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Nr. 66 Ministerrat, Wien, 23. April 1866 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Meyer; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Belcredi 23. 4.), Mensdorff 24. 4., Franck, Mailáth 25. 4., Henikstein 28. 4.

MRZ. 66 – KZ. 1489b –

Protokoll des zu Wien am 23. April 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Die preußische Antwortnote v. 21. 4. 1866

Preußische Antwort auf die ho. Note vom 18. April1.

Graf Mensdorff gab der Konferenz Kenntnis von dem Inhalt der preußischen Antwort auf die ho. Note vom 18. April, worin der Vorschlag einer gleichzeitigen gegenseitigen Abrüstung gemacht wurde. Der Inhalt der Note geht im wesentlichen dahin, daß man sich zur Annahme des Vorschlages auf eine gegenseitige Abrüstung bereit erklärt und sich anheischig macht, sowie der Befehl zur Abrüstung von Sr. Majestät dem Kaiser ergangen, dortseits in gleichem Maße und in der gleichen Frist die Abrüstung anzuordnen.

Se. Majestät bemerkte, es sei schwer, auf diese scheinbar in friedlichem Tone gehaltene Note eine Antwort zu erteilen, welche auf der einen Seite neuerdings eine Bestätigung der hier herrschenden aufrichtigen Friedensliebe enthalte, auf der anderen Seite aber es vermeide, so weit zu gehen, daß Maßregeln, welche als zur Sicherheit des Reiches unumgänglich erforderlich angesehen werden müssen, dadurch in Frage gestellt würden. Leugnen lasse sich nicht, daß die ersten ostensiblen militärischen Maßregeln, namentlich der Abmarsch der Infanteriebrigade aus Krakau nach Böhmen, auf unserer Seite erfolgt seien; auf die hierseitigen Maßregeln jedoch, obwohl sie alle zusammen genommen nicht im mindesten auf die Absicht einer Aggression deuten können, seien von preußischer Seite so umfangreiche Rüstungen erfolgt, daß die Sicherheit des Reiches dadurch als gefährdet angesehen werden mußte. Unter diesen Umständen sei es schwer, auf ein Verlangen einzugehen, welches die Abrüstung auf beiden Seiten in gleichem Maße verlange. Dessenungeachtet aber müsse der zu erteilenden Antwort eine solche Fassung gegeben werden, daß über das hier vorwaltende Streben nach Erhaltung des Friedens kein Zweifel obwalten könne.

Die preußische Note, äußerte sich Graf Mensdorff , sei so eingerichtet, daß sie den Schein, als wolle man den Frieden nicht, auf uns zu wälzen suche. Unsere Aufgabe sei es daher, einen jeden solchen Schein zu vermeiden. Überhaupt sei der Inhalt der Note darauf berechnet, den Eindruck hervorzubringen, daß von nun an nicht nur kein Anlaß zu ferneren Rüstungen, sondern auch nicht zur Beibehaltung der bisherigen vorhanden sei. Es sei wirklich schwer zu sagen, || S. 58 PDF || was nun zu geschehen habe, man möge sich wenden, an wen man wolle, die gescheitesten Staatsmänner werden mit einer bestimmten klaren Antwort verlegen sein. Die in Italien drohende Kriegsgefahr mache eine gewisse Kriegsbereitschaft notwendig, andererseits werde Preußen nie zu einer Abrüstung sich verstehen, wenn man hierseits nicht mit einer solchen vorgehe, und sich immer auf den nicht zu leugnenden Umstand berufen, daß man mit militärischen Maßnahmen hier vorausgegangen sei. Wirklich sei es auch Tatsache, daß die Mobilisierung in Preußen erst am 27. v. M. erfolgte, während unsere Truppen schon früher in Böhmen einrückten2. Übrigens müsse man den Umfang der Rüstungen in Preußen nicht überschätzen, und es liegen ziemlich zuverlässige Nachrichten vor, daß selbst höhergestellte Militärs die zu geringen Vorbereitungen beklagten gegen einen beabsichtigten Einfall, an den zu glauben ein gewisser Kreis des Publikums sich täuschen ließ3. Die Verhandlungen Preußens mit der italienischen Regierung seien allerdings bekannt, aber ebenso sicher sei es, daß die letztere Preußen nicht traue, und es lasse sich sogar fragen, ob die neue kriegerische Wendung in Italien auf Instigation von Preußen oder nicht vielmehr von Frankreich erfolgt sei und ob nicht in gleicher Absicht von Frankreich aus auch auf Preußen eingewirkt werde. Unter solchen Umständen sei es gewiß Aufgabe der kaiserlichen Regierung, wenn auch der gegenwärtige Zustand große Opfer erfordere, solche Rüstungen zu vermeiden, welche Preußen den Vorwand zu einer von uns beabsichtigten Aggression geben könnten.

