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Nr. 514 Ministerrat, Wien, 20. November 1864 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Schurda; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 20. 11.), Mensdorff, Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Esterházy, Burger, Hein, Franck, Zichy, Kalchberg, Reichenstein 2. 12.; BdR. Erzherzog Rainer 6. 12.

MRZ. 1319 – KZ. 3643 –

Protokoll des zu Wien am 20. November 1864 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Haltung der Regierung in der Frage der Mandatserlöschung des Abgeordneten Karol Rogawski

Der Polizeiminister brachte die Frage zur Sprache, welche Haltung die Regierung einzunehmen haben wird, wenn das Abgeordnetenhaus etwa die angezeigte Mandatserlöschung des Abgeordneten Rogawski aus formellen Gründen anfechten rücksichtlich dieses Mandat aufrechterhalten wollte1. Er selbst glaube, daß der Verlust des Rogawskischen Mandates infolge seiner strafgerichtlichen Verurteilung außer allem Zweifel sei und daß die Regierung daran umso mehr festhalten müsse, als es sonst zu der Konsequenz führen würde, daß alles, was die Kriegsgerichte bisher getan haben, desavouiert wäre.

Der Staatsminister und der Minister Ritter v. Hein hielten den vorliegenden Fall der Mandatserlöschung für durchaus unzweifelhaft, zumal das Militärstrafgesetz die Tat des Rogawski ganz gleich wie das Zivilstrafgesetz behandelt, und sie stimmten dem Referenten umso mehr bei, als ihnen eine andere Haltung der Regierung im Hinblick auf die Konsequenzen eines Eingehens auf dieses Ansinnen gar nicht denkbar scheine. Der gleichen Meinung waren auch die übrigen Stimmführer.

Der Kriegsminister machte bei der Abstimmung auch bemerklich, daß ihn diese Frage auch persönlich berühren dürfte, wenn nämlich das Haus die Mitteilung der Strafakten verlangen sollte. Es sei bis jetzt eine solche Mitteilung nie geschehen, und || S. 285 PDF || er würde auch hier nicht gerne ein Präzedens geben. Indem er also diese Frage der Konferenz zur Entscheidung vorlege, müsse er sich selbst entschieden gegen eine solche Mitteilung ausprechen und es für genügend halten, daß höchstens das Urteil mitgeteilt werde. Der Staatsminister war auch der Meinung, daß die Mitteilung des Urteiles genügt. Gegenüber der Bemerkung der Vorstimme aber, daß eine Mitteilung der strafgerichtlichen Akten von Seite des Kriegsministeriums bisher nie stattfand, glaubte er nicht unbemerkt lassen zu sollen, daß dies in Hinkunft nicht immer durchführbar sein dürfte, indem, wenn es sich um den Anklagebeschluß handelt, aus den strafgerichtlichen Akten doch immer wenigstens so viel wird mitgeteilt werden müssen, als man daraus ersehen kann, ob es sich wirklich um dieses oder jenes Verbrechen handelt. Der Polizeiminister und der Staatsratspräsident meinten ebenfalls, daß hier nur das Urteil mitzuteilen sein wird. Beide waren aber im allgemeinen der Ansicht, daß eine Mitteilung der richterlichen Untersuchungsakten selbst nie stattfinden darf, indem man immer den Grundsatz festhalten muß, daß dem Abgeordnetenhause keine Judikatur zukomme. Wohl aber werde man stets, wo es sich um einen Anklagebeschluß handelt, die belastenden Momente dem Hause mitzuteilen haben, damit dasselbe in die Lage gesetzt werde, sich ein Urteil zu bilden. Der Minister Ritter v. Lasser würde sich im vorliegenden Falle ebenfalls auf die bloße Mitteilung des Urteiles beschränken. Die Tatsache der richterlichen Aburteilung genüge vollkommen, die Landtagswahlordnung unterscheide keineswegs, von wem die Aburteilung erfolgt ist. Auch die übrigen Stimmführer sprachen sich für die bloße Mitteilung des Urteiles aus2.

