MRP-2-0-06-0-19120314-P-0027.xml

|

Gemeinsamer Ministerrat, 14. 3. 1912

I. Beratung des Entwurfes einer neuen Verordnung, betreffend die Stellung des Landeschefs von Bosnien und der Herzegowina

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z27.pdf.

Nr. 27 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1912            431

        Nr. 27 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. März 1912

   RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. u. k. Kriegsminister GdI. Ritter v. Auffenberg, der k. u. k. gemeinsame
Finanzminister Ritter v. Bilihski1 (26. 3.), der Landeschef von Bosnien und der Herzegowina Arme¬
einspektor FZM. Potiorek.
    Protokollführer: Legationsrat Friedrich Graf Szapary.
    Gegenstand: Beratung des Entwurfes einer neuen Verordnung, betreffend die Stellung des Lan¬
deschefs von Bosnien und der Herzegowina.

   KZ. 25-GMKPZ. 491
   Protokoll des zu Wien am 14. März 1912 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Ministers des k. u. k. Hauses
und des Äußern Grafen Berchtold.2

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit dem Hinweis auf die Bespre¬
chungen, welche in letzter Zeit zwischen dem Landeschef von Bosnien und der
Herzegowina Armeeinspektor FZM. Potiorek und den gemeinsamen Ministem
über verschiedene die bosnisch-herzegowinische Verwaltung betreffende Fragen
stattgefunden haben.3 Eine dieser Fragen sei die Regelung der Stellung des Lan¬
deschefs von Bosnien und der Herzegowina und diese bilde den Gegenstand der
heutigen Ministerkonferenz. Der Vorsitzende erteilt dem k. u. k. gemeinsamen
Finanzminister Ritter v. Bilihski das Wort zur Stellung seiner diesbezüglichen
Anträge.

   Der gemeinsame Finanzminister erörtert die Geschichte der
Verordnungen, durch welche die Stellung und der Wirkungskreis des Landes¬
chefs von Bosnien und der Herzegowina geregelt sei. Die bezügliche Verordnung
vom Juli 18824 scheine aus politischen Gründen eine Fassung erhalten zu haben,
welche den Eindruck erwecken sollte, daß die militärische Verwaltung Bosniens
und der Herzegowina ihr Ende gefunden habe. Dies führte zu einer Teilung der

Mit Handschreiben v. 20. 2. 1912 wurde Buridn als gemeinsamer Finanzminister entlassen
und mit Handschreiben vom selben Tag Bilihski zum neuen gemeinsamen Finanzminister
ernannt, beides in HHStA., Kabinetts Archiv, Geheimakten, Karton 40, Fasz. B Gemeinsa¬
me Finanzminister, Z. B-3-c/1912.
Berchtold war mit Handschreiben v. 17. 2. 1912 zum Minister des kaiserlichen und königli¬
chen Hauses und des Äußern ernannt worden, nachdem der todkranke Aehrenthal mit Hand¬
schreiben vom selben Tag aufsein Ansuchen hin enthoben worden war, beides in ebd., Fasz.
A Minister des Äußern, Z. B-2-c/1912. Aehrenthal war noch am selben Tag verstorben.
Die erwähnten Besprechungen konnten in HHStA., PA. I, CdM. und der Admin. Reg. nicht
gefunden werden.
Der Vortrag Källays v. 27. 7. 1882 über die Verordnung derpolitischen Verwaltung Bosnien-
Herzegowinas war mit Ah. E. v. 29. 7. 1882 resolviert worden, HHStA., Kab Kanzlei, KZ.
2979/1882.
<pb/>432 Nr. 27 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1912

Machtvollkommenheiten zwischen den militärischen Autoritäten und den Funk¬
tionären der Zivilverwaltung. Diese Teilung wurde nun seit vielen Jahren auf¬
recht erhalten, doch war es nicht zu vermeiden, daß ein Landeschef, welcher
seine Stellung ernst nimmt, hiedurch mit den Zivilbehörden in Kollisionen gera¬
te. Der gegenwärtige Landeschef habe gleich bei Antritt seines Amtes die Über¬
zeugung gewonnen, daß diese Verhältnisse zu Unzukömmlichkeiten Anlaß ge¬
ben. Es wurden demnach aufseineVeranlassung ,,Erläuterungen undErgänzungen&quot;
zur damals in Geltung stehenden Verordnung über die Stellung des Landeschefs
herausgegeben,5 welche jedoch nur den gemeinsamen Ministem, nicht aber den
beiden Regierungen zur Kenntnis gebracht wurden.

