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[Tagesordnungspunkte]

Gemeinsamer Ministerrat, 31. 1. 1871

246 Nr. 36 Gemeinsamer Ministermt, Ofen, 31. 1. 1871

welchen Antrag Seine Majestät der Kaiser zum Ah. Beschlüsse
erhebt.

   Post 17-21 ,,Monturs- und Rüstungswesen" - Regierungsantrag 9 149 784,
Antrag der deutschen Delegation 3 500 000 fl., Antrag der ungarischen 6 257 239
fl.-erteilt Seine Majestät der Kaiser dem Anträge des Reichs¬
kriegsministers, an den Ziffern der ungarischen Delegation festzuhalten, die Ah.
Genehmigung.

   Seine Majestät der Kaiser geruhten endlich, dem Antrag des
Reichskriegsministers, die Divisionseinteilung auffechtzuerhalten,6 Ag. zuzu¬
stimmen, womit die Sitzung geschlossen wird.

                                                                                                   Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 3. März 1871. Franz Joseph.

        Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 31. Jänner 1871

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Andrässy (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v.
Lönyay (o. D.), der kgl. ung. Finanzminister v. Kerkäpoly (o. D.).
    Protokollführer: Sektionsrat v. Teschenberg.
    Gegenstand: Das Armeebudget.1

   KZ. 80-RMRZ. 102
   Protokoll des zu Ofen am 31. Jänner 1871 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

    [I.] Seine Majestät der Kaiser geruht die Sitzung mit dem
Hinweis darauf zu eröffnen, daß eine Verständigung der Regierung über die den
jüngsten Beschlüssen der Delegation gegenüber einzuhaltende Taktik erforder¬
lich sei. In erster Linie komme hier der Beschluß der reichsrätlichen Delegation

         Über das Problem der Divisionseinteilung siehe GMR. v. 9. 1. 1871, RMRZ. 97. Gegen¬
        stand: I.

         Weitere Tagesordnungspunkte sind nicht aufgeführt, aber auch diese beschäftigen sich mit
        der Stellungnahme der gemeinsamen Minister zur Delegationssession. So: II. Avancements¬
         gesetz. III. Beantwortung der Interpellation Ebers. FV. Eisenbahnweichen. V. Waffentragen
         der Truppen außer Dienst. VI. Stellvertreterfond. VII. Posten des gemeinsamen Budgets ,,Fe¬
         stungsgeschütze und Munition" und .Augmentationsvorräte, insbesondere Monturen". VIII.
         Befestigungen. Das Armeebudget wurde auch in der Sitzung des GMR. v. 19. 1. 1871, RMRZ.
         101 behandelt.
<pb/>Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 31. 1. 1871                           247

in bezug auf die Artilleriegeschütze und Munition in Betracht. Dieser Beschluß
sei prinzipieller Natur und ebenso sachlich von entscheidender Bedeutung. Es
entstehe die Frage, ob eine Parierung der Ablehnung der Regierungsforderung
mit Hilfe der ungarischen Delegation erzielt werden könne.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay macht die Mitteilung, daß
nach vertraulichen Mitteilungen, die ihm von Seite mehrerer Mitglieder der
Reichsratsdelegation, wie von Seite des Präsidenten Hopfen,2 Dr. Banhans3 usf.
gemacht worden, begründete Aussicht vorhanden sei, ein zustimmendes Votum
für zwei Millionen für das Artilleriematerial zu erhalten, wenn in der Motivie¬
rung des betreffenden Nuntiums dieser Betrag nicht ausdrücklich für die Land¬
wehr, sondern als Reservematerial angesprochen werden würde.

   Seine Majestät der Kaiser bemerkt zur Aufklärung, daß in der
Regierungsvorlage zwei Millionen für Geschütze und 2 835 000 fl. für Feldartil¬
leriematerial eingestellt seien.

