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Nr. 83 Ministerrat, Wien, 19. Juni 1866 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Hueber; VS. Belcredi; BdE. und anw. (Belcredi 19. 6.), Mensdorff, Esterházy, Franck, Larisch 27. 6., Komers 27. 6., Wüllerstorf 28. 6., Károlyi 2. 7.; außerdem anw. Savenau, Maly bei I, de Pretis bei I, Pfeiffer bei II; abw. Mailáth.

MRZ. 83 – KZ. 2121 –

Protokoll des zu Wien am 19. Juni 1866 abgehaltenenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Staatsministers Grafen Belcredi.

I. Übereinkommen mit der Credit-Anstalt wegen Unterstützung der Industriellen in Böhmen, Mähren, Schlesien und Niederösterreich

Der Handelsminister äußerte sein Vorhaben, den Entwurf eines mit der privilegierten österreichischen Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe zum Zwecke der Unterstützung der durch die Kriegsverhältnisse bedrängten Industriellen in Böhmen, Mähren und Schlesien, dann in Niederösterreich abzuschließenden Übereinkommens Sr. Majestät zur Ah. Genehmigung unterbreiten zu wollen1.

Die Credit-Anstalt übernimmt hienach die Belehnung von Rohstoffen und Fabrikaten bis zum Betrage von 5 Millionen Gulden, verschafft den Akzepten der Vorschußnehmer durch ihren und einer zweiten gutakkreditierten Firma Eintritt in das Wechselobligo die Eigenschaft von bankfähigen Wechseln und ermöglicht damit die Eskomptierung derselben durch die privilegierte österreichische Nationalbank, welche die Eskomptierung auch bereits zugesichert hat. Die Staatsverwaltung haftet der Credit-Anstalt für die Verluste, welche dieselbe aus diesen Vorschußgeschäften treffen sollten. Nachdem sohin der Entwurf des Übereinkommens mit der Credit-Anstalt von dem Ministerialrate v. Pretis unter Erteilung mehrerer von der Konferenz begehrter Aufklärungen abgelesen worden war, ergab sich nur zu § 8 ein Anstand.

Dieser Paragraph lautet: „Falls der Vorschuß nicht zu gehöriger Zeit zurückgezahlt beziehungsweise der Wechsel zur Verfallszeit nicht eingelöst werden sollte, wird die Credit-Anstalt sofort die Veräußerung des bestellten Pfandes veranlassen etc.“ Der Justizminister meinte, daß die Credit-Anstalt, wenn der Wechsel zur Verfallszeit nicht eingelöst wird, nur entweder im Sinne der Bestimmungen des Handelsgesetzbuches oder nach der Verordnung vom 28. Oktober 1865, RGBl. Nr. 110, womit den Anstalten, welche Kreditgeschäfte betreiben, Ausnahmen von den allgemeinen Justizgesetzen zugestanden wurden, vorgehen könnte. Sollte es in der Absicht der Ministerien des Handels und der Finanzen gelegen sein, der Credit-Anstalt für dieses spezielle Geschäft noch weiterreichende Erleichterungen hinsichtlich der Exekution zu erteilen, was aus den Worten: „wird die Credit-Anstalt || S. 143 PDF || sofort die Veräußerung des bestellten Pfandes veranlassen“ gefolgert werden kann, so wäre hiezu eine Bestimmung im Übereinkommen nicht ausreichend, sondern hierüber ein Gesetz erforderlich. Ministerialrat v. Maly klärte auf, daß es durchaus nicht in der Absicht der Ministerien des Handels und der Finanzen gelegen sei, der Credit-Anstalt neue Rechte hinsichtlich der Exekution in dem Übereinkommen zu gewähren: der beanständete Satz enthalte vielmehr eine Verpflichtung der Credit-Anstalt, wenn der Wechsel nicht eingelöst wird, sofort die Veräußerung des Pfandes zu veranlassen, damit das Ärar, welches vertragsmäßig für die Verluste aus diesen Vorschußgeschäften zu haften hat, durch ein Saumsal der Credit-Anstalt bei der Exekutionsführung nicht zu Schaden komme. Der Justizminister proponierte hierauf, zur Vermeidung jedes Zweifels nach dem Worte „sofort“ die Worte einschalten zu lassen: „nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften“, welcher Verbesserungsantrag allseitig angenommen wurde.

