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Nr. 523 Ministerrat, Wien, 27. Dezember 1864 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 29. 12.), Mensdorff 9. 1. 1865, Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Lasser, Lichtenfels, Esterházy, Burger, Hein, Franck, Zichy, Kalchberg; außerdem anw. Plener; BdR. Erzherzog Rainer 20. 1. 1865.

MRZ. 1326 – KZ. 3948 –

Protokoll des zu Wien am 27. Dezember 1864 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzoges Rainer.

I. Einsetzung einer Kommission zur Verhinderung von Unfällen auf Eisenbahnen

Der Staatsminister brachte die in neuester Zeit sich häufenden Unfälle auf den österreichischen Eisenbahnen zur Sprache. Sie fordern die Aufmerksamkeit der Regierung heraus. Man muß sich mit Vorkehrungen beschäftigen, um deren Wiederkehr zu verhindern, und die im Publikum entstandene Beunruhigung läßt es als angezeigt erscheinen, daß die in dieser Richtung zu pflegenden Beratungen mit einer gewissen Auffälligkeit betrieben werden. Eben darum wären dieselben nicht bloß im Schoße des zunächst beteiligten Handelsministeriums, sondern durch eine Kommission zu pflegen, an der auch das Staatsministerium, dann die Ministerien der Polizei und der Finanzen durch Delegierte teilzunehmen hätten.

Der Leiter des Handelsministeriums bemerkte, er habe diesem Gegenstand seine volle Aufmerksamkeit gewidmet und sehe dem Bericht des infolge des letzten Unfalls auf der Südbahn nach Pößnitz entsendeten Kommissärs entgegen1. Ob, wie behauptet wird, Mangel an hinlänglichem Betriebspersonal die Schuld an den häufigen Unglücksfällen trage, wage Baron Kalchberg heute noch nicht zu entscheiden. Mit dem Antrage der Vorstimme einverstanden, glaube Votant, daß die Kommission sich im Handelsministerium versammeln dürfte, wo derselben Pläne, Vorakten und sonstige Behelfe in unmittelbarer Nähe zu Gebot stehen.

Der Ministerrat war hiemit einverstanden, und Se. k. k. Hoheit drückten schließlich die Erwartung aus, daß seinerzeit über das Ergebnis der Kommission im Ministerrate werde referiert werden2.

II. Gründung eines Vereins für die Errichtung eines Wiener Lokaltelegrafennetzes

Der Präsident des Staatsrates referierte über das Gesuch des Karl Albert Mayrhofer um Bewilligung zu den vorbereitenden Maßregeln behufs der Gründung eines Aktienvereins für die Herstellung eines Lokaltelegrafennetzes in Wien und [in] dem Polizeirayon der Residenzstadt3.

Minister Ritter v. Lasser hat beantragt, daß dem Bittsteller die angesuchte Ah. Bewilligung zu erteilen wäre, jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalte, die Maßregeln zur Wahrung der öffentlichen Interessen dem gedachten Unternehmen gegenüber festzustellen. Der Staatsrat schloß sich dem ministeriellen Antrage an. Allein der hierüber im Präsidialwege vernommene Polizeiminister habe geglaubt, daß der Gegenstand im Ministerrate beraten werden dürfte, um die prinzipiellen Grundsätze und Kautelen festzustellen, welche bei dem Einraten auf Bewilligung zur Errichtung von Privattelegrafen zur Richtschnur zu nehmen sind. Die diesfälligen Bedingungen wären: 1. Der Einfluß der Staatsverwaltung auf die Aufnahme, dienstliche Verwendung und Entlassung des Vorstandes und Betriebspersonals der Anstalt. 2. Die Staatsaufsicht über den Depeschenverkehr und die Einsicht aller Protokolle, Korrespondenzen und der Geschäftsgebarung. 3. Das Recht der Staatsverwaltung, aus öffentlichen Rücksichten die zeitweilige oder gänzliche Sperrung der Anstalt ohne Entschädigung zu verfügen. 4. Die Versendung von Staatsdepeschen um die halbe Tarifgebühr. 5. Die Verpflichtung der Anstalt, die rücksichtlich der Benützung von Staats- und Eisenbahntelegrafen durch das Publikum jeweilig geltenden oder für diese Anstalt insbesondere zu erlassenden Bestimmungen zu erfüllen. Freiherr v. Lichtenfels hält den Punkt 5 für selbstverständlich und fände gegen die übrigen Punkte von seinem Standpunkte nichts zu erinnern, wenn er gleich meint, daß der Proponent die Bedingung, sich eine gänzliche Sperrung der Anstalt ohne Entschädigung gefallen zu lassen, hart finden werde.

