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Gemeinsamer Ministerrat, 2. 11. 1870

I. Teilweise Reduzierung des Mannschafts- und Pferdestandes bei der Artillerie

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z22.pdf.

148 Nr. 22 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. 11. 1870

      Nr. 22 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. November 18701

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki (6.11.), der Reichskriegsminister Frei¬
herr v. Kuhn (6. 11.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (7. 11.), der kgl. ung. Minister am Ah.
Hoflager Graf Festetics (o. D.).
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: Teilweise Reduzierung des Marmschafts- und Pferdestandes bei der Artillerie.

   KZ. 3812-RMRZ. 88
   Protokoll des zu Wien am 2. November 1870 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanz¬
lers Grafen Beust.

   Reichskanzler Graf Beust brachte den mittels Ah. Entschlie¬
ßung vom 29. Oktober d. J. an den Kriegsminister zur Besprechung im Minister¬
rate zurückgewiesenen au. Vortrag des letzteren zur Vorlesung, worin unter Dar¬
legung der mit der gegenwärtigen Bequartierungsnotwendigkeit verbundenen
Übelstände in bezug auf die Beaufsichtigung der Mannschaft, die Auffechthal¬
tung der Ordnung und Disziplin, die Konservierung der Armatur und Rüstung,
die Pflege von Mann und Pferd usw. die Frage angeregt wird,2 ob die gegenwär¬
tigen politischen Verhältnisse es nicht gestatten und die finanziellen Rücksichten
es nicht empfehlen, vorläufig bei der Artillerie eine Reduzierung des Ah. ange¬
ordneten erhöhten Mannschafts- und Pferdestandes Platz greifen zu lassen?

   Vorlesender schloß mit der Bemerkung, daß die Manipulation bei dieser Redu¬
zierung selbstverständlich Sache des Reichskriegsministers sei und daß es sich
bei der heutigen Besprechung zunächst um die Frage der politischen Zulässigkeit
handle, die er bei dem Stande unserer Politik allerdings bejahen könne.

   Ministerpräsident Graf Potocki sprach sich unter dieser
Voraussetzung unbedingt für Reduzierung aus.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn bemerkte, es
seien noch Erhebungen im Zuge, ob die Artillerie etwa noch die Bespannung der
ersten Linie der Geschütze beizubehalten hätte oder auf den Normalffiedensstand
herabzusetzen wäre.3

        Randbemerkung Kuhns Von diesem habe ich nicht gesprochen, da hierüber keine Erhebun¬
        gen zu machen sind, sondern es handelte sich um die Frage der Reduzierung der Bespannun¬
        gen der 1. Linie auf den früheren Friedensstand.

        Aufden Ministerrat verweist Lutz, Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Rei¬
        ches 351.
2 Au. Vortrag des Kriegsministers über teilweise Reduzierung des Mannschafts- und Pferde¬
        standes bei der Artillerie. Ah. E. 29. 10. 1870. KA. MKSM. 87-2/1/1870.
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   Nach den angestellten Berechnungen würde, wenn die Reduktion bei der Ar¬
tillerie in ihrem vollen Umfange sofort in Angriff genommen werde, die Erspa¬
rung während der Monate Dezember bis April sich auf 3 076 000 fl. belaufen.
Demgegenüber würden sich, wenn im April k. J. eine Wiederaufstellung nötig
werden sollte, die Neuanschaffungen der Pferde freilich auf 3 629 000 fl. belau¬
fen, somit einen Zuschuß von 553 000 fl. erheischen; wenn aber bei friedlichen
Konstellationen die Wiederaufstellung nicht stattfinde, so sei die Ersparung durch
die Reduktion beträchtlich.