Der Kriegsminister Ritter v. Franck machte darauf aufmerksam, daß man vor einigen Tagen in der Konferenz einig war, wenn von Preußen eine ausweichende Antwort erfolge, man mit den hierseitigen Rüstungen fortschreiten solle4. Es sei nur zu sehr in Zweifel zu ziehen, ob Preußen, wenn wir die drei Infanterieregimenter, welche in neuester Zeit in Böhmen einmarschiert sind, zurückziehen, die spätere Zurückziehung der Kavallerieregimenter in Aussicht stellen, auf dieses hin eine vollkommene Abrüstung anordnen werde. Die weiteren Kriegsvorbereitungsmaßregeln aber können schwer rückgängig gemacht werden; die Instandsetzung der Festungen könne nicht als eine Offensivmaßregel gedeutet und daher ihre Rückgängigmachung nicht verlangt werden; der Ankauf der Pferde aber sei jetzt im vollen Zuge, und man habe schon in der letzten Konferenz gefühlt, wie schwer diese einmal angeordnete Maßregel rückgängig zu machen sei5. In allem und jedem Falle müssen nach den Vorgängen in Italien die im Süden des Reiches getroffenen Maßregeln zur Kriegsbereitschaft aufrechterhalten werden, und es frage sich, ob nicht in diesen Graf Bismarck den Vorwand finden werde, eine Abrüstung zu verweigern. Unsere Lage sei eine außerordentlich ungünstige; wenn wir gegenüber Preußen in statu quo bleiben und wir namentlich nicht mit den Rüstungen vorwärtsgehen, so liege unser Nachteil || S. 59 PDF || klar auf der Hand. Werde gegenseitig abgerüstet, so bieten bei einem wahrscheinlich bald kommenden Anlasse neuer Aufrüstung die Lage des Landes und die Armeeorganisation Preußen einen Vorteil, den wir nicht so leicht ausgleichen können. Sicher sei es, daß, wenn man gerüstet dastehe, man sodann eine Sprache führen könne, die ihren Eindruck nicht verfehlen werde.

FML. Freiherr v. Henikstein unterstützte die Ansicht des Kriegsministers, daß es nicht ratsam sei, ohne die Gewißheit der Friedensliebe Preußens zu besitzen, mit den begonnenen Rüstungen innezuhalten.

aAußer bei jenen Armeekorps, von welchen alle positiven Nachrichten fehlen, seien in Preußen bedeutende Rüstungen notorisch und nach verläßlichen Berichten wirklich durchgeführt worden und seien beträchtliche Streitkräfte völlig operationsfähig aufgestellta, sowohl hinsichtlich der Mannschaft als auch der Bespannung. bDie Festungen seien in Verteidigungsstand gesetzt und armiert, selbst mit Ausfallsbatterien versehen.b Auf unserer Seite sei aber im Norden nichts geschehen, was auf irgendeine Aggression deuten könne, denn der Einmarsch von drei Infanterieregimentern, welcher den ersten und größten Lärmen [sic!] verursacht habe, habe in Böhmen eigentlich nur den Friedensstand komplettiert, cund wenn alle dorthin beorderten Truppen zurückgezogen würden, so wären nicht einmal genug solcher [sic!] zur Besetzung der Festungen vorhandenc . Es wäre etwas Unerhörtes, wenn ein Staat, gegen welchen ein Nachbarstaat im Norden und einer im Süden die auffallendsten kriegerischen Vorbereitungen treffen, nicht auch zur Wehrhaftmachung schreite. Es sei daher gewiß Aufgabe der Regierung, die noch gegebene Zeit, um sich in den Zustand der Wehrfähigkeit zu setzen, wohl zu benützen. Bis zum 16. Mai könne man im Süden in voller Kriegsbereitschaft dastehen; um eine solche, wenn sie notwendig werde, auch im Norden zu erzielen, sei die Einberufung der Urlauber durchaus notwendig. Zwei Dritteile der Fußtruppend befinden sich auf Urlaub, darunter viele Urlauber, die fünf bis sechs Jahre von der Armee abwesend sind. Wenn diese nicht neuerdings eingeübt werden, so könne man sie nur für eine Art von Landsturm ansehen, während dies nicht bei den preußischen Urlaubern der Fall sei, die auch in der Urlaubszeit zur Waffenübung angehalten werden eund bei den betreffenden Korps jetzt schon seit Wochen eingeübt werdene . Dann dürfe nicht außer Augen gelassen werden, daß eine volle Abrüstung ohne die größte Gefährdung der Sicherheit der Monarchie kaum ausführbar sei. Die Einberufung der Urlauber im lombardisch-venezianischen Königreiche sei in der Ausführung beschlossen6 und müsse durchgeführt werden, deren Regimenter aber liegen in Böhmen, und nur dorthin können sie instradiert werden. Ebenso sei die Komplettierung || S. 60 PDF || der in Italien liegenden Regimenter ein Akt der Notwendigkeit; für die dort liegenden böhmischen Regimenter müsse somit die Einberufung der Urlauber in Böhmen erfolgen. Dieses seien lauter Maßregeln, welche Preußen genugsam Vorwand bieten werden, eine Abrüstung zu verweigern. Preußen wisse, was es wolle, wir aber fmüssen uns durch andere in unseren Handlungen bestimmen lassenf . Graf Mensdorff : Das sei leider die Lage von Österreich. Der Staatsminister Graf Belcredi wiederholte die schon in der letzten Konferenz ausgesprochene Ansicht, daß mit einem Notenwechsel in vorliegender Entwaffnungsfrage so wie in der Hauptsache selbst nicht zum Ziele zu gelangen sei, daß dadurch vielmehr die Lösung nur immer mehr hinausgeschleppt und nach und nach ein Zustand herbeigeführt werde, der für uns vollkommen unerträglich werde7. Diesen Zustand herbeizuführen sei offenbar die Absicht von Preußen, welches viel eher in der Lage sei, denselben noch für längere Zeit zu ertragen. Gerade die vorliegende Antwort beweise, wie wenig mit einem bloßen Notenwechsel mit Preußen vorwärtszukommen sei. Unsere Lage und die ganze Wendung der Verhältnisse seien derart, daß man hierorts zu einer vollen Abrüstung nicht schreiten könne; in dem Rückmarsch einiger Regimenter aber aus Böhmen werde Preußen gewiß keinen genügenden Grund finden, eine vollständige Demobilisierung anzuordnen. Es bleibe nichts anderes übrig, als sowohl die Demobilisierungs- sowie die schleswig-holsteinische Frage beim Bunde anhängig zu machen. Da man gemeinsam mit Preußen an den Bund nicht gehen könne, da dieses sich dessen weigere, so sei es an Österreich, diesen Schritt allein zu tun. Der ungarische Hofkanzler v. Mailáth kann den preußischen Friedensversicherungen ebenfalls keinen rechten Glauben beimessen. Die Art und Weise der Abrüstung, wie sie in der vorliegenden Antwort in Aussicht gestellt wird au fur et à mesure, gebe Preußen nach dem Stand der Dinge vollkommen das Messer in die Hand. Vor den italienischen Kriegsdrohungen dürfe man sich wirklich nicht fürchten, denn die Italiener seien gin einer noch ungünstigeren Lage als Österreich, indem ihre Finanzen noch zerrütteter und keine italienische Regierung imstande sei, Krieg mit Papiergeld führen zu könneng .

