Gemeinsamer Ministerrat, 21. 9. 1900
I. Die Frage des Anschlusses der bosnisch-türkischen Bahnen
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z33.pdf.
Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 21. 9.1900 181 Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 21. September 1900 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell, der k. k. Ministerpräsident v. Koerber, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Kallay (6.10.), der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der kgl. ung. Handelsminister v. Hegedüs, der k. k. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek, der k. k. Finanzminister Ritter Böhm [v. Bawerk], der k. k. Handelsminister Freiherr v. Call, der k. u. k. Chef des Generalstabes FZM. Freiherr v. Beck (16.10.), der Sektionschef im k. u. k. gemeinsamen Kriegsministerium FML. Schönaich in Vertretung des k. u. k. gemeinsamen Kriegsministers (8.10.). Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Die Frage des Anschlusses der bosnisch-türkischen Bahnen. KZ. 64 - GMCZ. 422 Protokoll des zu Wien am 21. September 1900 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gohichowski. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und bezeichnet als deren Gegenstand das Projekt, die in Bosnien bereits bestehende Bahn, welche sich bei Bosnisch-Brod an die ungarischen Staatsbahnen anschließt und bis Sarajevo im Betriebe steht, von letzterem Orte aus bis zur Sandschakgrenze zu verlängern, und zwar in der Absicht, daß von hier aus auf türkischem Gebiete eine Anschlußlinie zur Saloniki-Mitrowitzer Linie geschaffen werde. Redner hat die politische, strategische und wirtschaftliche Bedeutung dieses Bahnprojektes bereits seinerzeit in einer an die beiderseitigen Mini¬ sterpräsidenten gerichteten Note des näheren dargelegt1 und möchte sich dermalen darauf beschränken, die Notwendigkeit der endlichen Lösung dieser Frage speziell im Hinblick auf die Unbeständigkeit der Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel neuerdings zu betonen und die Konferenzteilnehmer um tunlichstes Engegenkommen zu ersuchen. Der Vorsitzende erteflt hierauf dem k.u. k. gemeinsamen Finanzmini¬ ster v. Källay das Wort, welcher zunächst bemerkt, daß die ursprüngliche Anre¬ gung zu dem in Rede stehenden Projekte von der kgl. ung. Regierung ausgegangen sei, eine Anregung, welche er mit lebhaftem Danke begrüßt habe, obgleich vom rein ^bosnischen Standpunkte vielleicht andere Bahnprojekte vorzuziehen gewesen wären. Doch verhehle er sich andererseits nicht, daß Bosnien die Verpflichtung habe, Opfer für solche Zwecke zu bringen, welche der Gesamtmonarchie zum Vorteüe gereichen, wie dies bei dem vorliegenden Projekte in so eminenter Weise der Fall sei. Denn in wirtschaftlicher Beziehung erschließe die projektierte Bahnlinie der Industrie der Monarchie neue Absatzgebiete, während die politische Bedeutung der Bahn haupt¬ sächlich darin liege, daß die Monarchie vermittelst derselben, und zwar auf eigenem Gebiete, eine zweite Verbindung mit der Türkei und mittelbar mit dem weiteren Oriente erhalte, wodurch auch erforderlichenfalls auf die Balkanstaaten, deren Haltung 1 Gotuchowski an Szillv. 18. 7.1900, HHSrA, PA I, Karton 621,411/CdM. sowie OL, Sektion K-26, ME. Nr. 2559/1900. SiehefernerKällay an die beiden Ministeipräsidenten v. 30.3.1900 über die Bedeutung des bosnischenBahnprojektes, KA, KM., Präs. 55-7/1/1900 (Abschrift); Gutachten des Generalstabschefs über den oben genannten Entwurfv. 