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Nr. 415 Ministerrat, Wien, 17. November 1863 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 19. 11.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Forgách, Esterházy (25. 11.), Hein (28. 11.); abw. Nádasdy, Burger; BdR. Erzherzog Rainer 24. 11.

MRZ. 1218 – KZ. 3730 –

Protokoll des zu Wien am 17. November 1863 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät.

I. Beeidigung der Gemeindevorstände auf die Verfassung in einigen Landesgesetzen

Se. k. k. apost. Majestät geruhten zur Sprache zu bringen, daß, während nach den Regierungsvorlagen für die Gemeindeordnungen1 die Gemeindevorstände einfach auf die „Befolgung der Gesetze“ beeidet werden sollen, in einigen der von den Landtagen beschlossenen Gemeindeordnungen die Beeidigung derselben auf die Verfassung vorgeschrieben wird. Der Staatsminister und das Ministerialkomitee beantragen, darüber hinauszugehen. Se. Majestät teilen jedoch nicht diese Meinung, denn abgesehen davon, daß durch die Sanktion dieser Bestimmung eine durch nichts begründete Ungleichheit in den Ländern statuiert würde, bestehen noch prinzipielle Bedenken gegen die Aufnahme der Verfassung in den Eid öffentlicher Funktionäre. Gerade deswegen aber dürfte die fragliche Modifikation von gewissen Seiten her durchgesetzt werden wollen. Die Regierung wird dadurch umsomehr aufgefordert, darauf nicht einzugehen und hat dafür schon darin einen ostensiblen hinreichenden Grund, daß der Eid auf die Verfassung selbst nicht von den Mitgliedern beider Häuser des Reichsrates gefordert wird, und man wohl nicht bei den Vorständen der Landgemeinden weiter zu gehen braucht als bei jenen.