   Ministerpräsident Graf Andrässy charakterisiert den
Standpunkt der Majorität der deutschen Delegation, die von der Ansicht ausgehe,
diese Beträge sollten einfach dazu verwendet werden, um mit den Anschaffungen
der ungarischen Landwehr ein Geschenk zu machen, als ob Cisleithanien nicht
auch eine Landwehr hätte.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn führt aus, daß
auf den eingestellten Betrag für die Munition allenfalls verzichtet werden könnte.
Bei eventuell eintretenden Ereignissen könne die Anschaffung noch immer rasch
ermöglicht werden.

   Seine Majestät der Kaiser stellt die Anfrage, ob der Betrag zur
Anschaffung von Infanteriemunition bestimmt gewesen sei. Reichs-
kriegsminister Freiherr v. Kuhn bejaht die Frage. Als Prinzip
sei angenommen, den Mann mit 200 Schüssen für den Feldzug zu versehen.
Finanzminister v. Kerkäpoly bemerkt, daß diese Ziffer keines¬
wegs als zu hoch gegriffen angesehen werden könne.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay wiederholt, daß die reichs-
rätliche Delegation bereit sein werde, den Betrag von zwei Millionen zu votieren,
wenn er im Nuntium für die Kriegsreservevorräte angesprochen werde. Sollte die
Bestimmung dieses Materials flir die Landwehr betont sein, so werde die Votie-
rung nicht erfolgen.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erwähnt die In¬
terpellation des ungarischen Delegierten Emust,4 ob der Kriegsminister nicht ge¬
neigt sei, das Artilleriematerial sowohl dies- als jenseits der Leitha zu deponieren.

   Ministerpräsident Graf Andrässy bestreitet, daß eine Inge-
renz in derartigen Fragen in die Kompetenz der Delegationen falle.

Hopfen, siehe GMR. v. 14. 11. 1870, RMRZ. 91. Anm. 5.
Anton Ritter Freiherr von Banhans (1825-1902), deutschliberaler Politiker.
Ernuszt, Kelemen (1832-1917), ungarischer Reichstagsabgeordneter.
<pb/>248 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 31. 1. 1871

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Er habe seine
persönliche Ansicht dahin formuliert, daß kein Bedenken in jener Richtung vor¬
walte, wenn Platz für die zweckmäßige Unterbringungjenes Materials vorhanden
sei. Im Zusammenhang mit jener Interpellation stehe eine zweite des Delegierten
Eber,5 welche es als eine Anomalie bezeichnet, daß nach der relativen Truppen¬
stärke, welche für Ungarn sechs Armeekorps ausmacht, nur drei, nicht sechs Ar¬
tillerieregimenter in Ungarn selbst stationiert seien. Er habe dies als ein in der
Natur der Sache liegendes Übergangsmoment bezeichnet. Gegenwärtig sei das
Verhältnis der des Lesens und Schreibens kundigen Mannschaft in Cis- und
Transleithanien wie 3:1. Was die Frage der Artilleriedotierung der Truppen selbst
anbelange, so sei diese unzweifelhaft Sache des obersten Kriegsherrn.

   Seine Majestät der Kaiser hebt hervor, daß in Ungarn entspre¬
chend den sechs Armeekorps sechs Stäbe zu formieren seien. Dazu gehörten
sechs Artillerieregimenter. Es sei zu antworten, man möge durch die Kasernie¬
rung etc. Platz schaffen, dann werden die drei noch fehlenden Artillerieregimen¬
ter auch nach Ungarn verlegt werden.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn verweist dar¬
auf, daß mehrere Artillerieregimenter ganz nahe an der ungarischen Grenze sta¬
tioniert seien. In Wiener Neustadt liege eines, ebenso in Laibach, in Wien zwei.

   Finanzminister v. Kerkäpoly: Wenn etwa der Gedanke vor¬
schwebe, daß das Material für die Landwehr in besonderer Evidenz gehalten wer¬
den solle, so müsse dies wohl als ganz überflüssig bezeichnet werden.

   Seine Majestät der Kaiser geruht darauf aufmerksam zu ma¬
chen, daß die 50 angesprochenen Batterien keineswegs ganz für die Landwehr
bestimmt seien.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn betont, daß die
Argumentation der Majorität der reichsrätlichen Delegation auf besonderer Ra-
bulistik beruhe.

