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Nr. 49 Ministerrat, Wien, 27. Jänner 1866 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Meyer; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Belcredi 29. 1.), Mensdorff 7. 2., Esterházy 1. 2., Mailáth 1. 2., Larisch 2. 2.

MRZ. 48 – KZ. 1472 –

Protokoll der zu Wien am 27. Jänner 1866 abgehaltenen Konferenz unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Entwurf eines Gesetzartikels über die Koordinierung des kroatisch-slawonischen Landtages

Der Staatsminister gab Kenntnis von einem ihm von Baron von Hellenbach mitgeteilten Entwurfe eines Gesetzartikels über die Koordinierung des dreieinigen Königreiches1 und bemerkte, daß darin mehrere Stellen vorkommen, welche, wenn sie wirklich vom Landtage angenommen würden, der Erteilung der Ah. Sanktion hindernd im Wege stehen dürften. § 1 erteile nicht nur Sr. Majestät, sondern auch dem Ban das Recht der Berufung des Landtages. Man war allgemein einverstanden, daß dieses Berufungsrecht des Banus durchaus unzulässig sei, indem die Berufung des Landtages immer nur vom Könige ausgehen könne. In § 4 waren eine Anzahl der bisher im Landtage zu Virilstimmen Berechtigten, namentlich aus dem Episkopate, von der Vertretung im Landtage für die Zukunft ausgeschlossen worden. Es wurde beschlossen, den Banus anzuweisen, dahin zu wirken, daß alle bisher zu Virilstimmen Berechtigten in das neue Koordinierungsgesetz aufgenommen werden. Die Bestimmung im § 5, daß den Vorsitz im Landtage der vom Landtage gewählte Präsident oder die Vizepräsidenten zu führen haben, sah man als einen offenen Widerspruch mit dem Rechte der Krone an und es wurde beschlossen, den Banus anzuweisen, das Recht des Königs zur Ernennung des Präsidenten und zur Bestätigung der vom Landtage zu wählenden Vizepräsidenten entschieden zu wahren. In § 9 soll statt des Erfordernisses der „Schriftkundigkeit“ zur Wählbarkeit ein Zensus materieller Natur, und zwar mindestens jener gefordert werden, welcher für das aktive Wahlrecht gefordert werden wird. In § 10, welcher dahin lautet, daß als Magnat auf dem Landtage das persönliche Stimmrecht jeder in das kroatisch-ungarische Gesetzbuch immatrikulierte Fürst, Graf und Baron auszuüben hat, soll statt der Worte „kroatisch-ungarische Gesetzbuch“ richtiger „im Liber Regius immatrikulierte“ gesagt werden. Ebenso hätte das Erfordernis eines bleibenden Wohnsitzes für den persönlich stimmberechtigten Magnaten zu entfallen, da ja der Besitz und die damit verknüpften Interessen das Stimmrecht begründen. Als ganz unzulässig wurde die Redaktion des § 13 namentlich in jener Stelle angesehen, welche dahin lautet, daß der Landtag im Sinne des Gesetzes und des gesetzlichen Usus mitwirkenden Anteil an der Gesetzgebung in allen Staatsangelegenheiten nehme, insofern er einen Teil seiner gesetzgebenden Gewalt nicht an einen anderen legislativen Körper abgibt. Abgesehen von der historischen Unrichtigkeit des Bestandes eines Gesetzes oder eines gesetzlichen Usus, demzufolge dem || S. 284 PDF || kroatischen Landtage das Recht der Gesetzgebung zukommen solle, sah man auch die Definierung des Wirkungskreises, womit man Kroatien als einen souveränen Staat hinstellt, als durchaus haltlos an. Dieser Wirkungskreis kann sich nur so weit erstrecken, als die Gesetze gestatten, durch welche die staatsrechtlichen Beziehungen Kroatiens zu Ungarn und der Monarchie geregelt werden. Im §16 kommt die Bestimmung vor, daß, solange die Regierung des dreieinigen Königreiches nicht nach dem Grundsatze der Verantwortlichkeit konstituiert ist, sie berechtigt und verpflichtet sei, ihre Vertreter in den Landtag abzuordnen. Offenbar, so sah man die Sache an, leuchtet aus dieser Fassung der Gedanke eines künftigen kroatischen verantwortlichen Ministeriums durch. Es wurde beschlossen, den Banus anzuweisen, auf eine gänzliche Änderung dieses Paragraphen zu dringen und darauf aufmerksam zu machen, daß selbstverständlich von einem kroatischen Ministerium keine Rede sein könne. In betreff der in § 18 in Aussicht gestellten Niedersetzung eines Landesausschusses wies der Staatsminister darauf hin, daß er in die Länge dieses Institut der Landesausschüsse nicht für haltbar erachte. Es werde damit nicht nur eine doppelte Verwaltung ins Leben gerufen und der Verwaltungsapparat verteuert, sondern es liege in der Gründung einer solchen Zentralstelle auch der stets immer mächtiger fortwuchernde Keim zu beständigen Konflikten und Reibungen mit der Landesstelle. Hiezu trete noch der fatale Umstand, daß der Landesausschuß in sehr vielen Angelegenheiten in erster und letzter Instanz Entscheidungen fälle, was gegen alle Rechtsund Administrationsprinzipien verstoße. Über Antrag des Staatsministers einigte man sich dahin, der Niedersetzung eines Landesausschusses vorderhand direkt nicht entgegenzutreten, wohl aber der Erwägung anheimzustellen, ob denn die Einsetzung eines solchen als einer zweiten Landesbehörde wirklich notwendig und ersprießlich sei.

