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Gemeinsamer Ministerrat, 14. 9. 1909

I. Beratung über die Gesetzentwürfe betreffend die neu zu erlassende Landesverfassung für Bosnien und die Herzegowina

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z10.pdf.

266 Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 9. 1909

Regierungen, die heute seinen Plan angehört, hinsichtlich dessen Durchführbar¬

keit in Fühlung zu bleiben. Das Marineprogramm werde den nächsten Delegatio¬

nen nicht vorgelegt, aber in der bezüglich des Termines der Delegationen einzu¬

berufenden gemeinsamen Ministerkonferenz zu Ende beraten werden, die

Erklärung Dr. Wekerles, heute noch keine Verpflichtung übernehmen zu können,

wird zur Kenntnis genommen.9

Schluß der Sitzung 2 Uhr p. m.

                                Aehrenthal

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 28. Oktober 1909. Franz Joseph.

     Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. September 1909

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Dr. Alexander Wekerle, der k. k. Ministerpräsi¬
dent Freiherr v. Bienerth, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k.
gemeinsame Kriegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich, der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager
GrafAladär Zichy, der k. k. Finanzminister Ritter v. Bilihski (22. 10.).
    Schriftführer: Legationsrat Friedrich Graf Szapäry.
    Gegenstand: Beratung über die Gesetzentwürfe betreffend die neu zu erlassende Landesverfas¬
sung für Bosnien und die Herzegowina.

   KZ. 60 - GMCPZ. 474
   Protokoll des zu Wien am 14. September 1909, 3 h p. m., abgehaltenen Mi¬
nisterrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k.
gemeinsamen Ministers des k. u. k. Hauses und des Äußern Grafen Aehrent¬
hal.

   Der Vorsitzende eröffnet die Beratung und bemerkt einleitend, daß
das Elaborat der Landesverfassung vom gemeinsamen Finanzminister dem Prin-
zipe entsprechend ausgearbeitet worden ist, welches vor der Annexion festgelegt
worden war,10 daß nämlich nach erfolgter Angliederung die Stellung Bosniens
und der Herzegowina gegenüber der Monarchie nicht verändert werden wird,
daß dieselben ein corpus separatum bilden und die Gesetze vom Jahre 1879 und
1880 in Geltung bleiben sollen, solange dies nicht auf Grund übereinstimmender

9 Fortsetzung des Gegenstandes in GMR. v. 17. 5. 1910, GMCPZ. 480.
10 Siehe dazu GMR. v. 10. 9. 1908, GMCPZ. 468. Zu den bisherigen Verhandlungen siehe die

        Konferenzen der gemeinsamen Minister v. 7. 6. 1909 und 6. 9. 1909, Ergänzende Protokolle
        anderer Provenienz IV und V dieses Bandes.
<pb/>Nr. 10 Gemeinsamer Ministermt, Wien, 14. 9. 1909  267

gesetzlicher Verfügungen seitens beider Staaten der Monarchie abgeändert
wird.1

   Der Vorsitzende glaubt, daß im Elaborate diesem Grundsätze Rechnung getra¬
gen ist, und spricht die Hoffnung aus, daß sich die noch bestehenden Differenzen
beseitigen lassen werden, da der Jahrestag der Annexion heranrücke und es nicht
angehe, daß das Versprechen, welches Se. Majestät in der Ah. Proklamation vom
5. Oktober 1908 der Bevölkerung Bosniens und der Herzegowina erteilt hat, bis
zu dem Momente unerfüllt bleibe, an welchem sich jenes historische Datum zum
ersten Male jährt.

   Er bittet den gemeinsamen Finanzminister, zu den Vorschlägen der beiden Re¬
gierungen Stellung zu nehmen und seine einschlägigen Bemerkungen vorzubrin¬
gen.2

   Gemeinsamer F i n a n z m i n i s t e r Freiherr v. Buriän
erklärt, den Wünschen der beiden Regierungen entgegenkommen zu wollen, bit¬
tet aber die beiden Ministerpräsidenten, auch ihrerseits nicht auf allen ihren An¬
regungen zu beharren, sondern einige derselben nochmals in Erwägung zu zie¬
hen.

