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Gemeinsamer Ministerrat, 19. 11. 1903

II. Der den Delegationen vorzulegende gemeinsame Voranschlag pro 1904

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z50.pdf#page=3.

III. Die Abmachung mit Italien wegen Verlängerung des Handelsvertrages und Änderung der Weinzollklausel

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z50.pdf#page=10.

314  Nr. 50 Gemeinsamer Ministenat, Wien, 19.11.1903

           Nr. 50 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19. November 1903

RS. (und RK.)
Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident v. Koerber (23. ll.'l. der kel. umr MinktpmrätiH^n. <~.,,r

    KZ. 43 - GMCZ. 439
    Protokoll des zu Wien am 19. November 1903 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers
des Äußern Grafen Gohichowski.

    [I.] Der Vorsitzende eröffnet die Beratung mit einer kurzen Darlegung der
letzten Phase der orientalischen Frage seit den Vereinbarungen von Mürzsteg.1

    Das Programm der Ententemächte vom Januar 1. J. habe in seinen Prinzipien keine
Änderung erfahren,2 und seien Österreich-Ungarn wie Rußland der Ansicht, damit das
Auslangen finden zu können, wenn auch die Durchführung der angeregten Reformen
einerseits durch die Indolenz der Türkei, andererseits durch die perfide Haltung der
Bulgaren - und zwar sowohl der Komitees als auch des Fürstentums selbst - sehr
erschwert werde. Wiewohl infolge der vorgerückten Jahreszeit die Bandenbewegung in
Abnahme begriffen ist, so war doch die Besorgnis nicht abzuweisen, daß mit dem
kommenden Frühling ein Neuaufleben des Aufstandes erfolgen werde, und sei daher
in den Pourparlers von Mürzsteg unter Festhaltung des bisherigen Standpunktes der
beiden Ententemächte ein Programm von 9 Punkten aufgestellt worden, durch welches

    Am 2.10.1903trafen sich KaiserFranzJoseph und ZarNikolaus II., begleitet von ihren Außenministern, im
     Jagdschloß Mürzsteg und einigten sich darauf, den Unruhen iii Mazedonien den Wind aus den Segeln zu
     nehmen. Den Text der Mürzsteger Punktation in französischer Sprache siehe in K. u. k. Ministerium des
     Aussern, Reformaktion in Mazedonien 17-19. Siehe ferner Die grosse Politik, Bd. 18/1 Nr. 5611-
     5612; Hohenlohe, Die Jagd in Mürzsteg 244-250; Carlgren, Iswolsky und Aehrenthal vor der bosni¬
     schen Annexionskrise 38-43; Bridge, From Sadowa to Sarajevo 265-266.
2 Die Ententemächte sind hier Rußland und die Habsburgermonarchie, und die Entente bedeutet die von
    beiden Ländern im Jahre 1897getroffene Vereinbarung. Im Dezember 1902 besuchte der russische Außen¬
    minister Wladimir Nikolajewitsch GrafLamsdorffSerbien und Bulgarien und gab die Erklärung ab, daß,
    damit das Schicksal ihrer Konnationalen in Mazedonien sich verbessere, sie sich unbedingt ruhig
    verhalten müssen, da nurwenn seitens ihrer Staaten jede Aufreizung und Provokation vermieden werde,
    die beiden an den Vorgängen im Balkan zumeist interessierten Mächte, nämlich Österreich-Ungarn und
    Rußland, in der Lage sein werden, wirklich praktische Zugeständnisse von der Pforte zu erlangen. Diese
    Erklärung hatte Lamsdorffmit Gotuchowski vorher nicht abgesprochen, sie baute aber eindeutig auf eine
    gemeinsame Vorgangsweise. Nachher reiste Lamsdorffum die Wende 1902 -1903 nach Wien, wo man sich
    aufdie Grundsätze der mazedonischen Reform einigte, die im oben geschilderten Geiste aufderAufrechter¬
    haltung des Status quofußte. Über diese Begegnungsiehe Gotuchowski an Aehrenthal (den Botschafter der

   Monarchie in St. Petersburg) v. 2.1.1903, K. u. k. Ministerium des Äussern, Reformaktion in Maze¬

    donien 7; Gotuchowski an SzOlv. 26.1.1903, HHSrA., PA. I, Karton 635,34/CdM.; Carlgren, Iswolsky
    und Aehrenthal vor der bosnischen Annexionskrise 36.
<pb/>Nr. 50 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19.11.1903               315

der Pforte gegenüber eine strenge Kontrolle eingerichtet werden sollte, ohne die nun
einmal von der Türkei die Durchführung der nötigen Reformen nicht erwartet werden
könne.

   Aus humanitären Rücksichten mußte - angesichts der weitgehenden Zerstörungen
christlicher Dörfer, Vertreibung der Einwohner, Verbrennung von Kirchen und
Schulen - darauf gedrungen werden, daß die Pforte diese Schäden nach Tunlichkeit
gutzumachen sich bestrebe. Unter den Punkten des erwähnten Programmes seien
hervorzuheben:

   Bestehung je eines Delegierten Österreich-Ungams und Rußlands, die dem Gou¬
verneur Hilmi Pascha beigegeben würden.3 Ernennung eines Generals, der die Gen¬
darmerie zu reorganisieren hätte, und Beigabe von europäischen Offizieren, welche die
Reorganisierung des Sicherheitsdienstes sowie das Verhalten der ottomanischen
Truppen gegenüber der Bevölkerung zu überwachen hätten. Einsetzung gemischter
Kommissionen zur Überwachung der Bestrafung von Übeltätern. Endlich Neuabgren¬
zung der Sandschaks nach dem nationalen Charakter der Bevölkerung (bulgarisch,
serbisch, griechisch, albanisch).

