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Gemeinsamer Ministerrat, 1911-10-28; 1911-10-29

I. Ausgestaltung des bosnisch-herzegowinischen Bahnnetzes

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z24.pdf.

394 Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911

sich die bezüglichen Vorgänge in derselben Weise abspielen werden wie bisher.
Das Ministerium des Äußern erwarte aber, daß es in prinzipiellen Fragen und
Angelegenheiten von ressortmäßigem Interesse entsprechend herangezogen wer¬
den wird.

   Der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister akzeptiert die¬
sen Vorschlag mit dem Bemerken, daß der Vollzug der militärischen Agenden in
Bosnien immer glatt vor sich gegangen sei und daß somit von einer neuen Verein¬
barung zwischen den beteiligten Ministerien abgesehen werden könne.

   Der k. u. k. gemeinsame Finanzminister erklärt, an sei¬
nem eben kundgegebenen Standpunkte festzuhalten, falls die beiden Regiemn-
gen auf der Anfügung einer Vollzugsklausel bestehen sollten.

   Der Vorsitzende enunziert nunmehr den Beschluß der Konferenz, daß
von der Anfügung einer Vollzugsklausel abzusehen und sohin der Gesetzentwurf
ohne eine solche an die beiden Regierungen zu leiten sei und erklärt die Beratung
für geschlossen.4

                                                                                           Aehrenthal

Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Lainz, am 1. Juli 1911. Franz Joseph.

  Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. Oktober 1911

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Khuen-Hederväry, der k. k. Ministerpräsi¬
dent Dr. Freiherr v. Gautsch (30.11.), der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der
k. u. k. Kriegsminister GdI. Ritter v. Auffenberg,1 der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der k. k.
Finanzminister Dr. Meyer, der kgl. ung. Handelsminister v. Beöthy, der Leiter des k. k. Handelsmi¬
nisteriums Dr. Mataja, der Leiter des k. k. Eisenbahnministeriums Dr. Ritter v. Roll, der Chef der
Landesregierung für Bosnien und die Herzegowina FZM. Potiorek.
    Protokollführer: Generalkonsul Freiherr v. Ferstel.
    Gegenstand: Ausgestaltung des bosnisch-herzegowinischen Bahnnetzes.

        Mit Schreiben (K.) v. 20. 6. 1912 teilte Auffenberg beiden Ministerpräsidenten den endgülti¬
        gen Text des Wehrgesetzesfür Bosnien-Herzegowina mit, Ka.,KM., Präs. 26-6/15/1912. Der
         Gesetzentwurfwurde ohne Vollzugsklausel mit Vortrag Bilihskis v. 8. 8. 1912 Franz Joseph
        vorgelegt und mit Ah. E. v. 11. 8. 1912 resolviert, Ka., MKSM. 97--1/2/1912, publiziert als
         Gesetz v. 11. 8. 1912, Gesetz- und Verordnungsblatt für Bosnien und die Hercegovina Nr.
        59/1912.

        Zur Enthebung Schönaichs und der Ernennung Auffenbergs als Kriegsminister und dem Zu¬
        sammenhang zur Entlassung Conrads vom Posten des Chefs des Generalstabes siehe Brett-
        ner-Messler, Die Balkanpolitik Conrad v. Hötzendorfs 4-13 ««<7 Hetzer, Franz v. Schönaich
         177-190.
<pb/>Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911  395

   keine KZ. - GMKPZ. 488
   Protokoll des zu Wien am 28. und 29. Oktober 1911 abgehaltenen Ministerra¬
tes für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsa¬
men Ministers des Äußern Grafen Aehrenthal.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und erinnert zunächst daran, daß
die Ausgestaltung des bosnisch-herzegowinischen Bahnnetzes zuletzt Gegen¬
stand der gemeinsamen Ministerkonferenz vom 26. Februar 1911 war,2 daß aber
diese Angelegenheit auch seither durch einen regen Notenwechsel zwischen den
beteiligten Ressorts eine wesentliche Förderung erfahren habe. Es sei an der Zeit,
nunmehr endlich zu positiven Beschlüssen zu gelangen. Die Frage der Ausgestal¬
tung der bosnisch-herzegowinischen Bahnen stehe an Wichtigkeit höchstens hin¬
ter dem Wehrgesetze zurück und eine baldige und gedeihliche Lösung sei in
zweifacher Hinsicht unaufschiebbar. Die Bevölkerung von Bosnien und der Her¬
zegowina fühlt sich als zur Monarchie gehörig, erwartet von dieser aber auch eine
energische Förderung ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnisse. Auch
im Landtag ist, wenn man von gewissen Kinderkrankheiten absieht, das lobens¬
werte Bestreben wahrnehmbar, ersprießliche Arbeit zu leisten. Es liegt im Inter¬
esse der Monarchie, diese Arbeit zu fördern. Wenn schon die Monarchie an den
jetzt überall wahrnehmbaren wirtschaftlichen und territorialen Expansionen nicht
Anteil nimmt, ist es umsomehr ihre Pflicht, den gemeinsamen Besitzstand mög¬
lichst intensiv auszugestalten und eine rasche wirtschaftliche Entwicklung von
Bosnien und der Herzegowina würde zum Vorteile der Monarchie auch vorbild¬
lich auf die verschiedenen östlichen Nachbarländer wirken. Ebenso wichtig wie
diese wirtschaftlichen sind die militärischen Erwägungen. Der Balkan ist eine
boite ä surprises; man weiß nie, wann und welchen Überraschungen man dort
entgegengeht und muß daher auf alle Eventualitäten gut und rechtzeitig vorberei¬
tet sein. Das von der bosnisch-herzegowinischen Landesverwaltung ausgearbei¬
tete Bahnprogramm sei aber überdies auch eine gewiß gute Kapitalsanlage, mit
seiner Ausführung werde man nicht nur den wirtschaftlichen Forderungen dieser
Länder entgegenkommen, sondern auch eine Reduzierung der äußerst kostspieli¬
gen Garnisonen ermöglichen. Es sei daher Aufgabe der gegenwärtigen Beratun¬
gen, nach nochmaliger gründlicher Prüfung der Frage zu Beschlüssen zu gelan¬
gen. Der Vorsitzende ersucht demnach den gemeinsamen Finanzminister, die in
der Frage der bosnisch-herzegowinischen Bahnen seit der letzten gemeinsamen
Ministerkonferenz eingetretenen Wandlungen und das von ihm aufgestellte Inve¬
stitionsprogramm zu erläutern.