   Reichskanzler Graf Beust: Die Delegation habe auch unter
dem Drucke des Ausschußantrages gestanden, wo das betreffende Votum ein¬
stimmig und mit Zustimmung selbst des Grafen Falkenhayn6 und Fürsten Schwar¬
zenberg7 gefaßt worden sei. Dr. Brestei8 habe dort namentlich die Kompetenzver¬
hältnisse einer scharfen Kritik unterzogen und eine Unterscheidung zwischen den
Angelegenheiten des Heeres und jenen der Landwehr formuliert. Dazu komme
noch der Hintergedanke, daß alles zugunsten der ungarischen Landwehr bestimmt
sei.

        Eber (Eberl), Nändor (1825--1885), ungarischer Reichstagsabgeordneter, Journalist.
        Falkenhayn, Franz Graf(1827--1898), erbliches Mitglied des Herrenhauses, Wortführer der
        Rechten.
        Schwarzenberg, Johann Adolf, Fürst (1833-1888), Delegationsabgeordneter, aus dem Her¬
        renhaus gewählt.
        Brestei, siehe GMR. v. 5. 11. 1870, RMRZ. 89. Anm. 15.
<pb/>Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 31. 1. 1871  249

   Seine Majestät der Kaiser: Das Prinzip der Regierung sei
vollkommen korrekt und im Gesetz begründet, die gemeinsame Armee sei ver¬
pflichtet, die Landwehr im Falle des Bedarfes mit Artillerie zu versehen.9 Vom
Augenblick des Kriegsausbruches falle ja eben auch die Aufgabe der Verpfle¬
gung, der Löhnung usf. der gemeinsamen Armee zu.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Die falsche
Motivierung der reichsrätlichen Delegation hänge im wesentlichen mit der nicht
präzisierten Auffassung des Wortes Munition zusammen. Es seien Geschützmu¬
nition, Taschenmunition und Kriegsmunition auseinanderzuhalten.

   Seine Majestät der Kaiser: Die Landwehr habe nur mit Ta¬
schenmunition und Bataillonsmunitionsbezügen auszumarschieren, für alles wei¬
tere das gemeinsame Heer aufzukommen.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn weist darauf
hin, daß nach Auffassung des cisleithanischen Ministeriums selbst die Anschaf¬
fung der Taschen- und Bataillonsmunition aus gemeinsamen Mitteln erfolgen
müsse.

   Seine Majestät der Kaiser zieht daraus die Konsequenz, daß
umsomehr die Einstellung des geforderten Betrages zu erfolgen habe.

   Finanzminister v. Kerkäpoly: In Wirklichkeit liege dem
Votum der reichsrätlichen Delegation der Wunsch zugrunde, daß die Landwehr
überhaupt nicht mobilisiert werde. Im Falle eines Krieges wäre man geneigt, ihre
Aufgabe auf die Besetzung der Städte zu reduzieren, nicht aber sie ausmarschie¬
ren zu lassen. Daraus erkläre sich alles, und diesem Standpunkte gegenüber wer¬
de auch mit einer entgegenkommenden Stilisierung des Nuntiums keine Abhilfe
getroffen werden können. Der Anspruch der Regierung sei korrekt und im Geset¬
ze begründet, es müsse ihm Genüge geschehen. Jede Sache habe ihre Logik, und
das Prinzip dürfe man nicht aufgeben, denn mit einer Präjudizierung des Prinzips
wäre das Votum von zwei Millionen zu teuer erkauft. Man akzentuiere das Prin¬
zip nicht mit ausdrücklichen Worten und in scharfer Form, aber durch ein Präju¬
diz dürfe man an dasselbe nicht tasten lassen.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay hält es nicht für rätlich, die
prinzipielle Seite der Frage allzu sehr in den Vordergrund zu stellen. Die ungari¬
sche Delegation werde ihr Nuntium ohne Motivierung abgeben, sie habe keinen
Grund, sich in Disputationen einzulassen. Die prinzipielle Auffassung der Regie¬
rung könnte nicht mit einer prinzipiellen Auffassung seitens der reichsrätlichen
Delegation beantwortet werden. Dort ziehe man die Kompetenzfrage in Erwä¬
gung, und nach Äußerungen Giskras10 sei es nicht unmöglich, daß man in der
reichsrätlichen Delegation mit Rücksicht auf die Kompetenz ablehnen würde,