II. Haltung der Regierung in der Frage des Belagerungszustandes in Galizien

Der Polizeiminister referierte weiter: Eine zweite Frage, welche gleich bei der Adreßdebatte an das Ministerium herantreten wird und bezüglich welcher also die Konferenz schon jetzt einen Beschluß zu fassen hätte, sei die, ob die Regierung den galizischen Belagerungszustand3 nach § 13 oder als eine bloße Administrativmaßregel verhängt hat.

Würde man zugeben, daß dies ein legislativer Akt sei, der nur unter Berufung auf § 13 des Grundgesetzes vollzogen werden kann, so hätte es die Konsequenz, daß künftig eine derartige Maßregel nur mit Zustimmung der beiden Häuser ins Werk gesetzt werden könnte, wobei man aber in der Praxis auf die ärgsten Inkonvenienzen käme. Referent habe daher in Übereinstimmung mit dem Staatsminister in der Ausschußsitzung4 erklärt, daß die Regierung die Verhängung des galizischen Ausnahmszustandes nur als einen Akt der Exekutive ansehe. Von einer Seite des Hauses werde, wie Referent vernommen habe, die Ansicht vertreten, daß, wenn man es als eine reine Administrativmaßregel bezeichnet, damit das Verfassungsrecht in Frage stehe, weil mit der || S. 286 PDF || beliebigen Verhängung des Belagerungszustandes über ein Kronland auch die beliebige Suspendierung des Landtages zusammenfällt. Diese Anschauung dürfte sich aber damit leicht widerlegen lassen, daß der galizische Landtag nicht wegen des Belagerungszustandes, sondern aus denselben Ursachen und Verhältnissen suspendiert wurde, wegen welchen eben der letztere erklärt werden mußte5, und daß daher der Eintritt des Ausnahmszustandes nicht immer auch die Suspendierung der Landesvertretung notwendig zur Folge haben müsse. Referent glaube also, es wäre auch gegenüber dem Hause der Standpunkt, daß die Verhängung des Belagerungszustandes ein Akt der Exekutive ist, konsequent festzuhalten.

Der Staatsminister erörterte des näheren, daß die Sache nicht in die Kompetenz des Reichsrates gehöre, und schloß sich dem Referenten mit dem Bemerken an, daß man dem Hause wohl Aufklärungen über das Geschehen geben könne und geben werde, aber keinesfalls mit der Verpflichtung nach § 13. Der Staatsratspräsident bemerkte, er sei gleich ursprünglich der Meinung gewesen, aes lasse sich einigermaßen behauptena, daß die Verhängung des Belagerungsstandes nicht in die Kompetenz des Reichsrates gehöre und die Regierung eine solche Maßregel, sobald sie sich notwendig zeigt, auch während der Session des Reichsrates ohne dessen Mitwirkung treffen könne. Gleichwohl wolle er aber nicht leugnen, daß sich auch die andere Ansicht vertreten lasse. Sieht man z. B. auf Preußen, so findet man, daß dort von der Regierung im Falle der Verhängung eines Ausnahmszustandes dem Landtage eine Denkschrift vorgelegt wird, welche am Schlusse eine Rechtfertigung dieser Maßregel enthält6. Nach dieser Analogie hätte also im vorliegenden Falle der § 13 in Anwendung zu kommen. Allein, wenn man wieder die praktische Seite bei uns ins Auge faßt, so könne man sich wohl nicht der Unzukömmlichkeit eines solchen Schrittes verschließen. Votant stimme also dem Referenten bei, obschon er nicht verkenne, daß die Vertretung dieses Standpunktes einige Schwierigkeiten haben wird. Der Minister Ritter v. Lasser hielt es für das angemessenste und zweckmäßigste, dem Hause zu erklären, daß die Verhängung des Belagerungszustandes immer nur als ein Akt der obersten Staatsraison und des Selbsterhaltungsrechtes anzusehen ist, welcher im entscheidenden Momente ergriffen werden muß, ohne erst hiebei auf die Reichsvertretung reflektieren zu können. bDer Akt selbst, der übrigens nicht bloß eine Suspension von Justizgesetzen in sich fasse, sondern wesentlich darin bestehe, daß wegen Unzureichenheit der Zivilgewalt der Militärmacht die unmittelbare Aktion mit diskretionären Befugnissen übergeben werden muß, greife allerdings so sehr in das öffentliche Leben ein, daß die Regierung, obwohl der Fall in der Verfassung nicht vorgesehen ist, nicht umhin könne, dem Reichsrate hievon unter Eröffnung der motivierenden Umstände die Mitteilung zu machen. Nur aus diesem Grunde, nicht aber kraft § 13 der Verfassung geschah auch schon in der Thronrede Erwähnung, b Der Akt selbst, der übrigens nicht bloß eine Suspension von Justizgesetzen in sich fasse, sondern wesentlich darin bestehe, daß wegen Unzureichenheit der Zivilgewalt der Militärmacht die unmittelbare Aktion mit diskretionären Befugnissen übergeben werden muß, greife allerdings so sehr in das öffentliche Leben ein, daß die Regierung, obwohl der Fall in der Verfassung nicht vorgesehen ist, nicht umhin könne, dem Reichsrate hievon unter Eröffnung der || S. 287 PDF || motivierenden Umstände die Mitteilung zu machen. Nur aus diesem Grunde, nicht aber kraft § 13 der Verfassung geschah auch schon in der Thronrede Erwähnung7. Er glaubte übrigens nicht unbemerkt lassen zu sollen, ob es mit der Zeit nicht angezeigt, ja notwendig sein dürfte, ein eigenes Belagerungsgesetz im verfassungsmäßigen Wege zustande zu bringen, welches das Recht der Regierung festsetzt, in gewissen Fällen den Belagerungszustand ohne weiters eintreten zu lassen.