   Der k. u. k. gemeinsame Finanzminister resümiert kurz
die Ergebnisse der gemeinsamen Ministerkonferenz vom 26. Februar 1. J. Zu der
damals offen gebliebenen Frage der zweiten Aufmarschlinie hätten die beiden
Regierungen zwar auch seither noch nicht Stellung genommen, der gemeinsame

2 GMKPZ. 485.
<pb/>396 Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911

Finanzminister habe aber inzwischen die dem bosnisch-herzegowinischen Land¬
tag vorzulegenden Gesetzentwürfe für den Bau der drei Linien Tuzla-Bjelina-
Raca mit einem Flügel von Celic nach Brcka, Banjaluka-Jajce und Novi-Bihac
ausgearbeitet und sie Ende Juni laufenden Jahres im Geleite eines Motivenbe-
richtes den beiden Regierungen zur Genehmigung unterbreitet.3 Im Laufe des
sich daranknüpfenden Notenwechsels hat sich ergeben, daß die österreichische
Regierung dem Bau dieser drei Linien unter folgenden Bedingungen prinzipiell
zustimmt:

   1. Die drei Gesetzvorlagen sind in einen zeitlichen Zusammenhang zu bringen,
das heißt sämtliche Bauten müssen zu gleicher Zeit ausgeführt werden.

   2. Die drei Bahnen sollen alle gleichmäßig als Hauptbahnen zweiten Ranges
ausgeführt werden.

   3. Im Falle des Ausbaues einer Anschlußstrecke der Linie Novi-Bihac an die
Karlstadt-Fiumanerbahn verlangt die k. k. österreichische Regierung ihrerseits
den Bau einer Anschlußstrecke dieser Linie an die dalmatinischen Bahnen.

   4. Die Kosten der drei Bahnbauten sind aus den Mitteln Bosniens und der Her¬
zegowina ohne Belastung der beiden Staatsgebiete zu decken.

   In einer Note vom 24. September 1911 präzisierte der k. k. Ministerpräsident
nochmals seine Stellungnahme zum Ausbau des bosnisch-herzegowinischen
Bahnnetzes,4 hält an dem Standpunkte fest, daß die Strecke Gradiska-Banjaluka-
Jajce-Rama gebaut und die Normalisierung Brod-Sarajewo vorläufig zurückge¬
stellt werde. Mit Rücksicht darauf aber, daß der gemeinsame Finanzminister den
Bau der Strecke Bugojno-Rama als nicht im Interesse von Bosnien und der Her¬
zegowina gelegen bezeichnet, modifiziert der k. k. Ministerpräsident seine Stel¬
lungnahme in der Weise, daß er zunächst auf die Normalisierung Donji-Vakuf-
Rama verzichtet, wenn eine normalspurige Verbindung von Jajce nach Sarajewo
geschaffen und deren Fortsetzung zum Meere prinzipiell sichergestellt wird.

    Die kgl. ung. Regierung habe sich über diese drei Eisenbahnprojekte dahin
geäußert, daß ohne genaue Kenntnis der Kosten eine Stellungnahme eigentlich
untunlich sei, daß sie aber mit Rücksicht auf die von der Kriegsverwaltung geäu¬
ßerten Wünsche dem Bau der Linie Banjaluka-Jajce-Mostar und der Normalisie¬
rung der Linie Brod-Sarajewo im Prinzipe unter der Bedingung zustimme, daß
gleichzeitig mit der Strecke Banjaluka-Jajce auch die Linie Samac-Doboj gebaut
und die Linie Doboj-Sarajewo normalisiert werde.

    Anknüpfend an diese Konstatierung der Stellungnahme der beiderseitigen Re¬
gierungen führt Baron Buriän aus, daß Bosnien und die Herzegowina wirtschaft¬
lich und politisch an den von ihm ausgearbeiteten drei Eisenbahnprojekten das

        Mit Schreiben v. 28. 6. 1911 teilte Buriän Aehrenthal den Gesetzentwurfsamt Moti-
        venbericht und sein Schreiben (Abschrift) an beide Ministerpräsidenten mit,
        HHSxA., PA. I, CdM. VIII c-13, Karton 639, Nr. 268.
        Schreiben (Abschrift) Gautsch &#39; an Buriän v. 24. 9. 1911, HHSxA., Admin. Reg-
        F 19, Karton 28, Fasz. Bahnbau Österreich-Ungarn.
<pb/>Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911           397

größte Interesse haben. Sie bilden den Ausgangspunkt für die Entwicklung des
bosnisch-herzegowinischen Bahnnetzes in späterer Zukunft, stellen eine reinli¬
che Scheidung dar zwischen dem, was Bosnien und die Herzegowina aus eigenen
Mitteln für seine Bahnen leisten könne, und dem, was seine finanziellen Kräfte
übersteige. Sie bieten weiters den Vorteil, daß, da es sich um Strecken handle,
deren Detailprojektierung sich in vollem Zuge befinde, mit deren Bau sofort be¬
gonnen werden könne, der sonst unvermeidliche Verlust eines weiteren Baujah¬
res entfiele, und sie präjudizieren schließlich in keiner Weise den anderen im
Verkehrsinteresse Österreichs beziehungsweise Ungarns gelegenen Bahnprojek¬
ten, über welche bisher eine Einigung nicht erzielt werden konnte. Aber auch
diesbezüglich werde sich ein gerechter Ausgleich finden lassen. Es handle sich
um zwei neue Schienenstränge, einen westlichen von Banjaluka über Rama nach
Mostar, der von der Heeresverwaltung und von der österreichischen Regierung
verlangt werde, und einen östlichen, der im Interesse der kgl. ung. Regierung
liege und eine normalspurige Verbindung Sarajewos mit dem Netz der kgl. ung.
Staatsbahnen herstelle. Statt des Baues Samac-Doboj und der Normalisierung
der Bosnatalbahn, die kein Umbau, sondern ein Neubau wäre, schwere Verkehrs¬
störungen in Gefolge hätte und auch eine Kapitalsvemichtung bedeute, empfehle
sich der Bau der Linie Tuzla-Sarajewo, der weniger kostet als der Umbau der
Bosnatalbahn, im Anschluß an die Posavinabahnen wirtschaftlich von größtem
Einfluß wäre, die Verbindung Sarajewos mit Budapest um 60 km abkürze und bei
Auffechterhaltung der bestehenden Schmalspur Bosnisch-Brod-Sarajewo, abge¬
sehen von der großen lokalen Bedeutung dieser Bahn, für Ungarn den Gewinn
zweier neuer Einbruchsstationen nach Bosnien (Brcka und Raca) bedeute, wo¬
durch eine vollkommene Kompensation für die im österreichischen Interesse ge¬
legene Linie Banjaluka-Jajce gegeben sei.