   Vor allem müsse er seinen Dank zum Ausdruck bringen, daß die Grundlinien
seiner Entwürfe akzeptiert worden seien, so daß einschneidende Änderungen an
denselben sich nicht als notwendig erweisen.

   Der Minister geht nunmehr in die Besprechung der österreichischerseits vor¬
gebrachten Anträge ein und bemerkt, daß er hiebei unter einem auch die einschlä¬
gigen ungarischen Wünsche in Betracht ziehen werde, wo solche zu dem gleichen
Gegenstände vorliegen.3

   Die k. k. Regierung wünscht die Unterdrückung des ganzen projektierten § 1
des Landesstatuts. Da die kgl. ung. Regierung in betreff der Alinea 5 und 6 dieses
Paragraphes gleichfalls Reserven formuliert hat, schlägt der gemeinsamen Fi¬
nanzminister eine neue Formulierung des § 1 vor, die er dem Ministerrate über-

Für Cisleithanien Gesetz v. 20. 12. 1879, RGBl. Nr. 136/1879, betreffend die Herstellung
eines gemeinsamen Zollverbandes mit Bosnien und der Hercegowina und Gesetz v. 22. 2.
1880, RGBl. Nr. 18/1880, betreffend die durch den Berliner Vertrag vom 13. Juli 1878 an
Österreich-Ungarn übertragene Verwaltung Bosniens und der Hercegowina. Die entspre¬
chenden Gesetze fiir Ungarn GA. LII/1879 und GA. VI/1880. Zur Eingliederung Bosnien-
Herzegowinas in das österreichisch-ungarische gemeinsame Wirtschaftsgebiet siehe
JuzbaSic, Die Einbeziehung Bosniens und der Herzegowina.
Mit Schreiben (deutsche Übersetzung) v. 12. 7.1909 teilte Wekerle Buriän die Stellungnahme
der ungarischen Regierung mit, HHStA., PA. I, CdM. VIII c 12/1, Karton 638, fol. 439r-
444r, mit Schreiben (gedruckte Abschrift) v. 21. 7. 1909 tat dies Bienerthfür die k. k. Regie¬
rung, ebd., fol. 417r-434v.
Eine Auflistung der cisleithanischen Anträge mit Stellungnahmen der ungarischen Regierung
und den Bemerkungen des Außenministeriums sowie eine Auflistung der ungarischen Anträ¬
ge mit Stellungnahmen der k. k. Regierung und Bemerkungen des Außenministeriumsfindet
sich in ebd., fol. 489r-490v.
<pb/>268 Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 9. 1909

reicht und um deren Annahme er bittet. In dieser Formulierung ist Alinea 1 des §
1, dem Wunsche der k. k. Regierung gemäß, fallen gelassen, Alinea 2 hingegen
beibehalten. Letzteres motiviert der Minister mit der Notwendigkeit, im Gesetze
selbst dessen Geltungsgebiet festzulegen. Auch entspreche dies dem allgemeinen
Wunsche der Bevölkerung Bosniens und der Herzegowina sowie dem von allen
kompetenten Faktoren anerkannten Prinzipe, daß die annektierten Länder auch
fernerhin ein corpus separatum zu bilden haben.

   Weiters finden in der neuen Formulierung die Alinea 3 und 4 des alten § 1
Platz, gegen welche von keiner Seite Einwendungen erhoben wurden. Auch wur¬
de hier § 38 des Entwurfes, als an die Spitze des Gesetzes gehörig, angeschlos¬
sen.