13.4.1900, ebd.; Krieghammer an Källay v. 26. 4.1900 über den Entwurf des Finanzministers v. 30.3.1900, ebd. <pb/>182 Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 21. 9.1900 Österreich-Ungarn gegenüber niemals bestimmt vorauszuberechnen sei, eine wirt¬ schaftliche Pression ausgeübt werden könne. Der Ausbau der fraglichen Linie würde auch die müitärische Stellung der Monarchie wesentlich stärken, da dann jederzeit die Möglichkeit vorhanden sein würde, mit der erforderlichen Raschheit größere Truppen¬ massen nach dem Sandschak von Novipazar zu befördern und etwaige Unruhen so¬ gleich zu unterdrücken. Endlich werde Montenegro, welches von der bereits in der ersten Hälfte des nächsten Jahres zu eröffnenden Eisenbahnlinie Gabela-Gravosa- Castelnuovo nordwestlich umschlossen werde,2 von der projektierten Linie östlich umfaßt werden, wodurch jeder feindlichen Aktion Montenegros gegen die Monarchie a priori die Spitze abgebrochen werden könnte. Redner erinnert hierauf an die im Mai 1. J. in Budapest stattgehabten einschlägigen Besprechungen mit dem k. k. Eisenbahnminister und dem kgl. ung. Handelsminister, als deren Ergebnis er denselben zwei Altematiworschläge unterbreitet habe, deren erster sich folgendermaßen darstelle: Bau der neuen Strecke Samac-Doboj als Normal¬ spurbahn mit einem Kostenaufwande von 19 Millionen Kronen; Umbau der schmalspu¬ rigen Strecke Doboj-Sarajevo in eine normalspurige mit einem Kostenaufwande von 51 Millionen Kronen; Bau der neuen Linie von Sarajevo nach der Sandschakgrenze als schmalspurige Bahn mit einem Kostenaufwand von rund 60 Millionen Kronen.3 Nach diesem Altematiworschlage würden sich somit die Gesamtkosten der projektierten großen Linie auf 130 Millionen Kronen belaufen. Die zweite Alternative gehe dahin: Bau der neuen Linie Samac-Doboj als normalspurige Bahn, wie bei Alternative I; Belassung der Strecke Doboj-Sarajevo als schmalspurige Bahn; Ausbau der neuen Linie Sarajevo-Sandschakgrenze als schmalspurige Bahn. Die Kosten für den Bau der Linie Samac-Doboj und Sarajevo-Sandschakgrenze würden die gleichen bleiben wie bei Alternative I, dagegen würden die Kosten für Umwandlung der Linie Doboj-Sara¬ jevo in eine Normalspurbahn gänzlich in Wegfall kommen, wodurch sich die Kosten der zweiten Alternative um 51 Millionen Kronen niedriger, das heißt auf nur 79 Millionen Kronen stellen würden. Voraussetzung beider Alternativen sei, daß der bosnisch-her- cegovinischen Verwaltung gleichzeitig der Bau der für das Land von eminentem wirtschaftlichem Interesse seienden Linie Bugojno-Ariano in der Richtung gegen Spalato gestattet und sie auch der Verpflichtung enthoben werde, die ihr seinerzeit aus dem Okkupationskredite vorgeschossenen Baukosten der Strecke Brod-Zenica rück¬ zuzahlen und die Betriebsüberschüsse dieser Bahnstrecke zur TUgung der früheren Eisenbahndarlehen zu verwenden. Sollte die Frage der projektierten Bahnlinie dahin gelöst werden, daß die bosnische Verwaltung für die Kosten derselben, sei es nach der 2 Zum Bau der Eisenbahnlinie siehe GMR v. 30.1.1897, GMCZ. 398; GMR. v. 31.1.1897, GMCZ. 401. Die Bahnlinie wurde im Juli 1901 dem Verkehr übergeben. Siehe Schmio, Bosnien und Herzegovina unter der Verwaltung Österreich-Ungarns 584-585. 3 Kdllayführte am 27. Mai Verhandlungen in Budapest Vgl. Kdllay an den k. k. Eisenbahnminister und den kgl ung. Handelsminister v. 11. 