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Nr. 18 Ministerrat, Wien, 23. Oktober 1865 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Hueber; VS. Belcredi; BdE. und anw. (Belcredi 23. 10.), Mensdorff 27. 10., Esterházy 27. 10., Franck, Mailáth 28. 10., Larisch 28. 10., Komers 28. 10., Wüllerstorf 29. 10.; außerdem anw. Gagern bei II, Peter bei II, Moser bei I.

MRZ. 17 – KZ. 4026 –

Protokoll des zu Wien am 23. Oktober 1865 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Staatsministers Grafen Belcredi.

I. Auslandsanleihe und Reform der Kommission zur Kontrolle der Staatsschuld

Der Finanzminister teilte der Konferenz den Inhalt des letzten Berichtes des Sektionschefs Ritter v. Becke aus Paris über den Fortgang der Unterhandlungen wegen des neuen Anlehens mit1. Im Verlaufe dieses Berichtes, in welchem v. Becke der großen Schwierigkeiten und Anstände Erwähnung macht, die sich der Durchführung seiner Aufgabe seitens der beiden Häuser Baring und Rothschild entgegenstellen, gelangt er zur Anzeige über die wichtige Unterredung mit Rothschild am 20. Oktober, welche nachstehendes Ergebnis geliefert hat: 1. Die beiden Häuser Rothschild und Baring sind bereit, sofort zur Effektuierung der Anleihe zu schreiten. 2. Zu dem durch Baring besorgten Vorschuß von 12 Millionen [fl.] würde Rothschild noch einen Vorschuß von 15 Millionen zur Dekkung der Jännerbedürfnisse geben. 3. Der Gesamtbetrag der Anlehenssumme wird auf den Betrag von 150 Millionen effektiv gestellt. Der Detailverhandlung bleibt es überlassen, diesen Betrag auf zwei Serien à 75 Millionen zu verteilen. 4. Die beiden Häuser wollen sich bezüglich der festen Übernahme eine dreimonatliche Option vorbehalten und inzwischen das Anleihen im Kommissionswege begeben. 5. Der im Juli l. J. kontrahierte Vorschuß von Seite des Konsortiums Wodianer per 13 Millionen2, welcher mit Ende Dezember l. J. fällig ist, soll auf drei Monate prolongiert werden. 6. Die Nationalbank soll sich herbeilassen, die Rate von 9 Millionen, welche für die Wiener Währungsschuld Ende Dezember l. J. fällig wird, auf drei Monate zu prolongieren. 7. Über den Begebungskurs hat sich Rothschild noch gar nicht geäußert. v. Becke glaubt, daß er auch für das Publikum unter 70 gestellt werden müsse, jedoch nicht unter 68 gestellt werden solle. An Provision soll bei fester Übernahme 2%, bei kommissionsweiser Begebung 1½% gezahlt werden. v. Becke glaubt, schon jetzt bitten zu || S. 130 PDF || sollen, daß aus der Perzentenfrage keine Kardinalfrage gemacht werde, da ein schweres Opfer gebracht werden müsse, um überhaupt das Anlehen zu erhalten. Er fragt sich an, ob er aus obigen Grundlagen zur Verhandlung mit Baring und Rothschild schreiten oder mittlerweile mit dem anderen Konsortium Haber-Frémy-Hottinguer-Mallet & Fould unterhandeln solle, wobei er jedoch dieses Konsortium nicht quasi als Gegenkonsortium hinstellen und ihre Offerte bloß als Hebel, um auf Rothschild und Baring zu wirken, benützen könnte, was sehr nachteilig ausfallen könnte, da überhaupt wenig Hoffnung besteht, durch das Konsortium Haber das Geschäft zustande zu bringen, weil es demselben an genügenden Kräften gebricht. Habers Plan wäre, das Anlehen in zwei Serien á 110 Millionen und á 40 Millionen auszugeben, die zweite Serie würde ganz im Wege der Belehnung der Pfandbriefe der hiesigen Bodencreditgesellschaft begeben werden. Für die feste Abnahme würde der Kurs zu 71 angenommen werden.

