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Gemeinsamer Ministerrat, 9. 8. 1870

I. Wiedereinführung des Placetum regium in Ungarn

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z9.pdf.

Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 9. 8. 1870                        57

   Mit der zustimmenden Erklärung des Ministerpräsidenten Grafen Andrässy,
welcher das Notwendige auch in Dalmatien nicht versäumt wissen wollte, wurde
die Sitzung geschlossen.

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[Ah. E.] Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 20. August 1870. Franz Joseph.

         Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 9. August 18701

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Andrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki (17. 8.), der k. k. Minister für Kultus und
Unterricht Dr. v. Stremayr (18. 8.), Hofrat in der Ah. Kabinettskanzlei v. Päpay.
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: Wiedereinführung des Placetum regium in Ungarn.

   KZ. 3093 - RMRZ. 75
   Protokoll des zu Wien am 9. August 1870 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

   Seine Majestät der Kaiser geruhte, in Verfolgung früherer Be¬
sprechungen über die durch die päpstliche Infallibilitätserklärung hervorgerufe¬
nen Maßregeln der Konferenz zu eröffnen, daß Allerhöchstdemselben nunmehr
auch von Seite des kgl. ung. Ministers für Kultus und Unterricht ein au. Vortrag
erstattet worden sei, welcher die Wiedereinführung des Placetum regium aus An¬
laß des neuesten Dogmas betreffe.2 Seien nun auch drüben infolge der Stellung
des apostolischen Königs von Ungarn die Verhältnisse anders gestaltet als in der
diesseitigen Reichshälfte, wo sich die Regierung gegen die Einführung des Place¬
tum ausgesprochen habe,3 so lasse sich doch nicht verkennen, daß die Anwen-

        Das Protokoll analysiert bis in die Details: Adriani, Ungarn und das I. Vaticanum 304--306.
        Päpay steht zwar auf der Teilnehmerliste, er erhielt das Einsichtsblatt aber nicht, mußte
       folglich das Protokoll nicht vidimieren.
         Vgl. au. Vortrag des kgl. ung. Ministerpräsidenten v. 30. 7. 1870 betreffend die Anwendung
        des ,,Jus placeti regii" anläßlich einiger Beschlüße des römischen Consils. HHStA., Kab.
        Kanzlei KZ. 3008/1870. Ah. E. 9. 8. 1870. Der ursprünglich vom kgl. ung. Ministerfür Kul¬
        tus und Unterricht verfasste au. Vortrag v. 30. 7.1870publiziert von Adriani, Ungarn und das
        I. Vaticanum 464--476.
        Die cisleithanische Regierung entschied sich dqßr, die Verkündigung des Infallibilitätsdog-
        mas mit der Aufhebung des Konkordates von 1855 zu beantworten. Siehe au. Vortrag des
        Ministers für Kultus und Unterricht v. 25. 7. 1870, HHStA., Kab.Kanzlei KZ. 2916/1870,
        Ah. E. 30. 7. 1870; au. Vortrag des Ministersfür Kultus und Unterricht v. 30. 7. 1870 Ebd.
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düng der beantragten Maßregel in Ungarn auch auf Cisleithanien eine gewisse
Rückwirkung ausüben werde, daher es denn notwendig sei, hiebei im gegenseiti¬
gen Einvernehmen vorzugehen.

   Der Argumentation des Freiherren v. Eötvös vermöge Seine Majestät nicht in
allen Punkten zu folgen, namentlich nicht, insofern die Anwendung des Placetum
regium schon auf den vorliegenden Infallibilitätsfall gewünscht und dieser
Wunsch damit motiviert werde, daß man dadurch späteren Verlegenheiten ver¬
beuge. Gegenüber einem Dogma finde das Placetum überhaupt keine Anwen¬
dung, denn ersteres erlange durch die bekannte Förmlichkeit des Anschlagens an
der Peterskirche in Rom seine verbindende Kraft und es vermöge die Verweige¬
rung des Placetum hierin nichts weiter zu ändern. Rom werde sich daher durch
die Einsprache gegen das Dogma der Infallibilität auch nicht beirren lassen, son¬
dern fortfahren aufgrund des Dogmas seine Bullen zu erlassen. Nur gegen letzte¬
re könne die Staatsgewalt einschreiten, und scheine es Seiner Majestät daher
sachgemäßer, mit der Einführung des Placetums zu warten, bis die Resultate des
neuen Dogmas in päpstlichen Bullen zu Tage treten.