Über die an die Konferenzmitglieder gerichtete Ah. Aufforderung, diesen Gegenstand einer eindringlichen Erörterung aus diesem Gesichtspunkte zu unterziehen, äußerte der Staatsminister , die Beeidigung der Gemeindevorstände auf die Verfassung sei allerdings unpraktisch und könne füglich umsomehr unterbleiben, als weder die Staatsbeamten noch selbst die Mitglieder des Reichsrates, ungeachtet ihrer relativ bedeutenderen Wirksamkein im Staate, einen solchen Eid ablegen. Allein es liege das Präzedens vor, daß das Ministerium des Inneren im Jahre 1850 für die Bürgermeister in den Kronlandshauptstädten eine Formel vorgeschrieben hat, worin es heißt: „Ich schwöre … an der Reichs- und Landesverfassung unverbrüchlich festzuhalten2.“ Bei einer hierüber in den Landtagen zu eröffnenden öffentlichen Diskussion dürfte es schwer werden, gegen einen Eid für die Vorstände kleiner Gemeinden aufzutreten, welcher für diejenigen der Hauptstädte vorgeschrieben worden ist und noch jetzt in Übung steht, || S. 82 PDF || oder doch nicht gesetzlich abgestellt wurde. Eine solche Diskussion dürfte zu unangenehmen Konsequenzen von größerer Tragweite führen. Der Polizeiminister fand gleichfalls, es werde schwer halten, in den Landtagen das Festhalten an der Regierungsvorlage bloß durch das einfache Utilitätsmotiv der Gleichförmigkeit in allen Ländern zu begründen, zumal – wie auch Minister Ritter v. Lasser bemerkte – man in den Gemeindeordnungen doch nicht jeder Ungleichheit ausweichen kann. Die Diskussion werde provokant wirken, besonders dort, wo – wie in Niederösterreich – sonst kein anderer Punkt der Gemeindeordnung beanständet wird3. Se. k. k. apost. Majestät geruhten hierüber Ah. zu bemerken, daß es nicht schwer werden dürfte, dieses speziell Niederösterreich betreffende Bedenken zu beheben. Der Präsident des Staatsrates äußerte, er habe vor der Komiteeberatung geglaubt, daß über diese Differenz von der Regierungsvorlage hinausgegangen werden könnte, denn die ausdrückliche Aufnahme der Verfassung in einen Eid, der auf die Befolgung „der Gesetze“ lautet, sei ja keine Erweiterung der Eidespflicht. Hierzu kommt noch, daß es sich nur um die Vorstände kleiner Gemeinden handelt. Die landtägliche Diskussion der Beeidigungsfrage infolge der Zurückweisung einer Gemeindeordnung werde aber den großen Vorteil haben, die jetzt schlummernde Frage über die Beeidigung der Beamten auf die Verfassung aufs Tapet zu bringen und so einen voraussichtlich heftigen Kampf herbeizuführen, da die Regierung ein großes Interesse hat, diese Beeidigung solang als immer möglich hintanzuhalten. Minister v. Lasser , der Vorstimme beitretend, hält es für rätlich, die Erörterung aüber die sogenannten Verfassungseide nicht durch diesen Anlaß allgemein hervorzurufen. Beamteneide und Fahneneide stünden auf ganz anderer Linie. Hiebei kann es nur auf Obedienz gegen den Kriegsherrn und niemals auf die Prüfung der Verfassungsgemäßheit des zu befolgenden Auftrages ankommen. Bei diesen Eiden würde die Regierung unter allen Umständen die Einschaltung der Verfassungsklausel abzulehnen berechtigt sein. Aber bei Eiden und Gelöbnissen anderer Personen, z. B. Landtagsdeputierten, Bürgermeistern etc., könnte höchstens nur für die Gleichförmigkeit der Eidesformeln plädiert werden, vorausgesetzt, daß man zugibt, daß unter den Worten „Gehorsam den Gesetzen“ auch die Staatsgrund- oder Verfassungsgesetze mitverstanden seiena . Der Finanzminister erinnerte, daß die Gemeindevorstände auch einen übertragenen Wirkungskreis haben und selbe bei Erfüllung der ihnen diesfalls obliegenden Pflichten durch eine unrichtige Auffassung ihrer Eidespflicht in nachteiliger Weise ebenso beirrt werden könnten wie die Staatsbeamten. Obgleich es daher wünschenswert wäre, die Bestimmungen der Regierungsvorlagen in den Gemeindeordnungen aller Länder beibehalten zu sehen, würde er doch aus den von den Vorstimmen geltend gemachten Gründen glauben, daß den von den Landtagen hie und da beantragten Ausnahmen nicht entgegenzutreten wäre. Der Minister des Äußern fände es sehr wichtig, daß man dem Grundsatze der Nichtbeeidigung auf die Verfassung nicht durch Sanktion eines Landesgesetzes Abbruch tue, indem sonst alle || S. 83 PDF || anderen Länder bald folgen würden. Dafür, daß der Anstand in Niederösterreich nicht isoliert erhoben wurde, läßt sich ja durch Anknüpfung an andere, unschwer aufzufindende Mängel sorgen. Der Kriegsminister sieht nicht ab, warum eine Ungleichheit in den Eidesformeln nach Ländern zugegeben werden soll, und erblickt in dem Streben nach der Beeidigung auf die Verfassung eine Beleidigung gegen Allerhöchstseine Majestät, bAllerhöchstwelcher die Verfassung selbst erteilt haben und wissen wird, die Diener des Staates zu deren Beobachtung zu verhaltenb . FZM. Graf Degenfeld würde daher vor den Schwierigkeiten eines darüber entstehenden parlamentarischen Kampfes nicht erschrecken. Auf die Bemerkung des Staatsratspräsidenten , man werde durch verweigerte Sanktion dieser Bestimmung Mißtrauen hervorrufen und der Opposition erwünschte Anhaltspunkte geben, entgegnete Minister Graf Esterházy in Übereinstimmung mit dem Kriegsminister, daß die Landtage das bereits vorhandene Mißtrauen an den Tag legen. Vernünftigerweise könne man doch einen Bürgermeister nicht noch spezieller auf die Verfassung verpflichten wollen als einen Reichsrat. Der ungarische Hofkanzler riet davon ab, durch Sanktion der in Rede stehenden Ausnahme ein Präzedens für gefährliche Konsequenzen zu schaffen. Soviel dem Grafen Forgách bekannt ist, wird in Böhmen von der 1850 vorgeschriebenen Eidesformel kein Gebrauch mehr gemacht. Auch seien die Bürgermeister in den kleinen Städten bei Handhabung des übertragenen Wirkungskreises ein wichtiges Agens der Regierung, das man durch Beeidigung auf die Verfassung ebensowenig genieren sollte, als man vor 1848 die ungarischen Beamten aller Kategorien auf den vagen Begriff der Constitutio Regni Hungaria beeidete. Minister Ritter v. Hein findet, man stehe bei dieser Frage zwischen Scylla und Charybdis. Bestätigt die Regierung die Ausnahmen in Niederösterreich nicht, so wird dadurch schon die Kontroverse über den Eid auf die Verfassung angeregt. Bestätigt man sie, so werden die übrigen Landtage, welche sich der Regierungsvorlage konformiert haben, den Gegenstand im nächsten Landtag aufnehmen, um sich mit den „konstitutionellen“ in Übereinstimmung zu bringen. Der Antrag auf Änderung der Angelobungsformel der Mitglieder des Reichsrates wird dann auch nicht ausbleiben. Obleich daher der Diskussion der Frage über kurz oder lang nicht wird ausgewichen werden können, stimme doch Ritter v. Hein mit Baron Lichtenfels dafür, daß man nicht durch einen gegen die fraglichen Eide gerichteten Schritt der Regierung Mißtrauen säe. Ein Mittelweg dürfte vielleicht darin gefunden werden, wenn der Eid bloß auf die Reichs- und nicht auf die Landesverfassung abgelegt würde. Der Staatsratspräsident würde dieses Auskunftsmittel aber noch bedenklicher finden.

