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Nr. 467 Ministerrat, Wien, 25. April 1864 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 27. 4.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Esterházy, Burger, Hein, Zichy (keine BdE.), Schiller; abw. Franck; BdR. Erzherzog Rainer 11. 5.

MRZ. 1271 – KZ. 1389 –

Protokoll des zu Wien am 25. April 1864 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzoges Rainer.

I. Begünstigungen der Allgemeinen Österreichischen Boden-Credit-Anstalt dies- und jenseits der Leitha

Der Präsident des Staatsrates referierte a) über den Vortrag der ungarischen Hofkanzlei vom 3. März 1864 1 betreffend das Gesuch der Allgemeinen Österreichischen Boden-Credit-Anstalt um Erlassung eines k[öniglichen] Reskripts mit denjenigen Weisungen an die ungarische Gerichtsbehörden, wie solche bezüglich der Ungarischen Boden-Credit-Anstalt unterm 18. September 1863 Ag. genehmigt worden sind2; und b) über den Vortrag des Ministers Ritter v. Lasser vom 4. April 1864 wegen Kundmachung der der Allgemeinen Österreichischen Boden-Credit-Anstalt Ah. bewilligten Begünstigungen mittels einer von den beteiligten Ministerien und den drei Hofkanzleien gemeinschaftlich für das ganze Reich zu erlassenden Verordnung im Reichsgesetzblatt3. Referent analysierte die Differenzen, welche zwischen dem Reskriptsentwurfe der Hofkanzlei und der Textierung der Allgemeinen Österreichischen Boden-Credit-Anstalt bezüglich einiger Paragraphen obwalten, zeigte, daß die letztere Textierung aden bestehenden Kompetenzgesetzena besser entspricht, und las den vom Staatsrat proponierten Resolutionsentwurf, wodurch die Berichtigung angeordnet wird4. Hierauf wandte sich Referent zum Vortrage b) des Ministers Ritter v. Lasser, welcher der Ansicht ist, es bedürfe keines besonderen Ah. Reskripts, um den für das ganze Reich verbindlich Ah. erlassenen statutarischen Bestimmungen ohne Unterschied in Ungarn verbindliche Kraft zu verleihen. Nachdem aber die ungarische Hofkanzlei diese Meinung nicht teilt und allein unter allen Zentralbehörden sich dagegen erklärt hat, bittet der Minister selbe zur Mitfertigung der für das ganze Reich verbindlichen Ministerialvollzugsverordnung Ah. anzuweisen. In Beziehung auf die bWirksamkeit der Kreditanstaltb || S. 354 PDF || für das ganze Reich teilt der Staatsrat sowie dessen Präsident die Meinung des Ministers, nicht aber bezüglich des von demselben vorgeschlagenen Kundmachungsmodus cder Ausnahmsbestimmungen von den Justizgesetzenc exklusiv durch das Reichsgesetzblatt. Die Kundmachung der der Allgemeinen Österreichischen Boden-Credit-Anstalt aufgrund des § 13 des Grundgesetzes zu gewährenden Ausnahmen habe allerdings durch das Reichsgesetzblatt zu geschehen. Allein durch diese Kundmachung erhalten nur jene Ausnahmsbestimmungen, welche zu dem Wirkungskreis des gesamten Reichsrates gehören, für den ganzen Umfang des Reiches, die übrigen aber nur für die im engeren Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder und für die Militärgrenze verbindende Kraft. Sofern aber die letzteren Ausnahmsbestimmungen, welche in den Ländern diesseits der Leitha, falls der engere Reichsrat versammelt wäre, dessen Wirksamkeit berühren würden, in den Ländern der ungarischen Krone Wirksamkeit erhalten sollen, genügt diese Kundmachung durch das Reichsgesetzblatt nicht, selbst wenn sie von den drei Hofkanzleien mitgefertigt wäre, da hiedurch die Landesgesetzgebung teilweise abgeändert werden soll, was nur im Wege der Landesgesetzgebung und bei nichtversammeltem Landtage im Wege eines königlichen Reskriptes geschehen und auf die in diesen Ländern übliche Weise kundgemacht werden kann. Die hieraus resultierenden verschieden­artigen und geteilten Kundmachungen seien bedauerlich, aber eine notwendige Folge des Diploms vom 20. Oktober5 und des Umstandes, daß die ungarischen Justizgesetze nicht mit Anwendung des § 13 geändert werden können, wie es im ministeriellen Verordnungsentwurfe geschieht.