   Der Vorsitzende hebt insbesondere hervor, daß in einigen Sandschaks slawische und
albanische Bevölkerung vorhanden ist, und daß es im Interesse der Konservierung des
albanischen Elementes - woran gleich uns auch die Pforte ein eminentes Interesse hätte
- gelegen sei, das letztere in besonderen, rein albanischen Distrikten zusammenzufas¬
sen; bilde doch gerade die albanische Nation einen Damm gegen die Überspülung der
Pfortenbesitzungen auf der Balkanhalbinsel durch die slawische Hochflut.

   Redner erörtert sodann die Frage, warum für uns die Gründung eines autonomen
Mazedoniens, das früher oder später mit dem Fürstentum Bulgarien sich zu einem
Großbulgarien vereinigen würde, nicht wünschenswert sei, und betont hiebei, daß die
BUdung eines solchen Staates, der naturgemäß unter dem Einflüsse der Orthodoxie und
des Slawismus stehen würde, uns keinerlei Vorteil bringen, die Stellung der Türkei und
der nicht-slawischen christlichen Balkanstaaten aber, an deren Gedeihen wir ein Inter¬
esse haben, empfindlich schädigen müßte.

   Auch Rußland stehe derzeit auf dem Standpunkte, daß die Kreierung eines Gro߬
bulgariens keineswegs wünschenswert sei, und teile vollkommen unsere Anschauung,
daß die durch eine solche Neubüdung hervorgerufene empfindliche Schwächung der
Türkei vermieden werden müsse. Für die gegenwärtig leitenden Kreise des Zarenrei¬
ches sei hiebei der Umstand maßgebend, daß sie von einem Großbulgarien keine
Vorteüe für Rußland erwarten, und falle weiters noch besonders ins Gewicht, daß das
Interesse Kaiser Nikolaus&#39; sich in immer höherem Maße den Problemen des äußersten
Ostens zuwende.

   Die in Mürzsteg formulierten Forderungen seien am 10. November von den Bot¬
schaftern der Ententemächte der Pforte überreicht, von derselben allerdings zunächst
zurückgewiesen worden, dürften von ihr aber dennoch schließlich akzeptiert werden,
umso mehr als sie auch von den anderen Mächten, insbesondere von Deutschland,

3 Pascha Hilmi Hussein, 1902 -1908 Oberkommissar Mazedoniens.
<pb/>316  Nr. SO Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19.11.1903

unterstützt werden, und da die Türkei sich der Richtigkeit unseres Hinweises darauf
nicht verschließen dürfte, daß das Mürzsteger Programm ein Minimum darstelle, über
das, wenn es nicht angenommen würde, die dann gewiß seitens anderer Mächte, in
erster Linie Englands, zu gewärtigenden Reformvorschläge weit hinausgehen würden.4

   Der Ick. Ministerpräsident v. Koerber dankt dem Vorsitzenden für
dessen Ausführungen und erblickt in der Entente mit Rußland eine Garantie für die
Verwirklichung der die Interessen derk. u. 1c Monarchie wahrenden Absichten unserer
Regierung.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza hofft, daß die Türkei
während des Winters ihre Stellung in den Balkanprovinzen möglichst verstärken werde.

   Der Vorsitzende schließt sich dieser Hoffnung an und bemerkt, daß nur auf
Entlassung der militärisch ohnedies minderwertigen, undisziplinierten Baschibozouks5
gedrängt, andererseits aber auch auf Bulgarien ein energischer Druck ausgeübt werden
müsse, damit es nicht durch Duldung des Bandenwesens und Unterstützung des
Aufstandes von seinem Gebiete aus das Pazifizierungs- und Reformwerk der Mächte
störe. Das Fürstentum erkenne freüich sehr wohl, daß seine Rolle in Mazedonien mit
dem Gelingen jenes Werkes ausgespielt sei; um aber auch etwaigen aus diesem Gedan¬
kengange entspringenden bulgarischen Unternehmungen die Spitze abzubrechen,
seien wir mit Rußland übereingekommen, daß aus einem eventuellen bewaffneten
Konflikte zwischen Bulgarien und der Türkei keiner der Streitteüe irgend einen terri¬
torialen Vorteü davontragen dürfe. Der Vorsitzende belobt sich schließlich der loyalen
und besonders vertrauenerweckenden Haltung des Grafen Leimsdorff uns gegenüber,
dessen Stellung, entgegen allen in letzter Zeit aufgetauchten Gerüchten, bei seinem
kaiserlichen Herrn eine ausgezeichnete und vollkommen unerschütterte sei.6

   Der k.u.k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit-
reich stellt das Ersuchen, daß er, wenn doch unvorhergesehenerweise irgendwelche
Komplikationen, die unser bewaffnetes Einschreiten erheischen würden, eintreten
sollten, hievon rechtzeitig genug, um die nötigen Vorbereitungen treffen zu können, in
Kenntnis gesetzt werden möge, was der Vorsitzende mit dem Bemerken zusagt,
daß dieser Fall hoffentlich nicht eintreten werde, da wir ja eben auf dem Standpunkte
der Nichteinmischung stehen.

    [H.] Es wird sodann zu der Besprechung des Budgets des gemeinsamen Finanzmi¬
nisteriums übergegangen, und ergreift hiezu der gemeinsame Finanzmini¬
ster Freiherr v. Buriän das Wort, indem er ausführt, daß die Posten seines
Voranschlages dem des vorjährigen mit Ausnahme einiger weniger Erhöhungen gleich

4 Die Mürzsteger Punktation wurde von den Botschaftern der Habsburgermonarchie und Rußlands in
    Konstantinopel, Heinrich v. Ccdice und Iwan Alexejewitsch Sinowjew, der Pforte überreicht, K. u. k. Mini¬
    sterium DES ÄUSSERN, REPORMAKTION IN MAZEDONIEN 19-29.