6.1900, KA., KM., Präs. 55-7/2/1900 (Abschrift). In diesem Schriftstück formulierte Kdllay auch den aufder damaligen Ministerratssitzung erläuterten Altematiworschlagfür den Eisenbahnbau. SiehefernerKriegftammer an Rällayv. 27.6.1900ebd. Krieghammer reagiert am 11. 6.1900 aufKällays Vorlage: Es sei nur wichtig, daß die betreffende Eisenbahnlinie gebaut wird. Er halte weder die Spurweite derzu bauenden Bahnlinie noch die Errichtung von Seitenlinien (Bugojno -Spalato) für wichtig. <pb/>Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 21.9.1900 183 ersten, sei es nach der zweiten Alternative aus Landesmitteln aufzukommen hätte, so könnte das Projekt nur etappenweise zur Ausführung kommen. Sollte dagegen eine raschere Durchführung des ganzen Projektes als wünschenswert erachtet werden, so könnte dies dadurch erzielt werden, daß die beiderseitigen Regierungen für die Ver¬ zinsung und Amortisierung der für die Deckung der Baukosten der Linien Doboj-Sa¬ rajevo und Sarajevo-Sandschakgrenze aufzunehmenden Darlehen die Garantie leisten, beziehungsweise der bosnisch-hercegovinischen Verwaltung die erforderlichen Beträge vorschußweise zur Verfügung stellen, gegen die von der letzteren zu überneh¬ mende Verpflichtung, diese Vorschüsse aus den Betriebsüberschüssen der fraglichen Bahnlinien seinerzeit zu refundieren. Der kgl. ung. Handelsminister v. Hegedüs möchte zunächst der Ansicht Ausdruck leihen, daß vom Standpunkte der Interessen der Monarchie nur die direkte Verbindung nach dem Sandschak von Novipazar von Wichtigkeit sei. Redner würde deshalb wünschen, daß die Frage des Ausbaues der Linie Samac-Sandschak- grenze von den übrigen bosnischen Bahnbauprojekten losgelöst werde. Seiner Ansicht nach müßten sämtliche Teilstrecken der Linie Samac-Sandschakgrenze als normalspu- rige Bahnen gebaut und deren Ausbau einer einzigen Privatgesellschaft übertragen werden, da nur auf diese Weise der zeitraubende und kostspielige Umschlagverkehr vermieden und die Konkurrenzfähigkeit dieser Linie sichergestellt werden könne. Die Tarifhoheit werde der Staat der betreffenden Gesellschaft gegenüber immer zur Geltung zu bringen in der Lage sein. Die Übertragung des Ausbaues der fraglichen Linie an eine Privatgesellschaft würde auch den Vorteü haben, daß eine solche viel eher von der Türkei den Bau einer entsprechenden Anschlußbahn erreichen würde, als dies der Fall sein würde, wenn die Bahn in Bosnien vom Staate gebaut würde. Auch komme es nicht bloß darauf an, daß die Bahn nach dem Sandschak überhaupt gebaut werde, sondern daß sie rasch gebaut werde, was durch Vergebung der betreffenden Konzes¬ sion an eine Privatgesellschaft jedenfalls am ehesten zu erreichen sei. Mein müsse das Prävenire spielen, damit nicht etwa, bevor das in Rede stehende Projekt ausgeführt sei, die Türkei auf ihrem Gebiete den Bau von den Interessen der Monarchie abträglichen Linien irgendeiner Gesellschaft übertrage. Der k.u.k. Chef des Generalstabes FZM. Freiherr v. Beck ergreift hierauf das Wort, um sich zu dem in Frage kommenden Ausbau der bosnischen Bahnen in dreifacher Hinsicht zu äußern. In politischer Hinsicht büden, nach Ansicht des Redners, das Sandschakat, Mazedonien und Albanien wie überhaupt die westliche Hälfte der Balkanhalbinsel die Interessensphäre der Monarchie, in welcher dieselbe den Einfluß einer fremden Macht nicht dulden könne. Auf die Verbindungen in diesem Teüe der europäischen Türkei müsse Österreich-Ungarn