Minister Ritter v. Lasser rügte, daß, während die ungarische Hofkanzlei an den Verhandlungen über die Statuten der Allgemeinen Österreichischen Boden-Credit-Anstalt im Ministerialvereins­komitee und im Ministerrate teilgenommen und den Beschlüssen zugestimmt habe, sie gegenwärtig die Form der Kundmachung mittels Reskripts benützen wollte, um einseitig Bestimmungen hinauszugeben, welche mit den Ah. genehmigten Statuten und den k[öniglichen] Anordnungen über die Vollstreckung gerichtlicher Erkenntnisse in Ungarn nicht in Einklang stehen. Die Worte „wirksam für das ganze Reich“ müssen auch im Vereinswesen eine Wahrheit werden. Dieses vorausgesetzt, finde Ritter v. Lasser gegen die vom Staatsrate vorgeschlagene Form der Erlassung eines k[öniglichen] Reskripts über die Ausnahmen von der judiziellen Gesetzgebung nichts zu erinnern. Wofern der Ministerrat und über dessen au. Antrag Se. Majestät der Kaiser sich dafür zu entscheiden geruhen, würde der Minister zwei getrennte Publikationen ausarbeiten lassen, wovon die eine die finanziellen, für das ganze Reich gültigen, die andere bloß die judiziellen Begünstigungen enthielte, bezüglich welcher eine Differenz in der Kundmachung einzutreten hat. Der Text dieser Kundmachungen wird sodann im Schoße des Vereinskomitees mit Zuziehung der Repräsentanten der drei Hofkanzleien eindringlich geprüft werden, wobei letztere die ihnen wünschenswerten Änderungen, wodurch am Wesen nichts geändert wird, in Antrag bringen können. Der Staatsratspräsident erklärte, daß dieser Vorgang ganz seinem eigenen Antrage || S. 355 PDF || entsprechen würde, und es dürfte die Ah. Entschließung über den Vortrag des Staatsministeriums lauten: „Die Bestimmungen der Statuten der Allgemeinen Österreichischen Boden-Credit-Anstalt, hinsichtlich welcher zufolge Meiner Entschließung vom 15. Juni 1863 in Gemäßheit des § 13 des Grundgesetzes vom 26. Februar 1861 vorzugehen ist, sind, soweit sie Gegenstände des Gesamtreichsrates betreffen, als für den ganzen Umfang des Reiches, soweit sie aber andere Zweige der Gesetzgebung berühren, als für die im engeren Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder, dann für die Militärgrenze wirksam, durch das Reichsgesetzblatt kundzumachen. Bezüglich der Wirksamkeit der nicht in das Gebiet der vor den Gesamtreichsrat gehörigen Gegenstände einschlagenden Ausnahmsbestimmungen in den Ländern Meiner ungarischen Krone bleibt es Meinen Hofkanzleien überlassen, Mir im Vernehmen mit dem Staatsministerium über Einschreiten der Allgemeinen Österreichischen Boden-Credit-Anstalt ihre Anträge zu erstatten.“

Die übrigen Stimmführer traten den Anträgen des Staatsratspräsidenten bei6.

II. Behandlung der disponiblen Beamten nach dem 1. Jänner 1864

Der Präsident des Staatsrates referierte über den Vortrag des Finanzministers vom 24. März 1864, Z. 130977, betreffend den Ersatz der Übergenüsse jener disponiblen Staatsdiener, welche infolge der eingeleiteten Sichtung erst nach Ablauf der mit Ende Dezember 1863 ausgegangenen Begünstigungsfrist der normalmäßigen Behandlung unterzogen worden sind. Der Finanzminister erbat sich einverständlich mit den übrigen Zentralstellen in diesem au. Vortrag die Ah. Ermächtigung, den Ersatz jener Übergenüsse, welche die der normalmäßigen Behandlung nach Ablauf der Begünstigungsdauer unterzogenen disponiblen Staatsdiener seit dem 1. Jänner 1864 bezogen haben, in besonders rücksichtswürdigen Fällen über ihr Einschreiten und im Vernehmen mit den dabei beteiligten Zentralstellen nachzusehen. Die Stimmenmehrheit des Staatsrates ist dem ministeriellen Antrage beigetreten8. Der Staatsratspräsident aber bemerkte, daß die vom Minister getroffenen und in diesem Vortrage zur Ah. Kenntnis gebrachten Verfügungen und die gestellten Anträge den bisher ausgesprochenen Ag. Absichten bezüglich der disponiblen Beamten nicht zu entsprechen scheinen. Was vor allem den Antrag betrifft, jene Beamte, welche infolge der Sichtungsbeschlüsse quiesziert wurden und hierauf im Bedarfsfalle wieder zur Dienstleistung berufen werden sollen, nach § 9 der Ah. Direktiven vom 15. Juni 1861 9 zu behandeln, so können Fälle einer solchen zeitlichen Quieszierung nach der Ah. Entschließung vom 29. Mai 1863 10 gar nicht eintreten. Denn nach dieser Ah. Entschließung dürfen nur die nicht verwendbaren oder die bemakelten Individuen der normalmäßigen Behandlung unterzogen werden. Individuen aber, welche noch verwendbar und auch nicht bemakelt sind, dürfen nach den || S. 356 PDF || erwähnten Entschließungen (und nach einigen seitdem erflossenen Ah. Partikularentscheidungen11) nicht in den Quieszentenstand versetzt werden, sondern es muß für deren Unterbringung gesorgt und solang dieses nicht geschehen kann, müssen sie unter Belassung ihrer Genüsse aushilfsweise verwendet werden. Was aber die übrigen Beamten betrifft, so wurde allerdings die Verlängerung der Begünstigungsfrist nur bis Ende Dezember 1863 ausgesprochen. Dieses aber ist nur unter der Voraussetzung geschehen, daß, wie es im Absatze 2 der Ah. Bestimmungen ausdrücklich heißt, inzwischen die Sichtung der Beamten Zustande komme, und dieselben daher die definitive Entscheidung über ihr Schicksal auch wirklich erhielten. Nur unter dieser Voraussetzung ist von den Verhandlungen über weitere Verlängerungen der Begünstigungsfrist Umgang genommen worden. Die ohne Verschulden der Beamten bis über den 31. Dezember v. J. hinaus verzögerte definitive Entscheidung über ihr Schicksal kann daher nicht zu ihrem Nachteil gereichen, sondern die Ah. Absicht geht unzweifelhaft dahin, daß, insolang die normalmäßige Behandlung eines Beamten nicht endgiltig ausgesprochen ist, er seinen Gehalt forzubeziehen habe und der Ausspruch der Versetzung in den normalmäßigen Ruhestand nicht als zurückwirkend und einen Rückersatz begründend angesehen werden könne. Aus diesen Gründen erklärte Freiherr v. Lichtenfels, so wie bei der staatsrätlichen Beratung auch im Ministerrate, den Anträgen des Finanzministers nicht beizupflichten, und er las seinen in diesem Sinne verfaßten Resolutionsentwurf.

