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Nr. 495 Ministerrat, Wien, 7. Oktober 1864 – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 10. 10.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Plener, Kalchberg; außerdem anw. Hock, Biegeleben; BdR. Erzherzog Rainer 16. 10.

MRZ. 1299 – KZ. 3063 –

Protokoll I des zu Wien am 7. Oktober 1864 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Verhandlungen mit Preußen in Zollangelegenheiten

Sektionschef Freiherr v. Hock referierte über die von ihm zu Prag mit dem preußischen Abgeordneten gepflogenen Verhandlungen in Zollangelegenheiten.

Zum Ausgangspunkte des Referates wurde die anverwahrte Punktationa genommen, welche die Beschlüsse des Ministerrates vom 2. August 1864 enthält, welche Beschlüsse allen seither in der österreichisch-deutschen Zollangelegenheit von hier aus gemachten Schritten zur Grundlage dienten1. Referent erwähnte hierauf, daß das preußische Kabinett in Erwiderung der diesseitigen kategorischen Note vom 28. Julius 18642 unterm 25. August erklärt habe, es sei in der Lage, die Verhandlungen mit Österreich vor Ratifikation des Handelsvertrages mit Frankreich einzuleiten, und daß die Frage der Zolleinigung zwar nicht vorhinein zuzugestehen, wohl aber zu einem Verhandlungsgegenstande geeignet sei3. Mündlich habe Herr v. Bismarck die Verwendung seines Einflusses im Sinne der Wünsche Österreichs zugesagt. Von Seite Österreichs habe man geglaubt, diese Erwiderung als eine zusagende ansehen zu können, und Baron Hock wurde nach Prag entsendet, wo er aber, statt des Staatsrates v. Delbrück, den geheimen Finanzrat Hasselbach fand, einen Mann von nicht bedeutender Befähigung und ohne allen Einfluß im preußischen Ministerium, der zudem nicht einmal mit einer königlichen || S. 159 PDF || Vollmacht zur Verhandlung versehen war. Referent habe daher vorgeschlagen, daß auf österreichischer Seite die Verhandlung einem mehr untergeordneten Beamten, einem Sektionsrate, anvertraut werde, um unsere Verhandlungsform mit jener Preußens in Übereinstimmung zu bringen, das Ministerium des Äußern sei jedoch darauf nicht eingegangen4. Minister Graf Rechberg ergriff hierüber das Wort um zu bemerken, daß in formaler Beziehung kein wesentlicher Anstand gegen die Führung der Verhandlungen durch Baron Hock mit Hasselbach bestanden habe, indem letzterer mit dem ersteren zwar dem Range nach nicht gleichstehe, aber doch, eben behufs der Annäherung, unmittelbar vor Eröffnung der Verhandlungen zum geheimen Oberfinanzrat, ist gleich Ministerialrat, befördert worden sei. Die Ausstattung desselben mit einer königlichen Vollmacht sei keineswegs nötig gewesen, da die beiderseitigen Delegierten so wie Preußen und Österreich für sich ohnehin nichts definitiv feststellen können, sondern erst die Zustimmung der Bundesstaaten eingeholt werden muß. Eben darum werden auch die Verabredungen der Delegierten nur paraphiert. Graf Rechberg habe daher geglaubt, daß man die Verhandlungen sofort beginnen solle, um die Aufrichtigkeit der Bismarckschen Zusagen zu konstatieren und die Angelegenheit einer schnellen Entwicklung zuzuführen5. Freiherr v. Hock berichtete weiters, daß er gemäß den ihm erteilten Aufträgen am 14. September, anknüpfend an die mit Hasselbach im März 1864 gepflogenen Besprechungen6, die Verhandlungen begonnen habe. Hiebei wurde die Anbahnung der allgemeinen deutschen Zolleinigung als einer der Zwecke des Vertrags und das Jahr 1872 als der Zeitpunkt anerkannt, wo über die Zolleinigung zu verhandeln sei. Ebenso erklärte man sich, über Antrag Preußens, beiderseits einverstanden, daß man durch dieses Anerkenntnis die Autonomie der kontrahierenden Staaten in der Handels- und Zollgesetzgebung zu beschränken keineswegs gewillt sei. Man vereinigte sich ferner über mehrere bedeutende gegenseitige allgemeine Erleichterungen des Verkehrs und über mehrere nicht unwichtige Zollbefreiungen und Zollbegünstigungen. Endlich war Einverständnis darüber, daß der Vertrag erst dann gültig sein solle, wenn die durch Art. 31 des Handelsvertrags mit Frankreich7 geschaffenen Hindernisse behoben und wenn ihm diejenigen Zollvereinsstaaten beigetreten sein würden, welche dem Vertrage vom 19. Feburar 18538 beigetreten sind. In Absicht auf die von uns gewünschte Zollbegünstigung für Wein und die preußischerseits verlangte Gegenkonzession für Webe- und Wirkwaren schienen die beiderseitigen Ansichten wenigstens genähert und prinzipielle Bedenken beseitigt. Die Arbeiten der Bevollmächtigten neigten sich ihrem Ende zu, als am 27. September dem preußischen Bevollmächtigten neue Instruktionen zukamen9. Dieselben enthielten die Weigerung, einen Zeitpunkt festzustellen, in welchem über die Zolleinigung verhandelt werden solle. || S. 160 PDF || Sie enthielten ferner die Nichtannahme verschiedener Vermittlungsvorschläge, welche die beiderseitigen Bevollmächtigten zur Ausgleichung mancher bestehenden Differenzen in technischen Angelegenheiten vereinbart hatten, und die Zurückweisung verschiedener ebenfalls vereinbarter Verkehrserleichterungen. Dieser Vorgang sei vom Referenten als ein Zeichen betrachtet worden, daß es der preußischen Regierung um einen Vertragsabschluß und überhaupt um eine Ausgleichung mit Österreich auf billiger, die beiderseitigen Bedürfnisse und Rechte anerkennender Grundlage nicht zu tun sei. Bei diesem Umstande und da er über die nach Wien gerichteten Anfragen keine Erledigung erhielt, sei Baron Hock mit Hasselbach übereingekommen, Prag auf einige Zeit zu verlassen, um sich neue Instruktionen zu holen. Um aber nicht ohne ausdrücklichen Antrag die Konferenzen als abgebrochen darzustellen, behielten sie ihre Quartiere, ließen ihre Sekretäre in Prag zurück und kamen überein, daß derjenige aus ihnen, welcher der erste sich zur Wiederaufnahme der Verhandlung gerüstet glaube, den Mitbevollmächtigten benachrichtigen, und sobald er von diesem eine Antwort im gleichen Sinn erhalten habe, wieder nach Prag sich begeben solle. Referent schloß seinen Bericht mit der Bemerkung, daß er durch die mittlerweile erfolgte hohe Erledigung seiner Anträge in den Stand gesetzt sei, wenn nicht andere Hindernisse vorhanden sind, dem Herrn Hasselbach die Mitteilung zu machen, daß der Wiederaufnahme der Verhandlungen in Prag seinerseits ein Hindernis nicht im Weg stehe10.