Der Finanzminister erwähnte, daß er über die Punktation vom 20. Oktober mit Baring und James Rothschild mit dem hiesigen Baron Anselm Rothschild gesprochen und dieser ihm den freundschaftlichen Rat erteilt habe, das Eisen zu schmieden, solange es warm sei, zumal ihm die Nachricht zugekommen sei, daß die Londoner Bank mit dem Diskonto herabgehen werde.

v. Becke äußert sich über diese Punktation: Ad 1. Die sofortige Effektuierung der Anleihe sei eine große Errungenschaft, indem eine Verschiebung über den Zeitpunkt der Eröffnung des ungarischen Landtages als eine wahre Kalamität erkannt werden müßte3. Ad 2 müsse fest darauf bestanden werden, daß außer dem Vorschusse von 15 Millionen für die Jännerbedürfnisse auch die 9 Millionen für die Wiener Währungsschuld an die Bank bis Ende Dezember flüssig werden, weil die in der Bankakte bestimmten Raten um jeden Preis eingehalten werden müssen. Ad 3. Bei der Detailunterhandlung würde er dahin streben, daß die Domänen erst für die zweite Serie als Unterlage reserviert bleiben, um auch für die zweite Serie leichter Lust zu machen. Ad 4 sei vorauszusehen, daß die Option hier in Wien werde angefochten werden. Er werde mit allen Kräften gegen die Option anstreben und trachten, daß wenigstens die Vorschüsse fix übernommen werden. Die Hauptsache bleibe es übrigens, daß das Geld zum gegebenen Zeitpunkte flüssig sei. Ad 5 schlage er vor, das Konsortium Wodianer in die Anleihe mit dem dem Vorschusse von 13 Millionen gleichkommenden Betrage einzubeziehen. Rothschild sei dagegen. Ad 6. Gegen die Prolongation der 9 Millionen Dezember-Rate an die Bank habe er sich gewehrt und er hoffe damit durchzudringen. Ad 7. Den Kurs glaube er auf 68 stellen zu sollen, weil er wisse, daß darüber hinauszugehen eine Unmöglichkeit sei. Baring habe ihn früher auf 65 gestellt wissen wollen, und seither haben sich die Umstände verschlechtert.

Der Finanzminister glaubte den Bericht des Sektionschefs Becke in nachstehender Weise erwidern zu sollen: Ad 1 würde er seine Befriedigung darüber aussprechen, daß Rothschild und Baring zu dem Entschlusse gelangt seien, sofort zur || S. 131 PDF || Anleihe zu schreiten. Ad 2. Außer dem bereits mit Baring vereinbarten Vorschusse von 12 Millionen und den von Rothschild in Aussicht gestellten 15 Millionen müßten bis 31. Dezember noch weitere 22 Millionen flüssig gemacht werden, wovon 9 Millionen zur Abstattung der Rate an der W[iener] W[ährungsschuld] an die Bank und 13 Millionen zur Zahlung des Julianlehens an Wodianer, welches unter Umständen habe gemacht werden müssen, die dessen Abtragung im Interesse des Kredites höchst wünschenswert machen, erfordert werden. Ad 3. Gegen die Einteilung des Anlehens in zwei Serien à 75 Millionen ergebe sich prinzipiell kein Anstand. Ad 4. Mit dem Ausspruche der bloßen Hoffnung, daß Baring und Rothschild einen großen Teil der Anleihe für eigene Rechnung nehmen werden, sei nicht gedient. Das Publikum werde sich bei der Anleihe nicht beteiligen, wenn es nicht wisse, daß die großen Häuser fixe Summen übernommen haben. Es wäre daher dahin zu streben, daß diese beiden Häuser eine Quote von 40 bis 50 Millionen fix übernehmen und nur den Rest durch kommissionsweisen Verkauf beibringen. Ad 5 und 6 sei bereits durch das ad 2 Gesagte beantwortet. Ad 7. Über den Emmissionskurs könne sich derzeit noch nicht ausgesprochen werden, weil die näheren Details über Verzinsung und Amortisationsquoten noch nicht bekannt seien.

Dem Unterhändler werde übrigens auch angedeutet werden, auf die Geneigtheit des Rothschild, der bei der Süd- und Nordbahn stark interessiert sei, in der Art eine angemessene Pression auszuüben, daß bei Eingehen auf die Wünsche der österreichischen Regierung sich die letztere bezüglich der Südbahn, bei welcher im Jahre 1868 die Steuerfreiheit zu Ende geht und bei der Nordbahn in ihrer Privilegiensache zu besonderen Berücksichtigungen herbeilassen würde4. Der Nerv dieses Schreibens an Becke liege darin, daß die Summe von 50 Millionen von Baring und Rothschild fix übernommen werde und daß nur im äußersten Falle ein Vorschuß mit langen Terminen gegeben werde. Ein Mittel, Rothschild zu zwingen, gebe es nicht, auf dessen Geneigtheit zur teilweisen Übernahme lasse übrigens der Umstand schließen, daß Rothschild soeben auf vielen Plätzen Papiere zu billigen Kursen verkauft, um sich für das neue Anlehen Mittel zu schaffen.