   Hofrat v. Päpay: Der Vorgang, welchen der ungarische Kultusmini¬
ster empfehle, schließe sich jenem vom Jahre 1794 an. Damals habe die Synodal¬
versammlung von Pistoja gewisse, die Machtvollkommenheit des Papstes auf ihr
richtiges Maß zurückführende Beschlüsse gefaßt, worüber der Papst das Damna-
tur aussprach. Da aber die betreffende Bulle Theorien enthielt, welche die oberste
weltliche Gewalt gefährdeten, so sei derselben das Placetum vorenthalten wor¬
den.

    Ministerpräsident Graf Potocki: Die ungarische Regierung
mache bei Wiedereinführung des Placetums nur von einem alten Rechte Ge¬
brauch, welches sie - wiewohl mit Diskretion - auch früher ausgeübt habe, wäh¬
rend es in der diesseitigen Reichshälfte neu eingeführt werden müßte. Zu einer
solchen Maßregel könne er aber unmöglich raten, weil man es sonst mit der ka¬
tholischen Partei im Lande, die darin einen Angriff auf die Kirche erblicken wür¬
de, ganz verderbe; er könne also, soweit Cisleithanien in Frage komme, höchstens
einer Note an die Kurie zustimmen, des Inhaltes, daß man sich das Verbot gewis¬
ser Publikationen unter Umständen Vorbehalte.

    Ministerpräsident Graf Andrässy: Die Stellung der Regie¬
rung hier und in Ungarn sei nur insoweit eine gleiche, daß in beiden Reichshälf¬
ten durch die Infallibilitätserklärung eine mächtige Erregung der Geister wachge¬
rufen worden sei, welcher die Regierung, um von der öffentlichen Meinung nicht
überrascht zu werden, durch irgendeine Tat Rechnung tragen müsse. Von da ab
gehen aber die Wege auseinander. Während hier das Konkordat infolge der Infal¬
libilitätserklärung als nichtig erklärt werden mußte, bleibe in Ungarn, wo das

         KZ. 2978/1870, Ah. E. 30. 7. 1870; Wiener Zeitung v. 31. 7. 1870. Hussarek, Die Krise und
         die Lösung des Konkordats vom 18. August 1855 357 ff.; Leisching, Die römisch-katholische
         Kirche in Cisleithanien 51-57.
<pb/>Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 9. 8. 1870  59

Konkordat nie Gesetzeskraft erlangte und auch nicht erlangen konnte, als einzige
Maßregel nur die Wiedereinführung des Placetum regium übrig, wie sie Freiherr
v. Eötvös vorgeschlagen habe. Die Form sei ohnehin so glimpflich als möglich,
denn es werde nicht einmal ein förmliches Verbot der Publikation des Dogmas
erfließen, sondern nur eine Mahnung an die Bischöfe mittels eines Zirkulars er¬
folgen, in welchem gesagt wird, daß Seine Majestät, von Seinem Apostolischen
Rechte Gebrauch machend, von dem Patriotismus der Bischöfe erwarte, daß sie
die Publikation unterlassen werden.

   Die Interpellationen im ungarischen Reichstage würden nicht ausbleiben, und
da sei es unbedingt nötig, daß die Regierung in den Stand gesetzt werde, auf die
erfolgte Gebrauchmachung von diesem in Ungarn sehr populären Rechte des
Apostolischen Königs hinweisen zu können. In Ungarn komme die Regierung
nicht aus ohne das Placetum, und in der Tat sei es auch nötig, daß der Krone in
einem Lande, wo der Klerus so reich und mächtig und auch in der Legislative so
einflußreich vertreten sei, ein angemessenes Gegengewicht gewahrt bleibe.

