj fertigstellen lassen. Dieselben seien auch schon po¬
litisch begangen worden.16 Solange aber die bezüglichen Gesetze in den beiden
Parlamenten nicht geschaffen sind, könne man mit dem Bau nicht beginnen. Um
damit rechtzeitig fertig zu werden, muß mit dem effektiven Bau im nächsten
März angefangen werden. Um letzteres zu ermöglichen, müsse man aber läng¬
stens anfangs Dezember die Arbeiten ausschreiben. Er könne die Verantwortung
einer weiteren Verzögerung nicht übernehmen und ersuche die beiden Herren
Ministerpräsidenten, für die baldigste Vorlage und Perfektionierung der Gesetze
Sorge zu tragen.

   Nachdem noch der Kriegsminister beantragt, um die finanzielle Be¬
lastung der beiden Staaten zu verringern, die Durchführungsdauer der in Aussicht
genommenen Maßnahmen von drei auf fünf Jahre zu verlängern, was eine Erspa¬
rung von 40 Millionen bedeute, erwähnt der k. k. Ministerpräsi¬
dent, daß man im Hinblicke auf die bis 1917 ausdehnbare dreijährige Dienst-

15 Siehe dazu GMR. v. 8. 11. 1912, GMKPZ. 501.
16 Begangen worden im Sinne von ,, behandelt worden
<pb/>618 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913

zeit die Erhöhung von fünf Mann per Kompanie bei ausschließlicher
Bedachtnahme auf die Aufrechthaltung der Standesverhältnisse äußersten Falles
bis dahin verschieben könnte. Es entstünde aber allerdings die Frage, ob dies
politisch taktisch richtig sei. Nach dem Wehrgesetze vom Jahre 1912 käme jetzt
das von 1913/1914 und dann im Jahre 1917 wieder eines.

   Die k. k. Regierung trete dafür ein, daß für die Ausgestaltung des Heeres das
Möglichste getan werde. Um die parlamentarischen Schwierigkeiten richtig ein¬
zuschätzen, müsse man aber die großen Auslagen derjüngsten Vergangenheit und
die wirtschaftliche Depression sowie die Konkurrenz mit anderen Anforderun¬
gen, wie zum Beispiel für die bosnischen Bahnen berücksichtigen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident könnte dem nicht beistim¬
men, daß man in wenigen Jahren wieder mit einem neuen Wehrgesetze komme.
Die ungarische Regierung müsse sich dagegen verwahren, daß solche wieder
aufs Tapet kommen, ohne daß sich die Weltlage verschlechtere. Er halte es auch
politisch nicht für zweckmäßig, Italien gegenüber besondere Sicherungsmaßre¬
geln zu treffen.

   Der Vorsitzende sieht keinen Grund zu einer Verschlechterung unse¬
rer Beziehungen zu Italien in den nächsten Jahren. Er könne also die projektierten
Maßnahmen nicht als wünschenswert und vom politischen Standpunkte aus als
nicht begründet bezeichnen, militärisch könne er natürlich keine Verantwortung
übernehmen.

   Der Chef des Generalstabes sagt, daß man die militärischen
Maßnahmen nie von politischen Rücksichten auf andere abhängig machen sollte.
Man brauche da nur auf Italien zu verweisen. Wir müssen unsere Nachbarn ge¬
wöhnen, an den ruhigen Ausbau unserer Wehrmacht.

   Der k. k. Finanzminister erklärt, daß die Übernahme jeder neuen
Belastung verheerenden Eindruck auf die finanzielle Lage ausübe. Seit 1909 habe
man fort und fort ungeheuere Lasten übernommen. Insgesamt sind rund 1200
Millionen außerhalb des normalen Budgets in der Zeit von 1909 bis 1914 inklu¬
sive für Militärzwecke teils bereits verausgabt teils beschlossen. Hiezu komme
der Rest der Ausgaben anläßlich der politischen Wirren, die neuen Rekruten, die
analogen Ausgaben in den Landwehren und das neue Flottenprogramm. Dies al¬
les sei eine Aufgabe, die zu bewältigenjeder Beschreibung spotte. Kreditpolitisch
stünden wir ebenfalls schlecht. Wir haben, Österreich und Ungarn zusammenge-
rechnet, 900 Millionen Schatzscheine ausgegeben. Zur militärischen muß auch
die finanzielle Schlagfertigkeit kommen. Er müsse daher gleichfalls bitten, die
Auslagen aufdas Unabweisliche zu beschränken. Freudig begrüße er die Ausdeh¬
nung des Programmes des Kriegsministers auf fünf Jahre.

