Gemeinsamer Ministerrat, 7. 10. 1900
I. Die Frage des Anschlusses der bosnisch-türkischen Bahnen
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z36.pdf.
Nr. 36 GemeinsamerMinisterrat, Wien, 7.10.1900 209 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7. Oktober 1900 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident v. Sz<511, der k.k. Ministerpräsident v. Koerber, der k. u. k. gemeinsame Finanzministerv. Källay (19.10.), der kgl. ung. Finanzministerv. Lukäcs, der kgl. ung. Handels¬ minister v. Hegedüs, der k. k. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek, der k. k. Finanzminister Ritter Böhm [v. Bawerk], der k. k. Handelsminister Freiherr v. Call. Protokollführer Sektionsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Die Frage des Anschlusses der bosnisch-türkischen Bahnen. KZ. 68 - GMCZ. 425 Protokoll des zu Wien am 7. Oktober 1900 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gohichowski. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und erteüt dem k. k. Eisenbahn¬ minister Ritter v. Wittek das Wort, welcher ausführt, daß er sowie der kgl. ung. Handelsminister, dem in der letzten gemeinsamen Ministerkonferenz gefaßten Beschluß entsprechend, Verhandlungen gepflogen haben, um zu versuchen, über die rücksichtlich der Tariffrage aufgetauchten Meinungsverschiedenheiten zu einer Ver¬ ständigung zu gelangen.1 Leider sei er nicht in der Lage, der Konferenz ein positives Ergebnis dieser Verhandlungen zu unterbreiten, da die Beseitigung dieser Differenz- punkte, welche sich sowohl auf den Inhalt als auch auf die Geltungsdauer der ange¬ strebten tarifarischen Abmachungen erstrecken, nicht gelungen sei, und die verschie¬ denen von ihm zu diesem Zwecke gemachten Vorschläge nicht die Zustimmung des kgl. ung. Handelsministers gefunden hätten. Der letzte von ihm dem kgl. ung. Handelsmi¬ nister gemachte Vorschlag habe folgende Fassung gehabt Um der österreichischen Reichshälfte die gebührende Anteilnahme, an dem durch die neuen Linien ausgestalteten Verkehre mit Bosnien und Hercegovina und darüber hinaus zu sichern, wird vereinbart, daß die kgl. ung. Staatsbahnen alle jene Tarifermä¬ ßigungen und Transporterleichterungen, welche sie, sei es für den ungarischen An¬ schlußverkehr mit Bosnien und der Hercegovina und darüber hinaus, sei es für den ausländischen Tarifverkehr nach und von diesen Gebieten gewähren, über Verlangen der k. k. österreichischen Regierung dem österreichischen Transitverkehre durch Ungarn einräumen werden. Diese gleichartige Behandlung der Transporte von und nach Österreich mit jenen von und nach Ungarn und dem Auslande hat derart Platz zu greifen, daß die bezügli¬ chen Tarifermäßigungen und Transporterleichterungen für die Dauer des Bestandes derselben im gleichen Einheitssätze von und nach allen für den österreichischen Transitverkehr in Frage kommenden ungarisch-bosnischen Grenzstationen bean¬ sprucht werden können, insofern die betreffende Transitstrecke auf den Linien der ungarischen Staatsbahnen gleich oder länger ist als der Durchlauf auf den ungarischen Staatsbahnen in der fraglichen ungarischen beziehungsweise ausländischen Relation. Ist dagegen diese Transitstrecke kürzer als der Durchlauf für den korrespondierenden 1 Siehe GMRProL v. 210.1900, GMCZ. 424. <pb/>210 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 ungarischen beziehungsweise ausländischen Verkehr, so kann der betreffende Ein¬ heitssatz in demselben Verhältnisse erhöht werden, in welchem die Einheitssätze des normalen Tarifes für den betreffenden Artikel mit Rücksicht auf die Staffelbüdung in den fraglichen Entfernungen differieren. Die vorstehenden Bestimmungen bleiben auch nach Ablauf der eisenbahntarifari¬ schen Ausgleichsvereinbarungen unverändert in Geltung." Redner knüpft hieran die Bemerkung, daß weitere Verhandlungen ihm angesichts der ablehnenden Haltung der ungarischen Regierung fast nutzlos erscheinen würden, da, selbst wenn es auf irgendeine Weise, etwa durch Aufstellung entsprechender Reservate, gelingen sollte, bezüglich des Inhaltes der tarifarischen Bestimmungen zu einer Einigung zu gelangen, doch noch immer die Differenz bezüglich der Zeitdauer derselben bestehen bliebe, welche Frage übrigens auch nicht von den Ressortministern gelöst werden könnte, da sie politischer Natur sei. Der kgl. ung. Handelsminister v. Hegedüs möchte, bevor er in ausführlicherWeise aufdievon demk. k. Eisenbahnminister formulierten Forderungen eingeht, zunächst nur im allgemeinen die Bemerkung vorausschicken, daß dieselben eine Änderung der eisenbahntarifarischen Bestimmungen des bestehenden Ausglei¬ ches involvieren. Eine solche Abänderung sei imzulässig und geeignet, für die Zukunft rücksichtlich der übrigen Bestimmungen dieses Ausgleiches ein nicht unbedenkliches Präzedens zu bUden. Ferner könne er nicht umhin, in den österreichischen Vorschlägen insofeme eine Inkonsequenz zu erblicken, als aus denselben hervorgehe, daß die österreichische Regierung diese Ausgleichsbestimmungen für den österreichischen Verkehr nach dem Süden, Norden und Westen für ausreichend und annehmbar erachte, für jenen nach Bosnien aber nicht. Redner übergeht sodann auf die punktweise Besprechung der österreichischerseits aufgestellten Forderungen und legt den denselben gegenüber von der ungarischen Regierung eingenommenen Standpunkt folgendermaßen dar:2 Das Verlangen nach Festsetzung von Bestimmungen bezüglich tarifarischer Behand¬ lung des österreichischen Transitverkehrs auf den kgl. ung. Staatsbahnen erstreckt sich sowohl auf den Verkehr mit dem Okkupationsgebiete selbst, als auch auf den durch dieses Gebiet sich bewegenden Verkehr nach den eigentlichen Balkanstaaten. Da für die Beurteüung der Verhältnisse bei jedem dieser Verkehre andere Gesichtspunkte maßgebend sind, so müssen diese Verkehre getrennt behandelt werden. 