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Gemeinsamer Ministerrat, 6. 1. 1911

I. Die der Kriegsverwaltung zu gewährenden Kredite beziehungsweise Budgetsteigerungen 1911-1915

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z20.pdf.

Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 1. 1911              359

        Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. Jänner 1911

   RS. (und RK.)
   Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Dr. Freiherr v. Bienerth, der kgl. ung. Ministerpräsi¬
dent Graf Khuen-Hederväry, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k.
gemeinsame Kriegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich, der k. k. Finanzminister Dr. Ritter v.
Bilinski (12. 2.), der kgl. ung. Finanzminister Dr. v. Lukäcs, der k. u. k. Marinekommandant und
Chef des gemeinsamen Kriegsministeriums, Marinesektion, Admiral Graf Montecuccoli (19. 1.).
   Protokollführer: Flof- und Ministerialrat Ritter v. Günther.
   Gegenstand: Die der Kriegsverwaltung zu gewährenden Kredite beziehungsweise Budgetstei¬
gerungen 1911-1915.

   KZ. 7 - GMKPZ. 484
   Protokoll des zu Wien am 6. Jänner 1911 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Mini¬
sters des Äußern Grafen Aehrenthal.

   Der Vorsitzende eröffnet die Konferenz um % 10 Uhr, indem er darauf
verweist, daß in der Konferenz vom 20. November 1910 eine Einigung über die
der Kriegsverwaltung für die Jahre 1911-1915 zur Verfügung zu stellenden Be¬
träge erzielt worden sei, daß sich jedoch bei der über Wunsch der Konferenz vor
der Unterbreitung an Se. Majestät vorgenommenen Zirkulation des Protokolles
gezeigt habe, daß in einigen Punkten Meinungsverschiedenheiten oder Interpre¬
tationsschwierigkeiten bestehen.1 Hierüber habe ein Meinungsaustausch zwi¬
schen den beiden Finanzministem und dem Kriegsminister stattgefunden, dessen
Ergebnis in den vorliegenden Noten der beiden Finanzminister beziehungsweise
des Kriegsministers enthalten sei.2 Baron Schönaich habe vom Standpunkte sei¬
ner Verantwortlichkeit vier Reserven aufgestellt3 und seiner Ansicht Ausdruck
gegeben, daß diese das Heeresbudget für das Jahr 1911 nicht unmittelbar berüh¬
ren, daher letzteres den Delegationen vorgelegt werden könne, welcher Ansicht
er - der Vorsitzende - sich angeschlossen hätte. Da aber die beiden Regierungen
einen anderen Standpunkt einnehmen, habe er sich erlaubt, die heutige Konferenz
einzubemfen, und bitte er, zu diesen Reserven Stellung zu nehmen.

   Der k. k. Finanzminister führt hierauf aus, daß in der Konferenz
vom 20. November 1910 die Angelegenheit eigentlich ganz bereinigt gewesen
sei. Es wurden die Zifferansätze beschlossen und Bedingungen angenommen. Er
müsse betonen, daß der Kriegsminister seine Zustimmung pure et simple gege-

GMR. v. 20. 11. 1910, GMCPZ. 483.
Die Schreiben (K.) Schönaichs an Aehrenthal v. 2. und 3. 12. 1910, beide Ka., KM., Präs
37-2/12/1910.
Siehe hierzu eine Darstellung der Referentenbesprechung des Kriegs- und der beiden Fi¬
nanzministerien v. 1. 12. 1910, Ka., KM., Präs. 37-2/12/1910, fol. lllr-114r.
<pb/>360 Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 1. 1911