5 Baschibozouk (Baschi-Bosuk): zur inneren Pazifizierung eingesetzte irreguläre Truppe.
6 Im Frühjahr 1903 wurde die Position des russischen Außenministers Lamsdorff erschüttert. Zu dieser Zeit

     saß ernicht mehramHebel derFemostpolitikRußlands, undauch seine Balkanpolitik wurde schon kritisiert.
     Die im Einvernehmen mit der Monarchie geßhrte Balkanaktion war auch zur Festigung seiner Position
    gedacht. Carlgren, Iswolsky und Aehrenthal vor der bosnischen Annexionskrise 42.
<pb/>Nr. 50 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19.11.1903  317

sind, die in der Vorrückung von Beamten in höhere Kategorien, in dem Mehrerforder¬
nis für die Adaptierung des Bankgebäudes (zu welcher das gemeinsame Ministerium
15% beitrage) und in der Erhöhung der Reisefonds, da die nächstjährigen Delegationen
in Budapest tagen werden, begründet erscheinen.

   Das Budget des Gemeinsamen Obersten Rechnungshofes weist nur einige durch
Beamtenvorrückungen bedingte Mehrforderungen auf.

   Beide Voranschläge werden von der Konferenz einstimmig angenommen.
   Anläßlich der nun folgenden Beratung des Budgets der okkupierten Provinzen
entspinnt sich eine Debatte über die künftige Tragung des Zinsen- und TUgungsdienstes
der bosnischen Bahnanleihen von 1902 und 1898, der gegenwärtig für erstere Anleihe
aus dem der bosnischen Verwaltung seinerzeit ausgezahlten Anleihekapitale, für letz¬
tere aus der Summe von 16 Millionen, die von den beiden Regierungen aus den
gemeinsamen Aktiven zu diesem Zwecke zur Verfügung gestellt wurde, bestritten wird.7
   Der k.lc Ministerpräsident v. Koerber und der k.k. Finanzmi¬
nister v. Böhm betonen, daß ihres Erinnerns nach seinerzeit festgestellt wurde,
daß die Finanzen der beiden Staatsgebiete der k. u. k. Monarchie durch jenen Dienst
nicht belastet werden dürften, und daß es wohl sehr schwer möglich wäre, mit diesbe¬
züglichen Kreditforderungen an die Legislativen der beiden Reichshälften heranzutre¬
ten.
   Der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän
weist darauf hin, daß jene neuen Bahnen, die weit mehr politischen und strategischen
Zwecken als den wirtschaftlichen Bedürfnissen des Okkupationsgebietes dienen
werden, voraussichtlich passiv sein dürften, aus ihren Einnahmen also wohl kaum für
Verzinsung und Tügung jener Anleihen die Mittel gefunden werden könnten.
   Der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza gibt der Hoffnung
Ausdruck, daß es doch gelingen werde, im bosnischen Budget eine Marge zu schaffen,
die es ermöglichen werde, diese Last aus den Finanzen der okkupierten Länder zu

bestreiten.
   Nachdem der gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän

noch erklärte, daß er diese Frage eingehend studiert und darüber Sr. Majestät ein
Memoire unterbreitet habe,8 daß er übrigens das möglichste tun werde, um die seiner¬
zeitige Übernahme jenes Dienstes auf das Budget der okkupierten Provinzen durch¬
führbar zu machen, konstatiert der Vorsitzende, daß der verewigte gemeinsame
Finanzminister v. KaUay seinerzeit die Zusicherung gegeben habe, daß die fraglichen
Zinsen von den Okkupationsländern getragen werden können, und daß damit die
beiden Reichshälften nicht belastet werden sollen. Er könne sich der Hoffnung des kgl.
ung. Ministerpräsidenten nur anschließen, daß es gelingen möge, die höchst unange-

7 Mit der Anleihe des Jahres 1898 wurde der Bau der Verlängerung der Bahnverbindung Mostar -Metkovic
    nach Gravosa und Bocche di Cattaro mit einer Seitenlinie bis nach Trebinjefinanziert: Gesetz v. 7. 7.1898,
     RGBl. Nr. 122/1898 bzw. GA. XXTV/1898. Mit der Anleihe des Jahres 1902 wurde die Bahnverbindung
    Sarajevo -Uvac gebaut, an die sich eine Abzweigung nach VardBte anschloß: Gesetz v. 8. 6.1902, RGBl.
     Nr. 118/1902 bzw. GA. XHI/1902. Siehe auch Schmid, Bosnien und Heizegovina unter der Verwaltung

     Österreich-Ungams S85.
8 Diese Denkschrift war nicht auffindbar.
<pb/>318  Nr. 50 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19.11.1903

nehme Eventualität der Heranziehung der Finanzen der beiden Staaten der Monarchie
für gedachten Zweck zu vermeiden.

   Der Vorsitzende geht sodann zur Erörterung des Budgets des k. u. k. Ministeriums
des Äußern über und betont, daß die Mehrforderungen, speziell im Konsularwesen,
Sanierungsposten sind, da den bisher eingestellten ungenügenden Summen gegenüber
alljährlich mit Überschreitungen gearbeitet werden mußte, so daß im Schoße der
vorjährigen Delegation selbst der Wunsch ausgesprochen wurde, daß diesen Über¬
schreitungen ein für alle Mal ein Ende gemacht und die notwendigen Beträge in das
Budget aufgenommen werden möchten. Bei der enormen Entwicklung des Konsular¬
wesens in den letzten Jahren sei ein Auslangen mit den bisherigen Mitteln eben
tatsächlich nicht möglich gewesen, und werde mit der Annahme der nunmehr einge¬
stellten Posten für die Zukunft das Auslangen gefunden werden. Vorsitzender begrün¬
det sodann insbesonders die für die aus politischen Erwägungen notwendige Kreierung
eines Konsulates in Mitrowitz und die handelspolitischen Zwecken dienende Errich¬
tung eines Konsulates in Johannesburg angesprochenen Sunamen sowie die übrigen
Posten des Budgets.