1. Was zunächst den Verkehr mit Bosnien-Hercegovina betrifft, so ist das Verlan¬ gen, die ungarische Regierung soll die Verpflichtung übernehmen, die heute vereinba¬ rungsgemäß dem österreichisch-orientalischen Verkehre via Belgrad eingeräumten Einheitssätze auch diesem Verkehre, und zwar über alle in Betracht kommenden Routen, zuzugestehen, aus folgenden Gründen ungerechtfertigt: Die Festsetzung er- 2 Derselbe Entwurf ist auch als Beilage zu diesem GMRProt., HHStA., PA. XL, Karton 300, zu finden: Bemerkungen zu den von dem k. k. Eisenbahnminister anläßlich der Verhandlungen über den weiteren Ausbau des bosnischen Eisenbahnnetzes gestellten Forderungen bezüglich tarifarischer Bestimmungen für den österreichisch-bosnischen und orientalischen Verkehr. <pb/>Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 211 mäßigter Taxen für die am Orientverkehr beteiligten Staaten (Österreich-Ungarn, Serbien, Bulgarien und Türkei) erfolgte aufgrund eines zwischen diesen Staaten abge¬ schlossenen Staatsvertrages, in welchem jeder dieser Staaten für den gegenseitigen Verkehr sich zur Erstellung direkter Tarife auf Basis gleichmäßig ermäßigter Einheits¬ taxen verpflichtete. Ungarn speziell hatte ein großes Interesse, den Verkehr zwischen Österreich und Deutschland einerseits und den Balkanstaaten andererseits für den durch den Donauweg und den Seeweg konkurrenzierten direkten Eisenbahnweg zu gewinnen und brachte behufs Erreichung dieses Zieles sehr ermäßigte Einheitssätze für die Erstellung der direkten Tarife in Vorschlag, welche es auch dann beibehielt, als die Balkanbahnen diese billigen Taxen für sich nicht annahmen beziehungsweise nicht konzedierten. Durch diese Konkurrenzverhältnisse sowie durch das eminente volkswirtschaftliche Interesse, die Konkurrenzfähigkeit der Erzeugnisse der ungarischen und der österrei¬ chischen Industrie auf dem hochwichtigen orientalischen Absatzmärkte gegenüber dem intensiven Mitbewerbe der daselbst dominierenden westlichen Industriestaaten kräf¬ tigst zu unterstützen, erscheint es vollkommen gerechtfertigt, wenn in diesem Verkehre seitens der ungarischen und österreichischen Bahnen von den normalen Lokaltarifen abweichende, im Einvernehmen mit den beteüigten Balkanbahnen vereinbarte bezie¬ hungsweise auf Konzessionen und Gegenkonzessionen beruhende ermäßigte Fracht¬ sätze angewendet werden. Ähnliche Verhältnisse sind jedoch im Verkehre zwischen Österreich und Ungarn einerseits und Bosnien-Hercegovina andererseits nicht vorhanden, und erscheint daher das Verlangen unbegründet, daß diese für den Orientverkehr aufgrund ganz spezieller konkreter Verhältnisse im Kompromißwege vereinbarten ermäßigten Verbandsein¬ heitssätze, welche übrigens wann immer beliebig abgeändert werden können, auch für den österreichisch-bosnischen Verkehr zugestanden werden und sogar ein für allemal vertragsmäßig gebunden werden sollen. Es liegt gar kein Grund vor, daß im Verkehre Ungarns und Österreichs mit Bosnien die kgl. ung. Staatsbahnen im allgemeinen einen anderen als ihren normalen Tarif anwenden sollen, welcher sowohl im internen unga¬ rischen Verkehr, als auch im Verkehre mit Österreich und in den meisten Auslandsver¬ kehren gleichmäßig Anwendung findet. Es steht mit allen neueren derartigen Verträgen im Widerspruch, wenn österreichi- scherseits verlangt wird, daß dem österreichischen Verkehre nach und von Bosnien seitens Ungarns andere beziehungsweise billigere Tarife zur Verfügung gestellt werden sollen, als welche Ungarn seinem eigenen Verkehr mit Bosnien zur Verfügung stellt. Würde diesem Verlangen Folge gegeben werden, so müßte dies notwendigerweise Konsequenzen nach sich ziehen, welche eine totale Umwälzung der Tarifverhältnisse im Bereiche der kgl. ung. Staatsbahnen als Endergebnis zur Folge hätten. Die nächste Konsequenz wäre die, daß dieselben ermäßigten Einheitssätze naturge¬ mäß auch in dem Nachbarverkehre Bosniens mit Ungarn zugestanden werden müßten, da ja unser eigener Export nach Bosnien auf den Linien der kgl. ung. Staatsbahnen tarifarisch nicht ungünstiger behandelt werden kann, als der österreichische Export nach demselben Absatzgebiete. Demzufolge würde auch die Ausfuhr Bosniens nach Österreich, ja selbst nach Ungarn auf den kgl. ung. Staatsbahnen billigere Frachtsätze <pb/>212 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 genießen, daher in höherem Maße begünstigt werden als die eigenen Produkte Ungarns im Export nach Österreich beziehungsweise im internen ungarischen Verkehre. Hier¬ durch würde der Tarif der kgl. ung. Staatsbahnen für den internen sowie für den Verkehr mit Österreich und dem westlichen Auslande für zahlreiche Artikel und Relationen unhaltbar werden. Da die Anwendung der orientalischen Verbandseinheitssätze für sämtliche Routen und bosnischen Übergangspunkte beansprucht wird, würden gerade dort, wo kurze ungarische Staatsbahnstrecken in Frage kommen, zum Beispiel Sissek-Bosna-Brod, Sissek-Doberlin, Barcs-Bosna-Brod, gegenüber dem normalen Tarife besonders weit¬ gehende Begünstigungen gewährt werden, wodurch zugleich eine Ablenkung des öster¬ reichisch-bosnischen Verkehres beziehungsweise der Tarifbüdung von der Budapester Route auf die Routenvia Sissek und Bares in künstlicher Weise gefördert und hierdurch eine empfindliche Schädigung der Verkehrs- und finanziellen Interessen der kgl. ung. Staatsbahnen in ganz ungerechtfertigter Weise herbeigeführt würde. Schließlich würde die Verpflichtung, die heutigen Einheitssätze für den österreichisch-ungarisch-orien¬ talischen Verkehr dem österreichisch-bosnischen Verkehr für alle Zukunft zuzusi- chem, naturgemäß zur Folge haben, daß diese Einheitssätze auch auf der Route via Belgrad unabänderlich gebunden wären, weü man die Anwendung der via Bosna-Brod konzedierten Begünstigungen dem orientalischen Verkehre via Belgrad füglich nicht verweigern könnte, ohne sich den Repressalien der serbischen, bulgarischen und türkischen Bahnen auszusetzen. Aus obigen Gründen kann die kgl. ung. Regierung dem Verlangen