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Gemeinsamer Ministerrat, 26. 3. 1869

I. Au. Vortrag des Reichskanzlers sub. Z. 226 und 869, betreffend die Gebahrung und Kontrolle der konsolidierten Staatsschuld

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z38.pdf.

218 Nr. 38 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 3. 1869 - Protokoll I

auf alle innere Administrationsangelegenheiten der Grenze vindizieren
könnte, was staatsrechtlich und politisch bedenklich wäre, sondern dieselbe
könnte auch möglicherweise das Scheitern des ganzen Projektes zur Folge
haben, was bei dem vorgerückten Stande, in welchem sich dasselbe befinde,
nicht geduldet werden könnte oder doch die größten Verlegenheiten veran¬
lassen müßte.

   Finanzminister Freiherr v. Becke: Es komme
eben auf die Redigierung der Ah. Resolution über den Vortrag des Grafen
Andrässy an, welche so, daß daraus ein Recht zur unmittelbaren Ein¬
flußnahme nicht hergeleitet werden könne, und etwa in dem Sinne zu sti¬
lisieren wäre: ,,daß Seine Majestät den Kriegsminister anweise, vor definiti¬
vem Abschluß des Geschäftes dem ungarischen Ministerium davon Mittei¬
lung zu machen".

   Reichskanzler Graf Beust: Einer Ah. Resolution in
diesem Sinne könne er nicht das Wort reden, denn dieselbe involviere einer¬
seits eine Geschäftsverzögerung, andererseits eine Anerkennung der
jenseitigen Einflußberechtigung, was eben umgangen werden solle. Nach
seinem Ermessen komme es bloß darauf an, die ungarische Regierung für
das Projekt überhaupt zu kaptivieren und sich ihre Vertretung für den gege¬
benen Fall zu sichern, was lieber konfidentiell geschehen möge.

    Seine Majestät der Kaiser geruhten sonach den Be¬
schluß dahin zu fassen, daß Allerhöchstderselbe den au. Vortrag des Grafen
Andrässy vorläufig noch nicht erledigen, sondern die Ah. Resolution von
weiteren Besprechungen des Gegenstandes in Ofen abhängig machen wer¬
de. Gleichzeitig hatte Seine Majestät die Gnade, zu gestatten, daß an dem
eingeleiteten Verkaufsprojekte weiter gearbeitet werde und die Verhandlun¬
gen mit dem Unternehmer Earle ihren ununterbrochenen Gang fortgehen.
Womit Seine Majestät die Sitzung zu schließen geruhten.

                                                                                          Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Agram, 11. März 1869. Franz Joseph.

        Nr. 38 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. März 1869 -
                                          Protokoll I

     RS. (und RK.)
     Gegenwärtige: der Reichsfmanzminister Freiherr v. Becke (29. 3.), der Reichskriegs¬
minister FML. Freiherr v. Kuhn (29. 3).
     Protokollführer: Hofsekretär Freiherr v. Konradsheim.
     Gegenstand: Au. Vortrag des Reichskanzlers sub Z. 226 ad 869, betreffend die Gebahrung
und Kontrolle der konsolidierten Staatsschuld.
<pb/>Nr. 38 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 3. 1869 - Protokoll I  219

   KZ. 738 - RMRZ. 38

   Protokoll des zu Wien am 26. März 1869 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Reichskanzlers Gra¬
fen v. Beust.

   Reichskanzler Graf Beust: Durch die von den beiden
Legislativen dies- und jenseits der Leitha votierten Ausgleichsgesetze wer¬
de der Dienst der öffentlichen Schuld ausdrücklich als zum gemeinsamen
Haushalte gehörig erklärt,1 und es erscheine sonach auch die Gebahrung mit
den Abfuhren beider Reichsteile als dem gemeinsamen Finanzminister
übertragen. Finanzminister Brestei habe daher auch mit Ah. Ermächtigung
seinerzeit einen in diesem Sinne abgefaßten Gesetzentwurf über die Ge¬
bahrung und Kontrolle der konsolidierten Staatsschuld im Reichsrate einge¬
bracht, welcher von den beiden Häusern angenommen und von Seiner Ma¬
jestät dem Kaiser mit der Ah. Entschließung vom 10. Juni 1868 sanktioniert
worden sei.2 Ungarischerseits habe man aber gegen die Einbringung eines
gleichartigen Gesetzentwurfes im dortigen Reichstage die Auffassung gel¬
tend gemacht, daß die Gebahrung der fraglichen Schuld ausschließlich das
cisleithanische Finanzministerium angehe und Ungarn dabei nur insoweit
beteiligt sei, als es sich um die Kontrolle der gesetzlichen Verwendung des