Se. Majestät sprach sich am Schlusse der Beratung dahin aus: Auf die preußische Note, welche der Form nach in friedlichem Tone gehalten sei, übrigens die Hintergedanken durchblicken lasse, wäre eine in ebenso friedlichem Tone gehaltene Antwort zu erteilen, womit man die gegebenen Versicherungen erneuert, daß die hierseitigen Rüstungen nie in der Absicht einer Aggression unternommen worden seien und ihrem Umfange nach nie eine solche Absicht beurkunden konnten, und dann ferner die Erklärung verbindet, daß man bereit sei, den Abmarsch der nach Böhmen gezogenen Verstärkungen anzuordnen, daß aber die Vorgänge in Italien Österreich die Pflicht auferlegen, alle erforderlichen Vorkehrungen für die Sicherheit des Reiches auf dieser Seite zu treffen, und daß deswegen || S. 61 PDF || eine volle Abrüstung hier nicht möglich sei. Die Lage sei gegenwärtig wirklich so, daß man eine Probe der Geduld zu bestehen habe; einen Vorteil jedoch biete sie, nämlich denjenigen des Zeitgewinnes und der Ermöglichung einer angemessenen Kriegsbereitschaft. Es soll daher auch diese Zeit dazu benützt werden, die ferne liegenden Truppen mehr in die Nähe zu ziehen und sie so zu dislozieren, daß sie mit der Eisenbahn in Berührung stehen; jede Truppenbewegung, welche nicht über Wien hinaus nach dem Norden gehe, könne von Preußen nicht als eine Kriegsdemonstration angesehen werden, wenn man nicht jede Truppendislokation als eine solche ansehen wolle; sie gewähre aber den Vorteil, daß man über diese Truppen nach dem Norden und Süden verfügen könne. Die Zeit sei übrigens gekommen, diejenigen Schritte vorzubereiten, welche zur Lösung der Frage zu führen geeignet sind, und auf friedlichem Wege bleibe wohl nichts anderes übrig, als die schleswig-holsteinische Frage beim Bunde anhängig zu machen.

II. Abreise Erzherzog Albrechts nach Italien

Ob Abreise des Erzherzogs Albrecht nach Italien?

Se. Majestät stellte die Frage, ob es ratsam sei, den Erzherzog Albrecht zur Übernahme des Kommandos nach Italien abgehen zu lassen. Ein bloß italienischer Krieg sei kaum glaublich, jedoch nicht undenkbar oder unmöglich, und es frage sich daher, ob man den FZM. Benedek nicht dort belassen sollte.

Mit Rücksicht auf den Umstand, daß die Abreise des Erzherzogs, dann die Hierherberufung Benedeks nach Wien und die damit in Verbindung stehende Bestimmung für ein anderes Kommando viel mehr Lärmen und Aufsehen erregen würden als eine Menge anderer Ausrüstungsmaßregeln, daß ohne irgendeinen Nachteil eine solche Abreise noch verzögert werden könne, einigte man sich dahin, vorderhand von dieser Abreise abzusehen.

Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.