Der Minister des Äußern sprach sich dafür aus, daß, wofern Preußen sich wenigstens zum Prinzip der Zolleinigung nach § 25 des Februarvertrages11 bekennt, die Verhandlungen wieder aufzunehmen und, im Sinn der Abmachungen von 1853, mit Beiziehung von Bayern und Sachsen, fortzusetzen wären. Durch die Teilnahme dieser zwei Regierungen wird unsere Stellung eine wesentlich günstigere, die Verhandlungen können einen definitiven Charakter annehmen, und es ist dadurch die Möglichkeit eines für uns befriedigenden Ausganges angebahnt, wogegen es sehr unerwünscht wäre, schon jetzt die weitere Verhandlung abbrechen zu müssen. Sektionschef Baron Hock erklärt sich vor allem gegen die Fortsetzung der Verhandlungen in Prag, und zwar mit einem Manne ohne königliche Vollmacht. Man ist in Prag von den beiden Kabinetten zu entfernt und ohne Mittel, auf dieselben einzuwirken. Bei der unverhüllten Abneigung Preußens gegen den Abschluß des von uns gewünschten Vertrages sollten ferner die Verhandlungen nicht wieder aufgenommen werden, wenn es nicht gewisse Vorbedingungen erfüllt, welche außer Zweifel stellen, daß es dieser Macht nicht um eine Täuschung Österreichs oder um ein Hinausschieben der Verhandlung bis zu einem Zeitpunkt handelt, wo der Vertrag mit Frankreich die Realisierung unserer Wünsche unmöglich macht. Diese Vorbedingungen wären folgende: Die künftige Zolleinigung mit Deutschland im Sinne des § 25 des Februarvertrags muß vorbehalten werden. Besser man schließet gar keinen Vertrag mit dem Zollverein ab, || S. 161 PDF || als daß man den Grundsatz des Art. XIX der Bundesakte12 antastet und die aus dem Februarvertrag entsprungenen Rechte aufgibt. Wir müssen als Ersatz für den gemäß des [preußisch-] französischen Vertrags für uns eintretenden Wegfall vieler Zollbegünstigungen wesentliche allgemeine Verkehrserleichterungen erhalten. Das Recht, unsere Zwischenzölle nach Maß der vereinsländischen Zollreduktionen zu erhöhen, ist zu wahren, nachdem die Ursprungszeugnisse keine gehörige Sicherheit gewähren. Für unseren Wein muß eine Begünstigung zuerkannt werden. Wenn endlich die Beiziehung von Sachsen und Bayern zu den Verhandlungen nach den bestehenden Zollvereins­verträgen unvermeidlich ist, so müsse man doch dagegen protestieren, daß diesen beiden Staaten von Seite der Gesamtheit der Zollvereinsstaaten bindende Instruktionen erteilt würden, was jeden Fortschritt der Unterhandlungen erfahrungsgemäß auf das nachteiligste lähmt. Für den Fall, [daß] Preußen auf jene Vorbedingungen nicht eingeht, wären die Verhandlungen mit dem Zollverein sogleich förmlich abzubrechen, und, statt uns durch [deren] erfolglose Fortsetzung in der öffentlichen Achtung herabzusetzen, hätte man sofort Negotiationen wegen des Abschlusses eines Zollvertrages mit Frankreich anzuknüpfen. Der zu verabredende Zolltarif wird im Reichsrate wohl keine ernsten Anfechtungen erfahren, zumal österreichischerseits keine großen Opfer gebracht werden dürften, um in Frankreich die Gleichstellung mit der am meisten begünstigten Nation zu erwirken. Der Finanzminister äußerte mit Beziehung auf seine früher in derselben Angelegenheit abgegebenen Voten, der Abschluß von Zollverträgen, und zwar in erster Linie mit dem deutschen Zollverein, erscheine ihm schon aus dem Gesichtspunkte wünschenswert, damit Österreich inmitten der dem Freihandelsprinzip huldigenden Staaten nicht