der Einfluß gewahrt bleiben, und erscheine es notwendig, nachdem in letzter Zeit von Seite der türkischen Regierung die Erteüung von Eisenbahnkonzessionen an französische, russische und deutsche Gesellschaften erfolgt sei, daß auf den früher erwähnten Gebietsteüen die Eisenbahn¬ konzession für die Monarchie erwirkt und jedenfalls deren Vergebung an eine fremd¬ staatliche Gesellschaft verhindert werde. Was die handelspolitische Seite der Frage betreffe, so möchte Redner daran erin¬ nern, daß er schon im Jahre 1862 im Aufträge des FZM. Hess ein Memoire ausgear- <pb/> 184 Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 21. 9.1900 beitet habe,4 welches mit Rücksicht auf den damals in Aussicht gestandenen Bau des Suezkanals5 sowie der Mont Cenis-Bahn6 auf die Wichtigkeit von Saloniki als kürzeste Seeverbindung zwischen England und dem Suezkanal als Hauptverkehrslinie durch Österreich hinwies. Seither sei die Okkupation von Bosnien erfolgt, und die Monarchie sei in erster Linie darauf angewiesen, ihrem Handel ein Absatzgebiet in dem westlichen Teüe der Balkanhalbinsel zu eröffnen, wozu man vor allem einer leistungsfähigen Verbindungslinie von den Zentren Österreich-Ungams nicht nur bis an die Sandschak- grenze, sondern bis nach Saloniki bedürfe. In militärischer Hinsicht müsse Redner bemerken, daß die Eisenbahnverbindung der Monarchie nur bis nach Sarajevo gehe, von wo noch eine zweite Entfernung bis nach Südserbien und an die Sandschakatgrenze zurückzulegen sei, geschweige denn erst durch das Sandschakat. Wenn die Monarchie jedoch zu einer Aktion im Sandschakat oder Mazedonien entschlossen sei, so müsse dieselbe rasch und mit genügenden Kräften erfolgen und die Verpflegung sowie der Nachschub von Truppen durch eine Eisenbahnverbindung gesichert sein. Redner sei demnach der Ansicht, daß man trachten müsse, baldmöglichst eine leistungsfähige Eisenbahnverbindung von Brod oder Samac bis Mitrowitz oder Üsküb an die Orientbahnen herzustellen und zu verhindern, daß andere Staaten oder Länder in den bezeichneten türkischen Gebietsteüen einen Einfluß auf Eisenbahnverbindun¬ gen gewinnen. Die neuesten politischen Agitationen in Bulgarien zeigen zur Genüge die Aspiratio¬ nen auf mazedonische Gebiete.7 Sollten diese letzteren mit russischer Unterstützung gelingen, so können, wenn man überdies die serbischen Zustände und die Aspirationen Montenegros in Erwägung ziehe, Umwälzungen auf der westlichen Balkanhalbinsel eintreten, welche nicht nur die Stellung der Monarchie in Bosnien und der Hercegovina bedrohen, sondern die auch die BUdung einer großen bulgarischen und südslawischen Völkermasse in Aussicht stellen, deren Übergreifen nicht nur nach Kroatien und Slawonien, sondern auch nach Südungam zu erwarten steht. - Ohne auf die technische und finanzielle Seite der Frage näher einzugehen, möchte Redner seine Ansicht dahin zusammenfassen, daß baldmöglichst eine leistungsfähige Eisenbahnverbindung durch Bosnien bis an einen Punkt der bestehenden Bahn in Mazedonien hergestellt werden möge. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell bemerkt, es sei evident, daß es sich bei Durchführung des in Rede stehenden Bahnbauprojektes nicht um eine , Erweiterung des bosnischen Eisenbahnnetzes, sondern um den Bau einer großen internationalen Linie handle, weshalb alle Momente in den Hintergrund treten müßten. 