auf Gewährung der Einheitstaxen des Orientverkehrs für den österreichisch-bosnischen Verkehr nicht entsprechen und bezüglich dieses Verkehrs überhaupt keine Verpflichtung überneh¬ men, welche ohne jede Reziprozität die Tarifhoheit des ungarischen Staates bindet. Übrigens kann die Berechtigung eines solchen Verlangens auch aus jener Motivierung nicht abgeleitet werden, welche der k. k, Eisenbahnminister zur Begründung dieses Verlangens vorbringt. Wenn nämlich auch die Richtigkeit jenes Prinzipes, daß der österreichische Transitverkehr auf den ungarischen Linien nicht ungünstiger behandelt werden soll und darf, wenn er sich über Bosnien bewegt, als wenn er über die Donau¬ grenzstationen geht, anerkannt wird, so kann hieraus selbst bei der weitestgehenden Auslegung nur das gefolgert werden, daß der via Bosnien nach dem Orient sich bewegende Transitverkehr Österreichs mit dem via Belgrad sich bewegenden Verkehre tarifarisch gleich behandelt werde, aber keineswegs kann daraus gefolgert werden, daß die gleiche Behandlung auch auf den Verkehr Österreichs mit Bosnien und der Herce- govina angewendet werde, da ja in diesem Verkehre der orientalische Tarif überhaupt nicht zur Anwendung gelangt. 2. Was nun denvia Bosnien sich bewegenden österreichisch-orientalischen Verkehr betrifft, so handelt es sich darum, die Berechtigung des durch den k. k. Eisenbahnmi¬ nister aufgestellten obigen Prinzipes bezüglich dieses Verkehres zu prüfen. Es erscheint unzweifelhaft, daß das durch den k. k. Eisenbahnminister gestellte Verlangen, wonach das freie Verfügungsrecht der an der Belgrader und der Sarajevoer Route beteiligten kgl. ung. Staatsbahnen gebunden werden soll, überhaupt ein ungewöhnliches und one- röses ist, umso mehr weü es eine irrige Annahme ist, daß die kgl. ung. Staatsbahnen, <pb/>Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 213 indem sie ihre eigenen Verkehrsinteressen via Belgrad pflegen, hiedurch fremde Bahnen gegenüber den gemeinsamen bosnisch-hercegovinischen Bahnen unterstützen. Die kgl. ung. Staatsbahnen wünschen einfach, auf der Route via Belgrad ihre eigenen volkswirtschaftlichen und Verkehrsinteressen zur Geltung zu bringen, und zwar grö߬ tenteils auf solchen Verkehrsgebieten, deren Bedienung auf der Route via Sarajevo erfolgen kann. Aber auch wenn die Frage rein nur vom Gesichtspunkte des Eisenbahnbetriebes beurteilt wird, selbst in diesem Falle kann die Berechtigung dessen nicht in Abrede gestellt werden, daß eine Eisenbahn, welche an zwei Routen beteüigt ist, ihre Interessen auf der einen oder anderen derselben zur Geltung bringe. Abgesehen hiervon, erklärt sich übrigens die kgl. ung. Regierung bereit, selbstver¬ ständlich ohne darauf zu verzichten, daß sie ihre bei der Belgrader Route in Betracht kommenden volkswirtschaftlichen und Verkehrsinteressen nach freiem Ermessen zu fördern befugt ist, für den Transitverkehr von Österreich nach dem Orient und vice versa eine paritätische Behandlung der beiden Routen via Belgrad und via Bosnien in dem Sinne zuzusichem, daß die kgl. ung. Staatseisenbahnen jene ermäßigten Einheits¬ sätze, welche sie im Verkehr von einer österreichisch-ungarischen Grenzstation nach einer Orientstation auf ihren Transitstrecken bis Semlin transit einrechnen, auch im Verkehre nach der gleichen Orientstation für die Wege via Bosnien rücksichtlich ihrer Transitstrecken von der gleichen österreichisch-ungarischen Übergangsstation zur Verfügung steUen. Das weitere Verlangen, daß die zu vereinbarenden Taxen für alle Zukunft unabhän¬ gig von dem Bestände des Ausgleiches dauernd festzusetzen seien, ist ein unbüliges, unmotiviertes. Der Ausgangspunkt der ganzen Forderung ist der Orientverkehr via Belgrad. Die hiefür bestehenden Vereinbarungen sind gleichfalls nicht dauernd abge¬ schlossen, und liegt für den ungarischen Staat absolut kein Motiv vor, sich für alle Zukunft unbekümmert um alle eintretenden Möglichkeiten die Hände zu binden. Es wäre daher die Dauer dieses Zugeständnisses dahin zu beschränken, daß dasselbe insolange zu gelten hat, als die bezüglichen ermäßigten Einheitssätze für den via Belgrad sich bewegenden Orientverkehr ungarischerseits aufrechterhalten werden. Was schließlich das Verlangen anbelangt, daß, um der österreichischen Reichs¬ hälfte eine wirksame Mitbenutzung der zu schaffenden Transitlinie zu sichern, die kgl. ung. Staatsbahnen aUe jene Tarifermäßigungen und Transporterleichterungen, die sie für ihren Verkehr von und nach den bosnischen Grenzstationen zugeste¬ hen, auch dem österreichischen Transitverkehre von und nach den gleichen Grenzstationen, sei es im Einheitssätze, sei es staffelmäßig berechnet, auf ihren Linien einräumen sollen, so muß dasselbe in diesem unbeschränkten Umfange als unbedingt unerfüllbar bezeichnet werden. Nichts berechtigt dazu, zu verlangen, daß im Verkehre mit Bosnien bezüglich der Frachtermäßigungen eine weiterge¬ hende Verpflichtung eingegangen werde, als welche sich aus den zwischen den beiden Regierungen für den Verkehr Österreichs mit Ungarn vereinbarten, das Tarifwesen betreffenden Bestimmungen ergibt Es wäre dies umso mehr unbegrün¬ det, als ja doch besondere Zugeständnisse nur aufgrund voUer Reziprozität ge¬ währt werden können, eine einseitige Verpflichtung aber, durch welche die Tarif- <pb/>214 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 hoheit der Regierung beschränkt wird, weder österreichischerseits noch ungari- scherseits eingegangen werden könnte. Abgesehen von diesen in erster Linie maßgebenden Gründen, kann dem erwähnten Verlangen der österreichischen Regierung auch deshalb nicht entsprochen werden, weü dies in sehr vielen Fällen eine größere Begünstigung des österreichischen als des ungarischen Exportes zur Folge haben würde, in jenen Fällen nämlich, wo Ermäßigun¬ gen mit Rücksicht auf die in den betreffenden Relationen obwaltenden speziellen Verhältnisse, beispielsweise die Wasserkonkurrenz, Ermöglichung