Der Finanzminister erachtete, incidenter bei diesem Anlasse auch der Stellung der Staatsschuldenkontrollkommission und des Wirkungskreises gedenken zu sollen, den diese Kommission zufolge ihres neuesten Beschlusses verlange5. Damit das neueinzusetzende Organ für die Staatsschuldenkontrolle seinen Verpflichtungen nachzukommen in der Lage sei, spreche es an: 1. nur Sr. Majestät untergeordnet zu sein; 2. dessen Wirkungskreis soll die gesamte schwebende und fundierte Staatsschuld umfassen; 3. dem neuen Organ sollen alle aus den Gesetzen vom 13. Dezember 1862 6 und 29. Februar 1864 7 und aus dem letzten Handschreiben || S. 132 PDF || an den Fürsten Colloredo fließenden Rechte zukommen8; 4. Der Finanzminister soll verpflichtet werden, das Kontrollorgan rechtzeitig von allen Veränderungen im Stande der fundierten und schwebenden Schuld und deren Verzinsung, dann von allen Vorschußgeschäften unter allwöchentlicher Übermittlung der Ausweise in Kenntnis zu setzen und derselben auch die Urkunden über Vorschußgeschäfte zur Kontrasignierung vorzulegen. 5. Das Kontrollorgan soll aber auch berechtigt werden, die Einhaltung des Übereinkommens mit der Nationalbank9 zu kontrollieren.

Der Finanzminister bemerkte, daß er vorhabe, dem Sektionschef Becke eine Abschrift dieser Anforderungen der Staatsschuldenkontrollkommission einzusenden, damit er daraus ersehe, wie schwierig sich die Geldbeschaffung mit Vorschüssen gestalten würde und wie notwendig es sei, fixe Übernahmen zu erzielen. Graf Larisch sprach sich auch, da er auf dem Fortbestand der Staatsschuldenkontrollkommission im Interesse des öffentlichen Kredits und des Zustandekommens des Anlehens den größten Wert legen zu müssen glaubte und im Anbetrachte, daß man unter zwei Übeln das kleinere wählen müsse, dafür aus, daß man die beantragten Bedingungen, unter denen die bisherigen Mitglieder der Staatsschuldenkontrollkommission mit Ausnahme des Grafen Kinsky und Baron Doblhoff in die neue Kommission eintreten sollen, ihrem Wortlaute nach der Ah. Genehmigung empfehlen solle10. Es wurde ihm dabei nur von dem Handelsminister entgegengetreten, der auf die Schwierigkeit der Durchführung hinsichtlich der Kontrasignierung der Urkunden bezüglich der Vorschußgeschäfte mit dem Bemerken aufmerksam machte, daß, wenn man diese Bedingung annehme, man sie auch mit aller Konsequenz durchführen müsse. Der Finanzminister gab zu, daß hiemit eine langweilige Prozedur geschaffen werde, die übrigens in der Praxis ohne Bedeutung sein werde. Er werde übrigens noch mit den einzelnen Mitgliedern der Kommission sprechen und sie zu bewegen trachten, in dieser Beziehung einen anderen Antrag zu stellen. Er werde übrigens auch unverzüglich den Entwurf eines Gesetzes ausarbeiten und der Konferenz zur Beratung vorlegen, wodurch die Kommission samt ihren Attributen in Wirksamkeit gesetzt wird und die verbleibenden sieben Mitglieder durch kaiserliche Ernennung in die Kommission einbezogen werden. Die Frage wegen deren Diäten werde außerhalb dieses Gesetzes zu ordnen sein11.

Bei der sohin erfolgten Beratung über den Inhalt der Antwort auf den Bericht des Sektionschefs Becke bemerkte der ungarische Hofkanzler , daß ihm, obwohl Laie in Finanzsachen, im Punkte 4 die Alternative hinsichtlich der fixen Übernahme der 50 Millionen zu lax erscheine. In dem ersten Briefe an Becke sollte diese latitude nicht gelassen, sondern positiv gesagt werden, 50 Millionen || S. 133 PDF || müssen fix genommen werden, so daß selbst Becke glauben müsse, die Regierung werde von dieser Anforderung niemals abstehen. Der Finanzminister erwiderte, er habe im Vertrauen auf die Einsicht Beckes und in Erkennung der Tatsache, daß die Situation mit jedem Tage schwieriger und der Staatskredit mehr gefährdet werde, dem Becke diesen Spielraum lassen wollen, er werde übrigens dem Wunsche der Konferenz gemäß den Passus im Absatze 4 schärfer hinstellen, weil auch ihm es einleuchte, daß die restlichen 100 Millionen vom Publikum leichter genommen werden, wenn es wisse, daß Baring und Rothschild 50 Millionen fix genommen haben. Er werde daher beiläufig sagen, daß 50 Millionen fix übernommen werden müssen und daß, wenn gar keine Aussicht einer fixen Übernahme bestünde, das Ministerium die Frage, ob man die ganze Anleihe im Kommissionswege begeben soll, neuerlich in Beratung nehmen werde. Unter dieser Abänderung erklärte sich sohin der Ministerrat mit dem vorgeschlagenen Antwortschreiben an den Sektionschef v. Becke einhellig einverstanden12.