Der Staatsminister übernahm es, im Sinne der heutigen Beschlüsse den kroatischen Hofkanzler zu verständigen.

II. Standpunkt der Regierung bei der Adreßdebatte des ungarischen Landtages

Vor Seiner Abreise nach Ungarn, bemerkte Se. Majestät , dürfte es angezeigt sein, sich über die Haltung zu besprechen, welche von Seite der Regierung bei der bevorstehenden Adreßdebatte im ungarischen Landtage eingehalten werden dürfte. Der Standpunkt, welchen die Regierung rücksichtlich der Art und Weise der Lösung der staatsrechtlichen Frage einnehme, sei klar und offen in der Thronrede bezeichnet2. Vorderhand sei es schwer abzusehen, welche Haltung der Landtag in der bevorstehenden Adreßdebatte einnehmen werde, es liege aber die Vermutung nahe, daß er als Antwort auf die Thronrede schon jetzt in eine einläßliche Behandlung der staatsrechtlichen Frage sich nicht einlassen werde. Andererseits werde aber nicht verhindert werden können, daß diese Frage von einzelnen Mitgliedern des Landtages zur Sprache gebracht werde, und man dürfe sogar mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß dieses von Seite des Grafen Apponyi geschehen werde, welcher durchdrungen von der Idee einer gleichsam höheren Berufung zu einer Vermittlung die erste Gelegenheit ergreifen dürfte, um einer Aufgabe, die er als eine Gewissenspflicht ansehe, nachzukommen.

|| S. 285 PDF || Es sei nun sehr wichtig, daß diejenigen Mitglieder des Landtages, auf welche die Regierung schon jetzt zählen oder von welchen man mit Grund voraussetzen könne, daß sie zu einer angemessenen Lösung der obschwebenden Fragen mitzuwirken geneigt seien, im Verlaufe der kommenden Debatte eine Haltung im Landtage beobachten, welche sie nach der einen oder anderen Seite für die Zukunft nicht zu sehr binde. Allerdings, wenn bei der Beratung die Aufnahme von Sachen in die Adresse begehrt werden sollte, welche offenbar die Machtstellung und Einheit der Monarchie gefährden und bereits durch die Thronrede als unzulässig bezeichnet sind, wäre es Aufgabe der konservativen Elemente im Landtage, entschieden hiegegen aufzutreten. Es wäre aber voreilig, wenn von denselben schon jetzt für eine gewisse Art und Weise der Lösung der staatsrechtlichen Frage Partei genommen werden wollte, indem es unmöglich sei, schon jetzt die Art und Weise zu bezeichnen, in welcher die Lösung der staatsrechtlichen Frage erfolgen müsse.

