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Nr. 555 Ministerrat, Wien, 24. März 1865 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 28. 3.), Mensdorff, Mecséry, Nádasdy, Schmerling (bei I–III abw.), Plener, Lichtenfels, Esterházy, Burger (bei I–III abw.), Hein, Franck, Zichy, Mažuranić (bei V abw.); abw. Lasser, Kalchberg; BdR. Erzherzog Rainer 12. 4.

MRZ. 1359 – KZ. 938 –

Protokoll des zu Wien am 24. März 1865 abgehaltene Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Verfassungsmäßige Ermächtigung zur Begebung des Restes der Silberanleihe 1859

Der Finanzminister referierte über die Frage, ob er zur Begebung des Rests von drei Millionen Pfund Sterling des Anlehens vom Jahre 1859 der Ermächtigung im verfassungsmäßigen Wege bedürfe oder nicht1.

Der Anlaß zu dieser Erwägung ergibt sich dadurch, daß der Minister sich die Mittel für die großen Silberzahlungen an die Nationalbank in den Jahren 1865 und 1866 von je zehn Millionen Gulden durch Begebung der bei der Nationalbank deponierten drei Millionen Pfund Sterling in Obligationen des 1859 Allerhöchstenortes genehmigten, aber nicht realisierten Anlehens vom Jahr 18592 zu erschaffen gedenkt. Auf den ersten Anblick scheint es, als ob diese Obligationen nach erfolgter Zurückstellung von der Nationalbank sofort ebenso anstandslos verkauft werden könnten, wie die gleichfalls deponiert gewesenen Obligationen des im März 1860 aufgelegten Anlehens vom 29. April 1859 3: Beide Anlehen wurden nämlich in der vorkonstitutionellen Zeit Allerhöchstenorts beschlossen. Allein, bei näherer Prüfung zeigt sich in den Bestimmungen des Übereinkommens mit der Nationalbank4 ein Unterschied in bezug auf die Behandlung dieser deponierten zwei Kategorien von Obligationen. Im § 5 wird ausdrücklich von der Realisierung der deponierten Obligationen des 1860er Anlehens von 200 Millionen Gulden öW. und der Teilung des Erlöses zwischen dem Staat und der Nationalbank gesprochen. Bezüglich des Pfund Sterling-Anlehendepots dagegen heißt es im § 3, daß die Finanzverwaltung die unverzinslichen Vorschüsse von 20 Millionen Silber in gleicher Münze oder in Wechseln auf ausländische Plätze zurückzuzahlen habe, und nach Maßgabe der geleisteten Zahlungen werde der entsprechende Teil der Pfund Sterling-Obligationen vom Jahre 1859 vom Pfande frei und „der Staatsverwaltung zurückgestellt werden“. Von deren weiterer Veräußerung geschieht im Übereinkommen keine Erwähnung, und dieses schien dem Finanzminister zur Folge zu haben, daß er sich hiezu vorerst die Ermächtigung im verfassungsmäßigen Wege durch Einbringung || S. 238 PDF || einer Gesetzesvorlage erwirken müsse. In diesem Sinne hatte er auch seine Anträge bei einer vorläufigen Beratung in einem engeren Ministerkomitee gestellt5. Bei wiederholter Erwägung habe jedoch der Finanzminister seine Meinung über diesen Gegenstand geändert, und jetzt erscheine ihm die verschiedene Stilisierung der §§ 5 und 3 des Übereinkommens bloß allein durch den Umstand motiviert, daß über die Verwendung der zu veräußernden Depots am 1860er Anlehen wegen deren beschlossenen Teilung zwischen Staatsschatz und Nationalbank eine spezielle Normierung notwendig war, während eine solche Notwendigkeit bezüglich des Depots vom Pfund Sterling-Anlehen nicht eintrat. Es genügte hiebei, die Zurückstellung an die Finanzverwaltung auszusprechen, und das freie Schaltungsrecht der letzteren wurde nirgends, weder im Übereinkommen noch sonst irgendwo, eingeschränkt, so daß man dadurch gehindert wäre, die bezüglichen Obligationen sofort zu verwerten. Der Finanzausschuß des Abgeordnetenhauses hat daher auch gegen die Einstellung des Erlöses von den Pfund Sterling Anlehensobligationen unter der Bedeckung im Voranschlag für 1865 keinen Anstand erhoben, und einige privative vernommene Mitglieder der Staatsschulden[kontroll]kommission, worunter Dr. Herbst, halten gleichfalls die Finanzverwaltung zur Begebung des fraglichen Anlehensrestes ohne besondere verfassungsmäßige Bewilligung für vollkommen ermächtigt. Bei dieser Sachenlage gedächte der Finanzminister von der Einbringung einer besonderen Gesetzesvorlage über diese Sache umso mehr Umgang zu nehmen, als die häufige Einbringung von Vorlagen um Kreditsbewilligung, wenn auch in kleineren Beträgen, keinen guten Eindruck hervorbringt.