   Bezüglich der Alinea 5 und 6 des alten § 1 legt der Minister Gewicht darauf,
daß die dort berührten Materien in irgendeiner Form gleichfalls im § 1 des Statuts
figurieren.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident spricht sich dagegen aus,
daß im Gesetze die Zuziehung bosnisch-herzegowinischer Vertreter zur Zoll- und
Handelskonferenz ausgesprochen werde. Die kgl. ung. Regierung perhorresziere
alles im Statut, was den Anschein erwecken könnte, als ob Bosnien und die Her¬
zegowina einen dritten, gleichgestellten Faktor in der Monarchie bilden würde.

   Nach einer längeren Debatte über die Frage, in welcher Weise die Wirksamkeit
der Verträge auf Bosnien und die Herzegowina im Grundgesetze festzulegen sei,
resümiert der Vorsitzende dahin, daß Alinea 5 dieses Paragraphes einer späteren
Beratung Vorbehalten bleibe, bei welcher beschlossen werden soll, ob es ganz zu
entfallen habe, oder ob ein entsprechender Passus in die projektierte Ah. Prokla¬
mation aufzunehmen sei, beziehungsweise ob die Frage in einem zwischen den
Regierungen vereinbarten Protokolle ihre Lösung zu finden habe, welches letzte¬
re allenfalls zu publizieren wäre.

   Das Alinea 6 betreffend (Anhörung von Vertretern Bosniens und der Herzego¬
wina in der Zoll- und Handelskonferenz) faßt der Vorsitzende die Ansicht der
Konferenz dahin zusammen, daß eine allen Beteiligten entsprechende Textierung
gefimden werden müsse, um deren Vorbereitung er den gemeinsamen Finanzmi¬
nister ersucht.

   Über Antrag des k. k. Finanzministers wird noch beschlossen, in
dem den § 1 des Statuts einleitenden Alinea 1 statt des Ausdrucks ,,einziges be¬
sonderes Verwaltungsgebiet&quot; ,,einheitliches besonderes Verwaltungsgebiet&quot; zu
setzen.

   In dem die neue Fassung des § 1 abschließenden Alinea, welches die bosnisch-
herzegowinischen Truppen betrifft, beschließt die Konferenz vor der Wendung
,,militärischen Organisationen&quot; das Wort ,,speziellen&quot; zu streichen.

   Der gemeinsame Finanzminister geht nunmehr auf die Be¬
sprechung der gegen die §§ 33 und 40 des Statuts erhobenen Einwendungen über,
welche die Kmetenablösungsfrage tangieren.
<pb/>Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 9. 1909  269

    Er erklärt, daß er dem Wunsche der k. k. Regierung, den Begriff ,,agrarrecht¬
 lich&quot; besser zu umschreiben, gerne Rechnung trage und daher vorschlage, hiefur
die Bezeichnung ,,kmetenrechtlich&quot; zu gebrauchen. Dieser Vorschlag wird ange¬
nommen.

    Was jedoch die k. k. Regierung gegen die zur Regelung dieser Frage geforder¬
te qualifizierte Majorität (§ 33) einwende, könne er nicht akzeptieren. Die quali¬
fizierte Majorität sei zum Schutze des mohammedanischen Grundbesitzes unbe¬
dingt notwendig. Übrigens bestehe ja auch die k. k. Regierung ihrerseits auf der
Festlegung einer qualifizierten Majorität bei Abstimmung über Kultusangelegen¬
heiten. Der Minister bittet, die Bestimmung des § 33 beizubehalten.

