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Nr. 441 Ministerrat, Wien, 4. Februar 1864 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Schurda; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 4. 2.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Lasser, Plener (nur bei I–III anw.), Lichtenfels, Forgách, Hein, Mertens; abw. Nádasdy, Degenfeld, Esterházy, Burger; BdR. Erzherzog Rainer 29. 2.

MRZ. 1245 – KZ. 556 –

Protokoll des zu Wien am 4. Februar 1864 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Besetzung der Oberlandesgerichtspräsidentenstelle in Graz

Der Minister Ritter v. Hein erbat sich und erhielt die Zustimmung der Konferenz, für den durch die Jubilierung des Grafen Mitrowsky in Erledigung kommenden Präsidentenposten des Grazer Oberlandesgerichtes den disponiblen Oberlandesgerichtspräsidenten Freiherrn v. Lattermann au. in Vorschlag zu bringen1. Begründet sei dieser Vorschlag damit, daß von den gegenwärtig nur noch vorhandenen disponiblen Oberlandesgerichtspräsidenten Ritter v. Wenisch und Freiherr v. Lattermann, der letztere nicht nur eine längere Dienstzeit hat, sondern auch infolge seiner bereits längere Zeit dauernden und sehr ersprießlichen Dienstleistung alsa Präsident des Grazer Landesgerichtesb auf diesen Posten eine Anwartschaft hat2.

II. Übertragung der gerichtlichen Gewalt während des Belagerungszustandes im lombardisch-venezianischen Königreich an FZM. Ludwig Ritter v. Benedek

Über Aufforderung Sr. k. k. Hoheit verlas der Staatsminister zur Kenntnisnahme des Ministerrates folgenden Auszug aus dem Ah. Befehlschreiben de dato 25. Jänner 1864 an den Armeekommandanten im lombardisch-venezianischen Königreiche FZM. Ritter v. Benedek3: „Für den Fall der Publizierung des Belagerungsstandes4 in Meinem lombardisch-venezianischen Königreiche übertrage Ich Ihnen die Ausübung der gerichtsherrlichen Gewalt über alle der kriegsrechtlichen Behandlung zugewiesenen oder zuzuweisenden strafbaren Handlungen, sowohl rücksichtlich der Militär- als der Zivilpersonen.

Erteile Ihnen ferner das Recht, die für die Handhabung des Belagerungszustandes nötigen Individuen aus dem Personale der Zivilbehörde Meines lombardisch-venezianischen Königreiches nach Bedarf zu entnehmen.“

Die Konferenz nahm diese Ah. Anordnung zur Kenntnis, glaubte jedoch auf die Notwendigkeit hinweisen zu sollen, daß FZM. Ritter v. Benedek doch, außer dem Falle eines eklatanten Anlasses, z. B. eines Einfalls der Piemontesen, wo selbstverständlich augenblicklich gehandelt werden müßte, die beabsichtigte Publikation des Belagerungszustandes früher anher anzuzeigen hätte, damit die Sache doch hier in der Richtung besprochen werden könnte, ob nicht etwa aus höheren politischen und finanziellen Gründen ein kurzer Aufschub dieser Maßregel geboten erscheine5.

III. Mitteilung des Verzeichnisses über die in den Verwaltungsjahren 1861/62 und 1863/64 veräußerten Objekte an den Reichsrat

Der Staatsratspräsident referierte den au. Vortrag des Finanzministers vom 30. November v. J., Z. 4869/FM., über die bei dem Reichsrate einzubringende Vorlage rücksichtlich der in den Verwaltungsjahren 1861/62 und 1862/63 veräußerten Objekte des unbeweglichen Staatseigentumes6 mit dem Bemerken, daß der Finanzminister diesen Antrag über die diesfälligen Bemerkungen des Staatsrates7 dahin rektifiziert habe, daß die Sache nicht in der Form einer Regierungsvorlage, sondern einer bloßen Mitteilung dem § 13 der Verfassung gemäß behandelt werde, mithin folgenden Resolutionsentwurf beantrage: „Indem Ich den Inhalt dieses Vortrages zur Kenntnis nehme, ermächtige Ich Sie, das Mir vorgelegte Verzeichnis der stattgehabten Veräußerungen von unbeweglichem Staatseigentume in den Verwaltungsjahren 1861/62 und 1862/63 dem gesamten Reichsrate unter Darlegung der Gründe der vorgenommenen Veräußerung zur Kenntnisnahme mitzuteilen.“

