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Gemeinsamer Ministerrat, 17. 1. 1871

I. Instruktion der Bevollmächtigten zur Londoner Konferenz in der Donaufrage

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z34.pdf.

234 Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 1. 1871

Beschluß der Delegation zunächst unterstützt hätten. Ein anderes bringe keinen
Nutzen. Um dem berechtigten Wunsche des Reichskriegsministers nachzukom¬
men, bleibe daher nichts übrig, als an die vom Reichsfinanzminister vorgeschrie¬
bene Form anzuknüpfen, um in der ungarischen Delegation einen Gegenbeschluß
zu erzielen.

   Seine Majestät der Kaiser betont, daß in der ungarischen De¬
legation die Anschauung vorherrschen müsse, den Beschluß der reichsrätlichen
Delegation zu verwerfen, weil es inkonstitutionell und ungesetzlich sei und eine
Art Konstituante für die Armeeorganisation begründe.

   Finanzminister v. Kerkäpoly: Der modus procedendi werde
sich ganz von selbst ergeben. Der Beschluß der Reichsratsdelegation werde in die
ungarische Delegation kommen und dort sofort amendiert, respektive durch ei¬
nen Gegenantrag ersetzt werden.

   Seine Majestät der Kaiser geruhte sodann, den Ah. Beschluß
dem Anträge des Reichsfinanzministers entsprechend zu fassen.

   Allerhöchstderselbe bringt noch zur Kenntnis, daß eine Mitteilung des Reichs-
kriegsministeriums über das schlechte Einrücken der Reservisten und Urlauber
und ein Vorschlag zur gesetzlichen Regelung dieser Verhältnisse an die beidersei¬
tigen Ministerpräsidien gelangen werde,6 womit die Sitzung geschlossen wird.

                                                                                                   Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Meran, 15. Februar 1871. Franz Joseph.

        Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. Jänner 1871

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki
(14. 3.), der kgl. ung. Ministerpräsident GrafAndrässy (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v.
Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (20. 3.), der kgl. ung. Handelsminister v. Szlävy

        Reichskriegsminister an kk. und an kgl. ung. Ministerfür Landesverteidigung v. 30. 3. 1871.
        KA. KM. Präs. 26-8/2/1871: Instruktion über das militärische Dienstverhältniß der im Lini¬
        en- und Reservestande befindlichen Personen des k. k. Heeres und der Kriegsmarine außer
        der Zeit der aktiven Dienstleistung, die Evidenzhaltung derselben und über periodische Waf¬
         fenübungen. Vgl. GMR. v. 14. 3. 1871, RMRZ. 106. Anm. 9. Desweiteren: Ung. MR. v. 27. 11.
         1871, Gegenstand: 4-5. MOL. Sektion K-27: Honvedgesetzvorschläge, Gesetzvorschläge in
        bezug auf Mißbräuche im Zusammenhang mit der Rekrutenstellung. Ung. MR. v. 26. 12.
         1871, Gegenstand: 17, 18: Festlegung der Dienstzeit der Reservisten, Gesetzvorschlag über
         die Mißbräuche im Zusammenhang mit den Rekrutierungen.
<pb/>Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 1. 1871  235

(o. D.), der kgl. ung. Kommunikationsminister v. Gorove, der Leiter des k. k. Handelsministeriums
Freiherr v. Pretis (o. D.), Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagem.

    Protokollführer: Sektionsrat v. Teschenberg.
    Gegenstand: Instruktion der Bevollmächtigten zur Londoner Konferenz in der Donaufrage.1

   KZ. 578-RMRZ. 100
   Protokoll des zu Ofen am 17. Jänner 1871 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

   I. Nachdem Seine Majestät der Kaiser die Sitzung Ag. zu
eröffnen geruht, ergreift das Wort Reichskanzler Graf Beust,
um mitzuteilen, daß in der in Verhandlung stehenden Frage bereits eine Reihe
von Vorbesprechungen stattgefunden habe, als deren Resultat eine vom Hof- und
Ministerialräte Freiherm v. Gagem entworfene Anweisung an die Konferenzbe¬
vollmächtigten erscheine.2

   Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagern verliest
den auf die Frage bezüglichen Passus der allgemeinen, dann die Spezialinstruk¬

tion.3
   Reichskanzler Graf Beust führt erläuternd aus: Der Grundge¬

danke der Spezialinstruktion sei, daß die Beseitigung der Neutralität des Schwar¬
zen Meeres, welche auf Rußlands Anregung in Aussicht stehe, uns berechtige,
gleichen Anspruch zu erheben und auch in der Donauffage gewissermaßen reinen
Tisch zu machen. Diese Aufgabe zu erreichen, werde für die Konferenzbevoll¬
mächtigten nicht ganz leicht sein, viel werde dabei auf den Erfolg der Auseinan¬
dersetzungen ankommen, die nach Berlin und Konstantinopel zu richten sein
würden. England werde vielleicht auch nicht allzu große Schwierigkeiten erhe¬
ben, wenn nicht eine oder die andere vorgefaßte Meinung hervortreten würde.
Die Instruktion behaupte auch dadurch einen besonderen Wert, daß sie den Be¬
vollmächtigten die Veränderung des Gangs und der diplomatischen Mittel offen
lasse, wenn in einer oder der anderen Richtung sich allzu große Schwierigkeiten

ergeben würden.
   Ministerpräsident Graf Andrässy fügt diesen Erläuterun¬

gen hinzu, daß es vom österreichisch-ungarischen Standpunkt wesentlich darauf
ankomme, eine europäische Kontrolle aufhören zu lassen. Bis jetzt habe das

Weitere Gegenstände [II. Verschiebung der Londoner Konferenz; III. Vorarbeiten für die
Przemysl-Lucknower Bahn] sind nicht angegeben. Wahrscheinlich handelt es sich darum,
daß das Protokoll über die weiteren Gegenstände eher Informationen und nicht Gedanken¬
austausch enthält und der zweite Tagesordnungspunkt eng mit dem ersten verbunden ist.
Möglicherweise war der Protokollführer Sektionsrat v. Teschenberg einfach nurflüchtig.
Siehe GMR. v. 17. 12. 1870, RMRZ. 96; GMR. v. 13. 1. 1871, RMRZ. 98.
Spezialinstruktion an den Londoner Botschafter Apponyi, die Gagern vorliest - in ihrer end¬
gültigen Form Beust an Apponyi 19. 1. 1871. HHStA., PA. VIII, Karton 77. Zitiert von
Palotäs, A nemzetközi Duna-hajözäs a Habsburg-Monarchia diplomäciäjäban 1856-1883

49.
<pb/>236 Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 1. 1871

Schwarze Meer eine eigentümliche Stellung eingenommen, mit der Aufhebung
dieser Stellung sei es in die gleiche Reihe mit allen anderen Meeren eingetreten.
Dasselbe müsse von der Donau gelten.

   Ein zweiter wichtiger Punkt sei die Aufhebung oder Einschränkung oder ange¬
messene Interpretation des Art. XV des Vertrages.4 Dieser Artikel bestimme, daß
keine Abgabe an der Donau eingehoben werden dürfe, ,,uniquement pour le fait
de navigation&quot;. Strenggenommen fiele eine Abgabe für die am Eisernen Tore
vorzunehmenden Arbeiten nicht unter den Gesichtspunkt dieses Artikels.

   Die Fortdauer der europäischen Kommission sei als Zugeständnis zu behan¬
deln. Von vomeher empfehle sich eine Ausdehnung ihrer Wirksamkeit stromauf¬
wärts eben nicht, denn mit dem Rechte, mit welchem diese Ausdehnung bis Ibrai-
la vorgenommen werde, könne sie sich auch bis Belgrad erstrecken, und es wäre
gewiß nicht wünschenswert, russischen Einfluß bis an die Save Vordringen zu
sehen.

   Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagern bemerkt,
daß die Engländer Ibraila als Endpunkt für die europäische Kommission wün¬
schen, weil sie es zugleich als Endpunkt der eigentlichen Seeschiffahrt betrach¬
ten.

   Seine Majestät der Kaiser stellt die Frage, wie es mit der Ver¬
tretung Bayerns und Württembergs durch Preußen stehe.

   Reichskanzler Graf Beust: Die Verträge seien von der bayri¬
schen Kammer noch nicht angenommen. Jedenfalls werde die Sache zum Gegen¬
stand einer Auseinandersetzung mit Preußen gemacht werden müssen. Ein ange¬
messenes Zugeständnis an die Wünsche Österreich-Ungams sei von Seite der
kgl. preußischen Regierang vielleicht zu erreichen, da die Vorgänge an der unte¬
ren Donau kein so unmittelbares Interesse Preußens repräsentierten.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Es sei klar, daß Bayern
und Württemberg nicht auszuschließen sein würden. Es handle sich aber um die
Frage, ob sie sich auch zu Beitragsleistungen herbeilassen würden.

   Reichskanzler Graf Beust hält eine Anfrage in dieser Richtung
gleichfalls für das beste Expediens.

   Ministerpräsident Graf Andrässy betont, daß es wün¬
schenswert sei, Deutschland, wenn es die Repräsentation Bayerns und Württem¬
bergs übernehme, auf eine Stimme zu reduzieren.

   Ministerpräsident Graf Potocki fände in einem eventuellen
Verzichte Deutschlands eine große Konzession. Man knüpfe ein lebhaftes deut¬
sches Interesse an die Donau. Wünschenswert wäre es allerdings, wenn die Pro-
kuration für dies Interesse uns übertragen würde.

   Reichskanzler Graf Beust macht darauf aufinerksam, daß sich
in diesem Falle wohl in Württemberg und Bayern selbst Klagen erheben wür¬
den.

4 Siehe GMR. v. 17. 12. 1870, RMRZ. 98. Anm. 7.
<pb/>Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 1. 1871                                237

   Auf eine Anfrage Seiner Majestät des Kaisers wird bemerkt,
daß die Donauakte in Bayern, Württemberg und Österreich-Ungarn als Gesetz
gelte, in der Türkei aber in ihrer Wirksamkeit suspendiert sei.

   Leiter des Handelsministeriums Freiherr de Pre-
t i s : Es sei jedenfalls nötig, daß die Hohe Pforte auch beitrete. Die Donau sei
ein Konventionalfluß, d. h., die Uferstaaten entscheiden gemeinsam über die
Schiffahrt. Die Uferstaatenkommission sei als Erbe der europäischen gedacht
worden. Eben durch die europäische Kontrolle unterscheide sich die Donau von
anderen Konventionalflüssen, der Elbe, dem Rhein, dem Po, bei welchen eine
derartige Kontrolle nicht stattfinde.

   Seine Majestät der Kaiser geruht, den vom Freiherm v. Ga-
gem vorgelegten Entwurf einer Instruktion für die Londoner Konferenzbevoll¬
mächtigten genehmigend zur Kenntnis zu nehmen.

   II. Reichskanzler Graf Beust teilt mit, daß telegraphischer
Mitteilung zufolge eine neuerliche Verschiebung der Londoner Konferenz zu be¬
sorgen sei. Jules Favre5 berufe sich darauf, daß ihm ein Geleitschein noch immer
nicht ausgestellt werde. Andererseits sei bereits Tissot6 als Stellvertreter Favres
designiert worden. Nun stelle die französische Regierung das Ersuchen, die Kon¬
ferenz vom 17. bis 1. Februar zu verschieben, und rechne auf die freundliche
Unterstützung der neutralen Mächte. Es entstehe die Frage, ob nicht vielmehr auf
die Stellvertretung durch Tissot hinzuweisen sei.

   Ministerpräsident Graf Andrässy bemerkt, daß für die Ver¬
handlungen der jetzige Moment der günstigste sei.