   Seine Majestät der Kaiser hatte die Gnade zu wiederholen,
wie es sich bei der Anwendung des Placetums doch immer nur um die Konse¬
quenzen des Dogmas und nicht um dieses selbst handeln könne, welches sich als
solches der Ingerenz der weltlichen Gewalt entziehe.

   Hofrat v. Päpay: In dem au. Vortrage des ungarischen Kultusmini¬
sters werde das Placetum in der Tat auch nur als Verbot jeder aufgrund des Dog¬
mas erlassenen Bulle aufgefaßt.

   Kultusminister Dr. Stremayr: Eine diesfallige Bulle sei noch
nicht erlassen und allem Anscheine nach auch nicht in Aussicht genommen wor¬
den, sondern von Rom aus würde nur eine, auch ihm durch die k. u. k. Botschaft
eingesendete Druckschrift unter dem Titel ,,Constitutiones editae etc.&quot;, welche
die Konzilsbeschlüsse in vier Hauptstücken zusammenfaßt, versendet.

   Was nun den Stand des Placetums in Ungarn betreffe, so habe er sich darüber
informiert und sei zur Überzeugung gelangt, daß in der Tat ein Unterschied in
materia dogmatica seu ecclesiastica nicht gemacht wurde. Die erste Anwendung
habe im Jahre 1408 unter König Sigismund und die zweite im Jahre 1648 unter
Ferdinand III. stattgefunden, und beide Fälle deuten auf eine unbeschränkte An¬
wendung der Königsgewalt. Die oben erwähnten Beschlüsse der Synodalkongre¬
gation in Pistoja seien zwar streng nichtdogmatischer Natur gewesen, aber der
Papst habe sie dogmatisch verdammt, und so spreche auch dieser Fall für die
obige Auffassung. Übergehend auf die heutige Frage, so könne die Wiedereinfüh¬
rung des Placetum in Ungarn der diesseitigen Regierung insofern Verlegenheiten
bereiten, als die Presse daraus den Anlaß zu Verdächtigungen wegen Unterlas¬
sung der gleichen Maßregel nehmen könnte, aber man müsse nicht vergessen,
daß das Placetum in Ungarn, wo es auch früher bestand, sich als einfache Regie¬
rungsmaßregel darstelle, hingegen in der diesseitigen Reichshälfte als eine Frage
der Legislatur, welcher, bei der Bestimmung des § 14 des Staatsgrundgesetzes,
nicht einmal durch eine kaiserliche Verordnung vorgegriflfen werden könne.
<pb/>60 Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 9. 8. 1870

   Seine Majestät der Kaiser: Die Meinung, daß das Konkordat
und mit letzterem die Aufhebung des Placetum in Ungarn rechtswirksam nicht
bestehe, sei zwar eine allgemeine, aber doch sei dies kein unanfechtbarer Stand¬
punkt, denn der Grundsatz, daß alle während der sogenannten ungesetzlichen
Zeit gebrachten Gesetze ungültig seien, werde eben nur gegenüber unbeliebten
Gesetzen in Anwendung gebracht, während man anderseits aus Utilitätsgründen
doch auch Ausnahmen von diesem Grundsätze sich gefallen lasse.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Man solle an dem streng
gesetzlichen Boden unter allen Umständen festhalten und zwar gerade zum
Schutze der Legitimität gegen spätere perverse Tendenzen. Er müsse nochmals
hervorheben, daß die öffentliche Meinung, der man hier durch die Kündigung des
Konkordates gerecht wurde, in Ungarn nur durch die Wiedereinführung des
Placetum befriedigt werden könne.

   Kultusminister v. Stremayr: Er finde die vom Baron Eötvös
erbetene Anwendung des Placetum in Ungarn auch seinerseits gerechtfertigt,
aber sie solle und könne nicht speziell gegen das Infallibilitätsdogma als solches,
sondern gegen die oberwähnte Constitutio, die nebst dem Dogma auch schon
eine Menge daraus fließender Sätze enthalte, und zwar auch solcher, welche die
oberste Staatsgewalt gefährden, gerichtet sein. Den Konzilsbeschlüssen im allge¬
meinen könne das Placetum immerhin versagt werden.