Die Angelegenheit der Verwaltung der Staatsschuld war ein neuralgischer Punkt der
Ausgleichsverhandlungen. Das Gesetz (GA. XII/1867) bestimmt schließlich, daß die
Staatsschuld Ungarn rechtlich zwar nicht belastet (§ 53), aber aufgrund der Billigkeit
aus politischen Rücksichten das Land bereit ist, sich an den Staatsschulden zu beteili¬
gen, damit unter jenen schweren Lasten, die das Vorgehen des absoluten Systems an¬
gehäuft hat, die Wohlfahrt der übrigen Länder Seiner Majestät und damit zugleich auch
die Ungarns nicht zusammenbreche ... (§ 54). Die Angelegenheit der Staatsschuld be¬
handelte MR. v. 30. 8. 1867, MRZ. 173; MR. v. 15. 9. 1867, MRZ. 175, des weiteren sie¬
he die einleitende Studie Abschnitt 5c. Die Tatsache, daß die Gebahrung der Staats¬
schulden in die Befugnis des gemeinsamen Finanzministers gehöre, hat der ungarische
Finanzminister Lönyay lange Zeit bestritten: Lönyay an Becke v. 26. 12. 1867 FA., 489-
FRM. Pr/1868 (Fase. 1.1.). Nach mehrmonatigem Hin und Her entstand der provisori¬
sche Beschluß, daß die Staatsschuld zwar keine gemeinsame Angelegenheit sei, aber
ihre Gebahrung in die Befugnis des gemeinsamen Finanzministers gehöre: au. Vortrag
v. Becke v. 5. 8. 1868 FA., 5163-RFM. Pr/1868 ad 5300 (Fase. 1.1.). Vgl. GMRProt. v.
1. 2. 1868, RMRZ. 11.
Gesetz v. 10. 6. 1868, RGBl. Nr. 53/1868: Gesetz über die Gebahrung und Kontrolle der
gemeinsamen schwebenden Schuld. § 1. Infolge der im § 5 des Gesetzes vom
24.12.1867 (RGBl. Nr. 3/1868) ausgesprochenen gemeinsamen Haftung wird die
Gebahrung der in Geldzeichen bestehenden Schuld dem Reichsfmanzministerium an¬
vertraut. Vgl. auch die Gesetze v. 24. 12. 1867, wodurch das Ministerium der im Reichs¬
rate vertretenen Königreiche und Länder ermächtigt wird, mit dem Ministerium der Län¬
der der ungarischen Krone ein Übereinkommen in betreff der Beitragsleistung der letzte¬
ren zu den Lasten der allgemeinen Staatsschuld abzuschließen.
<pb/>220 Nr. 38 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 3. 1869 - Protokoll I

dortseitigen Beitrages handle.3 Infolgedessen habe Finanzminister Brestei
in einem neuerlichen au. Vortrage um die Ermächtigung zur Einbringung
eines Gesetzentwurfes wegen demgemäßer Abänderung des Gesetzes vom
10. Juni vorigen Jahres gebeten.4 Seine Majestät der Kaiser habe diesen au.
Vortrag einstweilen nicht zu resolvieren, sondern dem Reichskanzler zur
Begutachtung mitzuteilen geruht,5 welcher wieder vor allem die Meinung
des hiebei in erster Linie beteiligten Reichsfinanzministers einholen zu
müssen geglaubt habe. Diese Äußerung liege nun vor,6 sie laute gegenüber
dem der ungarischen Auffassung akkommodierten Gesetzentwürfe des Fi¬
nanzministers Brestei ablehnend und gipfele in dem Motive, daß an dem
Geiste der die Gemeinsamkeit wahrenden Ausgleichsgesetze festgehalten
und alles hintangehalten werden müsse, was auf eine, wenn auch nur stück¬
weise Untergrabung des neuen Gebäudes hinziele, wozu Bresteis Gesetz¬
entwurf die Handhabe bieten würde. Vortragender befinde sich mit der An¬
schauung des Reichsfinanzministers in voller Übereinstimmung und habe
deshalb auch einen in diesem Sinne abgefaßten und vorläufig auf Reas-
summierung des Gegenstandes mit den beiden Landesministerien einra¬
tenden au. Vortrag abfassen lassen, für welchen er jedoch vor der Unterbrei¬
tung an Seine Majestät die Zustimmung des gemeinsamen Ministerrates
einzuholen sich für verpflichtet halte, nachdem einerseits das gemeinsame
Ministerium durch diesen Gegenstand solidarisch berührt werde, anderer¬
seits der Reichskriegsminister sich hierüber zu äußern noch nicht in der
Lage gewesen sei.