4 Heinrich Freiherr v. Hess (1788-1870), Chef des Generalstabes, später wurde er zum Hauptmann der Trabantenleibgarde und der Hofburgwache ernannt. 5 Der Suezkanal wurde 1869 dem Verkehr übergeben. 6 Die erwähntefranzösische Eisenbahnlinie wurde gleichfalls in den 60er Jahre gebaut. 7 Ober den zunehmenden Einfluß Rußlands auf Bulgarien und die bulgarische Aspiration in bezug auf mazedonische Gebiete siehe Goiuchowski an Aehrenthal v. 7.3.1900, HHStA., PA. I, Karton 475, Liasse XXXII, zitiert von Bridge, Front Sadowa to Sarajevo 241, ferner Gedankenaustausch mit Murawjow betreffend die Haltung Bulgariens, März 1900, HHStA., PA. I. Karton 475, Liasse XXXII. <pb/>Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 21. 9.1900 185 welche diesem großen Gedanken nicht förderlich sind. Die vorhandenen Kräfte dürften nicht auf kleinere Linien zersplittert werden, denn dann sei die Gefahr da, daß es nicht mehr zum Ausbau der großen Verkehrslinie kommen könnte, zumal die gegenwärtige finanzielle Lage für große Bahnbauten sehr ungünstig sei. Redner bezeichnet als das Resultat der einschlägigen, im Schoße der ungarischen Regierung gepflogenen Beratungen die Anschauung, daß alles getan werden müsse, was zur Erreichung dieses Zieles, anämlich zum Ausbau der politisch und strategisch überaus wichtigen Linie Samac-Doboj, Sarajevo-Sandschakgrenze,3 führen kann, alles hinwegzulassen sei, was demselben hinderlich sein könnte.8 Die ungarische Legislative werde nur dann für das in Rede stehende große Projekt des Bahnbaues nach der Sandschakgrenze zu gewinnen sein, wenn ihr dasselbe losgelöst von allen dessen Ausführung verzögernden Nebenprojekten, wie zum Beispiel der bsofortigeb Bau der Linie Bugojno-Ariano, unterbreitet werden könne. In dem vorliegenden Falle decke sich übrigens der Standpunkt der ungarischen Regierung in cganz hervorragender*1 Weise mit den dgroßen politischen*1 Interessen der Gesamtmonarchie sowie mit den militärischen Interessen. Der k.u.k. Ministerpräsident v. Koerber möchte seinerseits zu¬ nächst konstatieren, daß die österreichische Regierung die große Tragweite des zur Diskussion stehenden großen Eisenbahnprojektes vollauf würdige, wie sie denn über¬ haupt der Entwicklung des Eisenbahnnetzes in Bosnien warme Sympathien entgegen¬ bringe. Redner könne jedoch nicht umhin zu finden, daß es zur Zeit noch in vieler Hinsicht an den erforderlichen Voraussetzungen fehle, um bezüglich der Durchführung der geplanten Bahnlinie. Sarajevo-Sandschakgrenze ein sicheres Kalkül aufzustellen. So müsse seiner Ansicht nach vor allem festgestellt werden, ob die Fortsetzung der betreffenden Bahnlinie auf einem Gebiete, über welches die Monarchie nicht verfüge, zu erreichen sein werde, daß heißt, ob die türkische Regierung geneigt sein werde, ihrerseits den Anschluß an die auf bosnischem Gebiete zu erbauende Linie zu gewäh¬ ren. Was die Verquickung des Projektes der Linie Sarajevo-Sandschakgrenze mit jenem anderer, kleinerer Linien wie Samac-Doboj oder Bugojno-ArZano betrifft, sei er der Ansicht, daß diese letzteren gegenüber einem so großen Projekte wie jenem der Linie Sarajevo-Uvac nicht ins Gewicht fallen. Deshalb sollten die Wünsche, welche auf das Zustandekommen der erwähnten kleineren Linien gerichtet seien, nicht unberück¬ sichtigt bleiben. Redner spricht sich schließlich für eine etappenweise Durchführung des ganzen Projektes aus. Der Icu. k. gemeinsameFinanzministerv. Källay kann seinerseits der Ansicht des Vorredners nicht beipflichten, wonach zuerst die Gewährung des Anschlusses seitens der Türkei sichergestellt werden müsse. Der Anschluß werde a'* Einfügung Szills. b''b Einßgung Szills. c"c Korrektur Szills aus seltener. d~d Einßgung Szills. 