Im übrigen ergab sich gegen das Übereinkommen keine Erinnerung, und die Konferenz stimmte mit Rücksicht auf die Notwendigkeit, der bedrängten Industrie bei den dermaligen schweren Zeiten unter die Arme zu greifen, dem Vorhaben des Handelsministers einhellig bei.

II. Konzessionierung der Eisenbahn von Kaschau nach Oderberg mit einer Zweigbahn nach Eperies

Vortrag des Handelsministers in betreff der Konzessionierung einer Lokomotiveisenbahn von Kaschau nach Oderberg mit einer Zweigbahn nach Eperies2. Sektionsrat Pfeiffer stellte den Sachverhalt dar und bemerkte, daß es sich nach den neuerlichen Unterhandlungen mit den Konzessionswerbern, [den] Gebrüdern Riche, um nachstehende Abänderungen des Gesetzes vom 10. August 1865, RGBl. Nr. 68, handelt.

1. Das jährliche Reinerträgnis, welches nach dem Gesetze vom 10. August 1865 mit 2,450.000 fr. garantiert wurde, unter Festhalten des ursprünglichen Regierungsantrages (2,516.000 fr.) und unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbeschaffungskosten von 15% auf 20% mit Inbegriff der entfallenden Amortisationsquote von 33.300 fr. auf 2,683.200 fr. zu erhöhen. Gegen die Gewährung dieser Anforderung wurde aus den von dem Handelsminister geltend gemachten Gründen von keinem Mitgliede der Konferenz ein Anstand erhoben.

2. Die Bedingung aufzulassen, „daß alles Eisenmateriale ausschließlich im Inlande zu beziehen ist“. Auf die Annahme eines verschiedenen Schienenprofils habe der Konzessionswerber unter der Bedingung verzichten zu wollen erklärt, daß durchgehends Stahlschienen im Gewichte von höchstens 18 Pfund per Wiener Fuß in Verwendung genommen werden dürfen. Demnach sei im § 3 des Entwurfes der Konzessionsurkunde lediglich die Bestimmung aufgenommen worden, daß der Oberbau nach dem auf den österreichischen Hauptbahnen angewendeten Systeme herzustellen sei. Die Konferenz erklärte sich mit beiden Abänderungen einverstanden.

|| S. 144 PDF || 3. Die Anforderung des Konzessionswerbers, daß für den Fall einer teilweisen Eröffnung der Bahn nach Sektionen – deren fünf in Aussicht genommen wurden – zur etwa erforderlichen Ergänzung des auf die einzelnen Sektionen verwendeten, jedoch nur im Verhältnisse der Länge der einzelnen Sektionen zur Länge der ganzen Bahn zu berechnenden Anlagekapitals von Seite der Staatsverwaltung Vorschüsse geleistet werden sollen, welche samt 5% Interessen in zwei gleichen Kapitalsraten von dem Ertrage der ganzen Bahn während der beiden ersten Betriebsjahre beziehungsweise von den nach Eröffnung der ganzen Bahn etwa zu erfolgenden Vorschüssen in Abrechnung gebracht werden sollen. Die Konferenz erklärte sich mit der Zusicherung der Gewährung derartiger Vorschüsse aus den im Entwurfe des au. Vortrages des Handelsministers angeführten Gründen einverstanden, sie fand jedoch über Anregung des Sektionschefs Baron Savenau eine Textesberichtigung in dem diesfalls vorliegenden Spezialübereinkommen in der Richtung notwendig, daß deutlich ausgedrückt werde, daß diese Vorschüsse nach Sektionen unter den Betriebsauslagen selbstverständlich nicht aufgeführt werden dürfen, weil sonst die Staatsverwaltung sich selbst aus den Staatsfinanzen den erteilten Vorschuß zahlen würde. Der Handelsminister übernahm es, nachträglich diese Berichtigung im Übereinkommen vorzunehmen.