   Der kgl. ung. Finanzminister bezeichnet die Mehrbelastung
im Falle alle Forderungen zugestanden würden einschließlich der Landwehren
und der Sanierungen im Staatsbudget Ungarns pro 1914/1915, gegenüber 1913
mit 61 Millionen. Was das bedeutet, beweise der Umstand, daß die reichste Ein¬
nahme, die Branntweinsteuer, 120 Millionen trage, also zum Beispiel um 50 %
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913  619

erhöht werden müßte. Er wäre daher für jede ersparte Million dankbar und bitte
um größere Reduktionen, namentlich in den ersten Jahren.

    Nach einer weiteren längeren Diskussion wird folgender Beschluß gefaßt:
    Im Rüstungskredite werden von den Kosten jener Maßnahmen, welche mit 1.
Oktober noch nicht getroffen sind, reduziert:
    ad Post 5: 3 080 000 auf 2 553 000 K;
    ad Post 6: 6,1 Millionen auf 3,5 Millionen;
    ad Post 24: Diese Post per 15 400 000 K mit einer zweijährigen Verwendungs¬
dauer wird nicht vor 1. Jänner 1914 angesprochen.
    ad Post 25: 30 Millionen auf 10,1 Millionen, welch letztere in einer separaten
Nachtragskreditvorlage anzufordem sind.
    Die Kosten des Haubitzenmateriales werden nach Maßgabe der Neuformation
der Haubitzenregimenter verlangt werden, was 1915/1916 das erste Mal der Fall
sein dürfte.

    Hinsichtlich der Beilage L der Vorlagen des Kriegsministeriums wurde das
Ordinarium von 12,1 auf 7,25 Millionen und das Extraordinarium von 17 auf 4,6
Millionen redziert.

    Hinsichtlich der Streichung von 4000 Mann wird dieselbe zur Kenntnis ge¬
nommen, der Kriegsminister behält sich jedoch vor, darüber noch im Laufe der
künftigen Woche mit den beiden Regierungen zu verhandeln und bemerkt, daß,
im Falle diese Streichung bliebe, er oder sein Nachfolger noch innerhalb der Gil¬
tigkeitsdauer des jetzigen Wehrgesetzes diese 4000 Mann wieder verlangen wür¬
den.

   Der k. k. Finanzminister bringt nun noch zur Sprache, daß er
gehört habe, es seien wiederholt Verträge mit Arrendatoren abgeschlossen wor¬
den, wobei gewisse Nebenleistungen, wie Bauten und dergleichen bedingt wur¬
den. Dagegen müsse man Stellung nehmen, weil dies eine Umgehung des Bud¬
gets bedeute und einen Nachteil für die Preisregulierung mit sich bringe. Die
Arrendatoren machen in einem Jahre eine Nebenleistung, in dem nächsten blei¬
ben ohne diese die Preise gleich.

   Der kgl. ung. Finanzminister schließt sich seinem österreichi¬
schen Kollegen an und erwähnt, daß zum Beispiel in den Preis für Konserven
auch eine Fabriksamortisation komme. Und die Fabriken würden so gebaut, daß
sie nach Ablauf des Vertrages nichts wert seien.

   Es werden nunmehr die Vorlagen des Ministeriums des Äußern, des gemeinsa¬
men Finanzministeriums und des gemeinsamen Obersten Rechnungshofes ange¬
nommen und wird beschlossen, daß die Auslagen für die Internierung türkischer
Truppen im Budget des Kriegsministeriums und jene für das Marinedetachement
beziehungsweise das Bataillon in Skutari im Voranschläge des Ministeriums des
Äußern nachgewiesen werden.

   Der Kriegsminister erklärt, daß er den nächsten Delegationen neben
dem in der bisherigen Form verfaßten Heeresbudget auch ein nach vereinfachten
Grundsätzen zusammengestelltes Präliminare vorlegen werde, damit diese Vertre-
<pb/>620 Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1913

tungskörper entscheiden, welcher von den beiden Altematiworschlägen künftig
angewendet werden soll. Das Muster dieses vereinfachten Präliminares werde
keine Standesziffem enthalten und ausdrücklich als ,,Muster&quot; bezeichnet werden.

   Der k. k. Finanzminister und der k. k. Ministerprä¬
sident betonen, daß bei diesem Vorgang jede Mißdeutung, als ob ein doppel¬
tes und alternatives Budget eingebracht werden sollte, sorgfältig auszuschließen
und höchstens ein Schema der neuen vereinfachten Zusammenstellung in der De¬
legation zur Einholung einer prealablen Wohlmeinung dieser Körperschaft als
Anregung vorzulegen wäre.