Der Finanzminister erwiderte, daß er bei den von der Vorstimme dargestellten Verhältnissen nichts mehr dagegen erinnern wolle, auf den Ersatz der Übergenüsse seit 1. Jänner bei allen später erst normalmäßig behandelten Disponiblen zu verzichten. Dagegen könne er sich mit der Auffassung der Ah. Entschließung nicht vereinigen, wonach den nicht bemakelten verwendbaren Beamten ihre Genüsse bis zur Wiederunterbringung flüssigerhalten werden sollen. Dies komme ja einer unbeschränkten Verlängerung der Begünstigungsfrist gleich, und dies würde ihn nötigen, im nächsten Präliminar eine hohe Summe für derlei Disponibilitätsbezüge einzustellen, dund stehe mit dem Wortlaute der Ah. Entschließung vom 29. Mai 1863, wornach das Begünstigungsgehalt mit dem letzten Dezember 1863 aufzuhören habe, in geradem Widerspruched . Minister Ritter v. Lasser erklärte sich in allen Punkten mit dem Staatsratspräsidenten einverstanden und zitierte einen Fall, wo das Finanzministerium einen Kanzleibeamten mit 31. Dezember 1863 quieszierte und eihn zugleiche vom 1. Jänner 1864 an einer Behörde mit seinen reduzierten Genüssen zur Dienstleistung zuwies. Dies beweise, daß er unbemakelt und ganz dienstfähig war und man diesen Mann somit ganz gegen die Ag. Absichten Sr. Majestät hart behandelt hat. Der Staatsminister versicherte, daß ihm die Unterbringung der Disponiblen nicht minder am Herzen || S. 357 PDF || liege als dem Finanzminister. Die bevorstehende Organisierung werde es auch hoffentlich möglich machen, alle noch im Laufe dieses Jahres unterzubringen, sodaß es sich nicht mehr um lang fortzusetzende finanzielle Opfer handeln kann. Wohl aber streiten politische Rücksichten dafür, daß man Beamte, die dem Rufe der Regierung bereitwillig gefolgt sind, wegen Änderung des politischen Systems nicht ganz fallenlasse, und der Staatsratspräsident fügte bei, daß die Konferenz in Erwägung eben dieser Rücksichten die Behandlung der Disponiblen stets im Sinn der obentwickelten Grundsätze verstanden habe.

Die Stimmenmehrheit vereinigte sich sohin mit den Anträgen des Freiherrn v. Lichtenfels12.

III. Ah. Sanktion von Landesgesetzen

Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer setzten den Ministerrat in Kenntnis, daß drei in keiner Beziehung einem Anstande unterliegende Landesgesetze, nämlich das Gemeindegesetz für Oberösterreich13, das Kirchenkonkurrenzgesetz für Steiermark14 und das Straßenkonkurrenzgesetz für die Grafschaft Görz15, durch den Staatsminister der Ah. Sanktion unterzogen worden seien.

Der Ministerrat fand hierüber nichts zu bemerken.

IV. Ministerkomitee für die siebenbürgische Eisenbahnfrage

Die Angelegenheit wegen des Baues der siebenbürgischen Eisenbahn16 ist durch die darauf sich beziehenden Anträge der Aktiengesellschaft für die Bukowinaer Bahn17 in ein neues Stadium getreten, so daß Se. k. k. Hoheit angezeigt finden, zur Vorprüfung der Sache ein engeres Ministerkomitee zusammenzusetzen, bestehend aus dem Staatsminister, dem Minister v. Lasser, dem Finanzminister, dem Hofvizekanzler Baron Reichenstein und dem Leiter des Handelsministeriums Herrn v. Kalchberg18.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 11. Mai 1864. Empfangen 11. Mai 1864. Erzherzog Rainer.