   Der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm stimmt angesichts der
Ausführungen des Vorsitzenden der Einstellung der Sanierungsposten vollkommen
zu und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß durch deren Annahme Überschreitungen
in Hinkunft vermieden werden. Hinsichtlich der für Vermehrung der Amtsdiener¬
stellen bei der Zentralleitung beantragten Summe spricht jedoch Redner den
Wunsch aus, daß zwar die Vermehrung der Dienerstellen von 46 auf 51 ins
Budget eingestellt, jedoch nur auf die zwei unteren Kategorien verteilt werde. Die
vom Ministerium des Äußern angesprochene Vermehrung der Dienerstellen erster
Kategorie, so daß in den sodann vorhandenen 51 Stellen 17 Amtsdienerposten
erster Kategorie systemisiert würden, hält Redner aus dem Grunde für inoppor¬
tun, da in allen übrigen Zentralstellen nur einige wenige Diener (Türhüter) in der
ersten Kategorie, alle übrigen in der zweiten und dritten Gehaltsstufe stehen, und
eine so bedeutende Verbesserung der Vorrückungsverhältnisse im Status der
Diener des Ministeriums des Äußern unfehlbar unter dem Dienerpersonale der
k. k. Ministerien das Auftauchen analoger Wünsche zur Folge haben dürfte, deren
Erfüllung aber, da es sich hier um weit größere Summen handeln müßte, untun¬
lich wäre.

   Gegenüber diesen Ausführungen des k. k. Finanzministers sieht sich der Vorsit¬
zende veranlaßt, dessen Wunsche Rechnung zu tragen, und wird somit im Voran¬
schläge des Ministeriums des Äußern nur eine für die Vermehrung der Amtsdiener¬
stellen zweiter und dritter Kategorie (zusammen 5 Posten) erforderliche Summe
eingestellt, hingegen die Kreierung neuer Dienerstellen erster Gehaltsstufe unterblei¬
ben. Hinsichtlich des für die k. u. k. Konsularakademie nach deren Unterbringung in
ihrem neuen eigenen Heim präliminierten Mehrbetrages (gegen bisher) von 50 000
Kr. wovon im Budget pro 1904 eine Halbjahrsquote von 25 000 Kr. für die vor Beginn
des ersten Schuljahres (1904/1905) nötige Einrichtung des Verwaltungsapparates in
Anspruch genommen wird, fragt der k.k. Finanzminister Ritter v.
Böhm an, wieso es komme, daß für die Regie dieser Lehranstalt trotz der mit der
<pb/>Nr. SO Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19.11.1903  319

Unterbringung derselben im eigenen Hause verbundenen Ersparnis der bisher bezahl¬
ten Wohnungsmiete eine so bedeutende Mehrforderung eingestellt werde.9

   Vorsitzender erörtert hierauf, daß die Akademie in ihrer bisherigen Gestalt
dem Bedarfe an Konsularbeamten keineswegs mehr zu entsprechen vermochte; das
Bestreben mußte daher dahin gehen, die Zahl der Absolventen der Akademie tunlichst
zu vermehren, da eben nur die letzteren durch die ihnen zuteil gewordene, speziell
ihrem künftigen Berufe angepaßte Vorbüdung in der Lage seien, den gegenwärtig an
die Konsularfunktionäre gestellten, so bedeutend erhöhten Anforderungen zu genügen.
Während nun in der Akademie bisher nur 29 Zöglinge Platz fanden, werden deren im
neuen Hause 40 üntergebracht werden können, und auch diese Zahl müsse dem
faktischen Bedarfe gegenüber als ein Minimum bezeichnet werden. Die möglichst
vorzügliche Ausbüdung der Zöglinge, auf die ja seitens der Delegationen stets gedrun¬
gen werde, erheische aber einen größeren Aufwand an Lehrkräften, von denen einige
bisher zugleich in der Theresianischen Akademie10 und der im Gebäude derselben
untergebrachten Konsularakademie wirken konnten, was bei der nun bevorstehenden
räumlichen Trennung beider Anstalten künftig entfallen müsse; endlich erfordere auch
die notwendige intensivere Beschäftigung der Akademiker mit der ungarischen
Sprache weitere geeignete Lehrkräfte. Es sei somit ersichtlich, daß mit der Übersied¬
lung in das neue Haus eine Neuorganisierung der fraglichen Anstalt Hand in Hand
gehe, infolge deren eben für die künftige Führung der Anstalt auf erweiterter Basis die
angesprochenen größeren Mittel unumgänglich erforderlich sind, und könne Redner
nur seiner Überzeugung Ausdruck geben, daß die in Anbetracht der ganz besonderen,
bei dem jetzigen Weltverkehre mit der Einrichtung des Konsularwesens verknüpften
Interessen für die möglichst vollkommene Ausgestaltung desselben keine Opfer ge¬

scheut werden dürfen.
   Angesichts dieser Ausführungen, deren letzten Erwägungen auch der k g 1. u n g.

Ministerpräsident Graf Tisza ausdrücklich zustimmt, zieht der k. k.
Finanzminister v. Böhm seine Bedenken gegen die für die k. u. k. Konsular¬

akademie eingestellte Mehrforderung zurück.
   Auf eine Anfrage des kgL ung. Ministerpräsidenten Grafen

Tisza hinsichtlich der für die Einberufung diplomatischer und Konsularbeamten
in das Ministerium des Äußern ins Budget eingestellten Mehrforderungen erwi¬
dert der Vorsitzende, daß es sich hier ebenfalls um Sanierungsposten handle,
indem solche Einberufungen infolge zeitweise erhöhten Personalbedarfes in ein¬
zelnen Referaten und Departements in den letzten Jahren öfters notwendig
wurden, und dann für die den betreffenden einberufenen Beamten zu zahlenden
Diäten im Rahmen der bisher budgetär normierten Pauschalien das Auslangen

nicht gefunden werden konnte.