in eine bedauerliche kommerzielle und industrielle Isolierung komme. Den allenthalben vorhandenen freihändlerischen Bestrebungen gegenüber könne Österreich nicht die Augen verschließen und sich mit einer chinesischen Mauer umgeben, die nur eine traurige Stagnation zur Folge hätte. In bezug auf den Gang der weiteren Verhandlungen mit Preußen teile der Minister die Anschauungen des Grafen Rechberg, wonach man mit Preußen in definitive Verhandlungen unter Beiziehung Sachsens und Bayerns einzutreten hätte, sobald Preußen das Prinzip der künftigen Zolleinigung nach § 25 mit Fixierung eines neuen Termines annimmt. Die Frage wegen des Zollvertrages mit Frankreich dürfte erst dann ins Auge gefaßt werden, wenn man die Überzeugung gewonnen hat, daß ein Übereinkommen mit dem Zollverein nicht möglich ist. Der Leiter des Handelsministeriums vereinigte sich gleichfalls mit dem Antrag des Ministers des Äußern und wünschte ein überstürztes Abbrechen der Verhandlungen mit Preußen zu vermeiden. Darüber, daß Prag kein geeigneter Ort für die Verhandlungen ist, und über die Notwendigkeit, unsere Freiheit bezüglich einer verhältnismäßigen Erhöhung der Zwischenzölle zu wahren, ist Baron Kalchberg ganz der Meinung des Referenten. Die merkantilen Vorteile eines Zollvertrages mit Frankreich dürften seinerzeit näher ins Auge zu fassen sein. Hofrat v. Biegeleben bemerkte, das Schicksal der mit den drei deutschen Regierungen zu führenden Verhandlungen sei wesentlich dadurch bedingt, ob Preußen auf unsere Anträge eingehen will. Um hierüber näheres zu erfahren und eine Art Garantie gegen das Mißlingen der Schritte zu || S. 162 PDF || gewinnen, wäre es daher angezeigt, eine bestimmte Anfrage vorläufig nach Berlin zu richten, welche eine Art von Ultimatum enthielte. Der Staatsminister legte einen hohen Wert darauf, daß man dermal wenigstens keine Rückschritte vom Februarvertrag mache und nicht ins Blaue hinaus lange Verhandlungen pflege, wobei wir schließlich die Rolle eines Düpierten spielen. Darum müsse man sich vor allem der Annahme des Prinzips der Zolleinigung im Sinn des § 25 mit Fixierung eines neuen Termines versichern. Die weiteren für Österreich wichtigen Punkte können dann gleich in den ersten Tagen der Verhandlungen zur Sprache gebracht und ausgetragen werden, so daß man erforderlichenfalls ohne großen Zeitverlust zum Abbruche schreiten kann. bBevor man aber in den Beginn der Verhandlungen eintrete, müsse das obgedachte Prinzip bestimmt anerkannt seinb . Der Polizeiminister fand die dem preußischen Bevollmächtigten zugekommenen neuen Instruktionen so schroff ablehnend, daß man wohl kaum eine Hoffnung nähren kann, zu einem annehmbaren Übereinkommen zu gelangen. Je eher man darüber völlig ins klare kommt, je besser ist es, damit weiteren Verschleppungen vorgebeugt wird und Österreich ohne Verzug die weiteren Maßnahmen im eigenen Interesse ergreifen kann. Zu diesem Zwecke wäre daher eine kategorische Anfrage über das Prinzip des § 25 und über eine oder die andere der vom Referenten als sine qua non bezeichneten Bedingungen ohne Verzug nach Berlin zu richten, mit dem Bedeuten, daß von der zustimmenden Erwiderung hierauf das Eingehen auf weitere Verhandlungen abhängt. Die möglichste Beschleunigung ist auch aus dem Gesichtspunkte rätlich, damit die Verhandlungen mit Frankreich noch vor Eröffnung des Reichsrates beginnen können.