Schließlich geruhten Se. Majestät der Kaiser Allerhöchstsich dafür zu entscheiden, daß die Landtage anzuweisen seien, ihren Entwurf im bezüglichen Passus mit dem Regierungsentwurfe in Übereinstimmung zu bringen4.

II. Unterscheidung zwischen Gemeindegliedern und Gemeindegenossen im Tiroler Gemeindegesetz

Das Staatsministerium und das Ministerkomitee für die Gemeindeordnungen haben sich gegen die vom Tiroler Landtage beschlossene Modifikation des Regierungsentwurfes ausgesprochen, daß in Tirol eine Unterscheidung zwischen den wahlberechtigten Gemeindemitgliedern (Gemeindebürgern und Gemeindeangehörigen) und den bloßen „Gemeindegenossen“ gemacht werde, welchen letzteren kein Wahlrecht zustehen solle5. Nachdem jedoch der Statthalter diese eigentümliche Einrichtung, auf die man dortlands ein Gewicht zu legen scheint, nicht beanstandet6, und der landtägliche Entwurf der Gemeindeordnung sonst in keiner Beziehung bemängelt wurde7, geruhten Se. k. k. apost. Majestät die Frage aufzuwerfen, ob man nicht über diese Differenz hinausgehen und dem Entwurfe sofort die kaiserliche Sanktion erteilen könnte. Allem Anscheine nach würde der Landtag bei wiederholter Beratung abermals darauf zurückkommen, und es erwächst vielleicht, wenn die Regierung auf der Ablehnung besteht, daraus ein stehendes Gravamen jenes Landes mehr!

Der Präsident des Staatsrates äußerte, daß die vom Tiroler Landtage beabsichtigte Teilung in Gemeindeglieder und Gemeindegenossen eine Disharmonie mit den Prinzipien des Gemeindegesetzes überhaupt begründe. Die Konsequenz davon wäre, daß ein ganz unbescholtener „Gemeindegenosse“ trotz des größten Vermögensbesitzes und Zensus nicht wahlberechtigt wäre. Die Unbilligkeit einer solchen ungleichen Behandlung von Gemeindeinsassen erscheine wichtig genug, um die Ablehnung der diesfälligen Bestimmung von Regierungs wegen zu motivieren. Minister Ritter v. Lasser trat der Vorstimme bei, indem die Konsequenzen dieser Bestimmung ceine große Anzahl von Besitzendenc in Tirol jedes politischen Rechtes din der Gemeinde und in höherer Linie in der Landesvertretung, und zwar eines Rechtes, das sie dermalen gesetzlich ausübend, berauben würde. Der innerste Grund, warum der Landtag die in Rede stehenden Ausnahmsbestimmung beschlossen hat, liegt wahrscheinliche in den konfessionellen Verhältnissen. Es ist ein Versuch der Abwehr gegen die Nichtkatholiken in der Gemeinde8! Als das Gemeindegesetz beraten wurde, mochte man einen solchen Schutz noch als nötig betrachten. Gegenwärtig ist es nicht mehr der Fall, da nach den Bestimmungen des neuen Heimatgesetzes die Autonomie der Gemeinde soweit anerkannt ist, daß keiner Tiroler Gemeinde mehr ein akatholisches Gemeindeglied gegen ihren Willen wird aufgedrungen werden können9. Nun, da die Katholiken Tirols darüber beruhigt sind, werden sie auch keinen Grund mehr haben, auf der obgedachten, || S. 85 PDF || mit den Grundprinzipien unvereinbarlichen Bestimmung zu bestehen, und der Landtag dürfte sich daher einer ihm zu gebenden Weisung über diesen Punkt unschwer konformieren. Minister Ritter v. Hein teilte die Meinung der Vorstimme, indem er noch heraushob, daß die Regierung mit sich selbst in Widerspruch geraten würde, wenn sie durch Sanktion dieser Bestimmung in Tirol das politische Wahlrecht von der Gemeindezuständigkeit abhängig machen wollte10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 29. November 1863. Empfangen 24. November 1863. Erzherzog Rainer.