   Der k. k. Ministerpräsident dankt zunächst für das vom k. u. k.
gemeinsamen Finanzminister bewiesene Entgegenkommen bezüglich der von
ihm nicht entsprechend befundenen Bezeichnung ,,agrarrechtlich&quot;, sieht sich aber
zu seinem Bedauern genötigt, auf seinem Standpunkte zu beharren. Er gebe zu,
daß im Falle der Eliminierung einer Zweidrittelmajorität die Gefahr eines Vorsto¬
ßes der Kmetenvertreter vorliege. Gegen einen solche biete aber das Mittel der
Sanktionsverweigerung genügenden Schutz. Anders, wenn diese Bestimmung
auffechterhalten würde. Es könnte ja der Fall eintreten, daß sowohl die Regierung
wie die Mehrheit der Bevölkerung zur Überzeugung gelangt, daß eine Änderung
der Agrargesetzgebung notwendig sei. In diesem Falle würde die Regierung
durch die Bestimmung des Gesetzes gehindert sein, die von ihr gewünschten Re¬
formen durchzufuhren, da sie außer Stande wäre, gegen die Vertreter des Grund¬
besitzes aufzukommen.

   Auch leugne der Ministerpräsident den vom k. u. k. gemeinsamen Finanzmi¬
nister behaupteten Parallelismus mit dem Falle der in Kultusfragen geforderten
qualifizierten Majorität. Es handle sich da um ideelle Güter, in materiellen Fragen
würde eine solche Restriktion für die österreichische Öffentlichkeit ein vollkom¬
menes Novum bilden und keineswegs verstanden werden.

   Der k. k. Finanzminister erklärt, von den besten Intentionen des
k. u. k. gemeinsamen Finanzministers vollauf überzeugt zu sein. Man müsse je¬
doch mit der Stimmung im österreichischen Reichsrate rechnen. Er erinnere an
das im Frühjahre dieses Jahres getroffene Übereinkommen, laut welchem die
bosnische Agrarbank ihre Tätigkeit erst beginnen solle, nachdem die Regierung
ein Votum des ersten bosnisch-herzegowinischen Landtages über diese Frage
provoziert habe. In österreichischen parlamentarischen Kreisen werde man nun¬
mehr behaupten, daß es dem k. u. k. gemeinsamen Finanzminister ein leichtes
sein werde, das Zustandekommen einer Zweidrittelmajorität für einen der Agrar¬
bank ungünstigen Beschluß des Landtages zu verhindern.

   Ministerpräsident Dr. Wekerle bemerkt, daß der Widerstand
der k. k. Regierung gegen die Zweidrittelmajorität in kmetenrechtlichen Angele¬
genheiten in erster Linie auf die Differenzen in der Agrarbankfrage zurückzufüh¬
ren sei, man möge daher versuchen, vorerst diese Differenzen zu beseitigen. Der
österreichische Standpunkt führe in praxi zum Ruine der Agrarbank. An der
<pb/>270 Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 9. 1909

Agrarbank als solcher sei dem Ministerpräsidenten nichts gelegen; doch müsse er
auf der Wahrung der vollen wirtschaftlichen Parität bestehen. Die ungarische Re¬
gierung könne nicht untätig Zusehen, wenn das einzige ungarische Finanzinstitut,
welches sich anschicke, in Bosnien Geschäfte zu betreiben, mit unhaltbaren Ar¬
gumenten bekämpft und verdrängt werde. Der Ministerpräsident wolle gerne in
die Aufhebung der Privilegien der Agrarbank einwilligen, wenn auch alle übrigen
ähnlichen Privilegien beseitigt würden, auch jene der Landesbank.

   In diesem Zusammenhänge erwähnt Dr. Wekerle auch das im Frühjahre dieses
Jahres mit der Türkei abgeschlossenen Ententeprotokolles, in welchem den Mo¬
hammedanern der Schutz ihrer Eigentumsverhältnisse zugesagt wurde, und be¬
merkt, daß sich dieser Schutz auch auf den Forstbesitz der Mohammedaner er¬
strecken müsse. Daher sei die qualifizierte Majorität auch für Beschlüsse
erwünscht, welche die im Punkt 20 des § 43 (Forstwesen) angeführten Materien
betreffen.

   Gemeinsamer F i n a n z m i n i s t e r Freiherr v. Buriän
erklärt, in diese Diskussion nicht weiter eingehen zu wollen und stellt die Ent¬
scheidung dem Ministerrate anheim.