Der Polizeiminister motivierte hierauf umständlich seinen Antrag, wobei er auch darauf hinwies, wie notwendig es sei, daß die Staatsverwaltung unter gewissen Eventualitäten diese Privatanstalt paralysieren oder ausschließend im Staatsdienste verwenden könne, ohne dafür namhafte Entschädigungen zu zahlen. Die gänzliche Sperrung für immer jedoch liege außer des Votanten Absicht. Minister Ritter v. Lasser äußerte, er habe auch bereits beabsichtigt, dem Projektanten gleich bei Erteilung der Bewilligung zu den vorbereitenden Maßregeln gewisse Bedingungen zu seiner vorläufigen Richtschnur bekanntzugeben. Dahin gehören insbesondere die temporäre Sperrung der Anstalt oder deren zweitweise Sequestrierung ausschließend zum Gebrauch der Regierung. Als selbstverständlich betrachte er die Punkte 1 und 5, doch würde der diesfällige Erlaß sorgfältig textiert werden müssen. Der Leiter des Handelsministeriums , mit den Vorstimmen einverstanden, glaubte sich auch dagegen aussprechen zu sollen, daß man schon jetzt vornweg die rein fiskalische Bedingung ausspreche, daß Staatsdepeschen um die halbe Gebühr zu befördern seien. Dies dürfte – wenn überhaupt – am besten erst bei den Verhandlungen über die definitive Konzession zur Sprache gebracht werden. || S. 58 PDF || Bemerken wolle Baron Kalchberg, daß das Zustandekommen des Unternehmens nicht sehr gesichert scheine und dasselbe sich jedenfalls mehr von dem Kommissionsgeschäfte als vom Ertrag des Telegrafen rentieren würde. Als selbstverständlich nehme Votant an, daß es sich hiebei um kein ausschließendes Privilegium handle. Die übrigen Stimmführer fanden gegen die obigen Anträge des Ministers Ritter v. Lasser nichts zu erinnern, und der Finanzminister bemerkte schließlich, daß es nur angemessen wäre, wenn die Wiener Lokaltelegrafenanstalt – ebenso wie die Betriebstelegrafen der Eisenbahnen – die Staatsdepeschen ganz gratis befördern würden. Von einem Expropriations­rechte dieser Privatunternehmung könne natürlich keine Rede sein4.

III. Statuten der mährisch-ungarischen Verbindungsbahn

Der Präsident des Staatsrates referierte über den Vortrag des Staatsministeriums vom 21. November 1864 betreffend das Gesuch des E. Raikem und J. B. Even, Konzessionäre der mährisch-ungarischen Verbindungsbahn, um Genehmigung der Statuten der für dieses Unternehmen zu bildenden Aktiengesellschaft5.

Der Staatsrat fand gegen die ministeriellen Anträge im wesentlichen nichts zu erinnern und beschränkte sich auf die Beantragung von vier Textierungsänderungen, von denen die zu § 4 und 5 dahin zielen, die unrichtige Bezeichnung der Prioritätsobligationen als Teile [des] Gesellschaftsfonds zu beseitigen, jene zu § 54 aber den Zweck hat, die dortigen Bestimmungen mit jenen des Art. 209 Handelsgesetzbuches über die Bilanz in Einklang zu bringen. Zu § 22 d hatte der Staatsrat eine andere Textierung vorgeschlagen; allein Baron Lichtenfels glaubte dem ministeriellen Entwurf den Vorzug geben zu sollen, denn da durch eine Fusion mit anderen Gesellschaften die alte Gesellschaft in jedem Falle erlischt, ist es überflüssig, ausdrücklich zu sagen, daß zu einem solchen Übereinkommen die Zustimmung der Generalversammlung erforderlich sei, da dieselbe zur Auflösung überhaupt nötig ist.

Minister Ritter v. Lasser trat in allen Punkten der Meinung des Staatsratspräsidenten bei, und von Seite der übrigen Stimmführer wurde nichts dagegen erinnert6.

IV. Behandlung der von Rußland ohne Akten ausgelieferten Teilnehmer am Aufstand im Königreich Polen

Der Kriegsminister referierte über die künftige Behandlung der von Rußland ausgelieferten diesseitigen Teilnehmer am Aufstande im Königreich Polen7.

|| S. 59 PDF || Derlei Auslieferungen erfolgen in der Regel ohne alle Mitteilung von Akten über die Beteiligung dieser Individuen, und da sie bei den Verhören hartnäckig leugnen, so werden die abgeführten Untersuchungen der k.k. Kriegsgerichte in Ermanglung von Beweismitteln ganz illusorisch. Dieses bedauerliche Verhältnis bestimmte den Kriegsminister, mit den beteiligten Ministerien in Überlegung zu nehmen, ob es angezeigt sei, von Rußland die Übermittlung der dortigen Akten für jeden künftigen Auslieferungsfall zu begehren. Der Polizeiminister äußerte, es scheine nicht angezeigt, Schritte zur Erlangung von Beweismitteln zu machen, um Verurteilungen aussprechen zu können welche die russische Regierung selbst nicht ausdrücklich begehrt. Minister Ritter v. Hein würde es vorziehen, resultatlose Untersuchungen, wodurch nur das Ansehen und die Tätigkeit der Kriegsgerichte untergraben wird, gar nicht zu beginnen, was freilich die Konsequenz hätte, daß man die bereits begonnenen Untersuchungen dieser Art auflassen und die bereits verurteilten und noch in Haft befindlichen Individuen nach Hause entlassen müßte. Wolle man aber die ferner Auszuliefernden in Untersuchung ziehen, so müsse man auch die dazu nötigen Mittel wollen und sich die dazu erforderlichen Behelfe von der russischen Regierung verschaffen. Das Staatsministerium war umso mehr für das Aufgeben der Untersuchungen gegen Ausgelieferte, als es der Herstellung ruhiger geordneter Zustände in Galizien keineswegs förderlich ist, wenn massenhaft fortuntersucht wird. Referent könne, auch von seinem Standpunkte als Kriegsminister, nur gegen die Abführung solcher resultatsloser Untersuchungen stimmen und beantragen, daß die ohne Beigebung von Akten auszuliefernden Individuen sofort und ohne Abstellung zum Kriegsgericht in ihre Heimat abgeschoben werden. Die bereits begonnenen Untersuchungen aber, wozu es an aktenmäßigen Belegen fehlt, wären aufzulassen. Endlich dürften Se. Majestät Allerhöchstsich vielleicht bestimmt finden, denjenigen Ausgelieferten, welche bloß auf ihr Geständnis hin verurteilt wurden, den Strafrest nachzusehen.