9 ZurNeuorganisierung derKonsularakademie und deren Umsiedlung in ein neues Gebäude siehe GMRProt.

    v. 21.3.1898, GMCZ. 408, Anm. 1.
10 An der Theresianischen Akademie, die Maria Theresia 1749 gegründet hatte, wurde man nach dem Abitur

    für den allgemeinen öffentlichen Dienst ausgebildet. Man lehrte hier vor allem moderne Sprachen und
    Rechtswissenschaft.
<pb/>320  Nr. 50 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19.11.1903

   Nach dieser Erläuterung erklärt sich der kgl. ung. Ministerpräsident
GrafTisza mit den in Rede stehenden Posten einverstanden, und wird sodann der
Voranschlag des Ministeriums des Äußern mit der oben erwähnten Änderung bezüg¬
lich der Dienerstellen einstimmig angenommen.

   Es ergreift hierauf der k.u. k. gemeinsame Kriegsminister FML.
Ritter v. Pitreich dasWortzurBesprechungdesVoranschlagesseinesRessorts
und führt aus, es sei derselbe noch aufgrund der Anhoffung aufgestellt worden, daß die
für die Schlagfertigkeit der Armee unumgänglich notwendige Erhöhung des Rekruten¬
kontingentes doch noch bewilligt werden würde. Die Gestaltung der politischen Ver¬
hältnisse in Ungarn habe diese Erhöhung derzeit unmöglich gemacht, doch hofft
Redner immer noch, daß das neue Wehrgesetz mit der geplanten Vermehrung der
Kontingente so rechtzeitig perfekt werden möge, daß die Einstellung der erhöhten
Anzahl Rekruten aufgrund der mit Ende August stattfindenden Abrechnung des
Rekrutenkontingentes noch im Herbste 1904 werde stattfinden können. Er fragt daher,
ob es nicht doch möglich wäre, den erhöhten Stand bei Einbringung des Gesetzes für
das bisherige Kontingent, unter Vorbehalt der Bewilligung des erhöhten Standes durch
das neue Wehrgesetz, als Grundlage des gegenwärtigen Voranschlages zu belassen.

   Der kgl. ung. MinisterpräsidentGrafTisza antwortethierauf, daß
er von der Notwendigkeit der Vermehrung der Armee und insbesondere der Reorga¬
nisierung der Artillerie vollkommen überzeugt sei, es dürfe aber, wolle man nicht
imabsehbare Konsequenzen heraufbeschwören, in das öffentliche Leben Ungarns
nichts gebracht werden, was die kaum zur Not angebahnte Beruhigung wieder fraglich
zu machen geeignet wäre. Diese Wirkung würde aber ohne Zweifel die Wiedereinbrin¬
gung einer Vorlage auf Erhöhung des Rekrutenkontingentes im gegenwärtigen Augen¬
blicke haben, da einer solchen gegenüber das Wiederaufflammen der Obstruktion zu
befürchten wäre. Erst müsse das öffentliche Leben Ungarns saniert, die Hausordnung
des Parlamentes in einer Weise umgestaltet werden, die Vorkommnisse, wie jene des
verflossenen Sommers, unmöglich zu machen geeignet sei, dann erst könne an ein
Zurückgreifen auf die Forderungen der Heeresverwaltung hinsichtlich Vermehrung
der Armee gedacht werden. Vielleicht gelinge es dann, das Rekrutenkontingent durch
das im kommenden Frühjahr einzubringende Wehrgesetz zu erhöhen, derzeit aber
erübrige nichts anderes, als das bisherige Kontingent zur Grundlage des Budgets pro
1904 zu machen.11

   Im Anschlüsse an die Ausführungen Graf Tiszas erklärt der k. k. Minister¬
präsident v. Koerber, daß auch die österreichische Regierung die Erhöhung
der Stände für den Ausbau der Armee als absolut notwendig erkenne. In Anbetracht der
bekannten Vorkommnisse in Ungarn müsse aber derzeit auch in Österreich die Wieder-

11 Ministerpräsident Kälmän Szill sah sich im Juni 1903 gezwungen, angesichts der im Zusammenhang mit
    dem Vorschlag auf die Erhöhung des Rekrutenkontingents sich entfaltenden Obstruktion zurückzutreten.
    Sein Nachfolger Khuen-Hidetväry konnte wegen der neuerlichen Obstruktion nicht einmal die normale
    jährliche Rekrutenzahl und das Budget im Parlament billigen lassen. Im Oktober 1903 wurde Istvän Tisza
    mit derRegierungsbildung beauftragt. DolmAnyos, A magyar parlamenti ellenzlk törtdnetdböl 1901-1904
     175-193,237-259.
<pb/>Nr. 50 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19.11.1903  321

einbringung einer Vorlage bezüglich Erhöhung der Rekrutenanzahl als untunlich be¬
zeichnet werden. Ob es möglich sein werde, diese Vermehrung durch das im Frühjahre
einzubringende neue Wehrgesetz zu erreichen, sei bei der Kürze der bis dahin verfüg¬
baren Zeit zum mindesten sehr zweifelhaft. Auch er halte daher die Aufstellung des
Budgets pro 1904 auf Basis der bisherigen Rekrutenanzahl für das Richtige.12

   Der Lu.k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit¬
reich erklärt, sich diesen Anschauungen der Chefs der beiden Regierungen fügen zu
müssen, und somit das bisherige Rekrutenkontingent zur Grundlage seines Voranschla¬
ges zu machen. Hieraus resultiere aber im Ordinarium desselben eine Ersparnis von
rund 3,3 Millionen Kronen, der er eine anderweitige Verwendung im Rahmen des
Ordinariums seines Budgets geben zu dürfen bittet, und zwar beantrage er Erhöhungen
bei den Posten: Magazinsoffiziere, Unterkunftsauslagen, Armeeschießschule, Waffen¬
übungsdotation, militärwissenschaftliche Zwecke; Waffenübung der Reservemänner
und Ersatzreservisten, Erfordernis an Muniton für die Schießübungen der Infanterie
und Artillerie, Manipulationsleiter bei den Baubehörden, Alterszulagen für Personen
der IX. Rangklasse, Zehrgelder, Bauwesen, sachliche Auslagen im Titel I, Marsch- und
Reiseauslagen im Titel VH, Reiseauslagen im Titel XXI, Pauschale für applikatorische
Übungen der Pioniertruppe, im Gesamtausmaße von 3 309 533 Kr.