   Auf die sofort vom Minister Grafen Festetics gestellte Frage,
wieviel Zeit eine solche Wiederaufstellung in Anspruch nehmen würde, brachte
Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn die Erlassung ei¬
nes Pferdekonskriptionsgesetzes wieder zur Sprache, die gleichfalls in die Dis¬
kussion gezogen wurde.3

   Graf Potocki und Graf Festetics äußerten übereinstimmend,
daß dieses im ungarischen Ministerrat schon einmal verhandelte,4 vom diesseiti¬
gen Ministerrate aber wegen einiger Härten des Gesetzes einer neuerlichen Kom¬
missionsberatung zugewiesene, immerhin onerose Gesetz während des Winters
auf keinen Fall alle Stadien der verfassungsmäßigen Behandlung mit solcher Be¬
schleunigung passieren werde, daß es im Frühjahr bei eventuellem Pferdebedarf
bereits in Anwendung kommen könne.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay sprach sich dahin aus, man
solle sich durch die Unbeliebtheit des Gesetzes von dessen Einbringung nicht
abhalten lassen. Jetzt komme der Regierung noch der Eindruck und die Erfah¬
rung der letzten Kriegsereignisse zustatten, und wäre daher nach seiner Ansicht
die Wintersession der beiden Legislativen nicht ungenützt vorübergehen zu las¬
sen. Das Gesetz empfehle sich auch vom finanziellen Standpunkte, da der Wie¬
derverkauf der gekauften Pferde stets mit großen Verlusten für das Ärar verbun¬
den sei, wie denn auch bei den jetzigen Verkäufen z. B. in Pest die für 220 fl.
angekauften Remonten um den Durchschnittspreis von 1020 fl. weggegeben wer¬
den mußten.

   Vortragender erwähnte ferner der bei der ungarischen Landwehrkavallerie mit
so bewährtem Erfolge angewendeten Unterbringung der Pferde bei Privaten und
empfahl es der Erwägung des Kriegsministers, ob dieses System nicht wenig¬
stens versuchsweise auch bei dem Heere anzuwenden wäre. Man erspare dabei
Heu, Hafer und Wartung und könne, da die Pferde nur zahlungsfähigen Leuten

        Gesetzentwurf über Pferdekonskription siehe GMR. v. 27. 8. 1870, RMRZ. 79. Anm. 2; GMR.
        v. 30. 8. 1870, RMRZ. 81; GMR. v. 30. 8. 1870, RMRZ. 81, Anm. 5. Au. Vortrag des Reichs¬
        kriegsministers v. 8. 9. 1870 [Nr. 3344] KA. MKSM. 75-1/3. Der Kriegsminister erörtert,
        wie die beiden Regierungen den Pferdebedarfsichern müssen, er trägt also die verfassungs¬
        mäßige Prozedere vor, indem er die verfassungsmäßigen Gebundenheiten der Kriegsführung
        veranschaulicht.
4 Über das Pferdekonskriptionsgesetz hat ein regulärer ungarischer Ministerrat nicht verhan¬
        delt.
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gegeben werden dürfen, daraufrechnen, daß man sie im Bedarfsfälle im Frühjahr
wieder habe. Vortragender schilderte schließlich die Manipulation in Ungarn, wo
die zu Inspektoren ernannten Landwehrkavallerieoffiziere sich an einem be¬
stimmten Tage des Monats die auswärts untergebrachten Pferde vorflihren lassen,
um sich von deren guter Instandhaltung zu überzeugen. Wenn nun auch in Un¬
garn der gute Erfolg dieser Maßregel der genauen Bekanntschaft der Landwehr¬
offiziere mit den Verhältnissen der Bewohner, welchen Pferde anvertraut werden,
hauptsächlich zuzuschreiben sei, so könne doch immerhin auch anderwärts die
Probe gemacht werden.

   Minister Graf Festetics empfahl gleichfalls diesen Versuch, ob¬
schon der anbrechende Winter dazu nicht der geeignete Moment sei. Man möge
also vielleicht diesmal beide Maßregeln, nämlich Verkauf und ,,in Kost geben&quot;
der Pferde miteinander kombinieren.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erkannte an,
daß die vom Reichsfinanzminister angeregte Idee in Ungarn sich als gut bewäh¬
ren könne, aber im großen und ganzen und zumal in Landstrichen, wo die Bevöl¬
kerung keine Pferde hält, sei sie nicht durchführbar. Auch in Preußen habe man
den Versuch aufgegeben, seit man in dem Konskriptionsgesetz ein Mittel zur ra¬
schen Komplettierung des Pferdestandes gewonnen habe. Dieses solle man denn
auch bei uns mit Eifer anstreben, nicht nur wegen der dabei ermöglichten Zeiter¬
sparung bei einer Mobilisierung, sondern auch wegen der Kostenersparung, da
man dann statt des jetzigen Verlustes beim Verkauf der Pferde nur die Differenz
des Schätzungspreises bei der Übernahme und Zurückgabe an den Eigentümer zu
tragen habe.