Im Laufe der über die vorhandene Meinungsverschiedenheit gepflogenen längeren Erörterung, versicherte Freiherr v. Hock , daß er nicht den geringsten Zweifel darüber hege, wie man preußischerseits entschiedener als je sei, nicht nachzugeben. Schon der Umstand spricht dies aus, daß man nicht einmal das Wiederaufnehmen der Verhandlungen wegen der eventuellen Zolleinigung im Jahre 1872 stipulieren will, obgleich diese Konzession harmlos, ja eigentlich nichtssagend ist, weil sie zu gar nichts Reellem bindet. Und dennoch! Darum bringe man die Sache baldigst zur Entscheidung! Ein preußisches „Nein“ ist für uns besser als das Forsetzen resultatloser Verhandlungen, die uns lächerlich machen und die Regierung daran hindern, vor den Reichsrat mit dem Fait accompli der begonnenen Unterhandlungen mit Frankreich hinzutreten. Der Minister des Äußern erklärte den gegenwärtigen Moment für den ungünstigsten, um Preußen zu einem Ultimatum zu drängen. Denn eben jetzt ist Graf [sic!] Bismarck von Berlin abwesend, der dort eine Hauptstütze für unsere Wünsche sein würde, wie er es während seines Aufenthalts in Wien versprochen hat. Die entschiedensten Gegner der Einigung mit Österreich, Delbrück und Konsorten, führen dort allein das Wort, und ist einmal das Nein vom Berliner Hofe ausgesprochen worden, so wird er sich durch alle Vorstellungen deutscher Mächte nicht zur Zurücknahme bestimmen lassen. Im Lauf der Verhandlungen dagegen könnten Sachsen und Bayern ihren Einfluß noch mit Erfolg geltend machen. Man spreche von Zeitverlust, von Beschleunigung. Allein bei aller Beschleunigung werde man doch nimmermehr so weit kommen, daß die || S. 163 PDF || Unterhandlungen mit Frankreich schon vor Beginn der Reichsratsession eröffnet werden könnten! Weit schlimmer als der Zeitverlust sei das gänzliche Scheitern der Verhandlung, die bei geeigneter Behandlung doch noch zu einem annehmbaren Ziele führen kann. Aus diesen Gründen müsse der Minister des Äußern auf das entschiedenste gegen die vom Referenten und dem Polizeiminister beantragten kategorischen Erklärungen nach Berlin protestieren, mit dem Beifügen, daß er für ein solches Vorgehen die Verantwortung durchaus nicht übernehmen könne13,c .

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 15. Oktober 1864. Empfangen 18. Oktober 1864. Erzherzog Rainer.