ben habe. Bei der von den Finanzministem erbetenen Zirkulation des Protokolles
hätten sich nicht bloß Interpretationschwierigkeiten ergeben. Man könne ja offen
reden. Der Kriegsminister fand nach Überlegung [sic!], daß er die hinsichtlich
der Überschreitungen übernommene Verpflichtung nicht erfüllen könne. Hier¬
über habe man sich nunmehr geeinigt und es sei ein neuer Aufbau vereinbart
worden. Die beiden Finanzminister haben diese Vereinbarung einschließlich der
präzisierten Bedingungen in identischen Noten dem Kriegsminister mitgeteilt
und erwartet, daß er, wie abgemacht, in einer Antwortnote sein rückhaltsloses
Einverständnis bekunden werde. Nun habe dieser aber eine Reihe von Vorbehal¬
ten aufgestellt, so daß die Sache noch nicht zum Abschlüsse gelangte. Was die
vier speziellen Vorbehalte3 anbelange, so stimme Redner dem zu, daß nur jener
Teil der Maßnahmen für die Wehrreform durchgeführt werde, welcher program¬
mäßig bis Ende 1915 durchzuführen ist. Hinsichtlich der Vorschüsse sei ja in den
Bedingungen Vorsorge getroffen und bestehe keine Meinungsverschiedenheit
darüber, daß der Kriegsminister im Jahre 1911 oder in einem späteren Zeitpunkte
des Bedarfes - unbeschadet der Entlastung der präliminarmäßigen Anforderung
- den für Überschreitungen pro 1911 vorgesehenen Betrag von 10 Millionen Kro¬
nen beanspmchen könne. bEin weiterer Vörbehaltb sei daher nicht nötig. Bezüg¬
lich des Schutzdammes müsse er dringend bitten, im Hinblicke auf die hohen
konzedierten Summen von derartigen Nachtragsforderungen abzusehen, er wolle
die bisher für den Damm beausgabten 3,3 Millionen als Überschreitung der Ma¬
rine gelten lassen, der Rest müsse aber in den bewilligten Krediten Deckung fin¬
den. Auf die Ausschaltung des Erfordernisses des Eisenbahnmilitärtarifes aus den
zugestandenen Mitteln könne nicht eingegangen werden. Dr. v. Bilihski führt die
ihn bewegenden Gründe des näheren aus, kommt auch auf den Militärzinstarifzu
sprechen und erwähnt die Wünsche der Zivilbediensteten, die mit ihren Aktivi¬
tätszulagen schon jetzt ungünstiger daran seien, als dies beim Militär der Fall
ist.

   Akzeptiere die Kriegsverwaltung die neuen Propositionen nicht, dann müßten
die Finanzverwaltungen dieselben zurückziehen und man könne über das Budget
1911 separat verhandeln.

   Der kgl. ung. Finanzminister schließt sich den vorstehenden
Ausführungen vollständig an, wünscht aber volle Klarstellung darüber, was von
der Wehrreform in den fünf Jahren durchgeführt sein werde und was über 1915
nachkomme. Auch müsse künftig der Einblick in die Kriegsbudgets vor deren
Einbringung ermöglicht werden, um zu beurteilen, ob das Programm eingehalten
wird. Für dieses Mal habe man darüber wegen der Nähe der Delegationsberatun¬
gen ausnahmsweise hinausgehen können, für die nächsten Jahre sei dies aber
nicht tunlich.

         Korrektur aus Reserven.
b-b Korrektur aus eine weitere Reserve.
<pb/>Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 1. 1911  361

   Der k. k. Finanzminister bemerkt noch, daß der Vorbehalt bei
den 155 Millionen für fortifikatorische Zwecke ,,unter normalen Verhältnissen&quot;
zurückgezogen werden müsse und daß es bezüglich des Erfordernisses der Land¬
wehren bei dem Beschlüsse der Konferenz vom 20. November vorigen Jahres
bleibe.

   Der Kriegsminister glaubt hervorheben zu sollen, daß er seinerzeit
gesagt habe, er hoffe, daß die Überschreitungen nur 25 Millionen und nicht 30
Millionen erreichen werden. Man habe da aber gleich die Ziffer 25 festgehalten.
Er müsse daher den Vorbehalt machen, daß diese 25 Millionen vielleicht nicht
genügen werden. Man habe ihm auch statt der früher schon bewilligten Bud¬
getsteigerung im Jahre 1915 per 100 Millionen nur 95 konzediert. Redner repli¬
ziert hierauf auf die Ausführungen Dr. v. Bilinskis wegen des Eisenbahntarifes
und kommt zu dem Schlüsse, daß er die Höhe des bezüglichen Mehrbedarfes jetzt
noch gar nicht wisse, daher nicht mit Sicherheit darüber sprechen könne. Auch
müsse konstatiert werden, daß die Staatsbahnen bei einem Aufmärsche 60-80
Millionen einnehmen.