   Es wird nun zu den Vorlagen der Marine übergegangen und erklärt der Ma¬
rinekommandant, daß man aus dem Budget nicht ersehe, in was für
einer Misere die Marineverwaltung lebe. Bei seinem Amtsantritte habe er den
Entwurf eines Voranschlages vorgefimden, der um sieben bis acht Millionen hö¬
her gewesen sei, als die kontingentierte Ziffer nach dem Schönaichischen Über¬
einkommen. Admiral GrafMontecuccoli habe seinerzeit eine Erhöhung von jähr¬
lich 6 Vi Millionen verlangt, 4 x/i Millionen seien ihm in Aussicht gestellt worden,
die zur Not den Bedürfnissen genügt hätten, faktisch habe er 1 Vi Millionen erhal¬
ten. Nun sei der Präsenzstand der Marine um 2000 Mann erhöht worden, die
größeren Schiffe verlangen größere Erhaltungskosten und so habe sich von Jahr
zu Jahr ein höheres Defizit eingestellt, es sei daher nicht ausgeführt worden, was
dringend notwendig war. Er habe eingesehen, daß diese sieben bis acht Millionen
nicht durchzubringen seien und daher alles gestrichen, was nur irgend möglich
war. Um Ersparungen zu erzielen, habe er die Sommermanöver aufgegeben, das
feldmäßige Schießen usw. eingestellt.

   Admiral Haus beweist nun, daß er mit diesen 1 Vi Millionen das Auslangen
unmöglich finden könne und gibt verschiedene Aufklärungen über das Flugwe¬
sen. Hierauf werden die Marinevorlagen unverändert angenommen.

   Der Marinekommandant bespricht ferner die Notwendigkeit eines weiteren
außerordentlichen Kredites für den Ausbau der Flotte und die Beschaffung der
erforderlichen Akzessorien. Die Monarch-Klasse müsse ersetzt werden. In der
ganzen Welt verstehe man nicht, weshalb wir damit warten. Admiral Haus weist
darauf hin, welchen anderen Ausgang der Balkankrieg genommen hätte, wenn
die Türkei auch nur zwei Dreadnoughts gehabt hätte. Er begründet die Notwen¬
digkeit des raschen Baues von vier Schlachtschiffen, drei Kreuzern, sechs Torpe¬
dofahrzeugen, 2 Donaumonitoren und eines Lebensmitteltransportdampfers.

    Er habe zwar im Hinblicke auf die Erklärungen der ungarischen Regierungen
auf Befehl Sr. Majestät davon Abstand genommen, einen Dreadnought durch das
Stabilimento auf dessen Risiko bauen zu lassen,17 jedoch habe er den beteiligten
Firmen in großen Zügen von den Plänen Mitteilung gemacht, so daß dieselben in
der Lage sind, 1 !4 Monate nach der Bestellung mit dem Baue zu beginnen und
denselben in drei Jahren zu beenden.

17 Siehe dazu GMR. v. 14. 5. 1913, GMKPZ. 507.
<pb/>Nr. 44 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. JO. 1913  621

    Der kgl. ung. Finanzminister betont gegenüber dem Plane des
 Marinekommandanten, daß, wenn so schnell gebaut werden würde, von Mitte
 1917 an 180 Millionen Schulden vorhanden wären, was abgesehen von allem
 anderen die Folge hätte, daß die in Betracht kommenden Finanzinstitute genötigt
 seien ihre Barvorräte in Anspruch zu nehmen.

    Der k. k. Finanzminister bringt die hinsichtlich der Bedürfnisse
 der Marineverwaltung in dem gemeinsamen Ministerrate vom 9. Oktober 1912
gefaßten Beschlüsse in Erinnerung,18 wonach in den Delegationen erklärt wurde,
daß rechtzeitig ein Kredit zum Ersätze der Monarch-Klasse in Anspruch genom¬
men werden wird, so daß nach Ablauf der Kreditbewilligungsfrist der 312,4 Mil¬
lionen mit dem Baue der neuen Schiffe begonnen werden kann und der Ausbau
der neuen Schififsdivision vom Jahre 1915 angefangen sichergestellt erscheint.
Herr v. Zaleski sagt weiter, daß kein Grund vorhanden sei, von diesem Beschlüs¬
se abzugehen.

    Hierauf beantragt der kgl. ung. Finanzminister folgende Än¬
derung in dem Plane des Marinekommandanten:

    In der Kreditperiode 1914/1915 werden 45 Millionen bewilligt, 1915 bis 1918
je 100 Millionen, zusammen 300 Millionen, 1918 bis 1919 81 836 000 Kronen,
in Summa der von der Marineverwaltung geforderte Betrag von 426 836 000
Kronen. Diese Kredite würden in diesen Raten geleistet und dürfe nur nach deren
Maßgabe gebaut werden. Von der Betrauung eines weiteren Etablissements außer
Stabilimento und Danubius mit dem Baue von Dreadnoughts wäre abzusehen.
Die Quote von 45 Millionen käme nicht vor dem 1. Jänner 1915 zur Auszah¬
lung.

   Der Antrag Dr. Teleszkys wird angenommen.