Der Finanzminister bezeichnete es schließlich als höchst wünschenswert, wenn in geeigneter Weise der französische Botschafter Duc de Gramont bestimmt werden könnte, dahin zu wirken, daß im Interesse dieser Anleihenssache von Seite der französischen Regierung auf James Rothschild in Paris Einfluß genommen werde.

II. Handelsvertrag mit England

Der Minister des Äußern erinnerte an die wiederholten Anläufe der englischen Regierung, mit Österreich einen Handelsvertrag abzuschließen und an die diesfalls, seitens der österreichischen Regierung kundgegebene Geneigtheit, welche sich früher durch das Einsetzen einer eigenen Enquetekommission, die bekanntlich an der Störrigkeit der hiesigen Industriellen scheiterte, manifestiert und die in neuerer Zeit noch bestimmter in konfidentiellen Schreiben und Verbalnoten ihren Ausdruck gefunden habe13. Die MM. Mallet und Morier seien auch wegen Abschließung eines Präliminarvertrages, wozu Lord Bloomfield die Vollmacht seiner Regierung bereits in seinem Portefeuille habe, schon einige Wochen — wenn auch durch ihre Schuld verfrüht — in Wien und drängen um Entscheidung der Angelegenheit, zu der sich Österreich bereits engagiert habe. Es frage sich daher, welche Antwort man diesen Herren erteilen solle.

Der Handelsminister erkannte es schon mit Rücksicht auf den Umstand, daß der revidierte österreichische Zolltarif im Gesetze vom 30. Juni l. J. als ein allgemeiner14, mithin als ein solcher erklärt wurde, der nach dem Grundsatze der Gegenseitigkeit allen Nationen die Rechte der meistbegünstigten Nationen einräumen soll, für rätlich, sich dem Andringen der englischen Regierung nicht weiter zu verschließen. Er hielt es aber für vorteilhafter, mit Frankreich früher || S. 134 PDF || oder doch kollateral wegen eines Handels- und Schiffahrtsvertrages in Unterhandlung zu treten, da in Frankreich bezüglich gewisser Artikel noch das Differentialzollsystem bestehe, Konzessionen respektive Verkehrserleichterungen daher von Seite Frankreichs im ausgiebigeren Maße gehofft werden können, als dies seitens Englands mit seinem sehr niederen Zolltarife gewärtigt werden kann. Sehr fatal sei es übrigens, daß in den konfidentiellen diplomatischen Mitteilungen gegenüber von England das Prinzip der 15% ad valorem als Maßstab für unsere künftige Tarifsreform hingestellt worden sei15. Das Äußerste, wozu man sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen sogleich herbeilassen könnte, wären 25%, und erst im Verlaufe mehrerer Jahre könnte sich dem obigen niedereren Satze genähert werden, wenn einmal das Wucherpatent16, bei dessen Fortbestande die Industrie in Österreich keinen Aufschwung nehmen kann und tatsächlich verkümmere, beseitigt sein wird — was auch der Justizminister vollkommen bestätigte — und wenn die noch mangelnden Eisenbahnverbindungen in dem südlichen Teile der Monarchie das ersetzen können, was an der teilweise freilich ungesunden Industrie im Norden dabei verlorengehen kann. Für den Handelsvertrag sei übrigens Votant als Handelsminister verantwortlich, und wenn ihm nicht das ganze Zolldepartement mit seinem Materiale und Personale zur Verfügung gestellt werde, könne er in der Sache gar nichts machen.

Nachdem der Finanzminister noch die hohe Wichtigkeit des Eintrittes in die Negoziation mit England mit Rücksicht auf das Gelingen der eben in Verhandlung stehenden Kreditoperation betont hatte, einigte sich die Konferenz: es habe der Minister des Äußern in einem au. Vortrage die Bitte zu stellen: Se. Majestät wollen ihn und den Handelsminister zur Unterhandlung eines Handelsund Schiffahrtsvertrages sowohl mit England als auch mit Frankreich Ag. zu ermächtigen und die hiezu nötigen kaiserlichen Vollmachten separat bezüglich beider fremden Staaten Ag. auszufertigen geruhen17.

Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, den 30. Oktober 1865. Franz Joseph.