Die Mehrheit des Ministerrates trat diesem Antrage bei. Nur der Minister Ritter v. Lasser erklärte sich gegen diese Form der Behandlung rücksichtlich gegen die Berufung des § 13 der Verfassung, weil man ipso facto damit anerkennt, daß während der Session des Reichsrates cohne dessen ausdrückliche Genehmigungc nichts vom Staatseigentume veräußert werden darf, was nur zur Folge haben wird, daß das || S. 227 PDF || Haus künftig jeden während einer Tagung des Reichsrates gemachten, noch so geringen Verkauf der Regierung als einen Verfassungsbruch vorhalten wird, wogegen sich also Votant gewahrt wissen möchte. dNachdem im Staatsvoranschlage Summen (in der Bedeckung) aus dem Verkaufe von ärarischen Realitäten präliminiert sind, halte Votant die einzelnen Verkaufsakte nur für eine Durchführung des betreffenden Gesetzes, wovon dem Reichsrate seinerzeit Kenntnis zu geben wäre, aber ohne Zitation des § 13 der Verfassungd, 8.

IV. Landesverteidigungs- und Schießstandsordnung für Tirol und Vorarlberg

e Der Staatsratspräsident referierte den au. Vortrag des Staatsministeriums vom 18. Jänner l. J., Zl. 307/I9, mit den Beschlüssen der Landtage in Tirol und Vorarlberg über die Regierungsvorlagen für eine Landesverteidigungs- und Schießstandsordnung. Der Landtag in Tirol habe die Regierungsvorlage für die Landesverteidigungsordnung mit wenigen Änderungen angenommen, der Landtag in Vorarlberg dagegen einen vorläufigen Beschluß auf Trennung beider Landesverteidigungskörper gefaßt. Diesem Beschlusse sei der Tiroler Landtag nicht beigetreten, und es sei auch keine Vereinbarung zustande gekommen. Ebenso habe der Tiroler Landtag die Schießstandsordnung mit wenigen Modifikationen angenommen, der Landtag in Vorarlberg dagegen eine Sonderstellung für das Schießstandwesen im Lande beschlossen. Der Staatsminister hält die Beschlüsse des Vorarlberger Landtages zur Genehmigung nicht geeignet und findet dagegen die von dem Landtage in Tirol an beiden Gesetzentwürfen beschlossenen Änderungen größtenteils unerheblich und jedenfalls nicht zweckwidrig und stellt daher den au. Antrag, daß die Entwürfe des Tiroler Landtages als Grundlage zur Vereinbarung gemeinschaftlicher Landesverteidigungs- und Schießstandsordnungen für Tirol und Vorarlberg zu dienen haben, wozu sich die Ah. Genehmigung mit dem vorgelegten Resolutionsentwurfe erbeten wird. Der Staatsrat habe bei der Beratung dieser Entwürfe10 nur zu drei Paragraphen Änderungen beantragt und zwar: Im § 1 wäre in dem vom Landtage vorgeschlagenen Satze „An die allgemeine Wehrpflicht etc.“ || S. 228 PDF || statt „in Voraussetzung der jetzigen verhältnismäßigen Minderung ihrer Kontingente zum k. k. Heer“ zu setzen „unter Voraussetzung der Fortdauer einer Stellung verhältnismäßig geringerer Kontingente zum k. k. Heer usw.“, weil die Fassung des Landtages es zweifelhaft lasse, ob das Wort „jetzigen“ sich auf das Prinzip oder die Ziffer beziehen soll. Weiter sei der in demselben § 1 vom Landtage eingeschaltete Satz „das auf dieser allgemeinen Wehrpflicht usw.“ deshalb beanständet worden, weil darin ein Widerspruch besteht, denn wenn das Institut insoweit militärisch ist, als es zur Verteidigung des Landes mitwirken muß, so kann es wohl nicht mehr rein bürgerlich genannt werden, und es werde daher beantragt, diesen Satz ganz wegzulassen und den folgenden Satz „Sie bildet usw.“ dahin zu textieren „Das auf dieser allgemeinen Wehrpflicht beruhende Institut der Tirol-Vorarlberger Landesverteidigung bildet einen ergänzenden Teil usw.“. Im § 3 wäre der Zusatz „jedoch nach beendetem Gefechte wieder in das Land zurückzukehren“ wegzulassen. Endlich wäre bei § 35 der Text der Regierungsvorlage wieder herzustellen, nur seien die Worte „dann in dem im § 35 angedeuteten Falle“ wegzulassen. Ihm (Freiherr v. Lichtenfels) nämlich sei hier das Bedenken gekommen, ob zur Zeit der Waffenübungen die Zivilgerichte auch ausreichen, da bei bewaffneten Korps leicht Verbrechen und Vergehen, wie z. B. der Insubordination, der Meuterei und Empörung, vorkommen können, und es scheine ihm daher zweckmäßig, für diese Fälle die Militärgerichtsbarkeit aufrechtzuhalten. Diese Anträge des Staatsrates seien dem Staatsminister und dem Minister Ritter v. Lasser mitgeteilt worden, und es haben sich dieselben laut der beiliegenden Gegenbemerkungenf gegen diese Modifikationen ausgesprochen und erklärt, daß überragender Grund vorhanden zu sein scheint, daß auf den vom Staatsrate beantragten Änderungen beharrt und dadurch das Zustandekommen des Gesetzes nicht nur bei dem nächsten Landtage, sondern höchstwahrscheinlich auch bei späteren Landtagen vereitelt würde. Darauf glaube Freiherr v. Lichtenfels nur bemerken zu sollen, daß er gerade keinen Grund habe, auf den Anträgen des Staatsrates strikte zu beharren, jedoch hier nochmals auf den dritten Punkt, nämlich den der Jurisdiktion, welcher ihm der wichtigste zu sein scheint, hinweisen müsse, die militärische Beurteilung aber dem Vertreter des militärischen Interesses anheimstellen wolle.

