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Vorwort - Retrodigitalisat (PDF)

Mit dem vorliegenden Band der Protokolle des österreichischen Ministerrates, der die Zeit von Dezember 1864 bis Ende Juli 1865 umfaßt, ist das Ministerium Erzherzog Rainer abgeschlossen. Es ist eine lange Periode, um die es sich hier handelt. Rainer wurde am 4. Februar 1861 zum Vorsitzenden des Ministerrates bestellt und am 22. Juli 1865 dieses Amtes enthoben. 585 Ministerratssitzungen fanden unter seiner Ägide statt. Neun Bände Ministerratsprotokolle, die zu publizieren waren, dokumentieren den unerbittlichen Fleiß, aber auch den politischen Gestaltungswillen jenes Ministeriums. Es war eine stürmische Zeit des Experimentierens, eine Periode, in der versucht wurde, das Reich mit den immer noch sehr differenten Strukturen in einen modernen zentralistischen Verfassungsstaat umzuwandeln. Der bereits lang andauernde Prozeß der Versuche, das (im Vergleich mit westeuropäischen Staaten) altertümliche Habsburgerreich strukturell zu modernisieren, ein Prozeß der Reformierung, der eigentlich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts andauerte und sich in Schüben vollzog, trat damit in eine letzte, entscheidende Phase. Von dieser Periode legen die Ministerratsprotokolle beredtes Zeugnis ab. Josef Redlich hat in seinem umfassenden Werk „Das österreichische Staats-und Reichsproblem“ die Ministerratsprotokolle bereits als Quelle benützt und die auf Ungarn bezogenen Tagesordnungspunkte hervorgehoben. Mit der Publikation aller Protokolle liegen nun historische Dokumente ersten Ranges vor, die eine Gesamtbeurteilung dieser wichtigen Periode der österreichischen Geschichte möglich machen, in der – außer der kurzen Zeit von 1848 – erstmalig konstitutionelle parlamentarische Formen geschaffen wurden. Freilich werden auch die Schwierigkeiten dieses Unterfangens sowie die Brüchigkeit des Gesamtsystems deutlich. Die Protokolle des vorliegenden Bandes demonstrieren zugleich auch das Scheitern dieser ersten Periode des zentralistisch-konstitutionellen Staates.

Die großen politischen Fragen, die staatsrechtliche Stellung Ungarns in der Habsburgermonarchie sowie die Finanzpolitik, die im wesentlichen der Konsolidierung des Budgets gewidmet sein mußte, und das Problem Kroatien im Gesamtreich stehen im Vordergrund. Die Debatten der Minister spiegeln aber darüber hinaus in aller Klarheit, etwas klarer als es bis jetzt in der Fachliteratur herausgearbeitet wurde, wider, wie sehr das Problem der Budgetkonsolidierung und die Umgestaltung des Gesamtstaates in eine dualistische Konzeption, die schließlich nur wenige Jahre später durchgeführt wurde, in engem Zusammenhang standen, wie sehr also die endgültige Lösung von 1867 von der Periode Erzherzog Rainer -Schmerling beeinflußt wurde. Das Ringen um konstitutionelle Formen – vor allem von Staatsminister Schmerling vorangetrieben und der offenbar als schwierig empfundene Umgang mit parlamentarischen Institutionen wird auch in den kleinen Details des Regierungsalltags sichtbar. Durch die Gesamtschau, die uns die nun geschlossen vorliegenden Protokolle der Ära Erzherzog Rainer und Mensdorff-Pouilly (1861–1865) bieten, wird zweifelsohne eine Neubewertung so mancher politischen Fragen in die Wege geleitet werden.

Es muß nicht betont werden, daß auch dieser Band wieder in enger Zusammenarbeit mit den ungarischen Kollegen des wissenschaftlichen Beirates durchgeführt wurde. Am 9. April 1997 wurde eine Sitzung des gemeinsamen wissenschaftlichen Beirates abgehalten, in der Perspektiven der zukünftigen gemeinsamen Zusammenarbeit und Fragen der Edition, auch die des vorliegenden Bandes, besprochen wurden. Den ungarischen Kollegen sei für alle weiterführenden Bemerkungen sehr gedankt, vor allem Imre Ress, der in seinem Gutachten über diesen Band seine volle Zustimmung zu Einleitung und Kommentar zum Ausdruck brachte.

Gedankt sei an dieser Stelle auch all jenen Institutionen und ihren Mitarbeitern, die den Band finanziell unterstützten: dem Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr, dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Österreich, dem Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, der Hochschuljubiläumsstiftung der Stadt Wien und der Wiener Magistratsabteilung für Stadtentwicklung und Stadtplanung, Gruppe Wissenschaft. Sie alle haben dazu beigetragen, dieses langjährige Unternehmen, das sich nun langsam seinem Abschluß zuneigt, fortzusetzen. Nicht minder gedankt sei aber auch den Mitarbeitern jener Institutionen, die durch ihr Wissen, ihre Kenntnisse und ihre Hilfsbereitschaft wesentlich zum Fortgang und zur Qualität der Arbeit beigetragen haben: den Beamten des Österreichischen Staatsarchivs, vor allem des Haus-, Hof-und Staatsarchivs, das den wertvollen Bestand der Ministerratsprotokolle beherbergt, und den Mitgliedern des Ungarischen Staatsarchivs.

Zum Schluß muß eines traurigen Ereignisses gedacht werden: Der gemeinsame Beirat und das Gesamtunternehmen der Edition hatten in diesem Jahr einen schweren Verlust zu beklagen. Peter Hanák, ein Gründungsmitglied der Edition Ministerratsprotokolle, Mitglied des ungarischen Komitees seit 1968 und Mitglied des gemeinsamen Beirates seit 1993, verstarb am 6. Oktober 1997 im 77. Lebensjahr in Budapest. Peter Hanák war alle Jahre hindurch spiritus rector des gemeinsamen Unternehmens, ein lebendiger Diskutant bei den Zusammenkünften und ein ideenreicher, ja leiden­schaftlicher Befürworter, wenn es um die gemeinsame gegenwärtige und zukünftige Zusammen­arbeit ging, die ihm persönlich sehr am Herzen lag. Er hat sein gesamtes wissenschaftliches Leben der Geschichte der Monarchie gewidmet, die ihn in all ihren Zusammenhängen interessierte und als kulturell vielfältiger Raum faszinierte und so im hohen Maß beigetragen, die gemeinsame – vorwiegend gar nicht harmonische – Geschichte Österreichs und Ungarns aufzuarbeiten. Er galt daher nicht nur als ein angesehenes Mitglied der ungarischen Historikergemeinschaft, sondern auch als Teil der österreichischen. In diesem Sinn hat er wahrlich politische Arbeit geleistet. Die österreichischen Mitarbeiter der Edition Ministerratsprotokolle brachten ihm viel mehr als landläufige Kollegialität entgegen, wohl wissend, wie verläßlich er der Edition und ihren Mitarbeitern verbunden war, selbst als in den kalten Zeiten der frühen siebziger Jahre die gemeinsame Zusammenarbeit aus politischen Gründen zum Stillstand verurteilt war. Er war uns ein wirklicher Freund.

Wien, im Februar 1998