Der Staatsratspräsident äußerte seine Befriedigung darüber, daß der Finanzminister nunmehr zu der vom Baron Lichtenfels im Komitee vertretenen Überzeugung gelangt ist, daß die Finanzverwaltung nach strengster juridischer Auslegung zum Verkauf der fraglichen Obligationen ohne besondere gesetzliche Ermächtigung schreiten könne.

Die übrigen Stimmführer fanden gegen den Antrag des Finanzministers gleichfalls nichts zu erinnern6,a .

II. Rechnungslegung über die zur Linderung des Notstands in Ungarn verwendeten Summen

Der Finanzminister erinnerte, daß ihm durch Artikel V des Gesetzes vom 17. November 1863 7 die Verpflichtung auferlegt worden sei, über die Gebarung mit den zur Linderung des Notstandes in Ungarn bewilligten Beträgen bei Vorlage des nächsten Staatsvoranschlages Rechnung zu legen. Der Zeitpunkt zu dieser Rechnungslegung wäre daher gegenwärtig eingetreten; allein, Referent vermöge dermal noch nicht eine vollständige Rechnung hierüber zu erstatten, weil die Buchhaltung mit dem diesfälligen, sehr umfassenden Operate noch nicht fertig geworden ist und einige damit im Zusammenhang stehende Verhandlungen noch nicht erledigt sind. Um jedoch dem erhaltenen Auftrage wenigstens nach Tunlichkeit nachzukommen, habe der Finanzminister beabsichtigt, dem Reichsrate eine detaillierte Vorlage zu machen, aus welcher der || S. 239 PDF || dermalige Stand der Angelegenheit zu ersehen wäre, und damit die Erklärung zu verbinden, daß die bewilligten Beträge nicht ganz erschöpft, sondern selbst daran einige Ersparungen erzielt worden seien8. Der über seinen au. Vortrag vernommene Staatsrat9 habe zwar in thesi gegen eine vorläufige Mitteilung an den Reichsrat über die Gründe des Aufschubs der Rechnungslegung keine Einwendung erhoben, jedoch aufmerksam gemacht, daß die Details, welche diese im Entwurf vorliegende Vorlage enthalten würde, ihrer durch die Sachlage gebotenen Unvollständigkeit wegen so geartet sind, im Reichsrate zu langen Erörterungen und verfrühten Kritiken Anlaß zu geben, dem man besser ausweichen sollte. Die Regierung hätte sich daher vorläufig darauf zu beschränken, dem Reichsrat bei den Verhandlungen über den Staatsvoranschlag an geeigneter Stelle kurz zu eröffnen, daß und warum die fragliche Rechnungslegung dermal noch nicht möglich sei, daß dieselbe jedoch so bald als möglich werde vorgelegt werden, man übrigens jetzt schon gewiß ist, an der bewilligten Summe eine mäßige Ersparung erzielt zu haben10. Der Finanzminister erkenne das Gewicht der gegen die vom ihm beantragte eingehende Mitteilung erhobenen Bedenken und wolle sich daher auf eine kurze Anzeige über den Grund der verzögerten Rechnungslegung beschränken, dieselbe jedoch nicht bloß incidentaliter bei den Budgetverhandlungen, sondern demnächst selbständig, in einer an das Präsidium des Abgeordnetenhauses zu richtenden Note machen. Auf solche Weise würde wenigstens diesem Anlasse zur Wiederholung der stereotypen Vorwürfe wegen Nichtberücksichtigung von Wünschen des Hauses und von gesetzlichen Verpflichtungen die Spitze abgebrochen werden.