4. Die Anforderung des Konzessionswerbers, daß anstatt der im Gesetze vom 10. August 1865 festgesetzten fünfjährigen Bauzeit für die ganze Bahn ein sechsjähriger Bautermin zugestanden werde. Der ungarische Hofvizekanzler glaubte bei der hohen Wichtigkeit dieser Bahn für Ungarn es für sehr wünschenswert bezeichnen zu sollen, wenn die Konzessionswerber bestimmt werden könnten, von dieser Anforderung abzugehen. Der Handelsminister erwiderte, daß es nicht möglich gewesen sei, den Bevollmächtigten der Frères Riche, Samuel v. Szontagh, zu bewegen, von dieser Forderung abzustehen. Der Bau dieser Bahn sei an und für sich ein sehr schwieriger und die Beschaffung des Geldes bei den dermaligen Verhältnissen des Geldmarktes sehr erschwert. Gelinge es dem Konzessionswerber, sich die Kapitalien bald zu verschaffen, werde er um so eher trachten, mit dem Baue auch in früherer Zeit zustande zu kommen, weil er durch Ersparung der Interkalarzinsena seinen Vorteil dabei finden wird. Die Konferenz erklärte sich sohin mit dem Zugeständnisse eines sechsjährigen Bautermins einverstanden.

5. Die Anforderung, daß die Gebührenfreiheit auch für die Interimsscheine der Prioritätsobligationen der Kaschau–Oderberger Bahn zugestanden werde. Die Konferenz war mit der Aufnahme einer diesfälligen Bestimmung im Konzessionsentwurfe einhellig einverstanden.

III. Kredite von 50.000 bis 60.000 fl. für Eisenbahntrassierungen

Der Handelsminister setzte die Konferenz vorläufig in die Kenntnis, daß er ein Memoire über die Vervollständigung der Reichsbahnen nach vorausgegangenem Einvernehmen mit dem Kriegsminister Sr. Majestät au. unterbreiten werde, in welchem darauf Bedacht genommen sei, die Hauptproduktionsorte mit || S. 145 PDF || den Hauptabsatzorten in Verbindung zu bringen3. Wichtige Glieder in diesem Netze werden die Bahnen Großwardein–Klausenburg und Kronstadt, dann Kaschau und Przemyšl sein. Er beabsichtige zur Trassierung dieser Bahnen noch von dem heurigen Sommer zu profitieren. Solche Trassierungen von Seite der Staatsverwaltung seien sehr ersprießlich; einerseits erleichtern sie die Baulust der Konzessionswerber und andererseits bewirken sie, wie die Erfahrung gezeigt hat, große Ersparnisse im Anlagekapitale und somit auch in der staatlichen Zinsengarantie. Überdies handle es sich hiebei nur um einen Vorschuß von Seite der Staatsverwaltung, denn die Kosten der Trassierungsarbeiten werden seinerzeit von den Konzessionären dem Staate rückvergütet. Da in dem Präliminare des Handelsministeriums pro 1866 eine Post für solche Trassierungen nicht eingestellt ist, ersuche er die Konferenz um ihre Zustimmung, einen Betrag von 50.000 bis 60.000 fr. für diese Trassierungen verwenden zu dürfen, welcher als Nachtragskredit zu behandeln sein wird.

Der ungarische Hofvizekanzler unterstützte diesen Antrag auch aus politischen Rücksichten, da es in Ungarn gewiß den besten Eindruck zurücklassen wird, wenn man im Lande sehen wird, daß die Regierung trotz der Drangsale des Krieges doch auch für die materielle Wohlfahrt des Landes zu sorgen beflissen ist. Graf Belcredi erklärte, daß die Konferenz nicht berechtigt wäre, einen definitiven Beschluß über den Antrag des Handelsministers zu fassen, weil derselbe eine Überschreitung des Präliminares involviert, hiezu aber nach dem allgemeinen Wirkungskreise der Ministerien die Ah. Genehmigung Sr. Majestät erforderlich wäre. Der Finanzminister bemerkte, daß eine Verwendung dieses Betrages zu dem angedeuteten Zwecke im Wege des Revirements nur dann von ihm zugegeben werden könnte, wenn der Handelsminister mit Sicherheit || S. 146 PDF || nachweisen könnte, daß er in anderen Ausgabsrubriken seines Budgets einen der begehrten Summe gleichkommenden Betrag heuer in Ersparung bringen werde. Sonst müßte er bei den ungeheuren Summen, die jetzt das Heer in Anspruch nimmt, seine Zustimmung hiezu versagen. Der Handelsminister zog hierauf seinen Antrag mit dem Beifügen zurück, daß er vorerst eine Berechnung werde anstellen lassen, welche Ersparnisse in anderen Rubriken der Dotation des Handelsministeriums im heurigen Jahre eintreten werden.