   Seine Majestät schließt sich diesen Auffassungen an, indem Aller-
höchstderselbe darauf hinweist, daß eine Verschiebung auf so lange Zeit kaum
gerechtfertigt sei und Tissot als Autorität in orientalischen Fragen gelte.

   III. Seine Majestät der Kaiser stellte die Frage nach dem
Stande der Vorarbeiten für die Przemysl-Lucknower Bahn.

   Kommunikationsminister v. Gorove: Die ursprüngliche
Trasse der Gesellschaft sei von einer technischen Kommission verworfen und
durch eine andere ersetzt worden, welche geringere Steigerungen aufweise. Er
habe eine Anordnung im Sinne dieses technischen Gutachtens an die Gesellschaft
gerichtet und von dieser seit dieser Zeit keine weitere Mitteilung erhalten.

   Seine Majestät der Kaiser bemerkt, daß die Gesellschaft mit
der neuen Trasse unzufrieden sei, und weist auf die besondere Wichtigkeit hin,

die Bahn bald zu vollenden.
   Handelsminister Freiherr de Pretis: Dem technischen

Gutachten des kgl. ung. Kommunikationsministers stehe ein cisleithanisches

        Favre, Jules (1809-1880), französischer Minister des Äußern.
6 Tissot, Charles Joseph (1828-1884), französischer Geschäftsträger in England.
<pb/>238 Nr. 35 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 19. 1. 1871

Gutachten zugunsten der Gesellschaft gegenüber. Vierzigststeigerungen machten
übrigens keine Schwierigkeiten und seien durch die technischen Betriebsmittel
leicht auszugleichen, wie namentlich auch die Erfahrungen des Jahres 1866 be¬
züglich der Truppentransporte unwiderleglich dargetan hätten.

   Kommunikationsminister v. Gorove bemerkt, daß unter
übrigens gleichen Umständen die Trasse mit geringerer Steigerung jedenfalls
vorzuziehen sei.

   Ministerpräsident Graf Andrässy stellt die Frage, ob die
Gesellschaft im Frühjahr mit den Arbeiten beginnen könne.

   Kommunikationsminister v. Gorove bemerkt, daß dem
keine Schwierigkeiten entgegenstünden, wenn sie die neue Trasse akzeptieren
und mit den Vorarbeiten beginnen wollte.

   Seine Majestät der Kaiser geruht mitzuteilen, daß die Gesell¬
schaft nach Angabe des Grafen Waldstein7 sich anheischig mache, unter Voraus¬
setzung einer nicht näher bezeichneten Subvention und der Bewilligung der von
ihr gewählten Trasse die Bahn bis Ende Dezember 1871 zu vollenden.

   Kommunikationsminister v. Gorove glaubt einwenden zu
dürfen, daß die Bahngesellschaften etwa mit Ausnahme der Alföldbahn ihren
Versprechungen in der Regel nicht nachgekommen seien.

    Leiter des k. k. Handelsministeriums Freiherr de
P r e t i s weist daraufhin, daß in solchen Fällen durch Kautionsverfall Abhilfe
möglich sei.

    Kommunikationsminister v. Gorove erklärt seine Bereit¬
willigkeit, die Bahn anzuweisen, den Termin und die übrigen Bestimmungen ih¬
rer Konzessionsurkunde strickt einzuhalten.

    Seine Majestät der Kaiser geruht die Ausführung des Kommu¬
nikationsministers zur Ah. Kenntnis zu nehmen, worauf die Sitzung geschlossen
wurde.

                                                                                                   Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Ofen, 17. März 1871. Franz Joseph.

        Nr. 35 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 19. Jänner 1871

     RS. (und RK.)
     Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Andrässy (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v.
 Lönyay (25. 1.), der kgl. ung. Finanzminister v. Kerkäpoly (o. D.).
     Protokollführer: Sektionsrat v. Teschenberg.
     Gegenstand: Kriegsbudget.

 7 Waldstein, Ernst Graf(1824-1904), Großgrundbesitzer in Böhmen, Landtagsabgeordneter.
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