Der Ministerrat fand dagegen nichts zu erinnern11.

III. Erklärung des Finanzministers zur Kritik der Staatsschuldenkontrollkommission an der Silberanleihe 1864

Die Staatsschulden[kontroll]kommission hat in ihrem Berichte vom Oktober v. J. das Silberanlehen von 70 Millionen Gulden12 als ein ganz mißlungenes bezeichnet13. Das Unberufene und Unzeitige dieser Kritik ist im Herrenhause mit schlagenden Gründen bewiesen worden14, und in der Tat, man wird kein anderes Beispiel finden, daß eine Kontrollkommission dieser Art im Auslande sich erlaubt hätte, eine noch im Zuge befindliche Finanzoperation mit einem solchen Verdammungsurteil zu belegen || S. 240 PDF || und deren Erfolg zum wesentlichen Nachteil des Staatsschatzes zu paralysieren. Übrigens gelingt es dem Finanzminister noch fortwährend, bedeutende Partien dieses „mißlungenen Anlehens“ zu verwerten, und die Erklärungen der Staatsschulden[kontroll]kommission erregen im Ausland nur Verwunderung. Indessen gedenkt doch der Finanzminister auch im Finanzausschusse des Abgeordnetenhauses dem verwerflichen und schädlichen Vorgang der Staatsschulden[kontroll]kommission gegenüber eine bestimmte Position zu nehmen und derselben das Recht abzusprechen, sich über eine im Abwickeln begriffene Finanzoperation zu äußern. Das unbestrittene Recht des Reichsrates, sich seinerzeit über die Kreditoperation auszusprechen, bleibt dabei ganz außer Frage15.

Der Ministerrat fand gegen die vom Finanzminister beabsichtigte Erklärung nichts zu erinnern.

IV. Wahlordnung für den kroatisch-slawonischen Landtag

Der Präsident der Staatsrates referierte über den Entwurf einer Wahlordnung für den kroatisch-slawonischen Landtag nach dem Antrage des kroatisch-slawonischen Hofkanzlers16 und las den § 1 dieses Entwurfes, zu welchem der Staatsrat keinen Abänderungsantrag stellt, sondern sich auf die Bemerkung beschränkt, daß unter den zum Landtage zu berufenden auch der Locumtenens erscheint, während am letzten Landtag kein Locumtenens teilgenommen hat17.

Nachdem sich an die Frage über die Ernennung des Locumtenens eingehende Diskussionen über das Recht und die Eventualitäten der Wahl durch Se. Majestät oder den Landtag geknüpft hatten und sofort auch über die Bedingungen der Zulassung von Magnaten auf den Landtag Meinungs­verschiedenheiten hervorgetreten waren, fanden Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog für nötig, daß die kroatisch-slawonische Landtagswahlordnung noch vorläufig in einem engeren Komitee – zusammengesetzt aus dem Minister bBaron Mecséryb, Grafen Nádasdy, dem Staatsratspräsidenten, dem Minister Grafen Esterházy, dem ungarischen und dem kroatischen Hofkanzler – beraten werde.

Der kroatisch-slawonische Hofkanzler wird die Komiteemitglieder mit lithographierten Exemplaren seines Entwurfs beteilen18,c .