   Zur Auffechterhaltung der günstigen politischen Dispositionen in Bosnien und
der Herzegowina sei es von größter Wichtigkeit, daß diese drei Eisenbahnvorla¬
gen ffeigegeben werden, weil die Bevölkerung darin eine Förderung ihrer wirt¬
schaftlichen Interessen durch die Monarchie erblicken würde. Die Verweigerung
des Zollaversums habe dort sehr erbittert;5 auch die vier Millionen, die das bos-
nisch-herzegowinische Budget jährlich aus den Titel der lediglich aus strategi¬
schen Interessen gebauten Ostbahn belasten, legen dem Lande große Opfer auf.
In einer generösen Behandlung der Eisenbahnfrage würde die Bevölkerung daher
eine willkommene Entschädigung erblicken.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident und der kgl. ung.
Finanzminister erklären, daß die kgl. ung. Regierung zur wirtschaftli¬
chen Hebung Bosniens und der Herzegowina gerne beitrage, im Prinzipe auch
den vom gemeinsamen Finanzminister ausgearbeiteten drei Eisenbahnprojekten
zustimme, bei der vorläufigen Ungeklärtheit des weiteren Programmes aber sich
doch einige Reserve auferlegen müsse. Der kgl. ung. Ministerpräsident habe dem

Das Zollaversum kam zur Sprache in GMR. v. 26. 2. 1911, GMKPZ. 485.
<pb/>398 Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911

gemeinsamen Finanzminister seinen Standpunkt in der Frage der bosnisch-herze-
gowinischen Eisenbahnbauten detailliert in seinen Noten vom 15. und 27. Okto¬
ber 1. J. auseinandergesetzt.6 Das einzige praktische Resultat, das sich heute errei¬
chen lasse, sei, den Bau der Linien Novi-Bihac und Raca-Tuzla zu beschließen,
Banjaluka-Jajce aber aus der Diskussion auszuschalten, sofeme man nicht ge¬
neigt wäre, auch gleichzeitig den Bau Samac-Doboj und die Normalisierung bis
Sarajewo zuzugestehen. Keine der beiden Finanzverwaltungen sei aber im ge¬
genwärtigen Zeitpunkte in der Lage, für militärische Zwecke derartig große Op¬
fer zu bringen. Es wäre daher das Prinzip aufzustellen, daß zwischen Banjaluka-
Jajce einerseits und Samac-Doboj-Sarajewo andererseits ein Junktim bestehe;
unter dieser Voraussetzung könne der Bau der anderen beiden Linien (Novi und
Raca) sofort freigegeben werden.

   Der Leiter des k. k. Eisenbahnministeriums erklärt,
daß die österreichische Regierung dem Bau der Posavinabahnen nur unter der
Bedingung zustimmen könne, daß auch die Linie Banjaluka-Jajce gleichzeitig
zur Ausführung gelange, da die Linie Novi-Bihac vom österreichischen Stand¬
punkte nicht als Kompensation für die Linie Tuzla-Bjelina-Raca beziehungswei¬
se Brcka angesehen werden könne, die das bisherige Verhältnis ohnehin noch
mehr zugunsten des ungarischen Verkehres verschiebe.

   Der k. u. k. Kriegsminister beleuchtet die Frage vom militäri¬
schen Standpunkte, erörtert die Wichtigkeit der Schaffung eines leistungsfähigen
Bahnnetzes im östlichen Raum zwischen Drina und Save, erklärt aber als militä¬
risch wichtigsten Teil den westlichen Raum Nova-Gradiska-Banjaluka-Jajce-
Rama-Mostar, wo die Schaffung strategischer Bahnlinien besonders im Falle ei¬
ner Komplikation mit Montenegro unerläßlich sei. Diese militärischen Interessen
sind so wichtig, daß er die drei Eisenbahnvorlagen des gemeinsamen Finanzmi¬
nisters aufs allerwärmste zur Annahme empfehlen müsse. Der Landeschef
von Bosnien und der Herzegowina leitet seine Ausführungen
mit der Bemerkung ein, daß er sich zu der in Diskussion stehenden Frage in dop¬
pelter Eigenschaft zu äußern wünsche. Vom militärischen Standpunkte müsse er
hervorheben, daß die derzeitigen Verkehrsmöglichkeiten in Bosnien und der Her¬
zegowina gerade nur für ganz normale Friedenszeiten ausreichen, aber für den
Fall der geringsten Komplikation unbedingt eine Erhöhung der Stände notwendig
machen würden. Die während der Annexionskrisis gemachten Erfahrungen leh¬
ren, wie kostspielig derartige vorübergehende Truppenbewegungen sind und daß
vom staatsfinanziellen Standpunkte die produktiven Ausgaben für Bahnbauten
billiger und daher empfehlenswerter erscheinen. Als Landeschefkönne er konsta¬
tieren, daß die politische Lage derzeit sehr günstig sei; die Bevölkerung fühle
sich als zur Monarchie gehörig und blicke nicht mehr über die Grenze. Das wird