   Nach Verlesung des diesfälligen Konzeptentwurfes bemerkt Reichs-
finanzminister Freiherr v. Becke, daß er, ohne sich
in eine Rekapitulation jener Gründe, welche in seiner vom Reichskanzler
erwähnten Äußerung zum Ausdrucke gebracht wurden, einlassen zu wol¬
len, dennoch das eine nochmals betonen müsse, daß Ungarn seine Beiträge
nicht an die westliche Reichshälfte, sondern an die Staatsgläubiger, daher
an die gemeinsame Schuldenkasse gesetzmäßig zu leisten habe. Eine andere
Auffassung würde den Ausgleich mit all seinen Konsequenzen gefährden,
und es sei gerade im gegenwärtigen Momente von besonderem Gewichte,
sich hinter dieses Prinzip zu verschanzen, nachdem das ungünstige Wahl¬
ergebnis in Ungarn heftige Angriffe auf alles ,,Gemeinsame&quot; nur zu bald im
Gefolge haben werde.7 Neben den von ihm bereits angeführten Gründen

        Siehe au. Vortrag des k. k. Finanzministers v. 20. 2. 1869 betreffend die Gebahrung und
        Kontrolle der konsolidierten Staatsschuld HHStA., Kab.Kanzlei, KZ. 1053/1869.
        Ebd.
       Ah. Handschreiben an Grafen v. Beust v. 25. 2. 1869 ebd.
        Au. Vortrag des Reichskanzlers Grafen Beust v. 26. 3. 1869 über die Gebahrung und
        Kontrolle der konsolidierten Staatsschuld HHStA., Kab.Kanzlei, KZ. 1053/1869.
        In Ungarn ergab sich erstmals bei den Märzwahlen 1869 (den ersten nach dem Aus¬
        gleich) die Möglichkeitfür die Wähler, ihre Meinung über das System der gemeinsamen
<pb/>Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 3. 1869 - Protokoll II     221

spräche aber auch noch eine nicht minder schwerwiegende Betrachtung zu¬
gunsten der Vindizierung der Staatsschuldengebahrung für das Reichs¬
finanzministerium, die, wenn er sie auch in seiner Note aus Rücksicht auf
die eventuelle Mitteilung an das ungarische Ministerium nicht erwähnt
habe, doch wenigstens protokollarisch zum Ausdruck gebracht werden
möge. Es sei dies der Umstand, daß das Reichsfinanzministerium doch im¬
mer die Einheit der Monarchie, folglich die Übertragung der Gebahrung
und Kontrolle der Staatsschuld an dasselbe, das für den Staatskredit hoch¬
wichtige Moment der Einheit der Schuldverpflichtung repräsentiere, dann
der nicht zu leugnende Vorteil der leichteren Geschäftsabwickelung im Fal¬
le als rasch hereinbrechende Ereignisse die Aufnahme neuer Anlehen
erheischen sollten. Dies würde bei Konzentrierung des Schuldenwesens in
der Hand des gemeinsamen Finanzministers viel eher möglich sein, als
wenn stets vorerst mit beiden Landesfinanzministern verhandelt werden
müßte. Da der vorgelesene Konzeptentwurf ein Ausfluß dieser Ideen sei, so
erkläre er sich damit einverstanden.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn macht
die Andeutung, daß er den einschlägigen Verhandlungen bisher zwar ferne
gestanden sei, gleichwohl aber keinen Anstand nehme, dem au. Vortrage
des Reichskanzlers sowohl bezüglich des Geistes als des Wortlautes auch
seinerseits zuzustimmen.

   Womit die Sitzung geschlossen wurde.

                                                                                         Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Gödöllö, 1. April 1869. Franz Joseph.

        Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. März 1869 -
                                        Protokoll II

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke (29. 3.), der Reichskriegs¬
minister FML. Freiherr v. Kuhn (o. D.), der k. k. Ministerpräsidentenstellvertreter Graf Taaffe,
der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager Graf Festetics.
    Protokollführer: Hofsekretär Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: Einberufung der diesjährigen Delegationen.

       Angelegenheiten zu äußern. Die Wahlen brachten den Vormarsch der Unabhängigkeits¬
       opposition, die regierende Deäk-Partei verlor etwa 60 Mandate, obwohl sie auch so
       noch über eine bedeutende Mehrheit verßigte. Nach Berechnungen von Daniel Szabö
       ging der Anteil der Deäk-Partei von 67 % auf 59 % zurück. Szabö, Egy välasztäs
       Erddlyben 450. Vgl. Töth, Parteien und Reichsratswahlen in Ungarn 1848-1893; Gerö,
       Az elsöprö kisebbs6g 18-19.
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