        Siehe GA. XLI/1868; Gesetz v. 13.5. 1869. RGBl. Nr. 68. Die Ausrüstung der Honveds mit
        Artillerie ist das mehrfach wiederkehrende staatsrechtliche Problem der Periode. Siehe
        Somogyi, The Hungarian Honved Army and the Unity of the Habsburg Empire 273-279.
io Giskra: siehe GMR. v. 19. 1. 1871, RMRZ. 101. Anm. 3.
<pb/>250 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 31. 1. 1871

sich an einer gemeinsamen Abstimmung zu beteiligen. Die für die gemeinsame
Abstimmung erforderliche Anzahl der Stimmen würde dann aus der deutschen
Delegation nicht zu erzielen sein. Damit würde das Institut der Delegationen ge¬
fährdet sein und sich die Prozedur als eine höchst bedenkliche und gefährliche
heraussteilen. Es empfehle sich aus diesen Gründen, sich mit dem Votum von
zwei Millionen zu begnügen.

   Seine Majestät der Kaiser stellt die Frage, ob es möglich sei,
den für die Munition eingestellten Betrag von zwei Millionen preiszugeben.
Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn gibt diese Mög¬
lichkeit zu.

   Seine Majestät der Kaiser knüpft hieran die weitere Frage, ob
es gelingen werde, die Zustimmung der ungarischen Delegation für diesen Stand¬
punkt zu erlangen.

   Ministerpräsident Graf Andrässy macht aufdie Schwierig¬
keiten aufmerksam, die es haben werde, über das Prinzip hinwegzukommen.
Wenn auf eine Anfrage erklärt würde, die Bewilligung erfolge nicht für die Land¬
wehr, dann sei das Prinzip in Frage gestellt.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay weist darauf hin, daß in
der Vorlage der Bedarf nur für das Feldartilleriematerial eingestellt erscheine, ein
Ausdruck, der unpräjudiziert sei.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Der Kriegsminister
müsse ausdrücklich erklären, es sei Reservematerial und für alles bestimmt, was
die Armee brauche.

   Finanzminister v. Kerkäpoly ist der Ansicht, daß das Prinzip
früher oder später werde zur Entscheidung gebracht werden müssen, jetzt aber sei
ein Ausweichen möglich.

   Reichskanzler Graf Beust: Dem Bedarfe könne aus dem Be¬
stehenden genügt werden, dann müsse aber an die Ausfüllung der Lücke gegan¬
gen werden, damit könne dem formalistischen Standpunkte begegnet werden,
welchen der Ausschuß eingenommen.

   Seine Majestät der Kaiser geruht zu bemerken, es sei nicht der
Anspruch für die Landwehr in erste Linie gestellt, sondern es seien 50 Batterien
angesprochen und unter den Gründen dafür der eventuelle Bedarf auch für die
Landwehr aufgeführt. Aber allerdings schwebe der reichsrätlichen Delegation
der Gedanke vor, man habe eine Schenkung an die Ungarn vor Augen.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn führt an, daß
der Armeebedarfmit 2000 Geschützen in Aussicht genommen, aber nur ein Stand
von 1300 Geschützen vorhanden sei.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Wenn die ungarische
Delegation votiere, werde sie die Anfrage in der angedeuteten Richtung an den
Kriegsminister stellen. Dann werde der Kriegsminister mit einer Erklärung her¬
vortreten müssen, und es sei kein Grund mit dem Prinzip zurückzuhalten. Er
schlage vor, der Bezeichnung als Reservematerial noch den Ausdruck ,,eventu-
<pb/>Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 31. 1. 1871  251

eil&quot; für die Landwehr hinzuzufugen. Das wahre Motiv für die Haltung der reichs-
rätlichen Delegation habe übrigens Finanzminister v. Kerkäpoly angegeben.