des Transportes auf große Entfernungen etc. gewährt und eben deshalb auf andere Relationen des ungari¬ schen Exportes, in welchen die gleichen Verhältnisse nicht vorliegen, nicht ausgedehnt werden. Der ungarische Export würde daher in diesen letzterwähnten Relationen keine Ermäßigung genießen, der österreichische Export dagegen einer generellen Begünsti¬ gung aufden Linien derkgl. ung. Staatsbahnen teühaftigwerden. Außerdem würde dies die weitere Anomalie zur Folge haben, daß, während'jene Ermäßigungen, welche dem österreichisch-bosnischen Verkehre, beispielsweise in der Relation Wien-Bosna-Brod, gegenüber der Konkurrenz der Donauschiffahrt oder durch Übernahme der via Sissek oder via Triest-Metkovid sich ergebenden Sätze gewährt werden, auf nicht konkurren¬ zierte ungarisch-bosnische Relationen aus welchen Gründen immer bewüligten Ermä¬ ßigungen das entgegengesetzte Verfahren, nämlich die Ausdehnung derselben auf den österreichisch-bosnischen Export, Platz greifen würde. Aus diesen Gründen kann für den österreichisch-ungarischen Verkehr, mit Aus- schluß einer weitergehenden besonderen Verpflichtung, nur das Prinzip angewendet werden, daß alle Frachtbegünstigungen, welche ungarischerseits für den Verkehr nach Bosnien gewährt werden, auf den gleichen Strecken, in der gleichen Richtung und unter den gleichen Bedingungen den gleichen Transporten aus Österreich zur Verfügung zu stellen seien. Dieses Prinzip hat selbstverständlich auch in diesem Verkehre für die Dauer der Ausgleichsvereinbarungen zu gelten. Es werden daher aufgrund der vorstehenden Ausführungen die Gegenvorschläge der kgl. ung. Regierung nachfolgend resümiert I. Die kgl. ung. Regierung erklärt sich bereit, für den Transitverkehr von Österreich nach dem Orient eine paritätische Behandlung der beiden Routen via Belgrad und via Bosnien in dem Sinne zuzusichem, daß die kgl. ung. Staatsbahnen jene ermäßigten Einheitssätze, welche sie im Verkehre von einer österreichisch-ungarischen Grenzsta¬ tion nach einer Orientstation auf ihren Transitstrecken bis Semlin transit einrechnen, auch im Verkehre nach der gleichen Orientstation für die Wege via Bosnien rücksicht¬ lich ihrer Transitstrecken von der gleichen österreichisch-ungarischen Übergangssta¬ tion bis zur bosnischen Übergangsstation zur Verfügung stellen. II. Die Vereinbarung, wonach die im Schlußprotokolle zum Artikel 15des Handels¬ und Zollvertrages vom 6. Dezember 1891 zwischen Österreich-Ungarn und dem Deut¬ schen Reiche enthaltenen Bestimmungen auch für den Eisenbahnverkehr Österreichs mit Ungarn volle Anerkennung finden, ist auch für den Verkehr Ungarns und Öster¬ reichs mit Bosnien maßgebend und werden demzufolge alle Frachtermäßigungen oder sonstigen Begünstigungen, welche durch die ungarische Regierung für Erzeugnisse des eigenen Landes im Exporte nach Bosnien oder darüber hinaus auf den Linien der kgl. <pb/>Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 215 ung. Staatsbahnen gewährt werden, auch den gleichartigen, aus Österreich nach Bosnien oder darüber hinaus transitierenden Transporten auf denselben Strecken der kgl. ung. Staatsbahnen und in derselben Verkehrsrichtung unter den gleichen Bedin¬ gungen zur Verfügung stehen. HI. Die obigen Abmachungen sollen im allgemeinen nur für die Dauer der Aus- gleichsvereinbarungen Geltung haben, beziehungsweise was die Anwendung der orien¬ talischen Einheitstaxen in den gleichen Relationen auf den Wegen via Bosnien betrifft, so hätte die diesbezügliche Abmachung insolange zu gelten, als die erwähnten Einheits¬ taxen auf der Route via Belgrad in Kraft bleiben. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell führt aus, daß man durch das Aufwerfen der Tariffrage in einen Komplex schwer zu lösender Fragen hineinge¬ raten sei. Redner hat sich schon in der letzten Sitzung des Eindruckes nicht erwehren können, daß es ungemein schwierig sein werde, aus dem Labyrinth dieser Fragen wieder herauszufinden und daß aes eigentlich Sache der betreffenden Eisenbahnverwaltungen sei, dieselben zu bereinigen und daß8, wenn die Tariffrage nicht beiseite gelassen werde, man in der ganzen Frage nicht zum Ziele gelangen werde. Redner will sich eines Urteiles über die Äußerungen der Fachminister enthalten und schlägt vor, man möge entweder den vom Vorsitzenden in der letzten Sitzung gemachten Vorschlag anneh¬ men, wonach die Linie Sarajevo-Uvac ausgebaut und zugleich erklärt werden solle, daß nach Fertigstellung derselben die Linien Bugojno-Ar2ano und Samac-Doboj gleich¬ zeitig auszubauen und in Verkehr zu setzenb sind; oder man möge sich darüber einigen, daß die gegenwärtige Beratung lediglich der Sicherstellung des Baues einer für die großen politischen und militärischen Interessen der Monarchie notwendigen Bahn gelte, und alles übrige aus der Beratung ausscheiden. Diese Bahn, welche ausschließlich den strategischen Interessen, fürwelche siegebautwerde, dienenwürde, solle seinerzeit der bosnischen Regierung übergeben werden, welche sie verwalten werde, wie sie bereits die anderen bosnischen Bahnen verwaltet, und der bosnischen Regierung würde es auch obliegen, tarifarische Abmachungen mit den österreichischen und ungarischen Eisenbahnen zu treffen. Die Annahme dieses Standpunktes sei das beste Mittel, der so überaus schwierigen Tariffrage aus dem Wege zu gehen. Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber gibt der Hoffnung Ausdruck, man werde der österreichischen Regierung das Zeugnis nicht versagen, daß sie bemüht gewesen sei, den Anregungen der gemeinsamen Regierung Folge zu leisten, und daß sie auch ihre Bereitwilligkeit kundgegeben habe, dem Projekte des gemeinsamen Finanzministers zuzustimmen, wobei sie allerdings nicht umhingekonnt habe, gewisse ihr unerläßlich scheinende Forderungen aufzusteüen. Redner muß an der Ansicht festhalten, daß der Ausgangspunkt des ganzen Projektes nicht der Gedanke des Baues einer Bahn nach der Sandschakgrenze, sondern einer großen internationalen Linie zum Anschlüsse nach der Türkei gewesen sei. Dies vorausgesetzt, sei es aber unbedingt notwendig und auch natürlich, daß die österreichische Regierung schon jetzt die Möglichkeit einer Präjudizierung der Interessen der österreichischen Reichshälfte Einfügung Szills. b~b Einfügung Szills. <pb/>216 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 auszuschließen bestrebt sei, da wohl niemand die Tatsache werde in Abrede stellen wollen, daß in jenen FäUen, wo es sich um Anschlußlinien handelt, die Tariffrage im Prinzipe stets schon vorher in den betreffenden Anschlußverträgen geregelt werde. Aus diesem Grunde müsse die österreichische Regierung auch im gegenwärtigen Falle darauf bestehen, daß in der Tariffrage eine prinzipielle Vereinbarung erzielt werde, da sonst keine Garantie für die Wahrung der österreichischen Interessen bezüglich der wirksamen Mitbenützung der neu zu schaffenden Linie nach der Sandschakgrenze gegeben sei. Außerdem könne die österreichische Regierung aber auch nicht von der Forderung abgehen, daß Österreich endlich durch den Bau der Linie Bugojno-Ariano einen direkten Anschluß an das bosnische Eisenbahnnetz erhalte. Redner müsse ganz offen erklären, daß er keine Verantwortung für den weiteren Ausbau dieses Bahnnetzes übernehmen könnte, wenn nicht diesem berechtigten und lang gehegten Wunsche entsprochen würde. Übrigens halte er es auch für absolut ausgeschlossen, daß der Reichsrat einer einschlägigen, diesen Wunsch nicht berücksichtigenden Vorlage seine Zustimmung erteüen würde. Aber auch von den auf die Volksvertretung sowie auf die öffentliche Meinung zu nehmenden Rücksichten abgesehen, würde Redner gegebenen¬ falls Anstand nehmen, aufgrund des § 143 zum Ausbau der Linie nach der Sandschak¬ grenze ohne die bezeichneten Garantien in tarifarischer Hinsicht und ohne eine Sicherheit für den tatsächlichen Ausbau der Anschlußlinie nach Dalmatien die Hand zu bieten und so zu einer für die österreichischen Interessen abträglichen Lösung dieser Frage mitzuwirken. Redner sei bereit, die Forderung nach dem Ausbau dieser letzteren Linie, was den hiefür in Aussicht zu nehmenden Zeitpunkt betrifft, zurückzustellen und diesfalls das größte Entgegenkommen zu beweisen, in der Sache selbst, das heißt bezüglich der konkret zu formulierenden Sicherstellung des tatsächlichen Ausbaues dieser Linie, könne er aber von seinem Standpunkte nicht abweichen. Redner weist noch aufdie Tatsache hin, daß die ausschließlich den ungarischen Interessen dienende Bosnatalbahn aus dem Okkupationskredite gebaut worden sei, sowie auf die großen anderweitigen, von der österreichischen Reichshälfte seit Beginn der Okkupation für Bosnien und die Hercegovina gebrachten Opfer und schließt mit einem Appell an die ungarischen Minister, allen diesen Verhältnissen durch entsprechende Rücksichtnah¬ me auf die österreichischen Wünsche Rechnung zu tragen. Es entspinnt sich hierauf eine längere Debatte über die Tariffrage, in deren Verlauf der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell sowieder kgl. ung. H an¬ delsminister v. Hegedüs hervorheben, daß die österreichischerseits erhobe¬ ne Forderung, wonach die Orienttaxen auch dem österreichischen Verkehre nach dem Okkupationsgebiete eingeräumt werden sollen, über das Prinzip der Parität hinausgehe und darauf abziele, zugunsten der österreichischen Provenienzen eine Art ,,Über¬ parität" zu konstituieren, welcher Behauptung der k.k. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek mit der Einwendung begegnet, daß es sich hiebei lediglich um die Ausdehnung der Parität auf gewisse Belange handelt, auf welche dieselbe zufolge des österreichisch-ungarischen Ausgleiches nicht angewendet wird. 3 Siehe GMRProL v. 29. 6.1898, GMCZ. 415, Anm. 2. <pb/>Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 217 Nachdem aus dieser Debatte hervorgeht, daß weder bezüglich des Inhaltes der tarifarischen Abmachungen noch auch bezüglich der Dauer derselben eine Einigung zu erzielen ist, richtet der k.u. k. gemeinsame Finanzminister v. Kal¬ la y die Bitte an die beiderseitigen Regierungen, sie möchten in Anbetracht der großen Interessen, um welche es sich bei dem in Rede stehenden Projekte handelt, doch noch einen Versuch machen, eine Fassung zu finden, welche es ermöglichen würde, über die aufgetauchten Gegensätze hinwegzukommen, da es im höchsten Grade bedauerlich wäre, wenn, nachdem über den wichtigsten Punkt ein Einverständnis erzielt worden sei, die ganze Sache wegen dieser prinzipiellen Fragen scheitern würde. Der Vorsitzende schließt sich dieser Anregung des Vorredners an, indem er betont, daß die gemeinsame Regierung den größten Wert auf den Ausbau der Linie nach der Sandschakgrenze lege, in welcher sie ein Mittel zur wirksamen Führung der Balkanpolitik der Monarchie erblickt. Redner muß auf das lebhafteste wünschen, daß die strittigen Punkte, wofern sie nicht ganz ausgeglichen werden könnten, doch wenig¬ stens aufein möglichst eng umschriebenes Feld beschränktwerden, da Se. k. u. k. apost Majestät, Allerhöchstweicher dieser Frage das größte Interesse entgegenbringe, Sich Vorbehalten habe, gegebenenfalls eine unter Allerhöchstseinem Vorsitze abzuhaltende Konferenz einberufen zu lassen, für welche unbedingt ein entsprechendes Substrat geschaffen werden müsse. Der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs führt aus, daß für ihn eigent¬ lich keine unbedingte Notwendigkeit vorliege, nach dem kgl. ung. Ministerpräsidenten das Wort zu ergreifen. Wenn er es gleichwohl tue, geschehe es, um auf die Äußerungen des k. k. Ministerpräsidenten zu reflektieren, welcher gesagt habe, daß es sich bei dem Bau der Linie Sarajevo-Uvac von Anbeginn an um die Herstellung einer internationa¬ len Linie gehandelt habe. Dieser Anschauung könne Redner nicht beipflichten, denn heute handle es sich vorerst um den Bau der Linie bis zur Sandschakgrenze. Ob