   Nunmehr habe Landeschef Armeeinspektor FZM. Potiorek sich neuerlich an
ihn - den gemeinsamen Finanzminister - und den Kriegsminister Ritter v. Auf-
fenberg gewendet und in mehrfachen Besprechungen ein Projekt zur Erörterung
gestellt, welches sich auf die verschiedensten Fragen der bosnisch-herzegowini-
schen Verwaltung erstreckt. Aus dem Komplex dieser Fragen stehe nun vorläufig
nur jene zur Diskussion, welche die Stellung des Ziviladlatus gegenüber dem
Landeschef zum Gegenstände habe. Da auch die Mitglieder des bosnisch-herze-
gowinischen Landesrates dem lebhaften Wunsche Ausdruck gegeben hätten, daß
die Stellung des Landeschefs entsprechend ausgestaltet werde, stelle sich die Re¬
gelung dieser Angelegenheit als besonders dringlich dar, weshalb er beantrage,
daß diesbezüglich ehetunlichst eine Verordnung des nachfolgenden Inhaltes er¬
lassen werde:

   ,,Verordnung über den Wirkungskreis des Landeschefs von Bosnien und der
Herzegowina und dessen Stellvertreter.

   § 1. Die oberste Leitung der Landesregierung (§ 1, Absatz 2 des Landesstatu¬
tes) ruht in den Händen des Landeschefs, welcher dem mit der Leitung der bos-
nisch-herzegowinischen Verwaltung betrauten gemeinsamen Minister unterstellt
und verantwortlich ist. Ihm allein und ausschließlich obliegt die Leitung und
Führung der Politik in Bosnien-Herzegowina gemäß der durch den ihm Vorge¬
setzten gemeinsamen Minister gegebenen Richtlinien; kein anderer Funktionär
der Landesregierung ist befugt, in politischen Angelegenheiten etwas anderes zu
tun, als die Aufträge des Landeschefs auszufiihren. Letzterer hat auch den Vorsitz
in der Regierungskonferenz.

   Der Landeschef fuhrt gleichzeitig als Armeeinspektor den militärischen Ober¬
befehl im Bereiche des 15. und 16. Korps und untersteht in dieser Eigenschaft für
seine Person direkte Sr. kaiserlichen und königlich Apostolischen Majestät.

   § 2. Der zum Landeschefstellvertreter (früher Ziviladlatus) ernannte höchste
Zivilbeamte ist dem Landeschef direkt unterstellt und muß mit sämtlichen Agen¬
den der Landesregierung stets in jeder Hinsicht vertraut sein, da er berufen ist, in

5 Auf Vortrag Buridns v. 28. 5. 1911 wurden die Erläuterungen und Ergänzungen mit Ah. E. v.
        31. 5. 1911 resolviert, ebd., KZ. 1756/1911.
<pb/>Nr. 27 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1912  433

Abwesenheit oder sonstiger Dienstesverhinderung des Landeschefs die Leitung
der Landesregierung zu übernehmen.

   Der Stellvertreter des Landeschefs fungiert nach den Weisungen des letzteren
als oberster Regierungsvertreter im Landtage, doch steht es dem Landeschef zu,
auch andere Beamte der Landesregierung mit der Vertretung der Regierung im
Landtage zu betrauen. Der Stellvertreter leitet ebenfalls nach den Weisungen des
Landeschefs den laufenden Dienst bei der Landesregierung hinsichtlich jener
Agenden, welche nicht in dem dem Landeschefunmittelbar untergeordneten Prä¬
sidialbüro der Landesregierung bearbeitet werden oder deren Erledigung sich der
Landeschefnicht im Wege direkten Referates der Abteilungsvorstände vorbehält.
In diesen der unmittelbaren Entscheidung des Landeschefs unterworfenen Ange¬
legenheiten fallt dem Stellvertreter die Vorapprobation aller Akten zu.