   Ministerpräsident Freiherr v. Bienerth bemerkt, daß
die k. k. Regierung keineswegs wegen der Agrarbankffage, sondern aus den be¬
reits erläuterten allgemeinen Gründen gegen die Zweidrittelmajorität in kmeten-
rechtlichen Fragen Stellung nehme. Aus denselben allgemeinen Gründen müsse
er sich auch gegen die vom kgl. ung. Ministerpräsidenten angeregte Anwendung
der Zweidrittelmajorität auf forstrechtliche Agenden aussprechen.

   Der gemeinsame Finanzminister hält auch seinerseits die
Zweidrittelmajorität in Fragen des Forstwesens nicht für geboten, da sich derzeit
85 % der bosnisch-herzegowinischen Forste im Staatsbesitze befinden und sich
die vorkommenden Rekriminationen auf diesem Gebiete nur gegen die Regie¬
rung wenden. Auch werde in diesem Belange gerade jetzt eine groß angelegte
Aktion geführt, welche in dieser Hinsicht eine Beruhigung herbeiführen wird.

   Der k. k. Ministerpräsident kommt nochmals auf den von der
k. k. Regierung gestellten Antrag zurück, daß in Kultusangelegenheiten die Prä¬
senz von vier Fünftel der Abgeordneten erforderlich sei und Beschlüsse mit
Zweidrittehnajorität gefaßt werden sollen und daß ferner zur Beschlußfähigkeit
des Landtages die Anwesenheit je eines Vertreters der Hauptkonfessionen not¬
wendig sei.

   Nach längerer Diskussion erklärt sich der gemeinsame Finanzmi¬
nister mit diesen Postulaten einverstanden und erhebt auch keine Einwen¬
dung dagegen, daß die Normen über die Beschlußfähigkeit des Landtages und
über die qualifizierte Majorität in das Landesstatut aufgenommen werden.

   Der Ministerrat beschließt gleichfalls in diesem Sinne.
   Es entspinnt sich nunmehr eine Debatte über die Agrarbankffage, in welche
der Vorsitzende mit dem Hinweise auf das im Frühjahre geschlossene
Kompromiß eingreift.
<pb/>Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 9. 1909                                  271

   Der k. k. Finanzminister bemerkt hiezu, daß man beim Ab¬
schlüsse dieses Kompromisses keineswegs daran gedacht habe, daß der zu provo¬
zierenden Beschlußfassung des Landtages durch Festlegung der Zweidrittelma¬
jorität solche Schwierigkeiten bereitet werden könnten.

   Der k. u. k. gemeinsame Finanzminister geht nunmehr
auf die Besprechung der seitens der k. k. Regierung zum § 40 des Statuts gestell¬
ten Anträge über.4 An Stelle des von der k. k. Regierung als nicht annehmbar be-
zeichneten Ausdruckes ,,erworbene Rechte&quot; proponiert er die Bezeichnung ,,ver¬
tragsmäßige Rechte&quot;. An diesen Vorschlag knüpft sich eine längere Diskussion,
welche den k. u. k. gemeinsamen Finanzminister veranlaßt, die Streichung des
ganzen im Entwürfe enthaltenen Textes dieses Paragraphes zu beantragen. Dieser
Antrag findet die Zustimmung des Ministerrates.