   Der k. L Finanzminister Ritter v. Böhm wendet gegenüber diesen
Anträgen ein, daß, wenn das Ersparnis von 3,3 Millionen durch Mehranforderungen
im Ordinarium aufgebraucht, die Erhöhung des Rekrutenkontingentes aber durch das
neue Wehrgesetz vielleicht doch zustande kommen und die größere Rekrutenzahl somit
im Herbste 1904 eingestellt werden würde, dies eine sprunghafte Steigerung des
Budgets zur Folge haben müßte, die zu vermeiden wäre. Er beantragt daher, lieber
Mehrforderungen in der angegebenen Höhe ins Extraordinarium aufzunehmen, aus
dem sie im Notfälle stets leicht entfernt werden könnten.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza schließt sich diesem
Anträge an und empfiehlt gleichzeitig zur Erwägung, ob nicht die künftigen Forderun¬
gen der Marine hinsichtlich neuer Schiffe und deren Armierung sowie der Armee
bezüglich neuer Geschütze durch Aufnahme einer Anleihe zu decken wären. Dieser
letztere Vorschlag findet allgemeine Zustimmung. Redner betont ferner, daß er beson¬
deres Gewicht lege auf die Errichtung müitärischer Unterrichtsanstalten in Ungarn,
welcher Frage dort gegenwärtig großes Interesse entgegengebracht werde, und auf die
Vorbereitung der Transferierung der ungarischen Offiziere zu ungarischen Regimen¬
tern.13 In ersterer Hinsicht sollte wenigstens für den Beginn der nötigen Bauarbeiten
schon ins gegenwärtige Budget eine Post, und zwar ins Extraordinarium, eingestellt

12 Das österreichische Parlament billigte in Februar1903 die Erhöhung des Rekrutenkontingents (Gesetz v. 26.
    2.1903, RGBl. Nr. 53/1903), in Ungarn aber stieß die Vorlage auf Widerstand. Infolgedessen widerriefdas
    österreichische Gesetz v. 18.9.1903, RGBl. Nr. 196/1903, die Vermehrung derRekruten auchßr Österreich.
    (§ 1, Absatz 2: Die Bewilligung zur Einreihung einer erhöhten Rekrutenzahl für das Heer bleibt der
    Gesetzgebungvoibehalten.) Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 8 448-449; Bernat-
    zik, Die österreichischen Verfassungsgesetze 692; Sieghart, Die letzten Jahrzehnte einer Großmacht
    59-62.

13 Die Errichtung militärischer Unterrichtsanstalten in Ungarn und die Transferierung der ungarischen Offi¬
    ziere zu ungarischen Regimentern - diese Forderungen standen auch im Programm des sog. Neuner-Ko-
<pb/>322  Nr. 50 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19.11.1903

werden, und auch bezüglich der Transferierungen dürften entsprechende Mittel vorge¬

sehen werden müssen.
   Der k.u.k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit¬

reich erklärt, daß die Frage der Unterrichtsanstalten noch nicht völlig spruchreifsei,
und schlägt vor, deren Behandlung einer am folgenden Tage abzuhaltenden Bespre-
chung zwischen ihm und den beiden Finanzministem vorzubehalten, welcher Antrag
Zustimmung findet.14 Für die Versetzung von Offizieren, die ja nur allmählig erfolgen
könne, werde allerdings im Budget vorgesehen werden müssen.

   Was den vorgebrachten Wunsch nach Einstellung der Mehrerforderungen ins Ex-
traordinarium anbelange, so müsse er vom Standpunkte der Schlagfertigkeit der Armee
die Erhöhung der Posten des Ordinariums vorziehen; wenn aber die beiden Finanzmi¬
nister auf ihrem Standpunkte beharren, so könne er dieser seiner Anschauung nicht
Tiim Siege verhelfen und müsse, sich dem Wunsche der Finanzverwaltungen fügend,
wenigstens einen Teü der Erhöhungen im Extraordinarium vornehmen. Er könne
jedoch momentan die Posten nicht angeben, deren Erhöhung er diesfalls proponieren
möchte, und schlage vor, auch über diesen Gegenstand in der Besprechung am folgen¬
den Tage eine Einigung zu erzielen, welcher Antrag von der Konferenz angenommen

wird.
    Den Gedanken eines Anlehens für die Geschütz- beziehungsweise Schiffsfordemn-

gen der Armee und Marine begrüße er aufs sympathischeste, da hiedurch die ganze so
notwendige Neuausrüstung des Heeres und der Marine in einer so kurzen Zeit durch¬
geführt werden könnte, wie sie für die Schlagfertigkeit der gesamten Wehrmacht von
größter Bedeutung sei. Schließlich bemerkt Redner, daß er von dem außerordentlichen
einmaligen Kredit pro 1904 im Betrage von 40 Millionen Kronen für Schaffung eines
neuen Feld- und Gebirgsgeschützsystems und der damit verbundenen Reorganisation
der Feld- und Gebirgsartillerie und die sonstigen organisatorischen Maßnahmen im
nächsten Jahre nur den Betrag von 15 Millionen in Anspruch nehme, da der gegenwär¬
 tige Stand der einschlägigen Vorarbeiten ihm die Verwendung eines größeren Betrages

 im Jahre 1904 nicht ermögliche.
    Nachdem niemand mehr zum Kriegsbudget, inklusive den Okkupationskredit, eine

 Bemerkung macht, tritt die Konferenz in die Beratung des Voranschlages für die k. u. k.