   Graf Aehrenthal resümiert die noch bestehenden Differenzen und
lenkt die Aufmerksamkeit der Konferenzteilnehmer darauf, daß der Kriegsmini¬
ster unmöglich Verpflichtungen übernehmen könne, deren Tragweite er nicht
kenne.

   Die beiden Ministerpräsidenten geben sodann ihrer Ansicht
dahin Ausdruck, daß die Regierungen nur das zur Kenntnis nehmen, was bezüg¬
lich der Wehrreform programmäßig innerhalb fünf Jahren absolviert wird, nicht
aber, was eventuell darüber hinaus zur Anmeldung gelangt. Im übrigen teilen sie
den Standpunkt ihrer Finanzminister. Baron Bienerth meint, es solle
volle Klarheit hergestellt werden. Man müsse innerhalb einer gewissen Zeit mit
bestimmten Ziffern rechnen können. Bei Mehrauslagen dürfe man nicht immer
die Bewilligung derselben vor Augen haben, sondern auch trachten, dieselben
durch Ersparungen auf anderen Gebieten zu decken. Bei dem neuen Militärtarife
stehe man allerdings vor einer unbekannten Größe, doch werden die neuen For-
derungen keineswegs so hoch sein, daß sie, bei dem großen Budget des Kriegs¬
ministers, dessen Voranschläge ein ganz anderes Bild geben könnten. Auch sei
der Weg zu Verhandlungen gegeben, so daß große Überraschungen nicht zu
furchten sind. Beide Regierungen seien so weit als nur möglich gegangen trotz
der ungünstigen finanziellen Verhältnisse, er stelle daher das dringende Ersuchen,
auf die Vorschläge einzugehen.

   Graf Khuen-Hederväry führt aus, daß der Hochkurs aller Bedürf¬
nisse erreicht sein dürfte und ein Sinken der Preise wahrscheinlich sei. Auch
könnten gewiß in manchen Belangen Ersparnisse erzielt werden.

   Graf Montecuccoli begrüßt dankbarst die Widmung von 3,3 Millio¬
nen für den Schutzdamm, welcher für die Sicherheit unseres einzigen Kriegsha¬
fens von äußerster Wichtigkeit sei.
<pb/>362 Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 1. 1911

    Es sei ausgesprochen worden, daß der Kriegsminister für ihn zu sorgen habe;
nun wäre es allerdings richtig, daß nicht er, sondern der Minister die Vorlagen
unterschreibe, zu vertreten habe jedoch er dieselben. Seine Forderung von 6 &#39;h
Millionen sei auf 4 Vi reduziert worden, diese hätte ihm der Kriegsminister ver¬
sprochen, dann - am 1. Dezember nach der Referentenberatung - hieß es, er be¬
komme nur 1 Vi Millionen, und da sei er genötigt zu erklären, daß er damit nicht
auskommen könne und werde. Er müsse die Erhöhung des Standes um 800 Mann
und den größeren Materialverbrauch hervorheben und nochmals ausdrücklich be¬
tonen, daß er gegen diese Zuweisung Einspruch erhebe, weil er mit 1 Vi Millionen
nicht auszukommen vermöge4.

   Nachdem der Marinekommandant noch über eine Frage des kgl. ung. Finanz¬
ministers Aufklärungen über mehrere hinsichtlich der Verwendung und Verrech¬
nung seit 1904 erstreckte Kredite gegeben und der Kriegsminister erklärt, daß es
ihm unmöglich sei, der Marine mehr als 1 x/i Millionen pro 1911 zu konzedieren,
führt der k. k. Finanzminister Dr. v. Bilihski folgendes
aus: Auf den Verteilungsmodus zwischen Fleer und Marine haben die Finanzver¬
waltungen keinen Einfluß ausgeübt, alle Vereinbarungen gelten für die ganze
Kriegsverwaltung, also für Heer und Marine, die bezüglichen Verpflichtungen
erstrecken sich sowohl auf die Voranschläge wie auf die Überschreitungen dieser
beiden, in deren Namen der Kriegsminister verfassungsmäßig allein abzuschlie¬
ßen habe. Dies vorausgeschickt, fährt Dr. von Bilihiki fort, müsse er auf den
Vorwurf des Kriegsministers, man habe ihm statt der versprochenen 100 Millio¬
nen nur 95 konzediert, zurückkommen. Wenn auch diese letztere Ziffer nach den
Plänen der Kriegsverwaltung zustandegekommen sei, so wäre er doch gewohnt,
das zu halten, was er einmal versprochen. Er schlage daher vor, die Sitzung auf
eine halbe Stunde zu unterbrechen, einer Verhandlung des Kriegsministers und
beider Finanzminister die Fachreferenten beizuziehen und eine neue Basis zu
schaffen, auf welcher ein endgiltiges Abkommen geschaffen werden könnte.