Der Kriegs ministerstellvertreter Freiherr v. Mertens , welcher die Bemerkung vorausschickte, daß ihm die Sache wegen der Länge der Verhandlungen nicht mehr genau erinnerlich ist und ihm daher die Mitteilung des Aktes sehr erwünscht wäre, meinte, es scheinen die Bedenken des Staatsrates derart zu sein, daß sie vom militärischen Standpunkte aus nur unterstützt werden können. Auf die einzelnen Punkte eingehend, hielt er die Verbesserung des Staatsrates hinsichtlich des Stellungskontingentes für gut, weil es jedenfalls angezeigt sei, dieses im Gesetze bestimmter zu formulieren. Ebenso könnte er auch die zweite Änderung nur billigen, da es nicht richtig ist, daß die Landesverteidigung ein rein bürgerliches Institut sei. Wohl bestehe selbe aus Bürgern, aber als Institut sei sie doch eigentlich militärischer Natur. Belangend die Verwendung der Landesverteidiger außer Landes (§ 3), so müßte dieses so wenig als möglich bindend gegeben werden, und es scheine daher wohl nicht anzugehen, daß ein solcher Artikel, wie der vom Landtage beschlossene Zusatz, || S. 229 PDF || als Satzung im Gesetze aufgenommen werde. Was endlich den letzten Punkt, nämlich die Gerichtsbarkeit betrifft, so halte er es für unumgänglich notwendig, daß die Landesschützen auch zur Zeit der Hauptwaffenübungen der Militärgerichtsbarkeit unterworfen werden, denn dieselben bilden zu dieser Zeit ein bewaffnetes Korps, bei welchem von der militärischen Disziplinargewalt nicht Umgang genommen werden kann, wenn es in Ordnung gehen soll. Der Minister Ritter v. Lasser leitete sein Votum mit einer Darlegung der in dieser Angelegenheit gelaufenen Verhandlungen ein11. Seit Jahren kämpfe man darum, eine andere und zwar bessere Landesverteidigungsordnung für Tirol und Vorarlberg zu erlangen. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß nicht viel Eifer, sondern vielmehr Abneigung gegen die Leistung der Landesverteidigung im Lande herrsche. Es handle sich daher hier um eine Konzession, die man vom Lande wünscht, und eine Oktroyierung nicht durchführen kann. Um eine bessere Organisierung der Landesverteidigung zu erlangen, habe Se. k. k. apost. Majestät schon im Jahre 1859 eine provisorische Landesverteidigungsordnung zu genehmigen geruht, welche sodann auch mit Zustimmung der Landtage für 1861 und bezüglich bis zum Zustandekommen eines neuen Gesetzes in Wirksamkeit trat. Die Hauptsache der gegenwärtigen Vorlage sei nun, eine neue Grundlage für die gemeinschaftliche Landesverteidigungsordnung zu gewinnen, und aus diesem Gesichtspunkte halte Votant die Bemerkungen des Staatsrates nicht von solchem Gewichte, um deshalb die ganze Grundlage zu verwerfen. Nachdem Ritter v. Lasser noch die einzelnen Punkte, zu welchen der Staatsrat Modifikationen beantragte, einer Erörterung unterzog und die Unerheblichkeit dieser Anstände darzutun suchte, kam er zu dem Schlusse, daß, wenn man will, daß etwas zustandekomme und die Landesverteidigungsordnung ein Gesetz werde, woran wohl weniger das Land als die Regierung ein Interesse habe, man dann im Prinzipe den vom Tiroler Landtage beschlossenen Entwurf annehmen müsse. Der Staatsminister glaubte, die ministeriellen Anträge umso mehr unterstützen zu sollen, als man nur auf diese Weise ein Zustandekommen des Gesetzes erwarten kann, und da eben der Regierung selbst daran gelegen sein muß, daß die gemeinschaftliche Landesverteidigungsordnung vereinbart werde, so müsse man über die Bedenken des Staatsrates hinausgehen und lieber das Wenigere vollkommen zu erreichen suchen.

