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Gemeinsamer Ministerrat, 30. 1. 1868

I. Interpellation in der ungarischen Delegation

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z9.pdf.

54 Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. 1. 1868

   Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke ist
der Ansicht, daß der Gegenstand vor den Reichsrat gehöre, weil das Grund¬
buch hier intabuliert sei. Die Bewilligung werde anstandslos erfolgen, doch
seien die Verhältnisse sehr kompliziert, indem ein Rückkaufsrecht der Stadt
Wien dabei in Frage komme. Nachdem Ministerpräsidenten¬
stellvertreter Graf Taaffe bemerkt hatte, daß es viel¬
leicht gut sein würde, ein Gutachten des Ministerrates darüber einzuholen,
geruhten Seine Majestät den Beschluß dahin zu fassen, daß
"über" die Angelegenheit bdas Gutachten des hiesigen Ministeriums einge¬
holt wird.b

                                                                                Beust, Becke

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 10. Februar 1868. Franz Joseph.

         Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. Jänner 1868

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke, der Reichskriegsminister
[FML.] Freiherr v. Kuhn, der k. k. Ministerpräsident Fürst Auersperg, der kgl. ung. Minister¬
präsident Graf Andrässy, der kgl. ung. Finanzminister v. Lönyay.
    Protokollführer: Sektionschef v. Hofmann.
    Gegenstand: Interpellation in der ungarischen Delegation.1

   KZ. [fehlt] - RMRZ. 9
   Protokoll des zu Wien am 30. Jänner 1868 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Reichskanzlers Frei¬
herrn v. Beust.

   Graf Andrässy machte bemerkbar, daß er hier eigentlich in ei¬
ner Angelegenheit erscheine, die ihn direkt nicht betreffe. Pour offrir ses
bons Offices. Die ungarischen Minister hätten die allerschwierigste Stel¬
lung, da sie fortwährend nach zwei Seiten hin Front machen müßten;
Solidarität der Landes- mit den Reichsministem sei jedoch unbedingt not¬
wendig, auf diesen Punkt komme alles an. Der von Seiner Majestät bei
Empfang der Delegation gebrauchte Ausdruck ,,Reichskanzler" habe die
Linke der ungarischen Delegation veranlaßt, hiegegen Verwahrung einzule-

*-* Einfiigung Sr. Majestät
b-b Korrektur Sr. Majestät aus durch den Finanzminister Brestei eingebracht werden solle.

i Die Ministerratsdebatte analysiert KomjAthy, Die Entstehung des gemeinsamen
        Ministerrates und seine Tätigkeit währemTdes Weltkrieges 26, 115.
<pb/>Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. 1. 1868  55

gen. Graf Andrässy habe den entschiedenen Standpunkt festgehalten, daß
Seiner Majestät das Recht nicht verwehrt werden könne, Titel zu verleihen,
der ungarischen Delegation gegenüber erscheine der Reichskanzler nur als
gemeinsamer Minister des Äußern und dies genüge. Nichtsdestoweniger
habe die Linke durch den Abgeordneten Ghyczy die abschriftlich anliegen¬
den Fragepunkte als Interpellation eingebracht.2 Punkt 2 und 3 seien ganz
absurd, zu Punkt 1 habe er zu verstehen gegeben, man würde fehlgehen,
wolle man darunter weittragende Absichten der Regierung vermuten, man
dürfe die Krone nicht durch Provozierung kompromittieren, hiegegen habe
man aber erinnert, daß in konstitutionellen Staaten die Person des Monar¬
chen gänzlich aus dem Spiele bleiben müsse. Unter diesen Umständen habe
Vortragender sich gedacht, daß wenn schon interpelliert werden solle, dies
besser durch die Regierungspartei selbst geschehe. Auf diese Weise sei die
weiter abschriftlich beiliegende Interpellation Kerkäpolys entstanden, bei
welcher die wesentlichen Gebrechen beseitigt erscheinen.3