die Bahn darüber hinaus eine Fortsetzung finden werde, hänge nicht von der Monarchie ab. Der Moment, über tarifarische Abmachungen zu verhandeln, werde jedenfalls erst dann gekommen sein, wenn die Erreichung des Anschlusses nach der Türkei sicherge¬ stellt sein werde. Heute sei daher noch nicht die Basis für die Lösung dieser Frage gegeben. Das Drängen der österreichischen Regierung, diese Frage schon jetzt einer Lösung zuzuführen, mache ihm den Eindruck, als ob dieselbe beabsichtige, den Aus¬ gleich bezüglich Bosniens zu ändern, was ihm als sehr bedenklich erscheine, da ein solches Vorgehen auch auf andere Gebiete des Ausgleiches sich erstrecken könnte. Wenn von Opfern gesprochen werde, welche für den Bahnbau nach der Sandschak¬ grenze gebracht werden sollen, so müsse er darauf aufmerksam machen, daß in diesem Falle Bosnien es sei, welches die Opfer zu bringen habe, da die Rückstehung der Zentralaktiven rücksichtlich der an dieselben abzuführenden Betriebsüberschüsse der Linie Brod-Zenica mit Rücksicht auf die auf lange Jahre hinaus verteüte Rückzahlung dieser Schuld nur ein prinzipielles Opfer sei. Redner anerkenne die Richtigkeit des Prinzipes einer gewissen Kompensation für die österreichischen Interessen für den Fall, daß aus dem Baue einer solchen Bahnlinie Ungarn ein besonderer Vorteü erwachsen würde. Dies sei jedoch bei der Linie Sarajevo-Uvac nicht der Fall, da diese Bahn lediglich den militärischen und politischen Interessen der Monarchie zu dienen be- <pb/>218 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 stimmt sei. Deshalb seien die österreichischen Minister, seiner Ansicht nach, auch nicht berechtigt, aus diesem Bahnbaue Forderungen abzuleiten, welche das ganze ungarische Tarifwesen zu erschüttern und den Ausgleich in Frage zu stellen geeignet seien. Der Ick. Finanzminister Ritter v. Böhm erklärt, der Auffassung des kgl. ung. Finanzministers, wonach der Zeitpunkt für tarifarische Abmachungen erst dann gekommen sein werde, wenn der Anschluß nach der Türkei erreicht sein wird, widersprechen zu müssen. Ungarn, welches in diesem Falle mit Rücksicht auf seine geographische Lage der beatus possidens sei, könne sich allerdings auf diesen Stand¬ punkt steüen, Österreich dagegen würde in eine äußerst prekäre Lage kommen, wollte es mit dem Abschluß einer prinzipiellen tarifarischen Vereinbarung bis zu jenem Zeitpunkte warten. Redner wünsche nur eine Abmachung, welche den österreichischen Verkehr gegen eine ihn schädigende Handhabung der ungarischen Tarifpolitik sicher¬ stelle. Eine solche Vereinbarung bedeute keineswegs eine Abänderung der bestehen¬ den Ausgleichsstipulation und sei nur dazu bestimmt, eine Sicherheit für jene Zeit zu gewähren, wo der Ausgleich abgelaufen sein werde. Daß die Geltungsdauer dieser Abmachungen von jener der Ausgleichsstipulationen unabhängig gewünscht werde, sei darin begründet, daß aus dem Ausbau der Linie Sarajevo-Uvac Ungarn ein dauernder Vorteü erwachsen werde, während die aus einer eventuellen tarifarischen Abmachung für Österreich zu erhoffenden Vorteüe, wenn sie an die Dauer des Ausgleiches gebun¬ den wären, der österreichischen Reichshälfte nur durch vier Jahre zugute kommen würden, da nämlich von der siebenjährigen Dauer des Ausgleiches die auf drei Jahre veranschlagte Bauzeit der gedachten Linie in Abzug zu bringen sei. Ungarn befinde sich bezüglich der projektierten Linie nach der Sandschakgrenze in der angenehmen Lage, daß sich seine Interessen zufälligerweise mit den Reichsinteressen decken. Die österreichische Reichshälfte habe stets gezeigt, daß sie bereit sei, Lasten für die Interessen der Monarchie zu übernehmen, doch müsse die Regierung darauf bedacht sein, daß hiemit nicht eine ernste Schädigung oder gar Preisgebung der österreichischen Interessen verbunden sei. Die österreichischen Minister hätten daher nur das vorge¬ bracht, was ihnen durch die pflichtmäßige Wahrung der Interessen der österreichischen Reichshälfte geboten gewesen sei. Der k.k. Handelsminister Freiherr v. Call ergreift hierauf das Wort, um auszuführen, daß nach dem ursprünglichen, aus dem Jahre 1869 stammenden Projekte für den Ausbau der Orientbahn bekanntlich eine Trasse, deren Überbleibsel der Torso Banjaluka-Novi ist, gewählt war, welche den Verkehr in eine für Österreich viel günstigere Richtung gelenkt hätte. Redner möchte an diese Tatsache nur darum erinnern, um zu konstatieren, daß die den später eingetretenen Verhältnissen angepa߬ te Anlage des bosnischen Bahnnetzes die spezifisch österreichischen Interessen be¬ nachteiligte. Die österreichische Reichshälfte habe demungeachtet den Ausbau dieses Netzes, worauf sie durch das Gesetz vom Jahre 1880 Einfluß zu nehmen berechtigt ist,4 stets bereitwillig gefördert und gönne dem eng verbundenen Staatsgebiete neidlos die in der Anlage der bosnischen Bahnen begründeten und durch seine eigene, weit ausblickende 4 Gesetz v. 22.2.1880, RGBl. Nr. 18/1880. <pb/>Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 219 Verkehrspolitik ausgenützten Vorteüe. Andererseits würde die österreichische Regie¬ rung aber ein nicht zu verantwortendes Pflichtversäumnis begehen, wollte sie in dem jetzigen Zeitpunkte, wo es sich um die Sicherstellung einer den bisherigen lokalen Charakter der bosnischen Bahnen modifizierenden Linie handelt, auf das in der letzten Sitzung formulierte Minimum ihrer Ansprüche verzichten.5 Gerade weü die österrei¬ chischen Minister in voUer Würdigung der dafür geltend gemachten politischen und militärischen Momente das baldige Zustandekommen der Sandschaklinie wünschen, müssen sie an jenen Ansprüchen festhalten, da sie sonst die betreffende Vorlage weder selbst verantworten, noch auch hoffen könnten, die parlamentarische Zustimmung dafür zu erlangen. Der Vorsitzende empfiehlt neuerdings den Vorschlag des k. u. k. gemeinsa¬ men Finanzministers, wonach die beiden Regierungen, beziehungsweise innerhalb derselben die