   In jenen Angelegenheiten, in welchen sich der Landeschef die Entscheidung
nicht selbst vorbehält, erfolgt die Approbation und Fertigung der Geschäftsstücke
durch den Stellvertreter oder gemäß der Geschäftsordnung der Landesregierung
durch andere hiezu befugte Beamte dieser Behörde.

   § 3. Alle Ernennungen von Beamten und Angestellten der Zivilverwaltung,
insofeme sie von Sr. Majestät oder dem Minister definitiv oder provisorisch der
Landesregierung übertragen werden, erfolgen durch den Landeschef; ebenso
werden alle anderen Anträge aufVerleihung von Dienstposten und Auszeichnun¬
gen sowie sonstige Gnadenanträge vom Landeschef dem Ministerium vorgelegt.

   § 4. Über das Gendarmeriekorps sowie über alle für diesen Dienst bestimmten
Organe verfugt der Landeschef als oberster Leiter der Landesregierung.&quot;

   Der gemeinsame Finanzminister unterzieht nunmehr den Inhalt dieser Verord¬
nung einer eingehenden Vergleichung mit jenem der heute in Geltung stehen¬
den.

   Ritter v. Bilihski führt sodann des weiteren aus, daß, indem er sich gestatte, die
Annahme des vorstehenden Entwurfes durch die Ministerkonferenz zu empfeh¬
len, auch noch die formelle Frage erörtert werden müsse, ob die Zustimmung der
beiden Regierungen zu demselben eingeholt werden solle. Er sei immer bestrebt
gewesen, die Gesetze vom Jahre 18806 ihrem Geiste nach zu interpretieren. Im
Sinne dieser Gesetze sollen die in der Verwaltung Bosniens und der Herzegowina
zur Anwendung kommenden Prinzipien dem Geiste der die gemeinsamen Ange¬
legenheiten der Monarchie regelnden Gesetze entsprechen. Durch die den Regie¬
rungen der beiden Staaten bei Abfassung des Landesstatuts für Bosnien und die
Herzegowina auf die Verwaltung des Landes eingeräumte Ingerenz sei man über
die in den 1880er Gesetzen ausgesprochenen Intentionen weit hinausgegangen.
Nach seiner Ansicht könnte die vorgeschlagene Neuregelung auch ohne Zustim¬
mung der beiden Regierungen vorgenommen werden; um jedoch nachträgliche
Unannehmlichkeiten zu vermeiden, glaube er beantragen zu sollen, daß der Mi¬
nisterrat die Erlassung der neuen Verordnung beschließe und daß dieser Beschluß

Für Cisleithanien als Gesetz v. 22. 2. 1880, RGBl. Nr. 18/1880, /wr Ungarn GA. VI/1880.
<pb/>434 Nr. 27 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1912

vor Einholung der Ah. Sanktion den beiden Regierungen mit dem Ersuchen um
Zustimmung mitgeteilt werde. Er behalte sich übrigens vor, das Verhältnis der
beiden Regierungen zur Verwaltung Bosniens und der Herzegowina bei anderer
Gelegenheit einer eingehenderen Besprechung zu unterziehen.7

   Landeschef FZM. Potiorek verweist darauf, daß im Hinblicke
auf den Umstand, daß die beiden neueren Verordnungen über die Stellung des
Landeschefs ohne Befragung der beiden Regierungen Ah. genehmigt worden sei¬
en, es sich empfehlen werde, die beiden Regierungen bei dieser Gelegenheit dar¬
auf aufmerksam zu machen, daß zwei auf diesen Gegenstand bezügliche Ah. Ent¬
schließungen erflossen seien, durch welche ein fait accompli geschaffen werde.
Übrigens gehe alles, was in der neuen Verordnung enthalten sei, schon aus den
,,Ergänzungen und Erläuterungen&quot; hervor, bis auf die Aufhebung des direkten
Berichterstattungsrechtes des Ziviladlatus an das gemeinsame Finanzministeri¬
um. Keinesfalls solle man aber den beiden Regierungen verschweigen, daß schon
Ah. Entschließungen im Gegenstände vorliegen.