   Seine Majestät der Kaiser macht darauf aufmerksam, daß
wenn der ungarische Landtag, was hoffentlich nicht geschehen werde, votiere,
die Landwehr dürfe die Grenze nicht überschreiten, die Landwehr auch keine
Kanonen erhalten werde. Auch dadurch sei der Ausdruck ,,eventuell&quot; gerechtfer¬
tigt, weil zum Ausmarsch der Landwehr beiderseits ein Gesetz gehöre. Die Erklä¬
rung des Kriegsministers sei aber so abzufassen, daß sie die Bestimmung jenes
Bedarfes weder bloß für das Heer noch bloß für die Landwehr formuliere.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn weist darauf
hin, daß nur große Truppenkörper mit Artillerie versehen werden. So seien in
Tirol die kleinen Abteilungen der Landesverteidigung Kompanien und so eben
auch nicht mit Kanonen versehen worden.

   Ministerpräsident Graf Andrässy betont nochmals die in¬
neren Gründe der Haltung der reichsrätlichen Delegation. Ihr zufolge solle die
Landwehr erstens nicht existieren, zweitens nicht ausmarschieren.

   Seine Majestät der Kaiser bezeichnet diese Haltung als auf
durchaus falschem Standpunkt beruhend. Beide Landwehren würden sowohl im
freien Felde als zur Festungsverteidigung sehr gute Dienste leisten.

   Reichskanzler Graf Beust regt die Frage an, ob nicht gesagt
werden solle, daß die Regierung auf die Sache zurückkommen werde.

   Seine Majestät der Kaiser geruht zu befehlen, es sei zu konsta¬
tieren, daß der Kriegsminister verpflichtet ist, die Landwehr in dem im Gesetze
vorgesehenen Falle mit Artillerie zu versehen, und daß die Regierung daher auf
die Frage zurückkommen müsse. Allerhöchstderselbe erteilt sodann auch den
Anträgen des Reichsfinanzministers v. Lönyay und des Ministerpräsidenten Gra¬
fen Andrässy im Sinne der Debatte die Ah. Zustimmung.

   II. Seine Majestät der Kaiser geruht sodann darauf aufinerk-
sam zu machen, daß auch im diesjährigen Berichte des Ausschusses der ungari¬
schen Delegation, wie in früheren Fällen, der Wunsch Ausdruck gefunden habe, es
möge ein Avancementsgesetz den Delegationen vorgelegt werden. Eine Resolution
in dieser Richtung sei noch nicht gefaßt worden und das Zustandekommen einer
solchen auch für die Zukunft möglichst zu verhindern. In keinem Lande der Welt
- Italien etwa ausgenommen - sei ein Avancementsgesetz den Vertretungskörpem
vorgelegt worden, und man könne in der Tat nur uneigentlich das Wort Gesetz in
dieser Beziehung brauchen, ada es sich lediglich um eine Verordnung handle.3

   Finanzminister v. Kerkäpoly ist der Ansicht, daß es der Dele¬
gation nicht ernst mit diesem Wunsche sei. Er stehe in Verbindung mit der Frage
der Pensionierungen. Wenn diese sich nicht häufen würden, sei ein akutes Her¬
vortreten des Wunsches nach Vorlage eines Avancementsgesetzes im Sinne einer
Resolution nicht zu besorgen.

        Einfügung Sr Majestät [?].
<pb/>252 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 31. 1. 1871

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn bestätigt diese
Auffassung. Er habe dem Delegierten Eber mitgeteilt, daß die Verordnung wegen
des Avancements und Generalstabes [sic!] bereits ausgearbeitet und sanktioniert
sei.

   Seine Majestät der Kaiser geruht daran zu erinnern, daß be¬
reits beschlossen sei, ein Pensionsgesetz den Delegationen vorzulegen.11 Bezüg¬
lich des Avancementsgesetzes erteilt Allerhöchstderselbe den Befehl, daß das
Zustandekommen einer Resolution der ungarischen Delegation im Sinne des
wiederholt von derselben formulierten Wunsches zu verhindern sei.