V. Haltung des Ministeriums bei den Verhandlungen über den Staatsvoranschlag für 1865 im Plenum des Abgeordnetenhauses

Der Staatsminister besprach die Haltung, welche die Minister bei den unmittelbar bevorstehenden Verhandlungen im Abgeordnetenhause über den Staatsvoranschlag für 1865 zu beobachten hätten19.

Beim Ministerium des Äußern sei der eigene Abstrich im Sinne des Vrints’schen Antrages um 10.000 f. größer als der vom Finanzausschuß beantragte. Ein ähnliches Verhältnis trete bezüglich der noch größeren eigenen Abstriche beim Handelsministerium ein. Es frage sich, an welchen der beiden Abstriche der Minister sich jetzt halten solle: an den eigenen größeren mit Vorbehalt des freien Virements, oder an den Antrag des Finanzausschusses mit Verzichtung auf das freie Virement. Ritter v. Schmerling würde vom ministeriellen Standpunkt sich lieber dem größeren Abstriche mit freiem Virement unterwerfen, was, wie der Minister des Äußern beifügte, auch den ministeriellen Erklärungen konsequent wäre. Der Finanzminister warnte jedoch davor, dem nicht zu erreichenden Ziele des freien Virements den reellen Vorteil einer höheren Dotation zu opfern. Edler v. Plener habe für jedes Ministerium eine ziffermäßige Zusammenstellung verfassen lassen, welche als Basis des Programmes dienen dürfte, das jeder Minister sich dermal bezüglich des Präliminars für seinen Zweig feststellen muß. Vorläufig müsse er jedoch erklären, daß es nicht tunlich sein werde, das Programm für alle Ministerien nach gleichen Grundsätzen zu normieren. Die Verhältnisse jedes Zweiges sind zu verschieden. Namentlich befindet sich das Finanzministerium in einer exzeptionellen Lage. Über den Modus der Behandlung können nur Opportunitätsrücksichten entscheiden. Der Polizeiminister findet, es sei durch die Vorsicht geboten und nur ganz konsequent mit der ministeriellen Erklärung über den Vrints’schen Antrag, wenn jeder Minister für seinen Zweig ohne freies Virement eine höhere als die durch den eigenen Abstrich reduzierte Dotation begehrt. Auch sei es nötig, sich jetzt schon klarzumachen, bis auf welchen Betrag der Dotationsziffer man bei der äußersten Restriktion im letzten Stadium der Verhandlung mit dem Herrenhause herabgehen könne.

Der Staatsminister hält es für unerläßlich, noch vor dem Beginn der Budgetverhandlungen im Abgeordnetenhaus der sogenannten ministeriellen Partei gegenüber eine bestimmte Position einzunehmen. Zu diesem Zweck würde er schon am 25. März eine Versammlung von Abgeordneten im Staatsministerium abhalten und derselben eröffnen, daß die Regierung im großen ganzen an den von ihr eingebrachten Voranschlägen für 1865 festhalte, was jedoch nicht ausschließe, daß im Lauf der Verhandlung Vereinbarungen über gewisse Reduktionen geschlossen werden können. Zugleich wäre jedoch auf das bestimmteste zu erklären, daß die Regierung einen Gesamtbetrag von 20,100.000 f. als nicht zu übersteigende Grenze der Abstriche und zwar bei freiem Virement innerhalb der Dotation jedes Zweiges betrachte.

Nachdem von keiner Seite dagegen eine Erinnerung erhoben worden war, bemerkte der Staatsminister noch, daß der Vizepräsident des Abgeordnetenhauses Ritter v. Hopfen bei den bevorstehenden Verhandlungen die Vermittlung übernehmen würde, daher sich jeder Minister mit demselben verständigen wolle.

|| S. 242 PDF || Schließlich richtete Ritter v. Schmerling an seine Kollegen das Ersuchen, sich am folgenden Tage, 11 Uhr früh, im Staatsministerium einfinden zu wollen20.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 11. April 1865. Empfangen 12. April 1865. Erzherzog Rainer.