IV. Notstand in Niederösterreich

Der Staatsminister eröffnete den Inhalt eines Berichtes des niederösterreichischen Statthalters über den partiellen Notstand in Niederösterreich4 mit dem Beifügen, daß die darin enthaltene Darstellung des Umfanges des Schadens ihr Entstehen offenbar dem ersten Eindrucke unmittelbar nach der eingetretenen Kalamität verdankt. Er habe deshalb in dem Erlasse an den Statthalter5 auf eine genaue Konstatierung durch Sachverständige sowie auf eine Erklärung des Landesausschusses über die Notwendigkeit, den Staatsschatz vorschußweise in Anspruch zu nehmen, gedrungen und dem Statthalter bezüglich seines Antrages auf Vornahme von Straßenbauten zu erwägen gegeben, ob durch einen Straßenbau der angestrebte Zweck, nämlich die Beteiligung der Beschädigten hiebei, wirklich erreicht oder ob nicht vielmehr das nötige Kontingent von Arbeitern durch andere von der Kalamität wenig oder gar nicht berührte Gemeinden beigestellt werden wird. Soweit die Anträge des Statthalters übrigens einen Steuernachlaß und die Revision des Katasters betreffen, habe er es für notwendig erachtet, einen Konferenzbeschluß hervorzurufen6.

Sektionschef Baron Savenau bemerkte, daß Se. Majestät im vorigen Jahre den Finanzminister allgemein zu ermächtigen geruht haben, Steuernachlässe auch bei anderen als in den früheren Verordnungen angeführten Schäden, namentlich bei Frost rücksichtlich des Weines, Hagelschlag und Käferfraß, zu bewilligen und jenen Steuerträgern, deren Frucht nicht ganz vernichtet wurde, einen Teil der Steuern nachzusehen. Diese Ah. Entschließung sei jedoch den Behörden nicht intimiert worden, um nicht zahllose Steuernachlaßgesuche hervorzurufen. Gegenwärtig dürfte es dem Finanzministerium überlassen werden, die Bezirksämter in Niederösterreich in einer angemessenen Weise von dem Inhalte der erwähnten Ah. Entschließung in Kenntnis zu setzen, damit dieselben bei Vornahme der Schadenserhebungen solche Substrate liefern, auf Grund deren das Finanzministerium in die Lage kommen kann, Steuernachlässe zu bewilligen. Mit Zustimmung der Konferenz erklärte sich sohin der Staatsminister bereit, die vorliegende Verhandlung an den Finanzminister zur weiteren Amtshandlung zu übergeben.

|| S. 147 PDF || Belangend die beantragte Revision des Katasters, bemerkte Baron Savenau , daß es nicht wohl erklärlich sei, wie hier ämtlicherseits Abhilfe geschaffen werden soll, wenn von Seite der Grundbesitzer und Gemeindevorsteher die ihnen obliegende Anmeldung unterlassen wird. Die diesfälligen Parteianmeldungen werden von dem Katastralmappenarchive gesammelt, im Sommer von den Evidenzhaltungsgeometern überprüft und der Kataster und die Grundertragsbogen des Steuerholden danach berichtigt. Wenn ein Bauer die Anmeldung unterläßt, daß er aus seinem Weingarten einen Acker gemacht hat, und infolgedessen die höhere Steuer für den Weingarten fortzahlt, sei er selbst hieran schuld. Der Staatsminister erklärte hierauf sein Vorhaben, den Statthalter in Niederösterreich hienach mit dem Auftrage zu belehren, daß er, wenn ungeachtet der jährlich stattfindenden Revision die von ihm hervorgehobenen Übelstände dennoch bestehen, dem Finanzminister die der Durchführung der bestehenden Revisionsvorschriften etwa entgegen­stehenden Hindernisse bekanntzugeben habe. Die Konferenz war hiemit einverstanden.

Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.