   Der gemeinsame Finanzminister erklärt sich mit dieser Auf¬
fassung einverstanden.

   Der Vorsitzende stimmt diesem Vorschläge gleichfalls zu und ver¬
weist hiebei auf den Paragraph 2 der Gesetze vom Jahre 1880, in welchem den
Regierungen die Einflußnahme aufdie Prinzipien der bosnisch-herzegowinischen
Verwaltung zugesprochen werde. Eine Rücksichtnahme auf diese gesetzliche Be¬
stimmung sei im vorliegenden Falle umsomehr am Platze, als sich jetzt schon
eine Kampagne in dem Sinne fühlbar mache, als ob die gemeinsame Regierung
in den Angelegenheiten Bosniens und der Herzegowina ihren Wirkungskreis
überschreiten würde. Auf eine Bemerkung des k. u. k. Kriegsministers zum Text
der vorgeschlagenen Verordnung beschließt die Konferenz, im Paragraph 1 des
Entwurfes an Stelle des Ausdruckes ,,mit der Leitung der bosnisch-herzegowini¬
schen Verwaltung betrauten gemeinsamen Finanzminister&quot; den Ausdruck ,,...be¬
trauten gemeinsamen Minister&quot; zu setzen.

   Der gemeinsame Finanzminister erklärt, daß er die vorherige
Befragung der beiden Regierungen für notwendig halte, und zwar vor Einholung
der Ah. Vorsanktion, um den Schein einer Pression zu vermeiden. Er würde daher
vorschlagen, eine Note an beide Regierungen zu richten, laut welcher die Interes¬
sen der bosnisch-herzegowinischen Verwaltung es dringend erheischen, daß die
einschlägigen Verhältnisse im Sinne der in Rede stehenden Verordnung geregelt
werden.

   Es entspinnt sich nunmehr eine längere Debatte über den dem Ziviladlatus
beizulegenden neuen Titel. Die Konferenz entscheidet sich für die Bezeichnung
,,Landeschefstellvertreter&quot;.

7 Diese eingehendere Besprechung des Verhältnisses der beiden Regierungen zur Verwaltung
        von Bosnien-Herzegowinafand nicht statt.
<pb/>Nr. 27 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 3. 1912  435

   Der gemeinsame Finanzminister greift nunmehr nochmals auf die schon frü¬
her aufgeworfene Frage zurück, ob den beiden Regierungen mitgeteilt werden
solle, daß seit dem Jahre 1882 schon zwei Ah. genehmigte gegenständliche Ver¬
ordnungen erlassen worden seien.

   Armeeinspektor FZM. Potiorek spricht sich für eine solche
Mitteilung aus, weil, im Falle die ungarische Regierung sich für die Beibehaltung
der Verordnung vom Jahre 1882 erklären sollte, die Existenz der beiden gehei¬
men Verordnungen dann nachträglich bekannt gegeben werden müsse.

   Der Vorsitzende regt nunmehr eine nochmalige Vergleichung des In¬
haltes der ,,Erläuterungen und Ergänzungen&quot; mit jenem der neuen Verordnung
an, um festzustellen, ob die letztere tatsächlich einschneidende Veränderungen
enthalte.

   Bei Vornahme dieser Vergleichung konstatiert FZM. Potiorek, daß
die wesentlichsten Neuerungen in den ,,Ergänzungen und Erläuterungen&quot; enthal¬
ten sind und daß nur die Aufhebung der direkten Berichterstattung des Ziviladla-
tus ein Novum bildet.