 Kriegsmarine ein.
    Der k.u.k. Marinekommandant Admiral Freiherr v. Spaun

 begründet die Posten seines Budgets und bemerkt zur Erläuterung des 1 235 590 Kr.

    mitees der Regierungspartei. Aufdieses Programm gestützt, begann Tisza im Oktober 1903 im Auftrag des

    Herrschers mit der Regierungsbildung. Tisza hatte vor, so viele Zugeständnisse in militärischen Fragen fiir

    sich zu sichern, wie ausreichen würden, das Parlament von der Obstruktion abzubringen undzumindest die
   frühere Rekrutenzahl billigen zu lassen. Siehe Apponyi, Eml£kiratai, Bd. 2103; S. Haläsz, Sz£11 Kälmän
    236-237; DolmAnyos, A magyar parlamenti ellenzök tört6net6b611901-1904 266-267. Das Programm
    desNeuner-Komiteesin deutscherSprache: Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze 704-706.
14 Aktenstücke zu den Verhandlungen zwischen Pitreich und den beiden Finanzministem konnten nicht
    gefunden werden. Pitreichs Korrespondenz mit den Ministerpräsidenten Szill und Tisza sowie mit dem kgl.
    ung. FinanzministerLukäcs über die Errichtung einer ungarischen Militäranstalt siehe OL., Sektion K-255,

    PM., Fasz. 530, Nr. 4737/1903.
<pb/>Nr. 50 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19.11.1903                                             323

betragenden Mehrbetrages gegenüber dem Vorjahre, daß die Marine mit den Kosten
der Erhaltung unserer Detachements in China belastet sei, welche mehr ausmachen,
als die Summe der Budgeterhöhung, wiewohl jene Kontingente in China wohl den
Gesamtinteressen der Monarchie, keineswegs aber speziell den Zwecken der k. u. k.
Seemacht dienen.15

   Auf eine Anfrage des Lk. Finanzministers Ritter v. Böhm erörtert
der k.u.k. Marinekommandant Admiral Freiherr v. Spaun spe¬
ziell den angesprochenen Nachtragskredit pro 1903 für die Wasserversorgung Polas.

   Der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm bittet, eine Restriktion des
Marinebudgets in einigen minder wichtigen Posten vorzunehmen, umsomphr als die
Steigerung desselben die normalmäßig vorgesehene Erhöhung von einer Million
Kronen pro Jahr um ein bedeutendes übersteige und als in dem bereits fertiggestellten
österreichischen Budget keine Bedeckung für den auf die diesseitige Reichshälfte
entfallenden Teü des im Voranschläge der Marine sich ergebenden, über die normale
Steigerung von einer Mülion hinausgehenden Mehrbetrages per 235 590 Kr. vorhanden
sei, wenn man in Betracht ziehe, daß ja auch die anderen gemeinsamen Voranschläge
mit höheren Erfordernissen als im Vorjahre abschließen. Redner bitte daher dringend
um Streichung der 235 590 Kr.

   Nachdem der k.u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter
v. Pitreich erklärt hat, in Erwägung ziehen zu wollen, ob nicht durch einige
Abstriche an minder wichtigen Posten seines Budgets, eventueü durch Erhöhung seiner
eigenen Einnahmen, eine Ersparnis erzielt werden könne, durch die ermöglicht würde,
der Marine wenigstens einen Teü ihrer den Betrag einer Mülion übersteigenden
Mehrerforderungen zuzugestehen, betont der k.u.k. Marinekommandant
Admiral Freiherr v. Spaun, daß er in keinem Falle auf einen großen Teil
der die eine Mülion übersteigenden Mehrerforderungen zu verzichten in der Lage sei,
jedoch prüfen woüe, bei welchem Posten vieüeicht doch eine Reduktion vorgenommen
werden könnte.

   Die Schlußfassung hinsichtlich der Frage dieser vom k. k. Finanzminister gewünsch¬
ten Abstriche wird gleichfalls der für den folgenden Tag in Aussicht genommenen
Besprechung des Reichskriegsministers mit den beiden Finanzministern Vorbehalten
und der Voranschlag der Marine im übrigen angenommen.16

   Der Vorsitzende schlägt sodann vor, bei Sr. k.u.k. apost. Majestät die
Einberufung der Delegationen für den 15. Dezember 1903 au. zu beantragen, womit
sich die Konferenz einverstanden erklärt.

   [III.] Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber bringt weiters die Frage
der Verlängerung des Handelsvertrages mit Italien und Abänderung der Weinzollklau¬
sel zur Sprache. Er habe die Absicht gehabt, im Reichsrate ein Ermächtigungsgesetz
votieren zu lassen, das ihm die Befugnis zur Verhandlung eines Provisoriums mit Italien
für eine bestimmte Dauer und Einführung desselben mit 1. Januar kommenden Jahres

15 Über die chinesischeAktion der Monarchie siehe GMRProt. v. 14.3.1902, GMCZ. 435, Anm. 3.
16 Siehe Anm. 14.
<pb/>324  Nr. 50 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19.11.1903

unter antizipativer Ratifizierung des Inhaltes der zu treffenden Abmachung erteilt
hätte.17

   Nachdem nun aber die ungarische Regierung, entgegen der von ihr in vielen analogen
früheren Fällen befolgten Vorgangsweise, sich auf den Standpunkt gestellt habe, daß
sie außer dem Ermächtigungsgesetze zur Einleitung der Verhandlungen auch eine
nachträgliche Beratung und Beschlußfassung der Legislative über den Inhalt der
getroffenen Vereinbarungen benötige und daher im Ermächtigungsgesetze ausdrück¬
lich den Vorbehalt der nachträglichen parlamentarischen Genehmigung des Inhaltes
des zur treffenden Abkommens machen werde, so könne er eine Vorlage, wie er sie
geplant habe, im österreichischen Parlamente nicht einbringen und werde ohne parla¬
mentarische Ermächtigupg, deren er zur Aufnahme der Verhandlungen nicht bedürfe,
in dieselben eintreten, er müsse jedoch aufmerksam machen, daß es ihm in Anbetracht
der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit bei einer solchen Vorgangsweise ausge¬
schlossen erscheine, daß die parlamentarische Erledigung des Abkommens werde
durchgeführt werden können, so daß das Eintreten des vertragslosen Zustandes mit 1.
Januar 1904 zu befürchten sei.