   Was die Interpellation Ghyczys sub 2 betreffe,4 so werde sie von der
Mehrheit gänzlich verworfen, man solle sich jedoch den Augenblick nicht
entgehen lassen, den guten Willen zu betätigen, ungarische Staatssekretäre
zu bewilligen, wenn man bisher auch keine brauchbaren Persönlichkeiten
gefunden habe. Ad Interpellation 3 wäre zu sagen, daß - nachdem Seine
Majestät der Kaiser nach Maßgabe der Gesetze die Befugnisse als oberster
Kriegsherr ungeteilt besitze, in der Ernennung eines verantwortlichen Mini¬
sters vielmehr eine bedeutende Konzession zu erblicken wäre.

   Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke: Das
Ah. Handschreiben an Grafen Andrässy vom 24. Dezember v. J. habe den
Begriff und Namen eines ,,Reichsministeriums&quot; eingeführt.5 Seit Jahr und
Tag sei im Sprachgebrauche davon die Rede. Die ungarischen Minister hät¬
ten nicht nur keine Einwendung hiegegen erhoben, sondern vielmehr den
Ausdruck amtlich gebraucht. Erst durch das Vorgehen der zwölf Mitglieder

Gedruckt als Beilage Nr. 9a. Vgl. die Interpellation von Kälmän Ghyczy und Genossen
v. 29. 1. 1868: A közös Ogyek tArgyalAsAra a magyar orszäggyüles ältal kiküldött s
Öfelsege ältal 1868 januär 19-re Becsbe összehIvott bizottsAg naplöja 24.
Gedruckt als Beilage Nr 9b und 9c. Interpellation von Kerkäpoly und Genossen an das
gemeinsame Ministerium betreffend die von den Mitgliedern desselben gebrauchten
Titulaturen. Interpellation Kerkäpolys und Genossen an das gemeinsame Ministerium
betreffend die Organisation des Ministeriums.
Über die Beantwortung der Interpellation Kerkäpolys verhandelt Beust mit dem k. k.
Ministerpräsidenten, siehe Beust an Andrässy v. 4(L)1868, HHStA., PA. I, Karton 563,
Nr. 185. Vgl. KomjAthy, Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tä¬
tigkeit während des Weltkrieges 24-25. //*
Im folgenden handelt es sich um Punkt 2 und 3 der Interpellation Ghyczys.
Ah. Handschreiben an Andrässy v. 24. 12. 1867. Budapesti Közlöny v. 29. 12. 1867.
<pb/>56 Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. 1. 1868

der Linken sei die Schwierigkeit entstanden, es frage sich nunmehr, sei ein

mezzo termine möglich oder nicht?
   Reichskanzler Freiherr v. Beust: Er sei genötigt,

sich nach zwei Richtungen hin zu wenden. Seine Majestät der Kaiser würde

unleugbar durch eine Zurücknahme kompromittiert, aber auch seine eigene

Stellung müsse der Reichskanzler wahren und könne sie nicht lahmlegen

lassen. Man habe es nicht mit einem plötzlichen Einfall zu tun, sondern der

Ausdruck sei seit Jahr und Tag gebraucht und gehört worden. Nach Über¬
windung der materiellen Schwierigkeiten hinsichtlich des Dualismus einen

solchen Zankapfel zu werfen, sei höchlich zu mißbilligen. Er betrachte den

Gegenstand nicht so sehr als Interpellation, denn als Vorwurf der Unge¬

setzlichkeit. Der Ausdruck ,,Reichsminister&quot; sei gewählt worden, um eine

bestimmte Terminologie in das Gesetz zu bringen, der Wesenheit nach sei er
gleichbedeutend mit ,,gemeinsam&quot;. Es erscheine als ein Eingriff in die

Rechte des Monarchen, wollte man ihm bestreiten, Titel zu verleihen.
   Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke: Der