   Diesem Vorschläge des k. k. Finanzministers wird zugestimmt und die Bera¬
tung der Konferenz auf eine halbe Stunde unterbrochen.

   Nach Wiederaufnahme der Sitzung verliest Dr. v. Bilihski die nachfolgenden
Verhandlungsergebnisse, welche an Stelle der Vereinbarungen vom 20. Novem¬
ber 1910 zu treten haben: Abgesehen von dem für Marinebauten bestimmten au¬
ßerordentlichen Kredite per zusammen 312,4 Millionen Kronen, welcher auf die
Jahre 1911 bis 1916 dergestalt verteilt wird, daß im Jahre 1911 55 Millionen Kro¬
nen, im Jahre 1912 67 Millionen Kronen, im Jahre 1913 68,4 Millionen Kronen,
im Jahre 1914 68 Millionen Kronen, im Jahre 1915 49 Millionen Kronen und im
Jahre 1916 5 Millionen Kronen anzusprechen sind und im Falle der verfassungs¬
mäßigen Bewilligung in diesen Jahresraten zur Verfügung gestellt werden, wird

        Mit Schreiben v. 7. 1. 1911 (irrtümlich mit 6. 1. 1911 datiert) an die Militärkanzlei Seiner
       Majestät beantragte Montecuccoli einen gemeinsamen Ministerrat unter Ah. Vorsitz, Ka.,
        MKSM. 51-1/3-1/1911. Das Schreiben blieb unbeantwortet.
<pb/>Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 1. 1911  363

der Kriegsverwaltung (Heer und Marine) gegenüber dem Erfordernisse des Jah¬
res 1910 im Normalbudget für die nächsten fünf Jahre eine Gesamtsteigerung
zugestanden werden, welche beträgt: im Jahre 1911 38,8 Millionen Kronen, im
Jahre 1912 50,5 Millionen Kronen, im Jahre 1913 69,5 Millionen Kronen, im
Jahre 1914 86,5 Millionen Kronen und im Jahre 1915 100 Millionen Kronen. Die
sich hienach ergebende Summe von 345,3 Millionen Kronen, um 45,3 Millionen
Kronen höher, als die in der Konferenz vom 20. November 1910 zugestandene,
hat nicht bloß die Kosten der beabsichtigten Heeresreformen, sondern auch die
sogenannte Sanierung der Überschreitungen zu decken und letztere endgiltig zu
beseitigen.

   Um übrigens für das Jahr 1911 eine Entlastung des präliminarmäßigen An¬
spruches zu bewirken, wird in das Budget 1911 nur eine Steigerung von 28,8
Millionen Kronen (gegenüber 1910) eingestellt werden, während 10 Millionen
Kronen im Jahre 1911 für Sanierungszwecke im Wege einer Überschreitung be¬
stritten würden, woraufnatürlich im Laufe der Delegationsberatung mit dem Bei¬
fügen aufmerksam zu machen sein wird, daß damit die Sanierung des Budgets
abgeschlossen wäre.