   III. Seine Majestät der Kaiser berührt sodann die Interpella¬
tion Ebers bezüglich der sechs in Ungarn zu gamisonierenden Artillerieregimen¬
ter und erteilt der Auffassung des Kriegsministers, daß auf das Nichtvorhanden¬
sein des geeigneten Platzes für die Gamisonierung zu verweisen sei, die Ah.
Zustimmung.

   IV. Seine Majestät der Kaiser geruht, demnächst die Abstim¬
mung der deutschen Delegation bezüglich der Eisenbahnweichen zu berühren.
Die Sache erscheine von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: In der ganzen
Angelegenheit sei von entscheidender Bedeutung, ob ein Zwang auf die Bahnen,
in betreffjener Anlagen ausgeübt werden könne oder nicht. Dr. Giskra - selbst
Verwaltungsrat - urgiere die Möglichkeit eines derartigen Zwanges, und er (der
Kriegsminister) habe darauf in der Plenarsitzung verwiesen.

   Ministerpräsident Graf Andrässy ist gleichfalls der An¬
sicht, daß die gesetzlichen Handhaben zur Ausübung eines Zwanges nicht vor¬
handen seien.

   Finanzminister v. Kerkäpoly gibt zu, daß direkt nicht leicht
etwas getan werden könne, indirekt aber lasse sich den Eisenbahnverwaltungen
gegenüber zum Ziele kommen.

   Seine Majestät der Kaiser bemerkt, daß man sich von einer
indirekten Einwirkung wohl kaum allzu günstige Resultate versprechen dürfe.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay hält eine Sanktionierung
des Beschlusses nur durch eine gemeinsame Abstimmung [für] möglich.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn glaubt an die
Möglichkeit, das Resultat durch die Eisenbahnen selbst zu erreichen. Die Ge¬
samtsumme verteile sich durch die Zuweisung an die einzelnen Bahnverwaltun¬
gen dergestalt, daß jede für sich nur mit geringfügigen Beträgen, etwa von
30 000--40 000 fl., belastet erscheine.

   Reichskanzler Graf Beust hält den Umstand für nicht unwich¬
tig, daß die betreffenden Anlagen den Bahnen selbst zugute kommen. Daß durch

II Siehe GMR. v. 5. 11. 1870, RMRZ. 89. Gegenstand: VIII, IX.
<pb/>Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 31. 1. 1871  253

energische Einwirkung auf die Bahnen manches erzielt werden könne, beweise
das Beispiel des preußischen Ministers von der Heydt.12

   Finanzminister v. Kerkäpoly schließt sich dieser Anschauung
an. Auf der Staatsbahn verkehren zwischen Wien und Pest täglich 32 Züge. Ein
solcher Verkehr sei undenkbar ohne die Anlage geeigneter Weichen. In den Bahn¬
konzessionen sei die Notwendigkeit der Anlage doppelter Schienenstränge für
den Fall der Erhöhung der Einnahmen den Bahnverwaltungen zur Pflicht ge¬
macht. Die Besorgnis, daß von Seite der Regierung das Mehr forciert werden
könne, werde die Eisenbahnen veranlassen, das Minder selbst vorzunehmen.

   Seine Majestät der Kaiser geruht den Antrag, bauf die Eisen¬
bahnen einzuwirken, unter nochmaligen Hinweis darauf, daß die bisherigen Er¬
fahrungen nicht sehr erfreulich gewesen seien, zum Beschlüsse zu erheben.