   Der k. k. Ministerpräsident erörtert die Frage der bosnischen
Bahngesetze. Dieselben seien wegen der Ereignisse des vorigen Jahres verscho¬
ben worden und gibt er seiner Meinung dahin Ausdruck, daß man mit dem Baue
wegen dieser Ereignisse sowie nach dem Stande der technischen Vorarbeiten,
endlich wegen der Schwierigkeit der Finanzierung auch kaum begonnen hätte,
selbst wenn die Gesetze beschlossen worden wären. Im österreichischen Abge¬
ordnetenhause sei die Erledigung gewiß nicht eine leichte Arbeit. Man dürfe nicht
übersehen, daß man in verhältnismäßig kurzer Zeit acht Militärgesetze habe
durchbringen müssen. Die Vorlagen entsprechen auch nicht in jeder Beziehung
den Wünschen des österreichischen Parlamentes, das doch eine Bewilligung für
60 Jahre mit dem quotenmäßigen Anteile vonje 10 Millionen zu erteilen habe. Es
wird nun beschlossen, daß beide Regierungen diese Gesetze im Laufe des Herb¬
stes gleichzeitig einbringen, daß die Vorlagen aber nicht unbedingt gleichzeitig
verhandelt werden müssen. Da Graf Tisza aufmerksam macht, daß man
durch ein beschleunigtes Tempo in Ungarn vielleicht einen gewissen Druck auf
das österreichische Parlament ausüben könne, daß man aber in Ungarn die ganze

18 GMR. v. 8. und 9. 10. 1912, GMKPZ. 497.
<pb/>622 Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. 11. 1913

Sache als eine gerade für Ungarn vorteilhafte darstellen müsse, was der öster¬
reichischen Regierung möglicherweise nicht angenehm sein dürfte, so behält sich
Graf Stürgkh vor, auf die taktische Frage der gleichzeitigen oder getrenn¬
ten Behandlung noch zu antworten, und dankt dem kgl. ung. Ministerpräsidenten
für sein in dieser Angelegenheit bewiesenes Entgegenkommen, von dem er Ge¬
brauch mache. Als Reflexion möchte er nur noch bemerken, daß vom rein militä¬
rischen Standpunkte betrachtet das ganze vor die Delegationen gehört hätte, wo
es leichter durchzubringen gewesen wäre.

   Graf Berchthtold erbittet sich noch die Zustimmung, in das Budget
1914/1915 einen Betrag von 38 900 Kronen an Telegrammkosten anläßlich der
Übermittlung von Depeschen des Telegraphenkorrespondenzbüros an die Regie¬
rung in Albanien, welche darum gebeten habe, einstellen zu dürfen.

   Diese Zustimmung wird erteilt. Es wird hierauf beschlossen, bei Sr. Majestät
die Einberufung der nächsten Delegation für ungefähr Mitte November in au.
Antrag zu bringen.19 Die zweitnächsten Delegationen wurden für Jänner 1914 in
Aussicht genommen.

   Nunmehr schließt der Vorsitzende die Sitzung um 10 Uhr abends.
                                                                                             Berchtold

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 10. November 1913. Franz Joseph.

      Nr. 45 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. November 1913

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Tisza, derk. u. k. gemeinsame Finanzminister Ritter v. Bilinski (13. 12.), derk. u. k. Kriegsminister
FZM. Ritter v. Krobatin (15. 12.), der kgl. ung. Finanzminister Dr. Teleszky, der k. u. k. Marineko¬
mmandant Admiral Haus, der Leiter des k. k. Finanzministeriums Sektionschef Freiherr v. Engel.
     Schriftführer: Legationsrat Graf Hoyos.
    Tagesordnung: I. Datum der Delegation im Jahre 1914, II. Bosnische Bahnbauten, III. Titel der
bosnisch-herzegowinischen Beamten.

         Über Vortrag Berchtolds v. 24. 10. 1913 wurden mit den Handschreiben an Berchtold,
        Stürgkh und Tisza v. 25. 10. 1913 die Delegationenfür den 18. 11. 1913 nach Wien einberu¬
        fen, HHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 2578/1913. Der Voranschlagfür das erste Halbjahr 1914 in
       Ka., MKSM., Karton 1117, Fasz. Voranschlag für die ersten sechs Monate des Jahres 1914.
        Mit Vortrag des gemeinsamen Ministeriums v. 4. 11. 1913 wurde die Einbringung des ge¬
        meinsamen Budgets in Antrag gebracht. Der Vortrag wurde mit Ah. E. v. 14. 11. 1913 resol-
         viert, HHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 2741/1913. Nach der Annahme des Budgets durch die
        Delegationen wurde es über Vortrag Berchtolds v. 28. 12. 1913 mit Ah. E. v. 30. 12. 1913
        sanktioniert, ebd., KZ. 3120/1913.
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