6 Schreiben (Abschrift) Khuen-Hederväsys v. 15. undv. 27. 10. 1911 an Buriän, HHSxA., Ad-
        min. Reg. F 19, Karton 28, Fasz. Bahnbau Österreich-Ungarn, Aktenzahlen GFM., Präs. BH
        1342/1911 und 1419/1911.
<pb/>Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911  399

auch fernerhin so bleiben, wenn sich Bosnien und die Herzegowina kulturell ge¬
fördert sehen. Die Frage des Zollaversums habe etwas verstimmt; dieser Ein-
druck könne aber durch rasche energische Hilfe in wirtschaftlichen Fragen wie¬
der beseitigt werden und müsse es, wenn bei der Budgetverhandlung nicht
Schwierigkeiten entstehen sollen. Die drei Eisenbahnvorlagen und das Investiti¬
onsprogramm des gemeinsamen Finanzministers sollen freigegeben werden, um
dem Lande zu zeigen, daß die Monarchie ein großzügiges wirtschaftliches Pro¬
gramm für Bosnien und die Herzegowina zu initiieren beabsichtige. In den Aus¬
schüssen wären aber in unverbindlicher Weise auch Zusagen zu machen, in wel¬
cher Richtung die Regierung diese Anfänge fortzusetzen gedenkt. Abgesehen
vom militärischen Interesse der Kriegsbereitstellung genüge die Linie Banjalu-
ka-Jajce auch in politischer Hinsicht nicht, wenn nicht die Fortsetzung nach
Rama und Mostar in Aussicht gestellt werde, wodurch dokumentiert würde, daß
die Regierung auch für die Herzegowina wirtschaftlich zu sorgen bereit ist. Was
die Verbindung der künftigen Posavinabahnen von Tuzla nach Sarajewo betreffe,
sei diese auch aus Rücksicht auf die Approvisionierung Sarajewos unerläßlich
und schon aus diesem Grunde einer Normalisierung der Bosnatalbahn vorzuzie¬
hen. Das von Baron Buriän vorgelegte Eisenbahninvestitionsprogramm müsse
daher dringendst zur Annahme empfohlen werden.

   Der k. k. Ministerpräsident findet die Ausführungen des k.u.k.
Kriegsministers, des gemeinsamen Finanzministers und des Landeschefs von
Bosnien und der Herzegowina sehr beherzigenswert. Alle drei Redner hätten
übereinstimmend die außerordentliche Wichtigkeit der Linie Banjaluka-Jajce-
Rama-Mostar in wirtschaftlicher und strategischer Beziehung hervorgehoben. Es
müsse also vorerst zu dieser Frage prinzipiell Stellung genommen werden; auch
die Rücksicht auf die großen Opfer, die bisher für Bosnien und die Herzegowina
gebracht wurden, lege die Verpflichtung auf, diesen Besitz militärisch zu sichern
und wirtschaftlich auszugestalten. Im Prinzipe habe die österreichische Regie¬
rung den drei Eisenbahnprojekten des gemeinsamen Finanzministers unter ge¬
wissen Reserven bereits zugestimmt. Ungeklärt blieb bisher nur die Frage der
Kostenbedeckung für jene Linien, die einerseits im österreichischen, andererseits
im ungarischen Interesse zu bauen sind. Darüber müsse man zu einem prinzipiel¬
len Beschluß gelangen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt, daß die Verhand¬
lungsbasis eine günstigere würde, wenn man sich darüber einigen konnte, daß die
neue westliche Verbindung (Banjaluka-Jajce) ihre Fortsetzung nicht nach Saraje¬
wo, sondern nur nach der Herzegowina zu finden habe, während die neuen östli¬
chen Linien nach Sarajewo zu führen hätten. Die Hauptfrage bliebe aber schlie߬
lich immer noch der Kostenpunkt. Bevor man nicht Gewißheit habe, wie hoch
sich die Kosten all dieser projektierten Bahnen belaufen und wieviel davon jeder
der in Betracht kommenden Teile zu tragen habe, dürfe man der bosnisch-herze-
gowinischen Bevölkerung keine Versprechungen machen. Aus dieser Erwägung
<pb/>400 Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911

sei der Normalisierung Brod-Sarajewo der Vorzug zu geben, da die damit ver¬
bundenen Kosten ein bekannter Faktor sind.

   Demgegenüber erklärt der k. u. k. gemeinsame Finanzmi-
n i s t e r, daß über die Kosten aller in Rede stehenden Bahnlinien und Umbau¬
ten tatsächlich Überschläge vorliegen, die auf den Ansätzen erfahrener Fachleute
basieren, so daß sich bei der Ausführung, wenn überhaupt, so voraussichtlich nur
ganz unerhebliche Differenzen ergeben würden, die eine Verzögerung der Inan¬
griffnahme des Werkes nicht rechtfertigen könnten. An der Hand einer Tabelle
führt er aus, daß die Strecke Tuzla-Kladanj-Sarajewo billiger zu stehen komme,
als Samac-Doboj-Sarajewo, ganz abgesehen davon, daß erstere Linie infolge
ihres Anschlusses an die Posavinabahnen wirtschaftlich die ungleich wertvollere
und zukunftsreichere sei.

   Was die Linie Bihac-Novi betrifft, habe diese nur dann Wert, wenn auch die
Strecke Banjaluka-Jajce gebaut werde. Man solle daher den drei von ihm vorge¬
legten Eisenbahnprojekten prinzipiell die Zustimmung erteilen und beschließen,
die übrigen in Frage kommenden Bahnlinien einem eingehenden Studium zu un¬
terziehen. Zur Vermeidung der Verschiebung der bisherigen Verkehrsrelationen
zu Ungunsten eines der beiden Staaten der Monarchie könnten ja immerhin ge¬
wisse Kautelen und Befristungen aufgestellt werden.

   Der Vorsitzende konstatiert aus den bisherigen Ausführungen der bei¬
derseitigen Regierungsvertreter eine Modifizierung der bisherigen Auffassungen,
die eine wesentliche Annäherung ermöglicht, wenn es gelänge, über die Strecke
Banjaluka-Jajce ein Einvernehmen herzustellen. Es habe den Anschein, daß die
kgl. ung. Regierung geneigt wäre, den Bau Banjaluka-Jajce unter der Bedingung
freizugeben, daß die normalspurige Fortsetzung dieser Linie nicht, wie die öster¬
reichische Regierung wünsche, nach Sarajewo, sondern über Rama nach Mostar
beschlossen wird. Um den beiderseitigen Ministerpräsidenten Gelegenheit zu ge¬
ben, sich mit ihren Ressortministern über diese Modalität intern zu besprechen,
wird die Sitzung für kurze Zeit unterbrochen.

   Nach Wiederaufnahme der Sitzung erklärt der kgl. ung. Finanz¬
minister namens der kgl. ung. Regierung, daß den wirtschaftlichen Interes¬
sen Bosniens und der Herzegowina vollauf Rechnung getragen werden solle,
dabei aber auch die Verkehrsinteressen Ungarns gewahrt bleiben müssen. Die
kgl. ung. Regierung schlage daher statt der von Baron Buriän beantragten drei
Linien deren vier vor, die in zwei Gruppen zerfallen. Die erste Gruppe bilde eine
neue westliche Linie (Novi-Bihac) und eine östliche (die Posavinabahnen), deren
Ausbau die Landesregierung sofort in Angriff nehmen solle. Die zweite Gruppe
besteht aus den Linien Banjaluka-Jajce einerseits, Samac-Doboj-Sarajewo an¬
dererseits, deren Ausbau erst in Aussicht genommen werden könne, sobald die
Finanzen der beiden Staaten dies gestatten.