   Der gemeinsame Finanzminister bemerkt, daß die den Ge¬
genstand der Beratung bildende Verordnung bloß eine Umstilisierung und klare
Zusammenfassung der bisherigen Bestimmungen in vier Paragraphe enthalte.
Bezüglich des weiteren modus procedendi schlägt er vor, die Einholung der Ah.
Genehmigung zu verschieben, bis beide Regierungen zum Entwürfe Stellung ge¬
nommen hätten und behufs Ausübung eines Druckes auf deren Entschließungen
denselben bekanntzugeben, daß bereits zwei neuere Ah. genehmigte interne Ver¬
ordnungen in Kraft stehen. Dieser Vorschlag wird zum Beschlüsse erhoben.8

   Der Vorsitzende richtet an den gemeinsamen Finanzminister die
Frage, welche Schritte er in Betreff der anderen Bosnien und die Herzegowina
betreffenden Angelegenheiten, deren Ordnung er anstrebe, zu unternehmen ge¬
denke.

   Der gemeinsame Finanzminister erklärt, daß er im Begriffe
stehe, eine Note an beide Regierungen zu richten, in welcher die gesamte Eisen-
bahnffage, die finanzielle Frage und so weiter aufgerollt werde, so daß beide
Ministerpräsidenten in die Lage kommen würden, zu diesem ganzen Fragenkom¬
plex Stellung zu nehmen. Sollten die beiden Regierungen den in dieser Note ent-

Mit den Schreiben (Abschrift) Bilihskis v. 15. 3. 1912 an beide Ministerpräsidenten wurde
ihnen der Verordnungsentwurfbekannt gegeben, Ka., KM., Präs. 81-22/1/1912. Der Vortrag
Bilihskis v. 25. 3. 1912 wurde von Franz Joseph mit Ah. E. v. 1. 4. 1912 resolviert, HHStA.,
Kab. Kanzlei, KZ. 763/1912, publiziert als Verordnung des k. u. k. Finanzministeriums in
Angelegenheiten Bosniens und der Hercegovina vom 4. April 1912, Z. 570/Pr. B. H. über den
Wirkungskreis des Landeschefs von Bosnien und der Hercegovina und dessen Stellvertreter
in Gesetz- und Verordnungsblatt für Bosnien und die Hercegovina Nr. 27/1912. Die Frage
über die Organisation und den Wirkungskreis der Landesregierung für Bosnien und die Her¬
cegovina kam in der Besprechung der gemeinsamen Minister v. 21. 5. 1912 zur Sprache,
Ergänzendes Protokoll anderer Provenienz VI dieses Bandes.
<pb/>436 Nr. 27a Verordnung über den Wirkungskreis des Landeschefs von Bosnien-Herzegowina

haltenen Anträgen nicht zustimmen, gedenke er, Sr. k. u. k. apost. Majestät dar¬
über Vortrag zu erstatten und eventuell die Abhaltung eines gemeinsamen
Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze vorzuschlagen. Er glaube, in einigen Tagen
in der Lage zu sein, den Wortlaut dieser Note den gemeinsamen Ministem zur
Verfügung stellen zu können9.

   Der Vorsitzende erklärt nunmehr mit dem Hinweise darauf, daß der
Gegenstand der heutigen Beratung erschöpft sei, die Sitzung für geschlossen.

                                                               Berchtold

Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, am 10. Mai 1912. Franz Joseph.

     Nr. 27a Verordnung über den Wirkungskreis des Landeschefs
                              von Bosnien-Herzegowina

    Verordnung über den Wirkungskreis des Landeschefs von Bosnien-Herzegowina und dessen
Stellvertreter.

   § 1. Die oberste Leitung der Landesregierung (§ 1, Absatz 2 des Landesstatu¬
tes) ruht in den Händen des Landeschefs, welcher den mit der Leitung der bos-
nisch-herzogowinischen Verwaltung betrauten gemeinsamen Minister unterstellt
und verantwortlich ist. Ihm allein und ausschließlich obliegt die Leitung und
Führung der Politik in Bosnien-Herzegowina gemäß der durch den ihm Vorge¬
setzten gemeinsamen Minister gegebenen Richtlinien; kein anderer Funktionär
der Landesregierung ist befugt in politischen Angelegenheiten etwas Anderes zu
tun, als die Aufträge des Landeschefs auszuftihren. Letzterer hat auch den Vorsitz
in der Regierungskonferenz.