Es sprachen sich sodann alle übrigen Stimmführer für die Anträge des Staatsministeriums aus, für welche sich demgemäß die Stimmenmehrheit der Konferenz ergab12.

V. Regierungshaltung gegenüber dem Gesetzentwurf über die Steuereinhebung von Aktienunternehmungen

Der Staatsratspräsident referierte, daß die Finanzkommission des Herrenhauses über den Gesetzentwurf betreffend die Steuereinhebung von Aktienunternehmungen schon heute Beratung halten wolle und daß eine Neigung vorhanden sei, || S. 230 PDF || dieses Gesetz anzunehmen13. Um nun für seine Person in dieser Angelegenheit eine Richtschnur zu haben, würde er wünschen, die Position der Regierung, da sich dieselbe bisher hierwegen nicht ausgesprochen hat, zu kennen.

Bei der eingehenden Erörterung hierüber wurde allseitig erkannt, daß in diesem Gesetz wohl ein Prinzip der Billigkeit liege, der Modus der Ausführung aber äußerst schwer und das Richtige noch nicht gefunden sei, daß also das Ganze noch nicht spruchreif sei, daß die Regierung dem Gesetze, wie es vorliegt, die Zustimmung nicht geben könne, vielmehr sich vorbehalten müsse, diesbezüglich erst die erforderlichen Informationen und geeignetes Materiale sich zu verschaffen.

Es wurde demnach beschlossen, daß der Finanzminister, welchen die Sache zunächst berühre, die Erklärung abgebe, daß die Regierung derzeit nicht in der Lage sich befinde, das Nähere der Sache zu würdigen, sondern erst das nötige Material allenfalls auch durch eine Enquete sich verschaffen wolle14.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 28. Februar 1864. Empfangen 29. Februar 1864. Erzherzog Rainer.