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Nr. 100 Ministerrat, Wien, 10. September 1866 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Hueber; VS. Belcredi; BdE. und anw. (Belcredi 10. 9.), Mensdorff 14. 9., Komers 14. 9., Becke 15. 9., Löwenthal 16. 9.; außerdem anw. Rossbacher; abw. Esterházy, Mailáth, Larisch, Wüllerstorf, John.

MRZ. 100 – KZ. 2138 –

Protokoll des zu Wien am 10. September 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Staatsministers Grafen Belcredi.

I. Unterstützung der Böhmischen Nordbahn

Der Leiter des Finanzministeriums referierte, daß die Konzessionäre und Gründer der Böhmischen Nordbahn (deren Linien einerseits zwischen Backofen und Jungbunzlau von der Turnau–Kraluper Bahn, anderseits in Bodenbach von der nördlichen Staatseisenbahn ausgehen und sich in der Richtung über Rumburg beziehungsweise über Warnsdorf an die sächsische Grenze ziehen), Graf Ernst Waldstein-Wartenberg und Genossen, bei dem Umstande, als die Ausführung des Unternehmens lediglich aus Privatmitteln durch die seither eingetretenen kriegerischen Ereignisse und die aus denselben hervorgegangenen Kalamitäten im Norden Böhmens in Frage gestellt ist, um staatliche Unterstützung des Unternehmens in der Art gebeten haben, daß zu den bereits gezeichneten 4 Millionen Gulden in Aktien des veranschlagten Anlagekapitals von 12½ Millionen Gulden vom Staate weitere 4 Millionen in Aktien zum Parikurse übernommen werden1, wo dann die Beschaffung des noch erübrigenden Restes des Anlagekapitals in Prioritäten sicher bald zu realisieren wäre. Das Staatsministerium und Handelsministerium haben dieses Ansuchen befürwortet2, ersteres insbesondere aus Rücksichten der Bekämpfung des Notstandes gerade in jenen Gegenden Böhmens, die durch den Krieg am meisten gelitten haben, letzteres nebstbei auch deshalb, weil das fragliche Eisenbahnnetz die industriereichsten Gegenden Nordböhmens berührt und unter den gegenwärtigen Umständen als Industriebahn von hervorragender Bedeutung alle Berücksichtigung verdient. Aus dieser doppelten Rücksicht glaubte auch Baron Becke für eine Beteiligung des Ärars bei dieser Unternehmung durch Leistung von Vorschüssen in Staatsnoten im Belaufe von 4 Millionen Gulden stimmen, sich jedoch vorbehalten zu sollen, nach erfolgter Ah. prinzipieller Genehmigung mit den Konzessionären hinsichtlich der Modalitäten die Verhandlung dahin abzuführen, daß dieselben sich verpflichten, den Ersatz dieser Vorschüsse zur Hälfte in Aktien und zur Hälfte in Prioritäten zum Parikurse zu leisten, so daß nur in dem äußersten Falle, wo das Festhalten an dieser Bedingung die ganze so wesentlich zur Linderung der Notstandskalamität beitragende Unternehmung vereitelt werden würde, die Rückzahlung des ganzen Vorschusses durch Übernahme von 4 Millionen fr. in Aktien zum Parikurse zuzugestehen wäre. Baron Becke fügte noch zur Erläuterung bei, daß Prioritäten ein besseres Deckungsmittel seien als Aktien, daß durch diese Hilfe, bei welcher das schädliche Garantiesystem verlassen und der || S. 240 PDF || Staat Miteigentümer von erster Hand wird, der Vorteil erwachse, daß das Beschaffungskapital mit dem Anlagekapital identifiziert wird, daß sich der Staat die Hälfte der Stimmen bei der Generalversammlung ausbedingen und seine Einflußnahme bei der Tariffestsetzung geltend machen kann.

Aus allen diesen Rücksichten erklärte sich sohin die Konferenz mit dem Vorhaben des Leiters des Finanzministeriums, sich unter den angedeuteten Modalitäten die Ah. Genehmigung des Gesuches der Konzessionäre und Gründer der Böhmischen Nordbahn au. erbitten zu wollen, einhellig einverstanden3.

Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.