   V. Ministerpräsident Graf Andrässy regt die Frage an,
welche Haltung die Regierung gegenüber der Interpellation in betreff des Waf¬
fentragens der Truppen außer Dienst annehmen werde. Reichskriegs¬
minister Freiherr v. Kuhn bemerkt, daß er die Interpellation mit
einem Auszuge aus dem schriftlichen Expose beantworten werde, welches er vor
zwei Jahren an die beiden Landesministerien gerichtet. Mit Ausnahme Englands,
wo für die City von London den Soldaten das Waffentragen durch ein aus dem 17.
Jahrhundert stammendes Gesetz verboten sei, finde sich kein Beispiel eines der¬
artigen Verbotes.13

   VI. Seine Majestät der Kaiser geruht auf die Frage des Stell-
vertreterfondes überzugehen.14

   Reichsfinanzminister v. Lönyay bemerkt, daß die ungari¬
sche Delegation den Posten in die Verwaltung des gemeinsamen Ministeriums
gestellt, die reichsrätliche denselben als Bedeckungsposten angesehen wissen
wolle. Die Bedeckung sei indes nicht Sache der Delegation, und diesen Stand¬
punkt, der eine gemeinsame Abstimmung vielleicht ausschließe, werde die unga¬
rische Delegation prinzipiell festhalten.

   Seine Majestät der Kaiser verweist auf die Notwendigkeit, die
ungarische Delegation auf diesem Standpunkte zu erhalten.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Der Kriegsminister
müsse unzweideutig erklären, daß er auf diesen Modus der Bedeckung nicht ein¬
gehe, dann werde wahrscheinlich die deutsche Delegation von ihrem Standpunk-

        Streichung Sr. Majestät [?] indirekt.

        Heydt, August Freiherr von (1801-1874), 1866-1869 preußischer Finanzminister, hat zur
        Entwicklung des preußischen Verkehrswesens maßgebend beigetragen.
        Vgl. GMR. v. 8. 3. 1868, RMRZ. 16. In: Dm Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der
        ÖSTERREICHISCH-UNGARISCHEN MONARCHIE 1/1 84--85.
14 Über die Sache des Stellvertreterfonds siehe GMR. v. 23. 7. 1870, RMRZ. 69. Anm. 6.
<pb/>254 Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 31. 1. 1871

te zurückkommen und eine gemeinsame Abstimmung vermieden werden.
Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn hebt hervor, daß
dies von seiner Seite bereits geschehen sei. Ministerpräsident Graf
Andrässy betont die neuerliche Notwendigkeit einer derartigen Erklärung
bei Gelegenheit des Nuntiumwechsels.

   Seine Majestät der Kaiser stellt die Anfrage, ob der betreffen¬
de Beschluß der reichsrätlichen Delegation einstimmig gefaßt worden sei.
Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erwidert, daß er
lediglich eine Majorität von drei bis vier Stimmen erhalten habe.

   Finanzminister v. Kerkäpoly weist darauf hin, daß dem Vo¬
tum der reichsrätlichen Delegation nicht die Bedeutung einer Bedingung, unter
welcher die Bewilligung der von der Regierung angesprochenen Beträge erfolgt
sei, zuerkannt werden könne. Die beiden Landesministerien müßten den Fond in
Anspruch nehmen. Das werden sie eben nicht tun.

   Reichskanzler Graf Beust: Die Bewilligung der beiden Ansät¬
ze gelte, der Nachsatz falle weg. Es entstehe nun die Frage, wie sich die Sache
verhalte, wenn sie an die beiden Landesvertretungen gelange.

   Ministerpräsident Graf Andrässy will nur eine Frage als
entscheidend gelten lassen, ob der Fond notwendig sei oder nicht. Die Summen
seien bewilligt, in bezug auf den Nachsatz sei nicht nachzugeben. Die deutsche
Delegation müsse denselben entweder zurückziehen oder die Frage zur gemein¬
samen Abstimmung bringen.

   Finanzminister v. Kerkäpoly ist der Meinung, daß eine ge¬
meinsame Abstimmung dadurch ausgeschlossen sei, daß dem Votum der reichs¬
rätlichen Delegation die gesetzliche Grundlage fehle.

   Reichskanzler Graf Beust: Die ungarische Delegation müsse
gegen das im Nachsatz enthaltene Votum vom rechtlichen Standpunkte Protest
erheben. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn betonte,
daß mit einem derartigen Protest der Nachsatz eben von selbst entfallen werde.

   Seine Majestät der Kaiser faßt den Ah. Beschluß im Sinne
dieses Antrages.