   Es wird sich demnach die jährliche Steigerung der Erfordernisse im Normal¬
budget der Kriegsverwaltung gegenüber dem jeweiligen Vorjahre stellen wie
folgt: im Jahre 1911 auf 28,8 Millionen Kronen, (nebst der Überschreitung bis
zum Höchstausmaß von 10 000 000 Kronen), im Jahre 1912 auf 21,7 Millionen
Kronen, im Jahre 1913 auf 19 Millionen Kronen, im Jahre 1914 auf 17 Millionen
Kronen, im Jahre 1915 auf 13,5 Millionen Kronen. Außerdem wird der Kriegs¬
verwaltung in den genannten fünf Jahren alljährlich ein außerordentlicher Kredit
von je 20 Millionen Kronen, zusammen also 100 Millionen Kronen, zur Verfü¬
gung gestellt werden.

   Es werden überdies folgende Bedingungen vereinbart:
   1. Mit den vorgedachten Mehrkrediten (im Normalbudget und bei den außer¬
ordentlichen Krediten) haben sowohl Heer als Marine für alle während dieser
fünf Jahre auftretenden, wie immer gearteten Bedürfnisse auszukommen. Die
vom Reichskriegsministerium (Marinesektion) mit der Note vom 25. November
1910, P.K./M.S.Z:4785, nachträglich für die Herstellung eines Schutzdammes
gestellte Anforderung eines außerordentlichen, auf die Jahre 1910 bis 1913 sich
verteilenden Kredites von 7,5 Millionen Kronen wird nur insofeme zugestanden,
als nur in der Schlußrechnung pro 1910 eine Überschreitung von 3,3 Millionen
für diese Zwecke ausgewiesen werden darf, während für den Rest die Deckung in
den obigen konzedierten Krediten beziehungsweise in dem kontingentierten Ge-
samtaufwande der Kriegsverwaltung überhaupt gefunden werden muß.
   2. In diesen Erfordemissteigerungen sind insbesonders auch die Kosten der
geplanten Heeresreform in jedem von der Kriegsverwaltung beanspruchten, wie
immer gearteten Ausmaße vollständig zu bedecken, wobei der Kriegsminister
anerkennt, daß beide Regierungen nur für die Zeit bis 1915 eine finanzielle Ver-
<pb/>364 Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 1. 1911

pflichtung übernehmen und seinerseits sich verpflichtet, mit diesen Mitteln das
für die Zeit bis 1915 aufgestellte Programm vollständig durchzuführen.

   3. Aus diesen Mehrkrediten sind auch die budgetären Sanierungen von gegen¬
wärtig nicht ausreichend dotierten Präliminarposten zu bestreiten, wobei, wie be¬
merkt, nur für das Jahr 1911 noch eine einmalige Überschreitung bis zum Höchst¬
betrage von 10 Millionen Kronen erfolgen darf.

   4. Ebenso sind aus diesen Mehrerfordemissen die Auslagen für die Behebung
der sogenannten Rückständigkeiten zu decken.

   5. In den angegebenen Krediten haben auch alle fortifikatorischen Auslagen
die volle Bedeckung zu finden, sodaß die Anforderung eines speziellen Kredites
per 155 Millionen Kronen für fortifikatorische Zwecke zu entfallen hat.

   6. In diesen Mehrkrediten muß auch der aus der Einführung des neuen, im
Einverständnisse beider Finanzverwaltungen festzustellenden Militärzinstarifes
ab 1911 bei dem Heere und der Marine sich etwa ergebende Mehraufwand voll¬
ständig untergebracht werden, wie nicht minder die aus der Erhöhung des Mili-
täreisenbahntarifes für die gemeinsame Kriegsverwaltung resultierenden Mehr¬
erfordemisse.

   7. Die Kriegsverwaltung übernimmt die Verpflichtung, ab 1911 die Kassage-
bamng so einzurichten, daß bis zum Schlüsse jedes Jahres mit den jeweils bewil¬
ligten Krediten - ohne Anforderung von Vorschüssen bei beiden Regierungen -
das Auslangen gefunden werde. Diese Verpflichtung wird unter der Voraussetzung
übernommen, daß die Schlußrechnungen der Jahre 1908 bis 1910 rechtzeitig ver¬
fassungsmäßig erledigt werden,