   Ministerpräsident Graf Potocki: Es möge also bei gleich¬
zeitiger Einbringung des Konskriptionsgesetzes die Reduktion stattfinden.

   Reichskanzler Graf Beust: Das Pferdekonskriptionsgesetz
empfehle sich auch nach seiner Ansicht sehr und wäre jedenfalls unter dem ersten
Eindrücke der Delegationsverhandlungen einzubringen. Man müsse aber die Fra¬
ge des Konskriptionsgesetzes doch trennen von der heute zu entscheidenden Fra¬
ge der Reduktion, da nach übereinstimmender Ansicht im Frühjahr von dem Ge¬
setze noch keine Hilfe erwartet werden könne, wenn wir -- was übrigens nicht zu
erwarten sei -- bis dahin in einen Krieg verwickelt werden würden.

   Es kam nun auch der Pferdestand bei der Kavallerie zur Sprache. Mini¬
ster Graf Festetics sprach sich gegen die Pferdereduktion bei dieser
Waffengattung aus, weil die neuangeschafften Pferde im Falle der Mobilisierung
nicht sofort brauchbar seien und der Wert einer geschulten Kavallerie gerade
während des dermaligen Krieges eklatant zutage getreten sei.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Während der
50er Jahre und auch nachher habe man die Kavallerie stets auf dem ganzen
Kriegsstand gehalten, und erst die Budgetreduzierungen der letzten Jahre hätten
zu der Herabsetzung der Eskadronen auf den Stand von 98 Mann und zur Errich¬
tung der Reserve und Ergänzungseskadronen geführt, wo nun bei einem
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Kriegsausbruch die Remonten erst eingehabert und zugeritten werden müssen.
Dies beeinträchtige nun in der Tat die Schlagfertigkeit der Armee. Deshalb habe
er von der Reduktion der gegenwärtig 130 Mann pr. Eskadron zählenden Kaval¬
lerie auch abgesehen und wolle es darauf ankommen lassen, daß die Delegatio¬
nen auf die Reduktion dringen.

   Mit der Artillerie verhalte sich die Sache anders, da man Zugpferde viel leich¬
ter erhalten könne. Wolle man auch hier einen Impuls der Delegationen, der vor
dem 20. Dezember kaum erfolgen dürfte, abwarten, so werde der Pferdeverkauf
und die Mannschaftsentlassung erst Mitte Februar stattfinden können und sich
die in Aussicht genommene Ersparung in diesem Verhältnisse vermindern. Er
glaube also, daß man nach der Erklärung des Reichskanzlers mit dem Verkaufe
der Artilleriepferde ohne Verzug beginnen solle.

   Reichskanzler Graf Beust bezeichnete es als wichtig für die
Votierung der Delegationen, wie die Regierung ihre Anforderungen gegenüber
diesen Vertretungskörpem motiviere. Es gehe nicht wohl an, mit dem Hinweis
auf die politische Situation bei der Artillerie die Reduktion und bei der Kavallerie
die Belassung des erhöhten Pferdestandes zu begründen. Der rein militärische
Standpunkt habe mehr Chancen, gewürdigt zu werden, als der politische, und
man möge also bei der Kavallerie, absehend von der politischen Lage, die Rück¬
sicht fortbestehender Zweckmäßigkeit des erhöhten Standes, wofür die eminen¬
ten Leistungen der deutschen Kavallerie im gegenwärtigen Kriege den besten
Beleg bieten, in den Vordergrund stellen. Auch der Reichsfinanzmini¬
ster sprach sich in diesem Sinne aus.