   VII. Reichsfinanzminister v. Lönyay lenkt die Aufinerk-
samkeit auf die beiden Posten ,,Festungsgeschütze und Munition&quot; und ,,Augmen¬
tationsvorräte, insbesondere Monturen&quot;. In beiden habe die reichsrätliche Dele¬
gation erheblich niedere Summen bewilligt als die ungarische. Seine
Majestät der Kaiser geruht zu befehlen, daß in beiden Posten an dem
Votum der ungarischen Delegation festzuhalten sei. Es handle sich da um Vorräte,
die im letzten Momente nicht zu haben seien, da die Leistungsfähigkeit der öster¬
reichischen Industrie zu ihrer raschen Beistellung nicht ausreiche.

   VIII. Reichsfinanzminister v. Lönyay berührt sodann die
Frage der Befestigungen.
<pb/>Nr. 36 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 31. 1. 1871                          255

   Seine Majestät der Kaiser geruht zu befehlen, daß an dem
Ansätze für die Befestigung15 von Eperies festzuhalten sei. Was Krakau anbelan¬
ge, so sei die Ablehnung der reichsrätlichen Delegation sehr zu bedauern und
doch ein Versuch zu machen, ein günstiges Votum zu erlangen.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay weist darauf hin, daß man
sich ein solches Resultat wohl kaum von einer gemeinsamen Abstimmung ver¬
sprechen dürfe. Die Polen hätten gegen die Ansätze für die weitere Befestigung
von Krakau sich ausgesprochen.

   Seine Majestät der Kaiser hebt hervor, daß ja Krakau schon
befestigt sei, also die eventuellen Nachteile einer befestigten Stadt im Kriege je¬
denfalls zu tragen haben würde.

   Ministerpräsident Graf Andrässy schließt sich der Ansicht
des Reichsfinanzministers in bezug auf die Chancen einer gemeinsamen Abstim¬
mung mit der Bemerkung an, daß die ungarische Delegation jedenfalls mit den
Polen stimmen werde.

   Finanzminister v. Kerkäpoly legt den Ton auf die hohe Wich¬
tigkeit der Befestigungsffage. Es empfehle sich vielleicht, in der Frage der Mon¬
turen auf die Hälfte herabzugehen und sich dafür die Ansätze für die Befestigun¬
gen votieren zu lassen.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn wendet ein, daß
Krakau keine Aussicht auf Annahme habe, wohl aber Eperies. Durch die vorge¬
schlagene Prozedur laufe man Gefahr, des Betrages für die Monturen verlustig zu
gehen, ohne einen Ersatz in der Votierung für die Festungen zu erhalten.

   Seine Majestät der Kaiser erteilt hienach den Befehl, im Nun¬
tienwechsel, insbesondere vom ungarischen Standpunkte, den Versuch zu ma¬
chen, ein günstiges Votum für die Befestigung in Krakau zu erhalten. Weiter ge¬
ruht Allerhöchstderselbe zu befehlen, daß die Abstimmung in der Frage der
Territorialdivisionen sowie das frühere Votum der reichsrätlichen Delegation in
der Frage des Tierarzneiinstitutes aufrechtzuerhalten sei. Die Bewilligung der
Gagenerhöhung der Oberstlieutenante und Obriste sei im Nuntienwechsel zu ver¬
teidigen, aber nicht zur Abstimmung zu bringen.

   Seine Majestät der Kaiser geruht noch, auf die ungünstige Zusammensetzung
der Siebenerkommission16 der reichsrätlichen Delegation aufmerksam zu machen
und den Umstand zu betonen, daß bei der sehr ansehnlichen Anzahl der Minori¬
tätsmitglieder in der deutschen Delegation im übrigen für die Regierung kein
Grund zu besonderer Zaghaftigkeit oder zu unentschlossenem Auftreten vorliege,
womit die Sitzung geschlossen wurde.

                                                                                                  Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 9. März 1871. Franz Joseph.

15 Über Befestigung von Eperies und Krakau: GMR. v. 7. 8. 1870, RMRZ. 74.
16 Siebenerkommission: der Budgetausschuß der Reichsratsdelegation.
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