8 Derungarische Ministerrat beriet dieAngelegenheit am 13.9.1900, OL., Sektion K-26, ME. Nr. 2559/1900. <pb/>186 Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 21. 9.1900 unbedingt zu erreichen sein, und müsse er sich entschieden dagegen aussprechen, daß man diesfalls an die Türkei herantrete, bevor nicht wenigstens der Bahnbau in Angriff genommen sei. Durch die Schaffung eines fait accompli werde man der Türkei am ehesten imponieren und sie den diesseitigen Wünschen gefügig machen können. Auf die Frage übergehend, ob die projektierte Bahnlinie nach der Sandschakgrenze schmal¬ spurig oder normalspurig zu bauen sei, weist Redner auf die bedeutend höheren Kosten des Baues einer Normalspurbahn hin. So würde, normalspurig gebaut, die Linie Samac- Sandschakgrenze auf 154 Millionen Kronen zu stehen kommen, während bei Annahme des Normalspursystems bloß für die Strecke Samac-Doboj, und des Schmalspursystems für die Strecke Doboj-Sandschakgrenze die Kosten derselben Linie (Samac-Uvac) sich auf nur 79 Millionen Kronen belaufen würden. Redner sei daher entschieden für die Annahme des Schmalspursystems für die zu bauende Linie nach der Sandschakgrenze, und zwar nicht nur aus finanziellen sondern auch aus betriebstechnischen Gründen. Die bei den bosnisch-hercegovinischen Staatsbahnen im Betrieb der Schmalspurbahnen und in der Ausgestaltung der Leistungsfähigkeit derselben während des letzten Jahr¬ zehntes gemachten Fortschritte hätten nämlich diesen Bahnen nicht nur einen europä¬ ischen Ruf erworben, sondern dieselben hätten auch den Nachweis geliefert, daß auch auf einer Schmalspurbahn ein großer Verkehr anstandslos abgewickelt werden könne, und die Leistung einer gut ausgestatteten Schmalspurbahn relativ nur um ein geringes hinter jener einer normalspurigen Bahn zurückstehe. Bei entsprechender Vermehrung des rollenden Materials und Erweiterung der Stationsanlagen werde auf diesen Schmal¬ spurbahnen ein drei- bis viermal so großer Verkehr abgewickelt werden können. Für die Bedürfnisse der bei diesem Bahnbauprojekte in Betracht kommenden Gegenden würden übrigens noch für eine lange Reihe von Jahren - vielleicht noch für ein halbes Jahrhundert - schmalspurige Bahnen vollauf genügen. Um jedoch einer möglicherweise der ferneren Zukunft vorbehaltenen Entwicklung des Verkehres auf den in Betracht kommenden Strecken nicht zu präjudizieren, sollen die projektierten Schmalspurbah¬ nen mit dem Trace einer normalspurigen Bahn gebaut werden, so daß deren Umwand¬ lung in eine Bahn der letzteren Art jederzeit ohne allzu große Kosten bewerksteüigt werden könnte. Nachdem der k.u. k. Sektionschef im gemeinsamen Kriegsmi¬ nisterium FML. Schönaich sich vom müitärischen Standpunkte für den Ausbau der ganzen Linie Samac-Sandschakgrenze als einer normalspurigen ausge¬ sprochen hat, glaubt der k.u.k. Chef des Generalstabes FZM. Frei¬ herr v. Beck daran erinnern zu sollen, daß Österreich seinerzeit bei der Sokaler Bahn9 den erforderlichen Anschluß seitens Rußlands nicht habe erlangen können, weshalb er der Ansicht sei, daß man sich im vorliegenden Falle zuerst der Zustimmung der Türkei vergewissern möge, um nicht wieder eine ähnliche unangenehme Erfahrung zu machen wie damals. Der kgl. ung. Handelsminister v. Hegedüs stimmt in letzterer Be¬ ziehung den Ausführungen des k. u. k. gemeinsamen Finanzministers bei, indem er 9 Sokaler Bahn - eine Eisenbahnverbindung bis zur russischen Grenze, am Fluß Bug entlang. Siehe Beilage Nr.4aadGMCZ.393. <pb/>Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 21. 