Fachminister, nochmals die Sache in Erwägung ziehen und darüber untereinander zum Zwecke der Herbeiführung eines Einverständnisses Verhandlun¬ gen pflegen sollen, da es ihm bei der großen Divergenz der beiderseitigen Anschauun¬ gen ausgeschlossen erscheine, daß deren Ausgleichung in der gegenwärtigen Sitzung erzielt werden könnte. Derkgl. ung. H andelsminister v. Hegedüs erwidert hierauf, daß er gewiß gerne bereit sei, auf diese Anregung einzugehen, allein er glaube bereits jetzt sagen zu können, worüber eine Einigung zu erzielen sein werde und worüber nicht. Redner weist auf seine bereits erklärte Bereitwilligkeit hin, bezüglich des internationa¬ len Verkehres die österreichischerseits gewünschten Zugeständnisse zu machen. Anders liege dagegen die Sache bezüglich des Verkehres nach Bosnien, wo Ungarn ein gleiches Entgegenkommen nicht beweisen könne, da durch die Zugestehung der österreichischen Forderungen ein schädlicher Rückschlag auf den internen Verkehr hervorgerufen werden könnte, welcher vermieden werden müsse. Bezüglich des inneren Verkehres müsse die ungarische Regierung sich freie Hand wahren. Der Ick. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek sieht keine Möglich¬ keit, zu einem Einverständnisse zu gelangen, wenn der kgl. ung. Handelsminister seine Zugeständnisse in tarifarischer Hinsicht auf den Verkehr über Uvac hinaus beschränkt. Vom österreichischen Standpunkte könne die Frage insolange nicht als gelöst betrach¬ tet werden, als keine Sicherheit dafür besteht, daß Ungarn keine Eisenbahnpolitik ins Auge faßt, welche den österreichischen Verkehr aus Bosnien ausschließt. Redner weist weiters, gleich dem k. k. Finanzminister, daraufhin, daß österreichischerseits auf einer längeren Zeitdauer der von Ungarn zu machenden Zugeständnisse bestanden werden müsse, da die Linie nach der Sandschakgrenze für immer und nicht bloß auf die Dauer von vier Jahren gebaut werde. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell ist der Ansicht, daß die Tariffrage nicht durch prinzipielle Aufstellungen im Schoße der Konferenz, sondern nur durch Fachleute im Tarifwesen gelöst werden könne, welche die einzelnen Tarif¬ sätze zu konkretisieren hätten. Auf diese Weise werde sich auch feststellen lassen, was die österreichische Regierung unter Ausdehnung der Parität versteht. s GMR. v. 2.10.1900, GMCZ. 424. <pb/>220 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 Der Lk. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek bemerkt demgegen¬ über, daß gewiß kein Zweifel darüber bestehe, daß die Ausarbeitung der Tarife Sache der aus Fachleuten bestehenden Tarifverbände sei. Allein diese Verbände seien Organe der betreffenden Regierungen, welche ihnen die nötigen Direktiven für die Durchfüh¬ rung ihrer Arbeiten geben müssen. Aus diesem Grunde halte er es für unerläßlich, daß die Grundsätze fixiert werden, wonach die Mitglieder der Tarifverbände sich bei ihren Verhandlungen zu richten haben würden. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell konstatiert, daß bezüglich der zugunsten der österreichischen Provenienzen für den Verkehr über Uvac hinaus einzuräumenden Tarifbegünstigungen volle Übereinstimmung herrsche und eine Dif¬ ferenz der Anschauungen nur bezüglich des Verkehres nach Bosnien bestehe. Redner möchte nun, ohne einen Vorschlag machen zu wollen, lediglich den Gedanken zur Erwägung stellen, ob es nicht etwa möglich wäre, über die diesfalls bestehenden Schwierigkeiten dadurch hinwegzukommen, daß man den österreichischen Forderun¬ gen eine negative Fassung gebe, vielleicht in der Weise, daß Ungarn sich verpflichte, sich von der Verfolgung einer solchen Tarifpolitik zu enthalten, welche bezüglich des hier in Frage kommenden Verkehres die österreichischen Interessen Vorsätzlich zu schädigen beabsichtige. Und umgekehrt soll österreichischerseits keine Ungarn schä¬ digende Tarifpolitik verfolgt werden.® Der Vorsitzende trittnachdrücklichst dafür ein, daß der Gedanke des kgl. ung. Ministerpräsidenten von den beteüigten Regierungen in ernsteste Erwägung gezogen werde, da derselbe ihm eine Möglichkeit zu eröffnen scheine, die bestehende Differenz zu beseitigen und so die Durchführung des den Gegenstand der Verhandlun¬ gen büdenden großen Projektes zu sichern. Redner bittet beide Regierungen, die Situation bedenken zu wollen, welche sich ergeben würde, wenn der Bau der Eisen¬ bahnlinie nach der Sandschakgrenze nicht zur Ausführung gebracht würde und der Status quo aufrechterhalten bliebe. Aus der Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes würde weder Österreich noch Ungarn irgend welchen Nutzen haben, dagegen würden die großen politischen und militärischen Interessen der Monarchie ernstlich geschädigt und die wirtschaftliche Entwicklung das Okkupationsgebietes behindert werden. Redner könne daher nur sehnlichst hoffen, daß es den beiden Fachministern gelin¬ gen werde, sich zum Wohle der Interessen der Gesamtmonarchie über eine Formel zu einigen, welche geeignet wäre, eine Ausgleichung der beiderseitigen divergierenden Standpunkte herbeizuführen. Der kk. Ministerpräsident v. Koerber erinnert sodann daran, daß er sich am Schlüsse der letzten Sitzung Vorbehalten habe, mit Bezug auf die Sicherstel¬ lung des Ausbaues der Linie Bugojno-ArZano einen neuen strikt formulierten Antrag zu stellen, nachdem sein erster, in derselben Sitzung gestellter einschlägiger Antrag nicht die Zustimmung der ungarischen Minister gefunden habe. Redner möchte dies¬ falls folgende Formulierung vorschlagen, welche, wie er annehmen zu können glaube, im Vergleiche zu seinem früheren Vorschläge ein wesentliches Entgegenkommen c-c Korrektur Szills aus nachteilig sein könnten. <pb/>Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 221 gegenüber dem ungarischen Standpunkte darstelle und von seiner eigenen ursprüngli¬ chen Proposition weit abgehe: ,,Die beiden Regierungen sind übereingekommen, daß nach erfolgter