Der ungarische Hofkanzler v. Mailáth bemerkte, daß die Zahl derjenigen, auf welche die Regierung im Landtage schon jetzt sich verlassen könne, sehr klein sei, daß es schon deswegen und auch wegen der Sache selbst ihre Aufgabe sei, eine möglichst reservierte Haltung bei der kommenden Beratung zu beobachten, was aber nicht hindere, diese Haltung bei einzelnen Fragen so zu markieren, daß die abweichende Nuance sich klar herausstelle. Vorzüglich sei es Aufgabe der Regierung, in dem Unter- und Oberhause Männer zu finden, welche den Mut und erforderlichen Takt haben, um als Führer voranzugehen. In der Magnatentafel werden sich solche finden, im Abgeordnetenhause dürfte dieses schwieriger werden. Der Adreßentwurf, wie ihm bekannt sei, bewege sich in milden und höflichen Formen, halte aber an dem Standpunkte der 1861er Adresse fest und suche die Rechtfertigung hiefür in dem reichen Felde von Opportunitätsgründen3. In einer verblümten Wendung werde sogar auf das frühere Recht der Steuerbewilligung und der Rekrutenaushebung hingedeutet werden. Graf Esterházy betonte die Wichtigkeit, gleich anfangs für Bildung einer monarchisch-konservativen Partei den Versuch zu machen. Er hält es für notwendig, daß man in- und außerhalb des Landtages mit einzelnen Männern sich in Berührung setze, welche des Vertrauens der Regierung und einer offenen Mitteilung über ihre Absichten und den Plan ihres Vorgehens vollkommen würdig sind. Die Bildung einer solchen Partei dürfte selbst Deák nicht zuwider sein. Dadurch würde sich auch das Mittel bieten, auf eine Anzahl jüngerer Landtagsmitglieder, welche nach den Antezedenzien ihrer Familien zur konservativen Partei gehören sollten, den erforderlichen Einfluß auszuüben, um sich einer korrekten Haltung derselben im Landtage zu vergewissern. Über gewisse Fragen würde er die Beobachtung einer reservierten Haltung von Seite der Konservativen oder eines Stillschweigens von Seite der Regierung nicht für angezeigt halten. Es gebe eine große Zahl Leute, die es im Herzen wirklich ehrlich meinen, bei denen aber im Kopfe bei gewissen Fragen Verwirrung und Unklarheit herrsche. Ferner gebe es eine Masse von Menschen, die bei der allgemeinen politischen || S. 286 PDF || Spannung auf das horchen, was in einzelnen wichtigen Fragen die Regierung denkt oder wolle. Da sei es nun wohl angezeigt, ganz verständliche Winke in die Öffentlichkeit fallen zu lassen über die Grenzen, welche die Regierung in solchen Fragen für sich und für andere sich gezogen und über welche hinauszuschreiten sie unter keinen Umständen gestatten werde. Graf Esterházy bezeichnete hiebei als solche Fragen diejenigen eines besonderen ungarischen Ministeriums, der Steuerbewilligung und der Rekrutenaushebung. Was nun namentlich die beiden letzteren Fragen betreffe, so sei es eine bekannte Tatsache, daß der ungarische Landtag sowohl das Recht der Steuerbewilligung als der Rekrutenaushebung besessen und ausgeübt habe. Er müsse es als einen Fehler des Oktoberdiploms bezeichnen, daß durch dasselbe diese Rechte einfach wegoktroyiert wurden, während korrekter der Weg hätte eingeschlagen werden sollen, diese Rechte als notwendige Bedingungen der Einheit und Machtstellung der Monarchie vom Lande Ungarn für das Reich zurückzufordern. Er halte auch jetzt noch diesen Weg für den richtigen und denjenigen, auf welchem mit dem ungarischen Landtage viel eher zu einem Ziele gelangt werden dürfte.

Der Staatsminister Graf Belcredi , sosehr er mit den hier entwickelten Ansichten des Grafen Esterházy im allgemeinen übereinstimme, glaubte jedoch, bestimmt demselben, soweit sie sich auf den von der Regierung zu beobachtenden Gang hinsichtlich der Steuerbewilligung und der Rekrutenerhebung beziehen, entgegentreten zu sollen. Er halte es für gefährlich, von dem Standpunkte abzuweichen, welchen diesfalls das Oktoberdiplom und das Ah. Handschreiben vom 20. Oktober 1860 eingenommen haben. Der dadurch begründete Status quo wurzle allerdings nicht in den früheren staatsrechtlichen Verhältnissen Ungarns zur Gesamtmonarchie, allein er ruhe auf einem viel höheren Rechte, demjenigen einer Grundbedingung zur Erhaltung der Einheit und Machtstellung der Monarchie. Wenn es auch opportun erscheinen möchte, gegenüber dem ungarischen Landtage den von Grafen Esterházy bezeichneten Standpunkt einzunehmen, so sei andererseits doch wohl zu bedenken, daß bloße Opportunität in einer solchen Lebensfrage nicht den Maßstab für die Handlungsweise der Regierung geben dürfe und daß namentlich in dem vorliegenden Falle durch eine solche Opportunitätspolitik das Recht Ungarns über dem [sic!] Rechte der Gesamtmonarchie gestellt, letzteres jenem untergeordnet würde. Die Anerkennung des Fortbestandes jener Rechte für Ungarn würde überdies die bedenkliche Folge mit sich bringen, daß das Oktoberdiplom selbst als ein illegaler Akt angesehen werden müßte. Der Ausspruch salus rei publicae suprema lex esto könne zu gefährlichen Mißdeutungen mißbraucht werden, allein ein gewisses, ewig wahres Recht liege ihm doch zugrunde, und gerade dieses sei es, an welches im vorliegenden Falle appelliert werden müßte.

Inhalt zur Kenntnis genommen. 15. Februar 1866. Franz Joseph.