    Hierauf gibt der k. k. Ministerpräsident folgende Erklärung
ab: Die österreichische Regierung erklärt sich einverstanden mit der Einbringung
der vom gemeinsamen Finanzminister vorbereiteten drei Gesetzesvorlagen, be-
<pb/>Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911  401

treffend den auf Landeskosten durchzuführenden Bau von neuen Eisenbahnlini¬
en, und zwar unter der Voraussetzung, daß alle drei Bahnen gleichzeitig als
Hauptbahnen zweiten Ranges hergestellt werden.

   Gleichzeitig erklärt sich die österreichische Regierung im Prinzipe und vorbe¬
haltlich der Feststellung der Kosten sowie des Zeitpunktes bereit, dem Ausbau
der normalspurigen Verbindung Jajce-Rama-Mostar zuzustimmen und die wei¬
tere Verfolgung der Herstellung einer normalspurigen Verbindung von Jajce nach
Sarajewo bis zur seinerzeitigen Fertigstellung einer östlichen normalspurigen
Verbindung zurückzustellen.

   Auch erklärt sich die österreichische Regierung unter den gleichen Vorbehal¬
ten bereit, der Herstellung einer östlichen Verbindung mit Sarajewo zuzustim¬
men.

   Die österreichische Regierung behält sich selbstverständlich die auf früheren
Vereinbarungen beruhendenAnsprüche hinsichtlich der BahnverbindungArzano-
Bugojno vor.

   Der Vorsitzende konstatiert, daß sich aus diesen beiderseitigen Erklä¬
rungen allerdings eine erfreuliche Annäherung ergebe, die Hauptdifferenz aber
noch immer in der Meinungsverschiedenheit bezüglich der Linie Banjaluka-Jaj-
ce liege. Die österreichischerseits ausgesprochene vorläufige Zurückstellung der
normalspurigen Fortsetzung von Jajce nach Sarajewo dürfte der kgl. ung. Regie¬
rung genügen, ihre Reserve bezüglich der bereits studierten Linie Banjaluka-Jaj-
ce aufzugeben. Gereiche der Bau letzterer Linie den österreichischen Verkehrsin¬
teressen zum Vorteil, so liege das entsprechende Äquivalent für die ungarischen
Verkehrsinteressen im Bau der Posavinabahnen mit ihren zwei neuen ungarischen
Einbruchstationen Raca und Brcka.

   Der k.u.k. gemeinsame Finanzminister betont, die we¬
sentliche Differenz bestehe darin, daß die österreichische Regierung an dem
Junktim zwischen den drei bosnischen Linien festhalte, während die ungarische
Regierung nur Bihac-Novi und die Tuzlaner Linien zugestehen wolle, die Ent¬
scheidung über die beiden westlichen und östlichen in das Innere des Landes
führenden Hauptlinien aber einem späteren Zeitpunkte vorzubehalten wünsche,
bis die entsprechenden Detailstudien ausgeführt sein werden. Da nun aber die
Linie Banjaluka-Jajce bereits genügend klargestellt ist, läge ein Ausweg für Er¬
zielung eines Einverständnisses darin, die drei Linien des bosnischen Program¬
mes freizugeben und bezüglich der westlichen und östlichen Hauptlinie zu be¬
schließen, in Detailstudien einzutreten, wobei zur Wahrung der bisherigen
Verkehrsteilung eine vollkommen parallele Aktion ausbedungen werden könnte.
Für Ungarn sei die Parität dadurch gesichert, daß die Fortsetzung der Linie Ban¬
jaluka-Jajce nicht nach Sarajewo, sondern nach Mostar festgelegt und bezüglich
des Weiterbaues der westlichen und östlichen Hauptlinie ein Junktim hergestellt
werde.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident weist neuerdings darauf
hin, daß zum Bau so großer strategischer Bahnen derzeit von keinem der beiden
<pb/>402 Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911

Staaten die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden
konnten. Banjaluka-Jajce-Rama aber aus dem Rahmen des großen Bahnpro-
grammes herauszugreifen und auszubauen, ohne eine gleichwertige neue östliche
Verbindung zu schaffen, würde die Parität stören. Außerdem müsse Ungarn an
der Linie Samac-Doboj festhalten, weil diese, wenn auch länger, als Talbahn
wesentliche technische und daher auch finanzielle Vorteile gegenüber der Ge¬
birgsbahn Brcka-beziehungsweise Raca-Tuzla-Sarajewo biete.

   Der k. k. Ministerpräsident hat gegen das Junktim in der Form,
wie der k. u. k. gemeinsame Finanzminister es vorschlägt, vom österreichischen
Standpunkte nichts einzuwenden. Es wäre unbillig, Bosnien und der Herzegowi¬
na die drei Bahnen, die in seinem vitalen Interesse liegen und die es aus eigenen
Mitteln zu bauen bereit ist, vorzuenthalten. Gleichzeitig müsse dem Lande aber,
wenn auch in unverbindlicher Weise gesagt werden, in welcher Weise die Mon¬
archie ihrerseits den Ausbau und Zusammenschluß dieser Bahnen auszufuhren
gedenke.