   Was aber die von der k. k. Regierung in Vorschlag gebrachte neue Fassung des
§ 40 anbelangt, bemerkt Freiherr v. Buriän, daß der Umstand an und für sich, daß
in einem Parlamente etwas beschlossen worden sei, noch nicht zur Folge haben
müsse, daß einem solchen Beschlüsse auch entsprochen werde. Die Forderung,
die freiwillige Kmetenablösung nur mehr als öffentlich-rechtliche Angelegenheit
zu betrachten, sei durchaus unhaltbar. Die freiwillige Ablösung könne wohl durch
Inanspruchnahme der Behörden öffentlich-rechtlich werden, sei es aber bei 40%
der vorkommenden Fälle keineswegs, da sich dieselbe auf durchaus privatem
Wege abwickle. Gewiß könne man die Leute nicht zwingen, die behördliche In¬
tervention anzurufen. Auch gehöre eine Bestimmung transitorischen Charakters
nicht in das Landesstatut. Der österreichische Vorschlag decke sich auch nicht
mit der rechtlichen Situation und den tatsächlichen Verhältnissen; er sei geeignet,
die im Zuge befindliche natürliche Lösung der bosnisch-herzegowinischen Agrar¬
frage zu hindern.

   Etwas anderes sei die Frage, was geschehen müsse, damit die k. k. Regierung
ihr dem Reichsrate gegenüber übernommenes Obligo erfüllen könne. Von dieser
Erwägung geleitet, habe er einen besondem Gesetzentwurf ausgearbeitet, wel¬
chen er dem Ministerrate mit der Bitte um seine Zustimmung hiemit überrei¬
che.

   Dieser Gesetzentwurf, welchen der Minister dem Landtage bei dessen Zusam¬
mentreten vorlegen würde, beinhalte im wesentlichen, daß von der konzessions¬
mäßigen Bestimmung über das Erlöschen der den Banken gewährten Privilegien
schon jetzt Gebrauch gemacht werde und daß die garantierte Kmetenablösung in
Hinkunft von einem Büro bei der Landesregierung durchgeführt werde. Zweck
des Gesetzentwurfes wäre festzulegen, daß die Ablösung nur eine freiwillige sein
könne und daß sie Privatsache sei, solange die Parteien die Intervention der Be¬
hörden nicht anrufen. Weiters würden im Gesetze auch die Modalitäten fixiert,
unter welchen die bezüglichen Anlehen gewährt werden dürfen.

Hierbei handelt es sich um die sogenannte Kmetenablöse oder bosnische Agrarfrage.
<pb/>272 Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 9. 1909

   Ein Unterschied gegenüber dem bei der Agrarbank kontemplierten Ablösungs¬
modus würde sich in der Hinsicht ergeben, daß die Spesen der einschlägigen
Transaktionen durch die Landesverwaltung getragen werden müßten, eine Bela¬
stung, für die die Verantwortung wohl dem Reichsrate beziehungsweise der k. k.
Regierung überlassen werden müsse.

   Der Minister bittet die k. k. Regierung, ihren Vorschlag fallen zu lassen, und
ersucht beide Regierungen um ihre prinzipielle Zustimmung zum Gesetzentwür¬
fe. Auch bitte er den ganzen Ministerrat, ihn zu unterstützen und den Entwurf
einer Prüfung zu unterziehen.

   Der k. k. Ministerpräsident meint, dem Prinzipe des Gesetz¬
entwurfes zustimmen zu können, behält sich vor, in denselben Einsicht zu neh¬
men, glaubt aber jetzt schon, daß wohl weiter gegangen werden müsse, als dies
nach dem flüchtig bekanntgegebenen Inhalte der Fall zu sein scheine.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident bemerkt, daß man sich nicht
den Beschluß des Reichsrates einseitig vor Augen halten dürfe, und daß auch die
ungarische Regierung eine moralische Verpflichtung übernommen habe, indem
sie dem Reichstage das Fortbestehen der Agrarbank zugesichert habe. Er könne
demnach keine bosnisch-herzegowinische Vorlage im Reichstage vertreten, falls
die ungarische Bank zur Liquidation gezwungen würde. Der Ministerpräsident
müsse seine Zustimmung zu der geplanten Lösung davon abhängig machen, daß
der Agrarbank für den Entfall des Ablösungsgeschäftes eine Entschädigung ge¬
boten werde und daß keine Belastung der beiden Staaten eintrete. Auch hege er
deshalb Bedenken gegen die Übernahme der Spesen durch die Landesverwal¬
tung, weil seinerzeit die Kosten der Grundentlastung in Ungarn von den Interes¬
senten getragen worden seien.