Kaisertitel bezieht sich auf alle Länder der österreichischen Monarchie und
ist vereinbar mit voller staatlicher Unabhängigkeit. ,,Reich&quot; bedeute eben:

so weit das Zepter Seiner Majestät reiche. Der Norddeutsche Bund kenne
einen Reichstag vollkommen souveräner Staaten. Allerdings käme auch die

Opportunitätsfrage zu berücksichtigen, allein, man dürfe sich nicht den

Anschein geben, als wolle man gleich wieder ändern, was mit voller Über¬

legung beschlossen worden ist.
   Reichskanzler Freiherr v. Beust: Finanzminister

Freiherr von Becke möge die vorbereitete Antwort bekanntgeben. Vortra¬

gender sei für eine konziliatorische Maßregel, er wolle jede Beruhigung

geben über die Absichten der Regierung, aber abgeschafft könne die getrof¬

fene Verfügung nicht werden, dies sei wichtig auch nach anderer Seite hin.

Graf Andrässy: Daß der Ausdruck ,,Reich&quot; kein gesetzlicher

sei, erscheine als eine Ansicht, die von Deäk an mit Vortragendem das gan¬

ze Land teile. Man möge der Sache ja keine politische Bedeutung geben,

heute könne er als Minister den Ausdruck noch unterschreiben, in gegentei¬

liger Annahme vermöchte er es nicht tun. Wolle man die Interpellation

Kerkäpolyis ablehnend beantworten, so erwachse daraus für Vortragenden

eine nicht zu überwindende Kompromission.
   Freiherr v. Becke verlas hierauf einen ersten Entwurf der

auf die Interpellation bestimmten Antwort. Derselbe wurde diskutiert, je¬

doch beschlossen, wegen der Schlußredaktion den nächsten Tag noch ein¬

mal eine Sitzung zu halten.6

                                        [Unterschrift von Beust fehlt.]

[Ah. E. fehlt.]

6 Siehe GMR. v. 31. 1. 1868, RMRZ. 10.
<pb/>Nr. 9b Interpellation des Kerkäpoly und Genossen, o. O., o. D.  57

        Nr. 9a Interpellation des Koloman Ghyczy und Genossen
an die das Budget überreichenden gemeinsamen Minister, o. O., o. D.

Beilage zum GMRProt. v. 30. 1. 1868, RMRZ. 9
Abschrift

   Die Delegation kann nur mit einem gesetzlich konstituierten Ministerium
in Berührung stehen, kann nur von diesem Vorlagen entgegennehmen. Das
Ministerium hat sich nicht gesetzmäßig konstituiert, denn 1. obwohl es bei
dieser Delegation als ,,gemeinsames Ministerium&quot; seine Vorlage machte,
bedient es sich doch in der Vorlage an die Delegation der übrigen Länder
Seiner Majestät sowie auch in seinen sonstigen amtlichen Kundgebungen
des Titels eines ,,Reichsministeriums&quot; und eines ,,Reichskanzlers&quot;; Titel,
wie sie unserem Gesetze fremd und mit der Selbständigkeit und Unabhän¬
gigkeit der Länder der ungarischen Krone unvereinbar sind. 2. Ist hinsicht¬
lich seiner Mitglieder und seines amtlichen Personals die gesetzliche Parität
zwischen den Ländern Seiner Majestät anderseits nicht vorhanden, wie sie
durch das Gesetz vom Jahre 1867: XII GA. § 28 in bezug auf die Handha¬
bung der gemeinsamen Angelegenheiten zur unerläßlichen Bedingung ge¬
macht wird. 3. Es besitzt einen gemeinsamen Kriegsminister, welcher in
dem Gesetzartikel XII vom Jahre 1867 unter den dort benannten Ministe¬
rien nicht erwähnt wird.