   Der Landeschef fuhrt gleichzeitig als Armeeinspektor den militärischen Ober¬
befehl im Bereiche des 15. und 16. Korps und untersteht in dieser Eigenschaft für
seine Person direkte Sr. k. u. k. Apostolischen Majestät.

   § 2. Der zum Landeschefstellvertreter (früher Ziviladlatus) ernannte höchste
Zivilbeamte ist dem Landeschef direkt unterstellt und muß mit sämtlichen Agen¬
den der Landesregierung stets in jeder Hinsicht vortraut sein, da er berufen ist, in
Abwesenheit oder sonstiger Dienstesverhindemng des Landeschefs die Leitung
der Landesregierung zu übernehmen.

Schreiben (Abschrift) Bilihskis an Stürgkh v. 18. 3. 1912, mit dem Bilihski die in GMR. v. 28.
und 29. 10. 1911, GMKPZ. 488, erzielte Eisenbahneinigung wegen Forderungen des bos-
nisch-herzegowinischen Landtages und derparlamentarischen Schwierigkeiten in Cisleitha-
nien bei dieser Frage modifizieren musste, Fa., FM., allg., Z. 23142/1912; die bosnische Ei¬
senbahnfrage wurde in GMR. v. 14. 4. 1912, GMKPZ. 492,fortgesetzt.
<pb/>Nr. 27b Tagesbericht v. 16. 3. 1912  437

   Der Stellvertreter des Landeschefs fungiert nach den Weisungen des Letzteren
als oberster Regierungsvertreter im Landtage, doch steht es dem Landeschef zu,
auch andere Beamte der Landesregierung mit der Vertretung der Regierung im
Landtage zu betrauen. Der Stellvertreter leitet ebenfalls nach den Weisungen des
Landeschefs den laufenden Dienst bei der Landesregierung hinsichtlich jener
Agenden, welche nicht in dem dem Landeschefunmittelbar untergeordneten Prä¬
sidialbüro der Landesregierung bearbeitet werden oder deren Erledigung sich der
Landeschefnicht im Wege direkten Referates der Abteilungsvorstände vorbehält.
In diesen der unmittelbaren Entscheidung des Landeschefs unterworfenen Ange¬
legenheiten fällt dem Stellvertreter die Vorapprobation aller Akten zu.

   In jenen Angelegenheiten, in welchen sich der Landeschef die Entscheidung
nicht selbst vorbehält, erfolgt die Approbation und Fertigung der Geschäftsstücke
durch den Stellvertreter oder gemäß der Geschäftsordnung der Landesregierung
durch andere hiezu befugte Beamte dieser Behörde.

   § 3. Alle Ernennungen von Beamten und Angestellten der Zivilverwaltung,
insofeme sie von Sr. Majestät oder dem Minister definitiv oder provisorisch der
Landesregierung übertragen worden, erfolgen durch den Landeschef; ebenso
werden alle anderen Anträge auf Verleihung von Dienstposten und Auszeichnun¬
gen sowie sonstige Gnadenanträge vom Landeschef dem Ministerium vorgelegt.

   § 4. Über das Gendarmeriekorps sowie über alle für diesen Dienst bestimmten
Organe verfügt der Landeschef als Leiter der Landesregierung.

                       Nr. 27b Tagesbericht v. 16. 3.1912

    Geheim

   Tagesbericht 16. 3. 1912

   Die am 14. März 1912 abgehaltene gemeinsame Ministerkonferenz hatte die
Abänderung der den Wirkungskreis des Landeschefs von Bosnien-Herzegowina
und dessen Stellvertreters regelnden Verordnungen zum Gegenstände.