9.1900 187 dafür emtritt, daß zuerst der Bau in Angriff zu nehmen und dann erst an die Türkei wegen des Anschlusses heranzutreten wäre. Vorerst müsse jedoch überhaupt einmal die Notwendigkeit des Baues der in Rede stehenden großen Linie anerkannt werden, dann werde auch die finanzielle Seite der Frage leicht ihre Lösung finden, wobei allerdings auch auf eine Beitragsleistung Bosniens reflektiert werden müsse. Der kgl. ung. F inanzminister v. Lukäcs istder Ansicht, daß zunächst die Vorfrage zu lösen wäre, ob die projektierte große Bahnlinie als eine Privatbahn oder als eine Staatsbahn gebaut werden solle. Sollte letzteres der Fall sein, so müßten die Kosten jedenfalls verhältnismäßig gering sein, denn es werde nicht leicht sein, ein Anlehen aufzunehmen. Die Vergebung der Konzession für den Bau und Betrieb der fraglichen Linie an eine Gesellschaft würde dagegen den Vorteü bieten, daß die beiden Staatsgebiete der Monarchie nur eine Zinsengarantie zu leisten haben würden. Was die Frage ob Normalspurbahn oder Schmalspurbahn betrifft, so sei er, falls dies finanziell möglich, für den Bau der Bahn als einer normalspurigen, da, wenn dieselbe schmalspurig gebaut werden sollte, Ungarn jedes Interesse an derselben verlieren würde. Redner tritt für den Bau der Bahn durch eine Privatgesellschaft ein, welcher es auch gewiß gelingen werde, den Anschluß seitens der Türkei zu erlangen. Der Ick. Ministerpräsident v. Koerber glaubt demgegenüber be¬ zweifeln zu sollen, daß sich eine Privatgesellschaft finden werde, welche, ohne im voraus Sicherheit für den Anschluß in der Türkei zu haben, es übernehmen würde, die normalspurige Bahn in Bosnien bis zur Sandschakgrenze zu bauen. Der Vorsitzende findetletzteren Einwand des Vorredners prinzipiell und mit Bezug auf jedes andere Staatswesen als die Türkeivollkommen richtig. Die Verhältnisse in letzterem Lande seien jedoch ganz eigentümlich und müßten mit einem besonderen Maßstabe gemessen werden. Wenn man sich wegen des Anschlusses zuerst an die Türkei wenden wolle, so könne man, seiner Ansicht nach, das ganze Bahnprojekt als gescheitert ansehen. übrigens sei die Bahn bis zur Sandschakgrenze auch schon für sich allein von großer Wichtigkeit. Der Ick. Finanzminister Ritter v. Böhm reflektiert zunächst auf die von dem kgl. ung. Finanzminister bezüglich der finanziellen Seite der Frage vorgebrachte Bemerkung, indem er der Ansicht Ausdruck gibt, daß es für den Staat in merito so ziemlich auf dasselbe hinauskomme, ob er einer mit dfem Bau der betreffenden Linie betrauten Gesellschaft eine Zinsengarantie leiste, oder ob er selbst eine Anleihe aufnehme und dieselbe verzinse. In dieser Beziehung bestehe kein Unterschied zwischen den finanziellen Lasten, die der Staat über¬ nehme. Eine größere Differenz bezüglich der vom Staate zu tragenden Lasten ergebe sich im vorliegenden Falle bei der Frage, ob normalspurig oder schmal¬ spurig gebaut werden solle. Denn da sei der Unterschied ein sehr bedeutender, wie dies aus den einschlägigen Ausführungen des Herrn gemeinsamen Finanzmi¬ nisters hervorgehe. Redner wendet sich hierauf einer bisher noch nicht erörterten Seite der Frage zu, welche seiner Ansicht nach besonders schwierig ist, und zwar der Frage der jeder der beiden Reichshälften aus dem in Rede stehenden Bahnbauprojekte künftig erwachsen¬ den Vorteüe. Während nämlich die politischen und militärischen Vorteile der projek- <pb/>188 Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 21. 