   Auf die Bemerkung des k. k. Finanzministers, daß derzeit zum
Bau strategischer Bahnen keine Mittel zur Verfügung stehen und der Zeitpunkt
für Ausführung solcher Pläne von einer günstigeren staatsfinanziellen Lage ab¬
hängig gemacht werden müsse, erwidert der Vorsitzende, daß selbstver¬
ständlich auf die Finanzlage der beiden Staaten jederzeit gebührende Rücksicht
genommen werden würde. Aus den bisherigen Verhandlungen habe sich aber er¬
geben, daß die Ausgestaltung des bosnisch-herzegowinischen Bahnnetzes eine
politisch, wirtschaftlich und strategisch unaufschiebbare Notwendigkeit sei. Vom
Standpunkte des k. u. k. Ministeriums des Äußern wäre das Hinausschieben einer
als unvermeidlich erkannten Investition ein schwerer Fehler; denn dann hätte
man überhaupt nicht zur Annexion schreiten dürfen, wenn man den benachbarten
Gebieten nicht den deutlichen Beweis erbringen will, daß man fest entschlossen
und auch in der Lage ist, diese Länder zu beherrschen und der Monarchie zu
amalgamieren. Aus diesem Grunde sei es daher unerläßlich, im Laufe der gegen¬
wärtigen Beratungen wenigstens zu einer prinzipiellen Einigung zu gelangen.
Was den Standpunkt der kgl. ung. Regierung anlange, daß der Bau Banjaluka-
Jajce nicht bewilligt werden könne, wenn nicht gleichseitig die Linie Samac-
Doboj sichergestellt sei, meint der Vorsitzende, daß die vom gemeinsamen Fi¬
nanzminister vorgeschlagene Formel eine akzeptable Lösung darstelle. Dadurch
werde der ungarischen Regierung die Möglichkeit geboten, sich durch die ent¬
sprechenden Trassenstudien darüber klar zu werden, welcher von den östlichen
Linien der Vorzug zu geben sei, während durch sofortige Entscheidung für die
Linie Doboj-Samac, ohne Studium der übrigen Alternativen, dieser Frage in viel¬
leicht voreiliger Weise präjudiziert wäre.

    Der Landeschef von Bosnien und der Herzegowina
glaubt nach den bisherigen Verhandlungen darauf hoffen zu dürfen, daß die drei
vom k. u. k. gemeinsamen Finanzministerium ausgearbeiteten Vorlagen von bei¬
den Regierungen ffeigegeben werden würden und daß ein Junktim bezüglich des
<pb/>Nr. 24 Gemeinsamer Ministermt, Wien, 28. und 29. 10. 1911  403

Baues der neuen zwei Hauptlinien zustande kommen werde. Soll die Aktion aber
in Bosnien und der Herzegowina den gewünschten politischen Erfolg haben,
wäre es notwendig, auch darüber Gewißheit zu schaffen, daß mit dem Ausbau
dieser östlichen und westlichen Hauptlinien im Jahre 1913 begonnen werde.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident wünscht, die durch die Er¬
klärung der österreichischen Regierung in einigen wichtigen Punkten modifizier¬
te Situation mit seinen Ressortministern eingehender zu besprechen, weshalb der
Vorsitzende die Beratung unterbricht und deren Fortsetzung für den näch¬
sten Tag (29. Oktober) &#39;A 3 Uhr nachmittags anberaumt.

   Fortsetzung am 29. Oktober 1911.
   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, erteilt dem kgl. ung. Minister¬
präsidenten das Wort, der den kgl. ung. Finanzminister ersucht,
folgende Erklärung zu verlesen:
   Die ungarische Regierung erklärt sich - dem Vorschläge der österreichischen
Regiemng entsprechend - einverstanden mit der Unterbreitung der vom gemein¬
samen Finanzminister vorbereiteten drei Gesetzesvorlagen, betreffend den auf
Landeskosten durchzufuhrenden Bau von neuen Eisenbahnlinien, an den bos-
nisch-herzegowinischen Landtag.
   Seitens der ungarischen Regierung wird aber bedungen, daß gleichzeitig mit
diesen als Hauptbahnen II. Ranges herzustellenden Bahnlinien auch die projek¬
tierte Linie Samac-Doboj als Hauptbahn II. Ranges auf Kosten der beiden Staa¬
ten der Monarchie hergestellt werde.
   Sollten die beiden Regierungen derzeit nicht in der Lage sein, die zur Herstel¬
lung der Bahnlinie Samac-Doboj notwendigen zirka 15 000 000 Kronen betra¬
genden Kosten dem gemeinsamen Finanzminister sofort zur Verfügung zu stel¬
len, bringt die ungarische Regierung die Lösung in Vorschlag, es sei die zu diesem
Behufe notwendige Summe aus der seitens der bosnischen Landesregierung zu
kontrahieren beabsichtigten Investitionsanleihe als Vorschuß zu nehmen.
   Zugleich erklärt die ungarische Regierung, daß sie zum bezüglichen Teile der
seitens der österreichischen Regierung über die Verbindung Jajce-Rama-Mostar
abgegebenen Erklärung in der gemeinsamen Ministerkonferenz de dato 28. Ok¬
tober ihre Zustimmung gibt, nimmt aber als Voraussetzung auch die Erklärung
der österreichischen Regierung entgegen, laut welcher eine normalspurige Ver¬
bindung von Jajce nach Sarajewo oder eine Verkürzung von der obgenannten
Linie in der Richtung nach Sarajewo nicht eher hergestellt werden kann, bis die
östliche normalspurige Eisenbahnlinie ausgebaut ist.
   Schließlich nimmt die ungarische Regierung die seitens der österreichischen
Regierung bezüglich des östlichen Sarajewoer Anschlusses und der Linie
Bugojno-Arzano abgegebenen Erklärungen zur Kenntnis.
   Der k. k. Ministerpräsident entnimmt dieser Erklärung, daß
nach Auffassung der kgl. ung. Regierung die drei Linien auf Kosten Bosniens
und der Herzegowina gebaut werden sollen, gleichzeitig aber auch Samac-Doboj
<pb/>404 Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911

auf Kosten der Monarchie. Er wünscht bei diesem Anlasse ausdrücklich zu beto¬
nen, daß die österreichische Regierung auf den normalspurigen Ausbau der Linie
Jajce-Sarajewo nicht verzichtet, sondern diese Forderung im Interesse der Erzie¬
lung einer Einigung vorläufig nur zurückgestellt habe. Dem ungarischen Vor¬
schlag, die Kosten für den Bau der Linie Samac-Doboj vorschußweise von Bos¬
nien und der Herzegowina bestreiten zu lassen, könne die österreichische
Regierung nicht zustimmen. Das wäre eine Verkehrung des Verhältnisses der
Monarchie zu Bosnien und der Herzegowina und würde auch im Lande einen
schlechten Eindruck machen. Dieser Auffassung stimmt auch der Vorsitzende,
der gemeinsame Finanzminister und der Landeschef von Bosnien und der Herze¬
gowina bei. Der k. k. Ministerpräsident hielte es im Interesse einer beschleunig¬
ten Behandlung der Sache für angezeigt, den Bau der drei bosnischen Linien
freizugeben, für die weiteren Verbindungen vorläufig aber nur prinzipielle Richt¬
linien festzustellen, die den Gegenstand weiterer separater Verhandlungen bilden
könnten.