Den übrigen Stimmführern ergab sich keine Bemerkung, und die Konferenz war somit darüber einig, daß gegenüber dem Hause die Verpflichtung der Regierung, den Belagerungszustand Galiziens gemäß § 13 zu rechtfertigen, nicht zugegeben werden darf8.

III. Potockis Verdächtigung der Krakauer Militärbehörde der anfänglichen Unterstützung der Insurrektion

Der Polizeiminister teilte sodann der Konferenz mit, Graf Potocki habe im Ausschusse9 gesagt, er habe Beweise, daß die Regierung anfangs die Insurrektion in Krakau unterstützte, und zwar derart, daß von dem dortigen Militärkommando ein Befehl des Inhalts erlassen wurde, daß jeder Militär für das ihm etwa in Verlust geratene Gewehr 15 fl. zu bezahlen hat. Wenn das Immunitätsgesetz, meinte Referent, nicht bestünde, wäre Potocki ganz einfach als ein Verleumder der Krakauer Militärbehörde zu belangen, indem sich diese Aussage nach der im telegrafischen Wege eingeholten Erkundigung10 als eine reine Lüge darstellt. Es frage sich aber nur, ob denn Potocki wegen dieser direkten Beschuldigung des Militärkommandos doch nicht derart zu fassen wäre, daß man ihn auffordert, die Beweise, deren er sich rühmt, in der Tat zu liefern, wo dann seine Lüge zutage treten wird.

Der Kriegsminister entbot sich, die Sache durch Abverlangung eines genauen Berichtes von Seite des Krakauer Militärkommandos ganz sicher zu stellen, womit man sich allseitig einverstanden erklärte, Minister Ritter v. Lasser mit dem Bemerken, daß es aber dann angezeigt wäre, mit der Sache vor das Plenum des Hauses zu treten, indem eine Zurechtweisung des Potocki bloß im Ausschusse von keiner Wirkung sein dürfte11.

IV. Übertragung der Lokalpolizei an die Gemeinden

Der Polizeiminister referierte, es gehe bekanntlich neuerer Zeit die Strömung bei allen Vertretungen12, die Handhabung der Lokalpolizei in ihrem ganzen Umfange in den Wirkungskreis der Gemeinden zu bekommen13. Freiherr v. Mecséry glaube aber, || S. 288 PDF || an dem Grundsatze festhalten zu müssen, daß die Polizei in die Hände der Kommune nicht zu legen sei. Das Recht der Staatsverwaltung zur Handhabung der Polizei könne wohl von niemandem bestritten werden, und ebensowenig lasse sich die Opportunität in Zweifel ziehen. Er gedenke daher derlei Ansinnen mit der Erklärung entgegenzutreten, daß die Regierung nicht geneigt sei, in dieser Beziehung etwas an die Gemeinden abzutreten. Die Konferenz war damit einverstanden14.

