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Nr. 90 Ministerrat, Wien, 26. Juli 1866 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Meyer; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Belcredi 26. 7.), Erzherzog Albrecht, Mensdorff, Esterházy, Franck, Mailáth, Larisch 13. 8., Komers 13. 8., John 30. 8.; abw. Wüllerstorf.

MRZ. 90 – KZ. 2128 –

Protokoll des zu Wien am 26. Juli 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Abschluß des Waffenstillstandes mit Preußen

Abschluß eines Waffenstillstandes mit Preußen.

Über den Verlauf der Verhandlungen wegen Abschlusses eines Waffenstillstandes, geruhte Se. Majestät zu bemerken, seien von den in das preußische Hauptquartier abgeschickten Kommissären verschiedene ausführliche Berichte und Telegramme eingelangt. Se. Majestät forderte den Grafen Mensdorff auf, der Versammlung von dem Inhalte derselben Kenntnis zu geben.

Graf Mensdorff teilte hierauf der Versammlung folgende Berichte und Telegramme mit: a) erster Bericht vom 23. Juli, b) zweiter Bericht vom 23. Juli, c) Telegramm vom [25.] Juli, d) Telegramm vom 25. Juli, e) dritter Bericht vom 25. Juli, f) Nachschrift zu diesem Berichte, g) vierter Bericht vom 25. Juli (vide Beilagena ).

Nach Verlesung dieser Aktenstücke geruhte Se. Majestät Sich dahin auszusprechen: Bei den Verhandlungen sei es für uns eine Ehrensache gewesen, die Integrität des Königreiches Sachsen zu retten. Dieses sei gelungen. Was dagegen den Wunsch Sachsens betreffe, am süddeutschen Bunde teilnehmen zu können, erhebe hingegen Preußen einen Widerstand, der auf dem Wege einer weiteren Verhandlung als unbesiegbar bezeichnet werden könne. Sr. Majestät dem Könige von Sachsen sei von der Sachlage der Verhandlungen sogleich Mitteilung gemacht worden, und Seine Antwort habe man nun zu gewärtigen. Dieses hindere aber nicht, daß man sich mit der Hauptfrage befasse, „ob unter den von Preußen gestellten Bedingungen der Abschluß eines Waffenstillstandes annehmbar sei oder aber nicht“.

Zur Lösung dieser Frage sei aber vorab die Kenntnis unserer militärischen Lage notwendig. Se. Majestät gab daher den Wunsch zu erkennen, daß sich hierüber sowohl Se. kaiserliche Hoheit der Herr Feldmarschall als auch FML. v. John mit voller Offenheit aussprechen möchten. Günstigere Bedingungen für den Augenblick zu erzielen werde kaum möglich sein; nur über eine dieser Bedingungen dürfte der Versuch einer Abänderung ratsam sein. Die von Preußen vorgeschlagene Demarkationslinie gebe während der Dauer des Waffenstillstandes einen || S. 175 PDF || bedeutenden Teil des Reiches dem Feinde preis1; einer solchen Preisgebung wäre die Zahlung einer höheren Kriegsentschädigung vorzuziehen, wenn damit die Annahme der von hier aus vorgeschlagenen Demarkationslinie erzielt werden könne.