   Der Leiter des k. k. Eisenbahnministeriums weist
daraufhin, daß durch den Bau der Linie Doboj - Samac gleichzeitig mit jenem
der Linien Raca-Tuzla und Brcka-Celic drei neue Anschlüsse an das Netz der
ungarischen Staatsbahnen geschaffen würden, demgegenüber die Linie Banjalu-
ka-Jajce für die österreichischen Interessen kein entsprechendes Äquivalent bil¬
de, besonders angesichts des Umstandes, daß auf die Normalisierung Jajce-Sara¬
jewo vorläufig verzichtet wird. Vom österreichischen Standpunkt müsse
mindestens eine Sicherstellung der Fortsetzung der Bahn nach Rama und Mostar
verlangt werden, um einigermaßen die Parität zu wahren.

    Der k. k. Finanzminister führt aus, daß es sich nach dem ungari¬
schen Vorschlag darum handle, auf gemeinsame Kosten den Bau einer Linie zu
übernehmen, die zwar im bosnischen, hauptsächlich aber im ungarischen Interes¬
se liege und die Verkehrsinteressen Österreichs in Bosnien und der Herzegowina
noch mehr als bisher zu Gunsten Ungarns verschiebe. Dafür werde die Zustim¬
mung des Reichsrates niemals zu gewinnen sein.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt, daß die ungarischen
Propositionen keineswegs eine Zurückstellung der österreichischen Interessen
bedeuten. Pflicht der ungarischen Regierung sei es aber darüber zu wachen, daß
die bisherige Parität nicht verschoben werde. Durch den Bau der Strecke Banja-
luka-Jajce erhält Österreich einen großen Vorsprung gegenüber dem bisherigen
ungarischen Einfluß und eine Kompensation dafür erblicke Ungarn eben nur in
der Linie Samac-Doboj.

    Der Landeschef von Bosnien und der Herzegowina
 dankt der kgl. ung. Regierung für ihre Erklärung und hebt hervor, daß durch das
 Gesetz vom Jahre 1902 zwischen den Linien Doboj-Samac und Arzano-Bugojno
 ein Junktim aufgestellt wurde.7 Letztere Linie habe jüngstens eine Modifikation

 7 Für Cisleithanien Gesetz v. 8. 6. 1902, RGBl. Nr. 118/1902,/ür Ungarn GA. XIII/1902.
<pb/>Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911  405

erfahren, indem sie nicht nach Bugojno, sondern von Arzano direkt nach Prozor
fuhren soll. Zur Herstellung der Parität würde es sich empfehlen zu beschließen,
gleichzeitig mit der Linie Samac-Doboj die Linie Jajce-Bugojno-Prozor auf ge¬
meinsame Kosten zu bauen. Das würde im Lande sehr guten Eindruck machen,
da man sehen würde, daß die Regierung auch für die Herzegowina sorgt, beide
Staaten hätten für ihre Verkehrsinteressen etwas erreicht und auch den militäri¬
schen Bedürfnissen wäre Rechnung getragen. aBei diesem Anlasse erwähnt der
k. u. k. gemeinsame Finanzminister, daß die Frage der Ei¬
senbahn Bugojno-Arzano durch das Gesetz vom 8. Juni 1902 und das Paraphie-
nmgsprotokoll zum Ausgleichsverträge des Jahres 1907 ihre Regelung gefunden
habe.&quot;-8

   Die beiden Ministerpräsidenten halten es für notwendig, in
diesem Studium der Verhandlungen sich zu einer internen Besprechung mit ihren
Ressortministern zurückzuziehen, weshalb die Sitzung für kurze Zeit unterbro¬
chen wird.

   Nach Wiederaufnahme der Sitzung erklärt der kgl. ung. Finanz¬
minister namens der kgl. ung. Regierung, daß diese prinzipiell keine Ein¬
wendung dagegen erhebe, die Vorlagen der drei bosnischen Linien ffeizugeben
und die beiden anderen auf gemeinsame Kosten zu bauen, daß sie aber an der
Bedingung festhalte, daß Samac-Doboj gleichzeitig mit Banjaluka-Jajce gebaut
werde und daß die eventuelle Linie Jajce-Sarajewo erst dann in Angriff genom¬
men werde, wenn eine östliche Verbindung bereits hergestellt sei.

   Der k. k. Ministerpräsident nimmt diese Erklärung der kgl.
ung. Regierung dankend zur Kenntnis und erklärt sich damit einverstanden, daß
wegen gleichzeitigen Baues der beiden Linien, sobald deren Kostenfrage festge¬
stellt sein wird, Gesetzesvorlagen einzubringen sein werden. Der k. k. Minister¬
präsident erklärt ausdrücklich, daß in Österreich für die projektierten großen
Bahnen, die auch aus Mitteln Österreichs erbaut werden sollen, ein Gesetz, das
heißt die verfassungsmäßige Bewilligung, die Vorbehalten werden muß, erforder¬
lich sei.

   In der sich nun entwickelnden lebhaften Debatte, an der sich fast alle anwesen¬
den Minister beteiligen, wird schließlich festgestellt, daß die sicherste Bürgschaft
dafür, keiner der projektierten Linien eine zeitliche Priorität einzuräumen, in der
Tatsache liege, daß nach Erledigung der bosnischen Vorlage im bosnischen Land¬
tag vor deren Unterbreitung zur Ah. Sanktion der gemeinsame Finanzminister

&quot; Einfügung.