   Hofrat v. Päpay: Der Schlußantrag des Baron Eötvös laute auch in
diesem Sinne.

    Seine Majestät der Kaiser: Dann sei es aber notwendig, daß
dies in dem Zirkular an die Bischöfe ausdrücklich hervorgehoben werde, sonst
müsse man sich von allen Seiten auf motivierte Gegenvorstellungen gefaßt ma¬
chen, die man nicht werde widerlegen können.

   Kultusminister v. Stremayr: Eine förmliche Publikation des
neuen Dogmas, bzw. der Constitutio von der Kanzel und um diese handle es sich
ja - sei in der diesseitigen Reichshälfte nicht erfolgt und werde aim Falle der
Rechtswidrigkeit oder Staatsgefährlichkeit3 nach den bestehenden Gesetzen be¬
straft werden. Bisher hatten nur die Bischöfe Riccabona, Zwerger und Rudigier4
über die Unfehlbarkeit im allgemeinen gepredigt, aber wohlweislich unterlassen,
das Gebiet der übrigen Canones, namentlich jener, die sich auf die staatliche Ge¬
walt beziehen, zu berühren.

    Reichskanzler Graf Beust warf die Frage auf, welches die
praktischen Folgen der Einführung des Placetum in Ungarn sein würden, wenn
ein Bischof dem Verbot der Publikation sich nicht fügen werde, ob man dann
strafweise vorzugehen gedenke.

M Einfiigung.

4 Benedetto Riccabona, Fürstbischofvon Trient, Johann Baptist Zwerger, Bischofvon Seckau,
        Franz Joseph Rudigier, Bischofvon Linz.
<pb/>Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 8. 1870                    61

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Der ungarischen Regie¬
rung sei es nur darum zu tun, bei vorkommenden Interpellationen sich mit der
Wiedereinführung des Placetum ausweisen zu können, weiter gedenke sie nichts
zu tun. Der Fall einer Widersetzlichkeit bder Bischöfeb werde übrigens in Ungarn
gar nicht Vorkommen.

   Reichskanzler Graf Beust: Wenn in Ungarn in dem immerhin
möglichen Fall der Nichtfolgeleistung gegen die Bischöfe nicht eingeschritten
werde, so werde der Eindruck in der anderen Reichshälfte der sein, daß das Place¬
tum nicht viel Wert habe und man sich daher umso leichter über dessen Nichtein¬
führung trösten werde, so daß ihm der für Ungarn eingeschlagene Weg ganz nütz¬
lich erscheine. Jedenfalls müsse er um eine offizielle Bekanntgabe des Zirkulares
an die ungarischen Bischöfe bitten, um von unseren Schritten der Kurie in Rom
in angemessener Weise Mitteilung machen zu können.5

   Seine Majestät der Kaiser geruhte diesem Wunsch durch dem-
gemäße Beauftragung des Grafen Andrässy Folge zu geben, womit die Sitzung
geschlossen wurde.

                                                                                                  Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 20. August 1870. Franz Joseph.

        Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. August 1870

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident GrafAndrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident
Graf Potocki (20. 8.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (20. 8.), der Reichsfinanzminister
v. Lönyay (22. 8.), der k. k. Minister des Innern Graf Taaffe (22. 8.).
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Presseangelegenheiten. II. Ungarische Nordostbahn.

b_b Einßigung.

5 Siehe Andrässy an Beust v. 10. 8. 1870. HHStA., PA. XL, Karton 130. Ah. E. v. 9. 8. 1870
        setzte das Placetum Regium in Kraft, darüber informierte ich sämtliche katholischen Diöze-
        san-Erzbischöfe und Bischöfe der Ungarischen Krone und zugleich auch Sie. Ministerpräsi¬
        dent Gyula Andrässy macht die Bischofskonferenz aufdie Ah. E. v. 9. 8. 1870 aufmerksam,
        darauf, daß das Jus placeti regii die Besetzung kirchlicher Pfründen und die Verkündung
        päpstlicher Bullen an die königliche Genehmigung knüpft. Siehe AdriAni, Ungarn und das I.
        Vaticanum 304 ff.
<pb/>