   8. ferner die Verpflichtung, ohne vorgängige Zustimmung der beiden Finanz¬
minister keine Überschreitungen vorzunehmen, sowie namentlich durch eine ent¬
sprechende Modifizierung in der Präliminierung der Auslagen für die Beschaf¬
fung von Naturalien, Montursorten und dergleichen dafür Sorge zu tragen, daß
überhaupt weder im Wege von Nachtragsforderungen, noch im Wege der Schlu߬
rechnung Überschreitungen von Krediten oder Mehransprüche eintreten,

   9. endlich die Verpflichtung, ohne Zustimmung der beiden Finanzminister
auch innerhalb des konzedierten Mehrerfordemisses keine neuen, für die Finan¬
zen weiterhin präjudizierlichen Maßnahmen selbst einzuführen oder bei Seiner
Majestät zu beantragen.

    10. Insbesondere erklärt die Kriegsverwaltung, keine Maßnahmen ohne Zu¬
stimmung der beiden Finanzverwaltungen zu treffen, welche neue oder weitere
finanzielle Mehrbelastungen ab 1916 zur Folge haben würden, da die beiden Fi¬
nanzverwaltungen, abgesehen von der letzten Rate des für die Marinebauten be¬
stimmten außerordentlichen Kredites von 312,4 Millionen Kronen per 5 Millio¬
nen Kronen, welche in das Jahr 1916 fallt, über das Jahr 1915 hinaus derzeit
keine Verpflichtungen übernehmen.

    11. Die jeweiligen Budgetvorlagen sind jedes Jahr den beiden Finanzverwal¬
tungen zur Einsicht und Einflußnahme rechtzeitig mitzuteilen.
<pb/>Nr. 20 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 1. 1911  365

   Beide Ministerpräsidenten und der Kriegsminister
erklären, daß sie die vorstehend festgelegten Vereinbarungen vollständig akzep¬
tieren, und ist somit über alle Punkte eine volle Einigung zustandegekommen.

   Graf Montecuccoli erbittet sich jetzt das Wort, um auf die Über¬
schreitungen aufmerksam zu machen, welche beispielsweise beim Bau des ,,Ad¬
miral Spaun&quot; bereits mehr als eine Million betragen haben und mit denen voraus¬
sichtlich auch bei der Radetzky-Klasse zu rechnen sein werde.

   Der Vorsitzende, gibt seiner Freude und seiner Genugtuung über die
Herstellung des Einvernehmens Ausdruck und bemerkt, daß nunmehr der Voran¬
schlag pro 1911 nach Einholung der Allerhöchsten Genehmigung den Delegatio¬
nen vorgelegt werden kann. Dem pflichten beide Ministerpräsidenten bei, nur
macht Freiherr v. Bienerth den Vorbehalt, daß noch die formelle
Zustimmung des neuen österreichischen Kabinetts abgewartet werden müsse,
welchem Umstande Graf Aehrenthal Rechnung zu tragen verspricht.5
Letzterer hält sodann ein kurzes Expose über die politische Lage, indem er zu¬
nächst darauf verweist, daß seit seinen letzten einschlägigen Erklärungen keine
einschneidenden Veränderungen wahrzunehmen seien. Man befinde sich in- und
außerhalb Europas in einer Periode ruhiger Entwicklung. Seit dem Thronwechsel
in England habe die Spannung zwischen den zwei Mächtegruppen in Europa
entschieden nachgelassen, ebenso könne der Rücktritt Iswolskijs als ein Moment
der Beruhigung bezeichnet werden. Unsere Beziehungen zu Italien seien herzli¬
chere geworden, was auf die Stärkung des Dreibundgedankens von günstiger
Wirkung gewesen. Gleichzeitig mit letzterer Erscheinung könne in einer gewis¬
sen Beziehung von einer Lockerung der Tripleentente gesprochen werden. Die
Potsdamer Entrevue habe dem Zaren Gelegenheit gegeben, sich in versöhnli¬
chem Sinne auszusprechen.6 Dies sei nicht bloß vom Standpunkt der internatio¬
nalen Lage wichtig, sondern bedeute namentlich für Deutschland eine Beruhi¬
gung, da daraus hervorginge, daß Rußland die zuweilen aggressive Politik
Englands nicht unterstützen wolle. Der Reichskanzler habe ihn - Grafen Aehrent¬
hal - über diese Entrevue ausführlich in Kenntnis gesetzt und eine Verständigung