9.1900 tierten Bahnlinie der Gesamtmonarchie zugute kommen, seien die daraus zu gewärti¬ genden wirtschaftlichen Vorteile für die beiden Staatsgebiete der Monarchie sehr un¬ gleich. Um diese zuungunsten der österreichischen Reichshälfte bestehende Ungleichheit einigermaßen zu beseitigen, müsse die Durchführung des in Rede stehen¬ den Bahnbauprojektes in der Weise erfolgen, daß der Gegenwert für die zu bringenden Opfer nicht nur in politischen und strategischen Vorteüen für die Gesamtmonarchie, sondern auch in verkehrspolitischen Vorteüen für die im Reichsrate vertretenen König¬ reiche und Länder zum Ausdrucke gelange, denn nur in diesem Falle würde eine dies¬ bezügliche Vorlage Aussicht haben, von der österreichischen Legislative angenommen zu werden. Redner müsse sich deshalb gegen die Vernachlässigung der mit dem großen Projekte des Bahnbaues nach der Sandschakgrenze in Zusammenhang gebrachten klei¬ neren Linien aussprechen, da gerade diese für Österreich wirtschaftlich von Vorteil sind. Der k. u. k. gemeinsamen Finanzminister v. Källay gibt der Ansicht Ausdruck, daß man zunächst darüber schlüssig werden müsse, ob die Bahn als Privat- oder als Staatsbahn gebaut werden solle. Sei diese Frage einmal entschieden, so würden damit zugleich auch viele andere Fragen ihre Lösung finden. Der kgl. ung. Handelsminister v. Hegedüs sprichtsich für den Bau der Bahn als einer normalspurigen aus. Der Vorsitzende bezeichnet es vor allen Dingen als notwendig, daß man sich darüber klar sein müsse, auf welches Objekt, das heißt auf welche Linien sich die eventuelle Verhandlungen mit einer Privatgesellschaft beziehen sollen. Nachdem der k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay noch¬ mals betont hat, daß zuerst die Frage, durch wen der Bau ausgeführt werden solle, gelöst werden müsse, glaubt der Ick. Ministerpräsident v. Koerber die Frage dahin präzisieren zu sollen, daß die beiderseitigen Regierungen im Einvernehmen mit der gemeinsamen Regierung darüber schlüssig zu werden hätten: 1. was, das heißt, welche Linie, und 2. wie, das heißt, durch wen gebaut werden solle. Bezüglich der letzteren Frage müsse Redner bemerken, daß es unter den gegebenen Verhältnissen nahezu als ausgeschlossen zu betrachten sei, daß eine Privatgesellschaft mit dem Ausbau der projektierten Bahnlinie nach der Sandschakgrenze betraut werden könnte, da bei dem zumal gegen fremde Privatgesellschaften herrschenden Mißtrauen keine Aussicht vorhanden sei, eine darauf abzielende Vorlage im österreichischen Parlamen¬ te durchzubringen. übrigens wolle er in dieser Hinsicht den Ausführungen des k. k. Eisenbahnministers nicht vorgreifen, welcher in erster Linie berufen sei, sich vom Standpunkte seines Ressorts zu dieser Frage zu äußern. Der Vorsitzende schließthieraufdie Sitzung, nachdem er die Fortsetzung der Beratung im Einvernehmen mit den übrigen Konferenzteilnehmern für den folgenden Tag um 10 Uhr vormittags anberaumt hat.10 Goluchowski Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Gödöllö, 19. Oktober 1900. Franz Joseph. 10 Siehe GMR.V.2Z 9.1900, GMCZ. 423. <pb/>