8 § 3 des Gesetzes v. 8. 6. 1902, RGBl. Nr. 118/1902, /wr Cisleithainen und des GA. XIII/1902
      für Ungarn, sowie Schlußprotokoll des Vertrages betreffend die Regelung der wechselseiti¬
       gen Handels- und Verkehrsbeziehungen zwischen den im Reichsrate vertretenen Königrei¬
       chen und Ländern und den Ländern der ungarischen Krone zu Artikel VI, das in Cisleithanien
       als Gesetz v. 30. 12. 1907 in Kraft getreten war, publiziert als RGBl. Nr. 278/1907, in Un¬
       garn GA. LIII/1907.
<pb/>406 Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911

noch die Zustimmung der beiden Regierungen einholen müsse. Während nun die
bosnische Vorlage durch den bosnischen Landtag ihren Weg mache, könnten die
beiden Regierungen alle bezüglich der großen Linien noch offenen Fragen berei¬
nigen. Die Ausarbeitung der hiezu erforderlichen Projekte würde die bosnisch-
herzegowinische Regierung unter Unterstützung von technischen Organen der
beiden Staaten veranlassen und zwar so, daß bei den westlichen Linien die öster¬
reichische, bei den östlichen die ungarische Regierung mit der bosnisch-herzego-
winischen Landesregierung kooperiert. Erst wenn alle diese Vorarbeiten erledigt
und über die großen Projekte eine volle Einigung zwischen beiden Regierangen
erzielt worden sei, würden diese dem gemeinsamen Finanzminister die Ermäch¬
tigung erteilen, die bosnische Vorlage zur Ah. Sanktion zu unterbreiten. Auf diese
Weise sei volle Garantie für die von beiden Regierungen als unerläßlich bezeich-
nete Parität in der Bauausführung geboten.

   Der Vorsitzende konstatiert, daß endlich die Basis für eine Einigung
gefünden sei und ersucht den gemeinsamen Finanzminister, das Ergebnis der
Verhandlungen zum Zweck einer Beschlußfassung zu formulieren.

   Der k. u. k. gemeinsame Finanzminister resümiert das
Ergebnis der Beratungen in folgender Weise:

    1. Die bosnisch-herzegowinische Verwaltung erhält die Ermächtigung, die von
ihr verfaßten drei Eisenbahnvorlagen dem Landtage zur verfassungsmäßigen Be¬
handlung vorzulegen.

   2. Es ist ein prinzipieller Beschluß gefaßt worden, daß auf Kosten beider Re¬
gierungen eine westliche und eine östliche Linie als normalspurige Hauptbahn
gebaut werden soll, bund wurde eine Einigung darüber erzielt, daß in Ausführung
dieses Beschlusses zunächst einerseits die Bahn von Jajce über Bugojno nach
Prozor, andererseits die Bahn von Samac nach Doboj auf Kosten beider Regie¬
rungen herzustellen sein wird.b

    3. Gleichzeitig mit der Ausführung der drei bosnischen Linien sollen auch die
sub 2 erwähnten Bahnen gebaut werden.

   4. Die bosnisch-herzegowinische Regierung ist beauftragt, die legislative Be¬
handlung ihrer Eisenbahn- und Investitionsvorlagen durchzuführen. Die fakti¬
sche Bauausführung der bosnischen Linien darf aber nicht in Angriff genommen
werden vor dem Baubeginn der sub 2 genannten Bahnen.

    Die beiden Ministerpräsidenten erklären sich mit dieser For¬
mulierung einverstanden, betonen aber ausdrücklich, daß alle von der k. k. bezie¬
hungsweise kgl. ung. Regierung im Laufe der gegenwärtigen Verhandlungen ab¬
gegebenen Erklärungen aufrecht erhalten bleiben, sofern sie nicht durch einen
der obigen vier Punkte ausdrücklich aufgehoben wurden.

    Der Vorsitzende konstatiert, daß durch diese Erklärungen der beiden
Ministerpräsidenten nunmehr ein befriedigendes Einverständnis über die Be¬
handlung der bosnisch-herzegowinischen Eisenbahnffagen erzielt worden sei.

 b-b Einfügung.
<pb/>Nr. 25 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29. 10. 1911  407

Der gemeinsame Finanzminister und der Landeschef
von Bosnien und der Herzegowina sprechen beiden Regie¬
rungen ihren Dank für ihr im Interesse Bosniens und der Herzegowina hiemit
bekundetes wohlwollendes Entgegegenkommen aus.9

   Schließlich teilt der gemeinsame Finanzminister mit, daß am
1. Dezember laufenden Jahres mit der fakultativen Kmetenablösung begonnen
werden soll10 und daß er zu diesem Zwecke bei österreichischen und ungarischen
Bankinstituten für die Dauer beiläufig eines Jahres einen Kontokorrentvorschuß
von 5 Millionen Kronen aufzunehmen beabsichtige, wozu er sich die Ermächti¬
gung beider Regierungen erbitte. Nach näheren Ausführungen Baron Buriäns er¬
klärt der k. k. Finanzminister, daß er prinzipiell keine Einwendung
erhebe, vor definitiver Schlußfassung aber doch um aktenmäßige Mitteilung die¬
ser Angelegenheit ersuche, was Baron Buriän zusagt.

   Hierauf schließt der Vorsitzende die Sitzung.

                                                                                          Aehrenthal

Ah. E. fehlt.

      Nr. 25 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 29. Oktober 1911

   RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Dr. Freiherr v. Gautsch (7. 11.), der kgl. ung. Mini¬
sterpräsident Graf Khuen-Hederväry, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän,
der k. u. k. Kriegsminister GdI. Ritter v. Auffenberg, der k. k. Finanzminister Dr. Meyer (10. 11.),
der kgl. ung. Finanzminister Dr. v. Lukäcs, der k. u. k. Marinekommandant und Chef des Kriegsmi¬
nisteriums, Marinesektion, Admiral Graf Montecuccoli (13. 12.).
   Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter v. Günther.
   Gegenstand: Vorbesprechung über das gemeinsame Budget für das Jahr 1912.

       Auf Vortrag Buriäns v. 31. 10. 1911 wurde der Gesetzentwurffür den bosnisch-herzegowini-
       schen Landtag über die Finanzierung der zu bauenden Landesbahnen Franz Joseph vorge¬
       legt, der mit Ah. E. v. 9. 11. 1911 resolviert wurde, HHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 3243/1911.
       Mit Vortrag v. 31. 10. 1911 erbat Buriän, den Gesetzentwurfüber den Bau der drei Landes¬
       bahnen im bosnisch-herzegowinischen Landtag einbringen zu dürfen. Diesem Vortrag wurde
       mitAh. E. v. 9.11. 1911 entsprochen, ebd., KZ. 3244/1911. Da der bosnisch-herzegowinische
       Landtag nicht bereit war, diese Gesetzentwürfe zu akzeptieren, musste die Frage der bosni¬
       schen Bahnbauten erneut im gemeinsamen Ministerrat beraten werden; Fortsetzung in GMR.
       v. 14. 4. 1912, GMKPZ. 492.
10 Zur Kmetenablösung siehe GMR. v. 28. 2. 1910, GMCPZ. 478.
<pb/>