Seine kaiserliche Hoheit Erzherzog Albrecht sprachen sich dahin aus: Unmöglich sei eine Fortsetzung des Krieges nicht, allein es wäre außerordentlich wünschbar, bei dem Zustande der Nord-Armee für bein paarb Wochen Ruhe zu gewinnen. Den Preußen scheine es eben auch nicht besonders gut zu gehen, daher sich das Drängen derselben auf Abschluß eines Waffenstillstandes begreifen lasse. Es liege sogar die Vermutung nahe, als fangen sie an, einen Umschwung der Dinge zu fürchten. Bei der Stellung der Armee hinter der Donau lasse sich der Krieg noch längere Zeit fortschleppen; eine Offensive, durch welche allein günstigere Chancen des Krieges erzielt werden könnten, wäre caugenblicklichc aber nur möglich, wenn es gelänge, dem Feinde beim Versuche eines Donauüberganges eine tüchtige Schlappe beizubringen. Das Mäkeln des Feindes um einige Millionen habe auf ihn einen ziemlichen Eindruck gemacht. Es stecke aber offenbar die Absicht dahinter, die Geldverlegenheit, in der man sich befinde, auszubeuten und in der Zwischenzeit, bis man in die Lage komme, seine Zahlungen leisten zu können, inner einer Demarkationslinie, die ganz Böhmen, Mähren, Oberösterreich dem Feinde preisgebe, diese Länder moralisch und physisch zugrunde zu richten. Übrigens müsse man puncto Kriegsentschädigung nicht bloß die an Preußen zu leistenden Zahlungen im Auge haben. Durch das Aufgeben Venetiens sei vom Süden her der Weg in die Hauptstadt offen; unmittelbar nach einer solchen Abtretung müsse an eine Befestigung Wiens Hand angelegt werden. Die Auslagen für eine solche dürften sich zum mindesten auf 50 Millionen belaufen. FML. v. John hielt es allerdings für eine Möglichkeit, mit den gegenwärtigen Kräften die Donaulinie zu halten; allein damit erziele man nichts anderes, als daß man den Krieg fortschleppe, ohne daß dadurch für uns sich eine Chance eröffne, den Feind aus Böhmen, Mähren und Schlesien hinauszuwerfen. Die gegenwärtige Lage halte er für unhaltbar auf längere Zeit; mit dem einen oder anderen Feinde müsse Frieden gemacht werden. Wenn es auch gelinge, || S. 176 PDF || die Preußen an der Donau festzuhalten und jeden weiteren Erfolg ihnen streitig zu machen, so bleibe der Rücken ungedeckt. Gelänge es durch einen Friedensschluß mit Italien, sämtliche Truppen herbeizuziehen, so wäre man in der Lage, offensiv gegen die Preußen operieren zu können; komme es aber zu einem Friedensschluß mit Preußen, so könne man mit einer Kraft in Italien auftreten, die ihres Erfolges sicher wäre. Die Lage derjenigen Länder, welche in Händen des Feindes gegenwärtig sich befinden, werde während der Dauer des Waffenstillstandes nicht wesentlich verändert werden. Der Feind lebe dort auf unsere Kosten, brandschatze alles, was er erreichen kann, und wisse dabei recht gut, daß wir ihn daran nicht hindern können. Er könne nur wiederholen, es sei ganz unvermeidlich, daß man sich nach einer Seite hin durch einen raschen Friedensschluß Luft zu machen suche.