   Gemeinsamer Finanzminister Ritter v. Bilihski verliest und erklärte den Ent¬
wurf einer aus vier Paragraphen bestehenden Verordnung, dessen Wortlaut die
Machtvollkommenheiten des Landeschefs klarer präzisiert, als dies in der zur
gegenwärtig in Geltung stehenden diesbezüglichen Verordnung erlassenen ,,Er¬
gänzungen und Erläuterungen&quot; der Fall ist. Insbesondere würde der neue Entwurf
die absolute Unterordnung des Ziviladlatus, für welchen der Titel ,,Landeschef¬
stellvertreter&quot; vorgeschlagen wird, unzweideutig zum Ausdruck bringen. Merito-
risch enthielte die in Vorschlag gebrachte Verordnung außer dieser Titeländerung
nur ein neues die Befugnisse des Ziviladlatus erweitertes Moment, indem in Hin¬
kunft das Recht der direkten Berichterstattung des letzteren an das gemeinsame
Finanzministerium aufgehoben würde.
<pb/>438 Nr. 28 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 4. 1912

   Der Entwurf fand die Zustimmung des Ministerrates ebenso wie der vom ge¬
meinsamen Finanzminister vorgeschlagene weitere modus procedendi, daß näm¬
lich vor Einholung der Ah. Sanktion für die geplante Neuregelung die Zustim¬
mung der beiden Regierungen zu derselben eingeholt und diese gleichzeitig über
die schon früher diesbezüglich getroffenen bisher geheim gehaltenen Ah. Verfü¬
gungen informiert werden sollen.

         Nr. 28 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. April 1912

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Khuen-Hederväry, der k. k. Ministerpräsi¬
dent Graf Stürgkh, der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister GdI. Ritter v. Auffenberg, der k. u. k.
gemeinsame Finanzminister Ritter v. Bilinski, der k. u. k. Marinekommandant und Chefdes Kriegs¬
ministeriums, Marinesektion, Admiral Graf Montecuccoli (4. 5.)
    Protokollführer: Legationsrat Friedrich Graf Szapäry.
    Gegenstand: Beratung über die Tagung der Delegationen. Der Vorschlag des kgl. ung. Minister¬
präsidenten, die Delegationen Ende April zur Votierung eines sechsmonatlichen Budgetprovisori¬
ums einzuberufen, wird mit dem Vorbehalte angenommen, daß ein weiterer Ministerrat knapp vor
dem Zusammentritt der Delegationen über die Möglichkeit einer definitiven Tagung entscheiden
solle.

   KZ. 26 - GMKPZ. 492
   Protokoll des zu Wien am 14. April 1912 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Ministers des k. u. k. Hauses
und des Äußern Grafen Berchtold.

    Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und bezeichnet als Gegenstand
der Beratung die Frage, ob die Ende des laufenden Monates wieder aufzuneh¬
mende Tagung der Delegationen eine definitive oder provisorische sein solle und
für den letzteren Fall, welche Geltungsdauer für das anzusprechende Budgetpro¬
visorium ins Auge zu fassen und in welcher Weise für jene Bedürfnisse des ge¬
meinsamen Budgets vorzusorgen sei, die über den Rahmen des Voranschlages
pro 1911 hinausgehen.1 Die gemeinsame Regierung habe diese Angelegenheit
einer eingehenden Erwägung unterzogen und sei zum Schlüsse gekommen, daß
die endgiltige Erledigung der Delegationssession angestrebt werden müsse. Nach
seinen Informationen teile die k. k. Regierung diese Auffassung, während der
Herr kgl. ung. Ministerpräsident derzeit eine definitive Tagung für unmöglich
halte. Der Vorsitzende ersucht den Grafen Khuen-Hederväry, die Gründe für sei¬
ne Stellungnahme der Konferenz zur Kenntnis bringen zu wollen.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident entspricht dieser Aufforde¬
rung, indem er darauf verweist, daß eine normale Tagung der Delegationen einen

         Das Budget pro 1912 kam zuletzt zur Sprache in GMR. v. 6. 12. 1911, GMKPZ. 490.
<pb/>