Der k. k. Ministerrat beschäftigte sich in der Sitzung v. 10. 1. 1911/III mit dem gemeinsamen
Budget pro 1911 und dem fünfjährigen Programm zur Ausgestaltung der Wehrmacht, Ava.,
Ministerrat, Ministerratsprotokolle Tagesordnungen 1910-1913, Bd. 16, das Protokoll ist
nicht mehr vorhanden. Über Vortrag des gemeinsamen Ministeriums v. 16. 1. 1911 wurde die
Einbringung des gemeinsamen Budgetspro 1911 in die Delegationen mitAh. E. v. 17.1.1911
resolviert, HHSxA., Kab. Kanzlei, KZ. 209/1911. Nach Annahme des Budgets durch die
Delegationen wurde es mittels Vortrag Aehrenthals v. 9. 3. 1911 mit Ah. E. v. 10. 3. 1911
sanktioniert, ebd., KZ. 839/1911. Fortsetzung der Frage des Heereskredites in GMR. v. 5. 3.
1911, GMKPZ. 486.
Die Potsdamer Entrevuefand am 4. und 5. 11. 1910 statt, doch gab es schon im Vorfeld Be¬
sprechungen der außenpolitischen Vertreter Russlands und Deutschlands. Zu den Ergebnis¬
sen der Besprechungen siehe Schreiben Bethmann Hollwegs an den deutschen Botschafter in
St. Petersburg v. 8. 11. 1910, publiziert in Grosse Politik, Bd. 27/2, Nr. 10155.
<pb/>366 Nr. 21 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 26. 2. 1911

über das Separatabkommen mit Rußland betreffend Persien in Aussicht gestellt.7
Unsere Interessen werden übrigens hiedurch nicht berührt.

    Was die Türkei betreffe, so herrsche wohl dort Uneinigkeit in der Regierung,
im Parlamente und im Komitee. Der k. u. k. Botschafter in Konstantinopel schät¬
ze aber wohl die Lage richtig ein, wenn er berichte, daß man nichts anderes habe
erwarten können, daß diese Dinge eben den eigentümlichen Verhältnissen im
Oriente entsprechen.8 Grund zu Besorgnissen sei derzeit keiner vorhanden trotz
der Unruhen an den Peripherien des ottomanischen Reiches, namentlich solange
Mahmud Schefket, der großes Ansehen und bedeutende Macht im Volke und in
der Armee habe, an der Spitze stehe.

   Nach diesem Expose schließt der Vorsitzende um % 1 Uhr nachmittags die
Sitzung.

                                                                                           Aehrenthal

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Budapest, am 17. Februar 1911. Franz Joseph.

     Nr. 21 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 26. Februar 1911

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Khuen-Hederväry, der k. k. Ministerpräsi¬
dent Freiherr v. Bienerth, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k.
Reichskriegsminister Freiherr v. Schönaich, der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der kgl. ung.
Handelsminister v. Hieronymi, der k. k. Finanzminister Dr. Meyer, der k. k. Eisenbahnminister Dr.
Glabinski.
    Protokollführer: Generalkonsul Freiherr v. Ferstel.
    Gegenstand: Ausgestaltung des bosnisch-herzegowinischen Bahnnetzes.

   keine KZ. - GMKPZ. 485
   Protokoll des zu Budapest am 26. Februar 1911 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Mini¬
sters des Äußern Grafen Aehrenthal.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, erinnert daran, daß die Frage der
Ausgestaltung des bosnisch-herzegowinischen Bahnnetzes schon im März v. J.
den Gegenstand mehrerer Konferenzen der gemeinsamen Minister und einer Re-

        Schreiben Bethmann Hollwegs an Aehrenthal v. 14. 11. 1910, publiziert in Österreich-Un¬
        garns Aussenpolitik, Bd. 3, Nr. 2313.
        Im Schreiben (Auszüge) v. 27. 12. 1910 an Aehrenthal stellte Pallavicini die Lage in der
        Türkei wesentlich negativer dar, publiziert in Österreich-Ungarns Aussenpolitik, Bd. 3, Nr.
         2396.
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