Herstellung der Fortsetzungslinie von Sarajevo zur türkischen und serbischen Grenze die beiden Linien Bugojno-Ar&no und Samac-Doboj, und zwar beide mit Schmalspur, letztere aber im Trace der Normalspur, gleichzeitig zum Ausbau zu gelangen haben. Zu diesem Zweckewird schon jetzt einverständlich festgesetzt, daß der bosnisch-hercegovinischen Landesverwaltung die Bewilligung zur Aufnahme eines Anlehens in dem für diese Bahnbauten erforderlichen Betrage wie auch die Rückstehungserklärung bezüglich der Vorschußrückzahlung an die Zentralaktiven auf verfassungsmäßigem Wege zu erwir¬ ken ist. Sollte auf dieser Grundlage die Bahnlinie Bugojno-Ar&mo nicht innerhalb der Frist von fünf Jahren, vom heutigen Tage an gerechnet, zur Ausführung gelangen, so wird die kgl. ung. Regierung dagegen keine Einwendung erheben, falls die k. k. österreichi¬ sche Regierung sodann die Sicherstellung dieses Bahnbaues im Einvernehmen mit dem Reichsfinanzministerium durch Gewährung einer entsprechenden finanziellen Unter¬ stützung bewirkt Die gleiche Bestimmung hat im Sinne der Gegenseitigkeit bezüglich des Bahnbaues Samac-Doboj nach Ablauf von fünf Jahren durch eine finanzielle Unterstützung seitens der kgl. ung. Regierung Anwendung zu finden." Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell kann sich auch mit dieser Formulierung des k. k. Ministerpräsidenten nicht einverstanden erklären, da hiedurch das allein richtige Prinzip der Gleichzeitigkeit tangiert und hiedurch die Möglichkeit gegeben würde, daß die Linie Bugojno-Ariano ausgebaut werde, Samac-Doboj aber nicht zur Ausführung gelange. Redner erblickt in dieser Proposition eine dAbweichung von dem Grundgedanken, daß beide Teüe, Ungarn wie Österreich, den Anschluß gleichzeitig zu bekommen haben. In dieser Proposition ist eined neue Verschärfung der Gegensätze eenthaltene und ist [er] der Ansicht, daß der ungarische Reichstag für eine dieses Zugeständnis zur Voraussetzung habende Vorlage nicht zu gewinnen sein werde. Redner verweist darauf, daß ungarischerseits der Widerstand gegen den Ausbau der Linie Bugojno-Ar&no aufgegeben worden sei, und erklärt, daß Ungarn nichts unter¬ nehmen werde, was den Bau dieser Linie hinausschieben könnte. fEs muß aber gleich¬ zeitig die Linie Samac-Doboj gebaut und in Verkehr gesetzt werden/ Redner wäre auch bereit, an einer geeigneten Stelle des Motivenberichtes zu dem betreffenden ungarischen Gesetze einen die Gleichzeitigkeit des Baues dieser beiden Linien feststel¬ lenden Passus aufnehmen zu lassen, wodurch den berechtigten Wünschen der österrei¬ chischen Minister Rechnung getragen würde. Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber kann demgegenüber nur wiederholen, was er bereits in der vorangegangenen Ministerkonferenz gesagt hat, nämlich daß die Zusicherung des gleichzeitigen Ausbaues der mehrerwähnten beiden Linien keine Gewähr dafür biete, daß die Anschlußlinie nach Dalmatien jemals zum d~d Einfügung Szills. e_e EinßgungSzitts. f~( Einfügung SziUs. <pb/>222 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 7.10.1900 Ausbau gelangen werde.6 Redner glaubt, daß eine bezügliche Gesetzvorlage im öster¬ reichischen Reichsrate nur dann durchzubringen sein werde, wenn eine vollgiltige Garantie für das Zustandekommen der Linie Bugojno-ArZano gegeben sei. Die Gleich¬ zeitigkeit sei selbst dann keine Garantie hiefür, wenn sie schriftlich fixiert wird. Der k.u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay möchte seiner¬ seits einen Vorschlag zur Lösung dieser Frage machen, welcher dahin ginge, daß die beiden Regierungen die bosnische Verwaltung verpflichten, die Linie Samac-Doboj und Bugojno-Ar&no innerhalb einer bestimmten Frist, zum Beispiel drei bis vier Jahre, nach der Fertigstellung der Hauptlinie nach dem Sandschak in Angriff zu nehmen. Redner glaubt, daß die öffentliche Meinung in diesem Vorschläge, falls er zum Be¬ schluß erhoben würde, ein wertvolles Zugeständnis erblicken würde. Diese Anregung veranlaßt den kgl. ung. Ministerpräsidenten v. S z e 11 zu der Frage, was zu geschehen hätte, wenn Bosnien nicht in der Lage wäre, diesen Bahnbau auszuführen,worauf der k.k. Eisenbahnminister Ritter v. W i 11 e k erwidert, daß dann eben für jede Regierung die Möglichkeit gegeben sein müsse, durch Gewährung einer entspechenden finanziellen Unterstützung den Bau jener Linie sicherzustellen, an welcher sie ein Interesse hat. Redner fügt hinzu, daß er seinerseits bereit wäre, um etwaige Besorgnisse der ungarischen Minister hinsichtlich der für die Linie Spalato-Ariano österreichischerseits zu inaugurierenden Tarifpolitik zu zerstreuen, den Betrieb dieser nur 67 Küometer langen und daher in tarifarischer Beziehung machtlosen Linie der bosnischen Verwaltung zu überlassen. Nachdem auch die Debatte über die Frage der Sicherstellung des Ausbaues der Linie Bugojno-Ar2ano ohne ein positives Ergebnis endigt, konstatiert der Vorsitzen- d e, daß zwar über die Hauptsache, das heißt über den Ausbau der Linie nach der Sandschakgrenze unter den Konferenzteilnehmern volle Übereinstimmung herrscht, daß dagegen über drei Punkte noch keine Einigung erzielt werden konnte. Diese Punkte seien: 1. Die Frage der Sicherung des Ausbaues der Linien Bugojno-Ariano und Samac-Doboj; Z Die Formulierung bezüglich der Tariffrage; 3. Die Frage der Zeit¬ dauer der tarifarischen Abmachungen, und zwar nicht nur für den internen, sondern auch für den internationalen Verkehr. Über diese drei Punkte sollten zwischen den beiden Regierungen zum Zwecke der Herbeiführung einer Ausgieichung der obwaltenden Differenzen Verhandlungen statt¬ finden, deren Ergebnis das Substrat für die nächste, für den 27. Oktober anberaumte gemeinsame Ministerkonferenz zu büden hätte.7 Hierauf schließt der Vorsitzende die Sitzung. Gohtchowski Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, 27, Oktober 1900. Franz Joseph. 6 GMR v. 2.10.1900, GMCZ. 424. 1 GMR. v. 27.10.1900, GMCZ. 426. <pb/>