Der Polizeiminister fand, daß der letztere allgemeine Gnadenakt zu weit gehen würde und jetzt nicht an der Zeit sei; auch Freiherr v. Lichtenfels war der Ansicht, daß hinsichtlich der die Strafe noch Verbüßenden nur einzelne Gnadenanträge angezeigt wären. Der Minister des Äußern glaubt, daß die Zahl der noch in Haft befindlichen Ausgelieferten eine nur geringe sein dürfte. Für die Freilassung der Ausgelieferten von jeder Untersuchung und Strafe spreche auch der Umstand, daß Rußland selbst deren Bestrafung nicht verlangt; andererseits haben auch diese Leute in der Periode vor ihrer Auslieferung so viele Drangsale und Entbehrungen erlitten, daß sie wohl für hinlänglich betraft gelten können. Der Marineminister und Minister Ritter v. Hein würden nicht nur keine Untersuchung gegen Ausgelieferte fortsetzen oder neu beginnen, sondern selbst die in Haft befindlichen Verurteilten entlassen.

Allein die Stimmenmehrheit vereinigte sich zu dem au. Antrage, daß die noch künftig von Rußland ohne Aktenbelege Auszuliefernden, ohne Stellung vor das Kriegsgericht, sofort in ihre Heimat abzuschieben und die noch in Untersuchung befindlichen Ausgelieferten, gegen die keine andere Beschuldigung als ihre Beteiligung am Aufstande besteht, auch sofort in ihre Heimat abzuschieben seien8.

V. Behandlung der internierten Polen

Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer richteten an den Polizeiminister die Frage, ob es nicht an der Zeit sei, betreffs der künftigen Vorkehrungen mit den Internierten9 einen Beschluß zu fassen, da der Unterhalt und die Bewachung derselben eine erhebliche Last sind, die man nicht auf unbegrenzte Zeit hin übernehmen könne.

Minister Baron Mecséry erwiderte, die Zahl der Internierten sei bereits bedeutend herabgeschmolzen. Viele davon seien ins Ausland gegangen und eine namhafte Zahl habe sich dem Mexikanischen Korps10 angeschlossen. Die Gründe, warum man sich des Rests noch nicht entledigen konnte, sind, weil Rußland den dortigen Untertanen die Rückkehr nur gegen dem gestattet, daß daß sie sich einer gerichtlichen Untersuchung unterziehen, und weil einige unserer Nachbarstaaten sie bloß dann ins Land lassen wollen, wenn sie sich über den Besitz von Geldmitteln (in Sachsen z. B. 120 fl.) ausweisen. Eine weitere Schwierigkeit bezüglich mancher dieser Individuen besteht darin, daß man nicht konstatieren kann, ob ihre Angaben über Namen, Stand etc. der Wahrheit getreu sind, sondern diese Angaben sehr verdächtig erscheinen. Der Staatsminister deutete an, daß man, um sich eines Internierten zu entledigen, ihm oft selbst mit Nutzen ein Handgeld behufs seiner Aufnahme ins Ausland mitgeben könnte, worauf der Polizeiminister erwiderte, er werde dieses Auskunftsmittel in Anwendung zu bringen suchen. Der Minister des Äußern erklärte schließlich, er werde die Frage über die weitere Behandlung der Internierten in Petersburg zur Sprache bringen11.

VI. Ah. Sanktion der Gesetze über die Zuckersteuervergütung und über die Fortdauer der Steuererhöhungen im ersten Quartal 1865

Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog teilten dem Ministerrate mit, daß Höchstdieselben die beiden vom Herrenhause angenommenen Gesetze a) wegen Erhöhung der Zoll- und Steuerrückvergütung bei der Zuckerausfuhr12, und b) wegen Fortdauer der Steuer-, Stempel- und Gebührenerhöhung während der Monate Jänner, Februar und März 186513 wegen besonderer Dringlichkeit der Sache mittels direkten au. Präsidialvortrages zur Ah. Sanktion unterbreitet haben.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 20. Jänner 1865. Empfangen 20. Jänner 1865. Erzherzog Rainer.