V. Einstellung der Verfahren gegen drei in Voruntersuchung befindliche galizische Abgeordnete

Der Staatsminister referierte, es sei gegen die galizischen Abgeordneten Horodyski, Kirchmayer und Hubicki eine strafgerichtliche Untersuchung anhängig. Gegen Horodyski wegen des Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe, es wurden nämlich bei ihm Kriegsrüstungsgegenstände versteckt gefunden. Die bisherigen Erhebungen seien jedoch mangelhaft und müssen noch ergänzt werden. Kirchmayer wird beschuldigt, Steuer für Zwecke der Revolution gezahlt zu haben, das Kriegsgericht konnte sich aber nicht veranlaßt finden, das kriegsgerichtliche Verfahren gegen ihn einzuleiten. Gegen Hubicki liegen Inzichten vor, daß er den Agenten der Krakauer Feuerversicherungsanstalt Gomoliński zum revolutionären Stadtchef bestellt und beeidet habe. Auch hier findet das Kriegsgericht diese Vorlagen zur Einleitung der strafgerichtlichen Untersuchung nicht hinreichend. Da aus allem diesem hervorgehe, daß das Kriegsgericht überhaupt nicht gesonnen ist, gegen die drei Genannten weiter zu gehen, so glaube der Staatsminister, es der hohen Konferenz, namentlich dem Kriegsminister anheimzustellen, ob nicht von jeder weiteren Untersuchung gegen diese drei Abgeordneten sogleich abzulassen wäre.

Der Kriegsminister bemerkte, daß dieses bezüglich des Hubicki bereits geschehen sei, und daß er wegen der zwei anderen in dieser Richtung sofort von dem Kommandierenden [General] Bericht abverlangen werde.

Hierwegen ergab sich keine Erinnerung15.

VI. Antrag der Staatsschuldenkontrollkommission auf Bewilligung von höheren Gehältern für die ihr zugewiesenen Beamten

Der Finanzminister referierte, die reichsrätliche Staatsschuldenkontrollkommission habe in ihrem Berichte vom 7. Oktober den Antrag gestellt, das Abgeordnetenhaus wolle für die der Kontrollkommission als Hilfsarbeiter zugeteilten Beamten feste Bezüge, und zwar für den ersten ein Jahresgehalt von 1890 fl. und 315 fl. Quartiergeld, für den zweiten ein Gehalt von 1680 fl. und 315 fl. Quartiergeld, für den dritten ein Jahresgehalt von 945 fl. und 210 fl. Quartiergeld bewilligen16. Es handle sich hier um das || S. 289 PDF || Prinzip, ob der Kontrollkommission zusteht, einen solchen Antrag zu stellen. Die Bestimmungen des Gesetzes vom 13. Dezember 1862 17 geben keinen Anhaltspunkt zu der Annahme, daß die Kommission solche Organisierungsanträge machen könne. Ein anderes wäre es, wenn die Kontrollkommission sagen würde, daß, nachdem diese Beamten sehr verwendbar und in ihrer Dienstleistung sehr angestrengt sind, das Haus ihnen Remunerationen bewilligen möge, denn das würde nicht dem Gesetze widerlaufen. Aber ein solcher Antrag, wie der vorliegende, erscheine prinzipiell unzulässig, und Referent glaube daher, darauf antragen zu sollen, es sei hierwegen zu erklären, daß die Kontrollkommission nicht berechtigt ist, einen solchen Antrag vor das Haus zu bringen, und daß die Regierung nicht in der Lage sein wird, denselben Sr. Majestät zur Ah. Sanktion vorzulegen.

Die Konferenz war damit vollkommen einverstanden18.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 5. Dezember 1864. Empfangen 6. Dezember 1864. Erzherzog Rainer.