Mit Rücksicht auf den Inhalt der Berichte der kaiserlichen Kommissäre im feindlichen Hauptquartiere gab Graf Mensdorff den Aufschluß, daß man über die Andeutungen des Grafen Bismarck wegen einer Gebietsabtretung auf das entschiedenste gegen eine solche sich ausgesprochen habe2. Ebenso habe man sich im telegrafischen Wege nach Paris gewendet und die Erklärung abgegeben, daß man auf den früher für die Abtretung Venetiens stipulierten Bedingungen entschieden beharre. Was die Hauptfrage selbst betreffe, so wäre ein Umschwung in dem Geiste der Armee nur durch ein glückliches aktives Vorgehen zu erzielen, wozu jetzt die Vorbedingungen mangeln. Es sei daher notwendig, auf der einen Seite Frieden zu schließen, wo er ein Verabfinden mit Bismarck für leichter möglich halte als mit dem italienischen Kabinette. Bismarck habe freie Hand, handle selbständig, während das italienische Kabinett gänzlich durch Preußen gebunden sei. Je schneller man mit Preußen abschließe, desto leichter werde man mit Italien zum Ziele kommen. Dieses könne es für sich allein auf eine Fortsetzung des Krieges nicht ankommen lassen, weil dessen glückliche Beendigung für Österreich eine leichte Aufgabe wäre. Komme man aber mit Preußen zu keinem Abschlusse, so werde dieses auch Italien von einem solchen abhalten und dasselbe zu einem raschen Vorwärtsgehen in unseren Rücken antreiben. Wenn es, bemerkte Graf Esterházy , zwischen den zwei Alternativen, einer höchstwahrscheinlich nicht glücklichen Fortsetzung des Krieges und einem raschen Friedensabschlusse, noch eine dritte Alternative gäbe, das Vorhandensein wahrhaften Patriotismus oder Dynastismus, dann ließe sich auf eine glückliche Wendung mittelst eigener Kraft noch hoffen. Allein diese dritte Alternative existiere nicht oder doch nicht so, daß man eine gegründete Hoffnung darauf bauen könnte. Man möge nur eine Umschau in den Kundgebungen der öffentlichen Stimmung halten; namentlich auf Ungarn sei wenig zu rechnen, da ein Teil der Bevölkerung durch die Aussichten einer Hungersnot erschreckt sei, die Protestanten aber dort offen ihre Freude darüber bezeugen, daß künftig die herrschende Religion in Österreich die protestantische werde. Je mehr man einen Friedensschluß verzögere, desto ungünstiger werde unsere Situation; selbst gegenüber Frankreich werde sie verschlimmert, das über unser Zögern ungeduldig werden || S. 177 PDF || könnte. Von Fortsetzung des Krieges erwarten beide Gegner alles. Das hartnäckige Festhalten an einer von Österreich zu leistenden Kriegsentschädigung und selbst das Mäkeln für an und für sich geringfügige Summen rühren von daher, weil Preußen die Finanznot Österreichs kenne, darauf spekuliere, wenn wir die Zahlungstermine nicht einhalten können, für längere Zeit einen Teil des Reiches aussaugen zu können und uns am Ende doch dadurch zu einer Gebietsabtretung, namentlich Schlesiens, zu nötigen. Das sei eigentlich der Gedanke des Königs, der mit dem Ruhm einer von Österreich für Preußen erzwungenen Gebietsabtretung zurückkehren möchte. Auf eine wirksame Unterstützung von irgendeiner Seite sei vorderhand nicht zu rechnen. Es sei zu hoffen, daß man später in Paris zum Verstande komme. Offenbar haben die Erfolge Preußens, dessen Hegemonie in Deutschland, erschreckt. Wenn man einmal im Besitze von Hinterladungsgewehren sei, dürfte dort die Sprache eine andere werden. Es bleibe also kaum eine andere Wahl als ein Waffenstillstandsabschluß mit Preußen, zumal man von Bismarck Andeutungen besitze, daß er sich durch die italienischen Verhältnisse von einem für Preußen günstigen Friedensabschlusse nicht werde abhalten lassen. Der Staatsminister Graf Belcredi sowie der Justizminister Ritter v. Komers vermochten ebenfalls in Fortsetzung des Krieges keine günstigen Chancen zu erblicken. Bei einer Verteidigung der Donaulinie, wo die Offensive jederzeit dem Feinde offenstehe, sei die für die Armee so nötige Ruhe nicht zu erzielen; diese sei nur bei einem Waffenstillstande erreichbar. Graf Belcredi sprach sich ferner für das Anerbieten einer höheren Kriegsentschädigung aus, wenn damit die Annahme unserer Demarkationslinie und die Verhinderung der Aussaugung und Demoralisierung so großer und wertvoller Kronländer erreicht werden könnte. Endlich machte derselbe darauf aufmerksam, daß schon jetzt auf die Herbeischaffung der für die Kriegsentschädigung erforderlichen Summen vorgedacht werden sollte, damit man in der Lage sei, die Zahlungstermine einzuhalten und das Land von der Okkupation zu befreien. Der Finanzminister Graf Larisch erklärte sich damit vollkommen einverstanden, daß um jeden Preis die Mittel zur richtigen terminweisen Abzahlung der Kriegsentschädigung beschafft werden müssen. Durch das neueste Finanzgesetz sei der Regierung ein Kredit von 200 Millionen [fl.] eröffnet worden3. Vorschußweise auf diesen Kredit seien von der Bank 60 Millionen entnommen worden, wovon noch 40 Millionen erübrigen. Es sei nun die Aufgabe der Regierung, die Mittel rasch zur Hand zu nehmen, mit denen die übrigen 140 Millionen herbeigeschafft werden können. Dabei wies Graf Larisch darauf hin, daß für die Abtretung Venetiens eine Kompensation in Geld zu erwarten sei, welche zur Deckung der Kriegsentschädigung verwendet werden könnte. Der ungarische Hofkanzler v. Mailáth sah ebenfalls die gegenwärtige Situation als von zwei Seiten bedrängt für unhaltbar an und sprach sich für den Abschluß mit Preußen aus. Eine partielle Erhebung Ungarns für Fortsetzung des Kampfes könnte man erwarten, eine allgemeine aber nicht. Man habe früher mit Rücksicht auf unsere Lage durch Abtretung Venetiens an Frankreich|| S. 178 PDF || eine Befreiung von einer Seite versucht, die aber nicht gelungen sei; es bliebe nichts übrig, als sie von der anderen Seite, wenn auch mit schweren Opfern, zu versuchen.

Se. Majestät reassümierte das Resultat der Beratung dahin: es scheine allgemeines Einverständnis darüber vorhanden zu sein, daß man die Kommissarien zum Abschluß eines Waffenstillstandes mit Preußen ermächtige. Was die Demarkationslinie betreffe, so wäre noch ein Versuch zu machen, ob gegen das Anerbieten einer größeren Kriegsentschädigung nicht eine günstigere erreichbar wäre. Es wurde daher folgende Depesche an die kaiserlichen Kommissarien abgeschickt (vide Beilaged ).

Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.