   Die Unterzeichneten fordern demnach die das Budget vorlegenden Herrn
Minister auf, das Gesetz in Ausführung zu bringen und zu veranlassen, daß
die erwähnten gesetzwidrigen Benennungen in keinerlei Vorlagen und
Kundgebungen gebraucht werden. Die Unterzeichneten bitten um Erklä¬
rung und Aufklärung in der Richtung, warum bezüglich dessen, worauf sich
die Punkte 2 und 3 beziehen, das Gesetz nicht befolgt werde, und sind der
Überzeugung, daß die eingereichte Budgetvorlage nur nach Erlangung ei¬
ner vollständig befriedigenden Antwort in Verhandlung genommen werden
könne.

   Ich erlaube mir hiermit die Bitte zu stellen, daß diese Interpellation dem
gemeinsamen Ministerium überreicht werden möge.

             Nr. 9b Interpellation des Kerkäpoly und Genossen
 an das gemeinsame Ministerium betreffend die von den Mitgliedern

                desselben gebrauchten Titulaturen, o. O., o. D.

    Beilage zum GMRProt. v. 30. 1. 1868. RMRZ. 9
    Abschrift

   Nachdem der Gesetzartikel XII vom Jahre 1867 nur ,,gemeinsame&quot; und
keine ,,Reichsminister&quot; kennt, ja nachdem auch das Gesetz der übrigen Län-
<pb/>58 Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 1. 1868

der Seiner Majestät über die gemeinsamen Angelegenheiten solche nicht
kennt, da dieses Gesetz mit dem oberwähnten Gesetze infolge gegen¬
seitigen Übereinkommens vollständig übereinstimmt, nachdem ferner der
Gebrauch des Titels eines ,,Reichsministers&quot; in Hinsicht der Selbständig¬
keit und Unabhängigkeit der ungarischen Krone besorgniserregend ist, in¬
sofern als derselbe den Ministern einen solchen Wirkungskreis zu vin-
dizieren scheint, welcher denselben nach dem Gesetze nicht gebührt, so
stelle ich an die Mitglieder des gemeinsamen Ministeriums die Anfrage,
wie es geschehen konnte, daß während in der der Delegation der ungari¬
schen Krone eingereichten Vorlage sich die Minister ,,gemeinsame Mini¬
ster&quot; nennen, sie sich in den Vorlagen an die Delegation der übrigen Länder
Seiner Majestät so wie auch in sonstigen amtlichen Kundgebungen des Ti¬
tels ,,Reichsminister&quot; bedienen.

                Nr. 9c Interpellation Kerkäpoly und Genossen
      an das gemeinsame Ministerium betreffend die Organisation

                            des Ministeriums, o. O., o. D.

     Beilage zum GMRProt. v. 30. 1. 1868, RMRZ. 9
     Abschrift

    Nachdem das gemeinsame Ministerium mit der Delegation der ungari¬
schen Krone nach dem Gesetze unmittelbar in Berührung zu stehen hat, und
es konsequenterweise so eingerichtet werden muß, daß diese Berührung,
welche auch durch den schleunigen Gang der Geschäfte notwendig ist, ohne
Hindernisse erfolgen könne, so stelle ich an das gemeinsame Ministerium
 die Anfrage, ob es in dieser Beziehung gesonnen sei, die erforderlichen
Vorkehrungen zu treffen.

          Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. Jänner 1868

      RS. (und RK.)
      Gegenwärtige: der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke, der Reichskriegsminister
  [FML.] Freiherr v. Kuhn, der k. k. Ministerpräsident Fürst Auersperg, der kgl. ung. Minister¬
 präsident Graf Andrässy, der kgl. ung. Finanzminister v. Lönyay.
      Protokollführer: Sektionschef v. Hofmann.
      Gegenstand: Interpellation in der ungarischen Delegation.

     KZ. [fehlt] - RMRZ. 10
     Protokoll des zu Wien am 31. Jänner 1868 abgehaltenen Mimsterrates für
 gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Reichskanzlers Frei¬
 herrn v. Beust.
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