   K. k. Finanzminister v. Bilihski drückt seine Befriedigung
über den Vorschlag Freiherm v. Buriäns aus, möchte aber auch seinerseits gewis¬
se Reserven formulieren.

    Der Gesetzentwurf müsse vor allem genau geprüft werden; aber auch anderes
sei nötig. Die österreichische Öffentlichkeit müsse davon Kenntnis erhalten, daß
ein solches Gesetz eingebracht werden wird. Auch müsse die Forderung der qua¬
lifizierten Majorität fallengelassen werden. Unter diesen Voraussetzungen halte
er die Anregung des k. u. k. gemeinsamen Finanzministers für die beste Lösung.
Mit dem kgl. ung. Ministerpräsidenten stimme er darin überein, daß der Agrar¬
bank eine Entschädigung geboten werden solle. Die Agrarbankfrage habe in der
österreichischen öffentlichen Meinung wie ein Gift gewirkt und die Beseitigung
dieses Giftes sei ein Opfer wert.

    Der Vorsitzende gibt der Hoffnung Ausdruck, daß man sich hiemit auf
dem Wege zu einer Verständigung befinde und daß man noch im Laufe des Mo¬
nates September zu einer vollen Einigung gelangen werde.
<pb/>Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. 9. 1909                     273

  Er schließt den Ministerrat und beraumt dessen Fortsetzung aufMittwoch, den
15. September 1909, vormittags elf Uhr, an.

                                                                                          Aehrenthal

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 28. Oktober 1909. Franz Joseph.

     Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. September 1909

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Dr. Alexander Wekerle, der k. k. Ministerpräsi¬
dent Freiherr v. Bienerth, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k.
gemeinsame Kriegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich, der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager
GrafAladär Zichy, der k. k. Finanzminister Ritter v. Bilinski (22. 10.).
    Protokollführer: Legationsrat Friedrich Graf Szapäry.
    Gegenstand: Fortsetzung der Beratung über die Gesetzentwürfe betreffend die neu zu erlassende
Landesverfassung für Bosnien und die Herzegowina.

   KZ. 61 -GMCPZ. 475
   Protokoll des zu Wien am 15. September 1909, 11 ha. m., abgehaltenen
Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des
k. u. k. gemeinsamen Ministers des k. u. k. Hauses und des Äußern Grafen
Aehrenthal.

   Der Vorsitzende eröfihet die Beratung und ersucht den gemeinsamen
Finanzminister, die Erörterung der Wünsche der beiden Regierungen fortzuset¬
zen.1

   Der gemeinsame Finanzminister verliest eine neue Fassung
für die beiden letzten Alineas des von ihm ursprünglich vorgeschlagenen § 1 des
Landesstatuts, welche allgemeine Zustimmung findet.

   Weiters erklärt der Minister, nochmals auf eine schon gestern beratene Ange¬
legenheit zurückkommen zu wollen und bittet die k. k. Regierung nochmals, von
der Bestimmung absehen zu wollen, daß zur Beschlußfähigkeit des Landtages die
Anwesenheit von mindestens je einem Vertreter der Hauptkonfessionen erforder¬
lich sei. Es unterliege zwar keinem Zweifel, daß dies zumeist der Fall sein werde,
doch bestehe die Gefahr, daß, wenn die Vertreter der israelitischen Konfession
oder später allenfalls die Protestanten den Anspruch erheben sollten, gleichfalls

Fortsetzung der Frage der bosnischen Verfassungsgesetzein GMR. v. 15. 9. 1909, GMCPZ.
475 und der Kmetenablöse in GMR. v. 18. 9. 1909, GMCPZ. 476.

Fortsetzung des GMR. v. 14. 9. 1909, GMCPZ. 474.
<pb/>