   Hierauf erwidert der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza, daß
der Standpunkt der kgl. ung. Regierung kein Novum sei, da eben jedes internationale
Abkommen erst durch die Inartikulierung des betreffenden Gesetzartikels für Ungarn
gesetzlich gütig werde. Sei in früheren, ihm nicht bekannten Fällen anders vorgegangen
worden, so könne es sich wohl nur um einfache Verlängerung bestehender Verträge,
nicht aber um - wie es gegenwärtig nötig sei - Vornahme meritorischer Änderungen
darin gehandelt haben. Soüten übrigens die parlamentarischen Verhältnisse, die recht¬
zeitige Ratifizierung des Abkommens verhindern, so werde die ungarische Regierung
auf eigene Verantwortung die Inkraftsetzung desselben mit 1. Januar 1904 veranlassen,
sowie sie auch entschlossen sei, wenn das Ermächtigungsgesetz nicht zustande kommen
sollte, auf eigene Verantwortung die Verhandlungen einzuleiten.18 Redner bringt
schließlich auch die Dauer des mit Italien zu vereinbarenden Provisoriums zur Sprache.

   Der Vorsitzende bemerkt hiezu, dieselbe hänge eben von dem Ergebnisse der
Verhandlungen mit Italien ab und könne naturgemäß nicht von uns einseitig bestimmt
werden, es werde sich wohl um einen Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahre
handeln.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza fragthieraufan, ob es
nicht möglich wäre, das österreichische Parlament gleichzeitig mit den Delegationen
beisammen zu halten, worauf der Vorsitzende erklärt, daß ihm dies prinzipiell

17 Im Laufe desJahres1903 wurde die Erneuerung einerReihe von Handelsverträgen notwendig, diezuAnfang

    der neunziger Jahre mit Gültigkeitsdauer bis zum 31.12.1903 abgeschlossen worden waren. Dazu gehörte

    auch der Handelsvertrag mit Italien. Die ganzejuristische Geschichte der Vertragsverlängerung siehe in den
    Anmerkungenzum Gesetzv. 6.12.1904, GA XXXVIII/1904; MagyarTörvenytär, 1904 2OO-2V0.Akten
    über die Verlängerung des Handelsvertrages siehe HHStA, PA I, Karton 661, XIV/127. Siehe auch
    FIscher, Der Handelsvertrag zwischen Österreich-Ungarn und Italien vom Jahre 1906 347-371.
18 Zum Standpunkt der Regerungen Österreichs und Ungarns in bezug aufdie Verlängerung des Handelsver¬
    trages siehe Fischer, Der Handelsvertrag zwischen Österreich-Ungarn und Italien vom Jahre 1906
    350-351.
<pb/>Nr. 50 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19.11.1903  325

nicht wünschenswert erscheine und auch praktisch wenig damit erreichtwerden könnte,
da die Abgeordneten ohnedies mit 20. Dezember auf Weihnachtsferien nach Hause
reisen, und es doch sehr fraglich sei, ob bis zu diesem Termine eine Vereinbarung über
das Provisorium zustande gekommen sein werde.

   Der vom Ick. Ministerpräsidenten v. Koerber ausgesprochenen
Befürchtung gegenüber, es könnte am 1. Januar 1904 zum Eintreten des vertragslosen
Zustandes kommen, betont der Vorsitzende nachdrücklichst, daß eine solche
Eventualität in wirtschaftlicher aber auch politischer Beziehung geradezu eine Kata¬
strophe für die Monarchie bedeuten würde, auf welche der Zollkrieg mit Italien eine
verderblichere Wirkung als der mit irgendeiner anderen Macht auszuüben imstande
sei, so daß man schließlich doch fragen müsse, ob so schwerwiegende Nachteile, so
große Gefahren nicht selbst, wenn nicht anders möglich, auch um den Preis der
Schädigung der Interessen einer Klasse von Produzenten, der österreichischen und
ungarischen Weinbau treibenden Bevölkerung nämlich, vermieden werden müßten.

   Der Vorsitzende bittet sodann, in Anbetracht der Kürze des für das Zustandekom¬
men des Provisoriums nur noch zur Verfügung stehenden Zeitraums, den kgl. ung.
Ministerpräsidenten, das oberwähnte Ermächtigungsgesetz bestimmt am Montag, dem
23. einzubringen, damit die Delegierten der beiden Regierungen sodann ehestens zum
Beginne der Verhandlungen nach Rom reisen können.19

   Nachdem der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza zugesagt
hat, diesbezüglich das Erforderliche zu veranlassen, schließt Vorsitzender die
Beratung.

                                                                                       Goluchowski

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 10. Dezember 1903. Franz Joseph.

19 Derdem Parlamentam 23.11.1903vorgelegte GesetzentwurfNr. 431 betreffend die provisorische Regelung
    unserer Handels- und Verkehrsbeziehungen zu Italien, Az 1901. evi Oktober hö 24-re hirdetett
    ORSZÄGOYÜLßs k£pviselöhAzAnak iromänyai, Bd. 29 369-375. Vgl. ferner den Vortrag des kgl. ung.
   Handelsministers über die provisorische Regelung unserer Handels- und Verkehrsbeziehungen mit
    Italien, v. 2.1.1904, HHSTA., Kab. Kanzlei, KZ. 30/1904, sowie den Vortrag des k.k. Ministerpräsidenten
   v. &amp; 1.1904, wegen Erlassung einer kaiserlichen Verordnung, womit die Regierung ermächtigt wird, die
    Handels- und Verkehrsbeziehungen mit Italien und mit Mexiko im Verordnungswege zu regeln, ebd.,
    KZ. 88/1904.
<pb/>