   Graf Festetics glaubte, daß wenigstens die ungarische Delegation in
die Beibehaltung des Standes ä 130 Mann und Pferde pr. Eskadron bei der Kaval¬
lerie einwilligen werde, zumal die benötigten Pferde effektiv vorhanden seien.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erklärte dies
vom militärischen Standpunkte in der Tat nötig. Es könne ihn daher nur freuen,
wenn er einer solchen Auffassung in den Delegationen begegnen sollte. In diesem
Falle müsse aber das Erfordernis für den bleibend erhöhten Kavalleriestand im
Ordinarium des Budgets pro 1871 ersichtlich gemacht werden und werde sich das
Mehrerfordemis auf circa zwei Millionen belaufen.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay drückte die Hoffnung aus,
daß sich dieses Mehrerfordemis im Ordinarium in den Delegationen werde durch¬
bringen lassen, worauf sich die Konferenz in dem Beschlüsse einigte, daß die
Reduktion bei der Artillerie sofort einzutreten hätte, bei der Kavallerie aber der
dermalige Stand beizubehalten und das entfallende, ziffermäßig noch richtigzu¬
stellende Mehrerfordemis in das Ordinarium einzustellen wäre.

   Nach Erschöpfung der Tagesordnung empfahl Reichsfinanzmini¬
ster v. Lönyay, die verschiedenen Delegationsvorlagen nunmehr zu ei¬
nem endgültigen, keine weitere Abänderung mehr zulassenden Abschluß zu brin¬
gen, damit nach der für nächsten Samstag, wo Minister Kerkäpoly erwartet wird,
zu erbittenden Schlußberatung bei Seiner Majestät am Montag mit der Druckle-
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gung der immerhin 14 Tage erheischenden umfangreichen Operate begonnen
werden könne. Die Konferenz erkannte zugleich die Notwendigkeit, das Expose
samt Zifferansätzen zu dem Extraordinarium für das Jahre 1870 nach Maßgabe
des heutigen Beschlusses modifizieren zu lassen und in das Expose eine Bemer¬
kung aufzunehmen, wonach für das vorläufig nur bis Ende Dezember mit monat¬
lich 830 000 fl. festgesetzte, infolge des heutigen Beschlusses sich aber für die
nächsten Monate nach anzustellender Berechnung geringer gestaltende Verpflegs-
erfordemis anläßlich des erhöhten Standes die Kreditbewilligung nach Maßgabe
des Bedarfes auch über den letzten Dezember d. J. in Anspruch genommen wird.
Schließlich machte der Reichsfinanzminister v. Lönyay
anknüpfend an die in der Denkschrift über die dalmatinischen Auslagen vorkom¬
menden Andeutungen über die Ausscheidung der nicht streng militärischen Aus¬
lagen darauf aufinerksam, daß dieser Passus mit Rücksicht auf die in der
Ministerkonferenz vom 29. Oktober beschlossene Wiedereinstellung von 75 000
fl. für Pazifizierungsauslagen und Naturalienunterstützung nunmehr zu streichen
wäre,5 worauf die Sitzung geschlossen wurde.

                                                                                                   Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 11. November 1870. Franz Joseph.

      Nr. 23 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 5. November 18701

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki
(o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay
(20. 11.), der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager Graf Festetics (o. D.), der k. k. Finanzminister
Freiherr v. Holzgethan (17. 11.), der kgl. ung. Finanzminister v. Kerkäpoly (o. D.), Sektionschef v.
Früh.
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Beibehaltung des dermaligen Standes bei der Kavallerie. II. Pferdekonskripti¬
onsgesetz. III. Pferdeausfuhrverbot. IV. Mannschaftsentlassung bei der Infanterie. V. Mehrerforder¬
nis für Monturen im Extraordinarium pro 1870. VI. Ludovicealfond. VII. Nachtragskredit flir die
Militärgrenze. VIII. Militärpensionsgesetz. IX. Pensionsgesetz für die gemeinsamen Zivilbeamten.
X. Zinsfußerhöhung für die Salinenscheine.

        GMR. v. 29. 10. 1870, RMRZ. 86. Gegenstand: III.

        Aufden Ministerrat verweisen Diöszegi, Österreich-Ungarn und der französisch-preußische
        Krieg 1870-1871 176; Lutz, Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches
        351.
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